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05.06.2019

Sofortbild

05.06.2019
Unser Kolumnist Karl Salzmann zur Qualität der analogen Unvollkommenheit in Zeiten der digitalen Perfektion.
Betonstufen
Bild Legende:

Beas Buch hat meinen Verdacht lediglich bestätigt. Darauf gebracht hatten mich meine Maturandinnen, die bei einem Abschlussapéro mit Sofortbildkameras analoge Schnappschüsse produzierten. Ein Klicken, ein Blitz, ein Surren – und das Gerät spuckte ein beschichtetes Stück Papier aus, auf dem sich ganz langsam die Konturen der Porträtierten abzeichneten. Die Qualität der fertig entwickelten Fotos war erbärmlich im Vergleich zu den digitalen Aufnahmen, die heutige Handykamera machen, aber diese Frauen mit 2000er-Jahrgängen hatten ihre helle Freude an ihren Sofortbildern. Ich fühlte mich drei Jahrzehnte zurückversetzt. Zwei Tage später erlebte ich meine Kinder, wie sie eine Stunde lang auf meinen beiden mechanischen Hermes-Schreibmaschinen seitenweise Papier mit lustigen Sätzen beschrieben, während ich daneben am Computer ein Arbeitsblatt gestaltete. Und gestern Abend legte mir meine Frau Bea eben dieses Buch auf den Nachttisch, das mir erklärte, was ich insgeheim schon wusste: Digital ist nicht so sexy, wie es meint.

«Die Rache des Analogen» heisst das Buch des amerikanischen Journalisten und Autors David Sax, das 2016 herausgekommen ist. Es ist ein Plädoyer für die realen Dinge des Lebens, für so altmodische Sachen wie Papier, Fotoalben und Vinylplatten. Gerade weil die digitale Technik so gut sei, findet nun gemäss Sax eine Rache des Analogen statt: «In vielen Fällen funktionieren ältere analoge Werkzeuge oder Ansätze einfach besser. Die inhärente Ineffizienz des Analogen ist auf einmal begehrt, seine Schwäche wird wieder als Stärke gesehen», heisst es in der Einleitung.

Weiter habe ich nicht gelesen. Denn eigentlich will ich solche Sätze nicht hören. Schliesslich erlebt unsere Schule gerade einen grossen Digitalisierungsschub. Schulleitung und Lehrpersonen sprechen seit ein paar Monaten kaum noch von etwas anderem als der bevorstehenden Umstellung auf «Bring-your-own-device»-Unterricht. Alle versuchen sich nach Kräften für die Herausforderung des digitalen Unterrichts fit zu machen. Ich selber habe mich in den letzten Monaten fleissig in Moodle, OneNote, Quizlet, Padlet, Wikis, WordPress und so weiter eingearbeitet, um den Ansprüchen eines angeblich zeitgemässen Unterrichts gerecht zu werden. Und nun will mir jemand erklären, dass ich in der schönen neuen Digitalwelt damit rechnen muss, dass demnächst der analoge Racheengel zum Gegenangriff bläst? Das ist nicht gut für meine Motivation.

Und doch muss ich einräumen: Ich habe mir erst kürzlich einen neuen Plattenspieler gekauft und höre meine alten Vinylscheiben wieder mit Begeisterung. Seit einiger Zeit beobachte ich auch, wie ich vermehrt mit dem Füllfederhalter schreibe, den mir meine Eltern zum Studienabschluss schenkten. Und vorgestern verzichtete ich in einer Lektion seit langem wieder einmal darauf, den Beamer einzuschalten, und griff stattdessen lustvoll zur Kreide. Das Diagramm, das ich an die Wandtafel zeichnete, war sicher weniger übersichtlich als meine Vorlage auf der Powerpoint-Folie, aber wieder einmal Kreidestaub an den Fingern zu spüren, war ein gutes Gefühl. Ich war froh, der Verlockung des Analogen nachgegeben zu haben.

Und deshalb nehme ich mir für nächstes Schuljahr vor, im ganzen Digitalisierungshype zwischendurch bewusst analoge Oasen zu schaffen. Raum für sinnliche Erfahrungen zu lassen, die über das Streicheln eines glatten Touchscreens hinausgehen. Analoge Unvollkommenheit als Qualität zu sehen. Über Inhalte statt Technik zu sprechen. Das Sofortbild, das mir die Maturandinnen geschenkt haben, sei mir eine Erinnerung.

Karl Salzmann

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