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07.12.2018

Von Nullen und Einsen

07.12.2018
ICT
Digitalisierung ist das Schlagwort unserer Zeit - Gedanken von Andreas Pfister dazu.
Farbige Glasskulpturen
Bild Legende:

Digitalisierung ist das Schlagwort unserer Zeit, und zur Digitalisierung der Bildung jagen sich Veranstaltungen, Artikel und Posts. Mal sind sie panisch (Bildung verpasst den Anschluss), mal euphorisch (Digital ist besser), mal wiegeln sie ab (Digital-Hype). Als Lehrperson ist es in dieser Kakophonie nicht ganz einfach, die Bedeutung der Digitalisierung für den Unterricht abzuschätzen.

Auch auf nationaler Ebene sind die Entwicklungen einigermassen chaotisch und deshalb spannend. Erst letztes Jahr versuchte sich die Berufslehre an einer nationalen Bildungsstrategie. Der Bildungsminister wollte 100 Millionen in die Hand nehmen, um die Digitalisierung der Bildung zu fördern. Er ist damit nicht durchgekommen. Hingegen wird das Fach Informatik am Gymnasium obligatorisch. Wo aber bleibt eine eigentliche Philosophie der Informatik, die weiter gehen würde als bis zum üblichen Nützlichkeitsdenken? Von der Institution Schule könnte man erwarten, dass sie die Digitalisierung selbst in die Hand nimmt und Entwicklungen antizipiert. Stattdessen erleidet man in den Schulstuben die Digitalisierung als etwas von aussen Aufgezwungenes. Mit dem Lehrplan 21 wird das Fach «Medien und Informatik» flächendeckend eingeführt. Das braucht Ressourcen, zum Beispiel für Weiterbildungen. Allerdings ist man derzeit daran, die Bildungsfinanzierung abzubauen.

Im Kanton Zug wurde Anfang Jahr eine Informatik-Strategie publiziert. Sie sieht gleichzeitig eine Zentralisierung der Informatikdienste, mehr Medienkompetenz für die Lernenden und finanzielle Einsparungen vor. Am stärksten betroffen vom Abbau im IT-Bereich ist die Kantonsschule Zug. Bring Your Own Device, kurz BYOD, heisst es neuerdings. Im Kontext des Sparprogramms ist das auch übersetzbar mit "Debrouillez vous". Künftig sollen alle ihre eigenen Geräte mitbringen, in Menzingen gilt das schon ab diesem Sommer.

Eigentlich wäre der Ansatz BYOD super. Es eröffnet neue Möglichkeiten, wenn die Lernenden auch im Schulzimmer am Computer arbeiten können, diesen flexibel einsetzen zum Schreiben oder Recherchieren und wieder weglegen für ein Klassengespräch. Gerade für das moderne, projektartige Lernen ist das ziemlich cool: Es ist kein langwieriges Reservieren von Computerzimmern mehr nötig, keine schwerfällige Planung, welche die Lektionen aufteilt in Stunden mit und Stunden ohne Computer. Man kann Reportagen planen, Interviews vor- und nachbereiten, Filme bearbeiten, Experimente durchführen, programmieren, Präsentationen erstellen, Lernplattformen einsetzen, Online-Prüfungen ablegen und vieles mehr.

Das Problem ist, dass gleichzeitig mit der Einführung von BYOD gespart werden soll. Es ist grundsätzlich richtig, die Lernenden im Umgang mit ihren eigenen Geräten zu unterstützen. Aber eben: Man muss sie unterstützen. Der Support ist das A und O. Gewiss lässt sich ein Teil dieses Supports auslagern. Ein Schüler-Help-Desk kann und soll ausgebaut werden, das ist für begabte und technikaffine Gymnasiastinnen und Gymnasiasten eine Chance. Aber erstens kostet auch das und zweitens werden die Jugendlichen nicht jedes Problem lösen können. Es braucht eine starke IT-Abteilung, mit BYOD erst recht. Es kann nicht sein, dass wertvolle Unterrichtszeit mit dem Lösen von Computerproblemen verschwendet wird. Es darf nicht passieren, dass Projekte nicht gewagt werden, weil die Software nicht funktioniert. Aber genau das zeichnet sich ab: Wenn jede und jeder mit ihrem bzw. seinem eigenen Gerät in die Schule kommt, wenn es zig verschiedene Versionen eines Programms gibt, wenn VDI nicht läuft wegen eines Virenprogramms, wenn der Speicherplatz nicht reicht, um mit Video zu arbeiten, wenn es spezielle Bezahl-Software statt Freeware braucht, wenn die Akkus den Geist noch vor dem Znüni aufgeben - wenn, wenn, wenn. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.

Noch einmal: Das alles sind überwindbare Hürden. Es gibt für (fast) alles eine Lösung. Selbst für die komplizierteren Fragen nach Anschaffung und Unterhaltskosten, nach Versicherung und Haftpflicht. Das lässt sich alles regeln. Aber dafür braucht es die nötigen Ressourcen. Die Digitalisierung ist kein Sparprogramm. Digitalisierung kostet. Es sei hier auch erinnert an den Entscheid des Bundesgerichts im letzten Jahr: Schule muss gratis bleiben. Zumindest während der obligatorischen Schulzeit kann man die Kosten für die Geräte, Software und Unterhalt nicht einfach auf die Eltern überwälzen. Ab den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat man die Bedeutung der Digitalisierung erkannt und deshalb massiv in die IT-Ausrüstung der Schulen investiert. Heute glaubt man, die zwischenzeitlich noch dringlicher gewordene Digitalisierung mit Sparmassnahmen kombinieren zu können. Auf der einen Seite stellt man neue Forderungen an die Schule und erwartet bessere IT-Kompetenzen. Auf der anderen Seite will man das nicht bezahlen.

