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02.12.2019

Für immer

02.12.2019
Beitrag in der Rubrik «Klub der jungen Dichter» in der Zuger Zeitung vom 2. Dezember 2019

Ein kühler Luftzug streift meine Wange, wie ein letzter Hauch der einst so leidenschaftlichen Liebe. Ich lasse meinen Blick über den Hafen Sydneys schweifen. Heute ist ein schöner Tag, und doch überkommt mich eine Woge der Traurigkeit. Wie lange sie wohl bleibt? Die Leute auf der Strasse sehen in mir nur eine Witwe, welche nie über den Tod ihres geliebten Mannes  hinweggekommen ist, welche sich nicht eine Stunde der Fröhlichkeit schenkt. Ich dürfte mich ja eigentlich nicht zu beklagen wagen, er hatte mir unser gesamtes Hab und Gut vermacht. Mir fehle es an nichts, meinen die Leute