Die Digitalisierung stellt die Lehrpersonen mitunter vor ganz banale Probleme. Um die neuen Möglichkeiten nutzen zu können, muss man sie erst kennen lernen. Digitalisierung braucht Zeit, sonst wird sie zur Nullnummer. Das klingt banal, ist aber die eigentliche Schwierigkeit: Man wird als Lehrperson in einem Bereich wieder zum Berufsanfänger. Man muss den bisherigen Unterricht umstellen, muss das digitale Material sichten, prüfen, auf den eigenen Unterricht zuschneiden. Man muss neue Tools wie Learning Apps, Gruppenchats, Wikis, Tutorials usw. ausprobieren. Man muss Schrott von Qualität unterscheiden. Genauer: Webseiten kennen lernen, die dabei helfen. Eine digitale Prüfung ist vielleicht schnell korrigiert, doch erstmal muss man sie herstellen. Dazu braucht es präzise Vorstellungen, was man wie prüfen will, um nicht durch Multiple Choice und Co. in eine didaktische Steinzeit zurückkatapultiert zu werden. Lernplattformen wie Moodle bieten viele Möglichkeiten. Damit kann man arbeiten, aber das geht nicht en passant. Wer das rappelvolle Unterrichtsprogramm einer Lehrperson kennt, weiss das. Sonst wird man einfach die alten Arbeitsblätter als PDF verteilen. Mit Digitalisierung hat das nicht viel zu tun. Digitaler Unterricht wird dort interessant, wo Lernformen entstehen, die es früher so nicht gab.

Digitalisierung ist mehr als bloss der Schritt vom Hellraumprojektor zum Beamer, vom Brief zur E-Mail. Es ist eine ganze Kultur, die sich verändert, hin zur Digital Culture. Was heisst das konkret? Lernen, heisst es oft, werde dank Digitalisierung individueller. Aber ist maximale Individualisierung des Lernens bis hin zur Atomisierung wirklich unser Ziel? Klar ist es Künstlicher Intelligenz besser möglich als einer Lehrperson, die Lernfortschritte von 20 und mehr Lernenden zu erfassen. Doch es ist auch Aufgabe der Schule, Jugendliche aus ihrer individuellen Filterblase und Komfortzone rauszuholen. Die digitalen Tools, liest man auch, würden orts- und zeitunabhängiges Lernen erlauben. Im virtuellen Klassenzimmer könne man zusammenarbeiten, ohne physisch zusammenkommen zu müssen.

Nun, so liesse sich in der Tat eine Menge sparen. Es bräuchte letztlich weder Schulhäuser noch Lehrpersonen. Bildung könnte im Home Office stattfinden.
Die Absurdität dieser Vorstellung zeigt: Die Rede von der Digitalisierung treibt manchmal seltsame Blüten. Gerade so gut könnte man argumentieren, es brauche die Schule nicht, weil es Schulbücher gebe. Schon immer standen die Infos irgendwo bereit, in der Klosterbibliothek vielleicht, heute halt im Internet. Mit Lernen hat das nichts zu tun. Den Zytturm kann man googeln - und jetzt? Ein Fernstudium ist schon lange möglich, trotzdem ist es die Ausnahme geblieben. Und warum? Es lohnt sich, wieder mal darüber nachzudenken: Was bedeutet Lernen in Zeiten von Wikipedia?

Bildung in unserer Digital Culture bedeutet nicht die Auflösung der Schule. Es geht nicht um möglichst viel Individualisierung oder Zeit- und Ortsunabhängigkeit. Die Digitalisierung bietet andere Möglichkeiten. Oft zeigen sich diese erst in der Umsetzung: Chatten erweist sich als etwas anderes als Diskutieren, ein Screen als etwas anderes als eine Wandtafel oder ein Blatt Papier. Wir stehen hier erst ganz am Anfang.

Man sollte die Dynamik der Digitalisierung nicht unterschätzen, sondern proaktiv nutzen. Letztlich folgen auch digitale Werkzeuge den Gesetzmässigkeiten unseres Menschseins. Eine vorläufige Pointe der Digitalisierung könnte genau darin liegen: Dass wir uns wieder erinnern, wozu wir zur Schule gehen. Tripp-Trapp, mitsamt unseren analogen Körpern. Wozu wir uns zu Gruppen zusammenschliessen. Wozu wir uns begegnen, anschauen, manchmal fotografieren und posten. Miteinander reden und chatten. Uns freuen und ärgern. Wozu wir im Gegensatz zu einem Programm die Geduld verlieren, ganz unwissenschaftlich. Was uns unterscheidet von Robotern und zu dem macht, was wir immer schon waren und einstweilen bleiben möchten - Menschen.

Autor: Andreas Pfister
5. November 2018

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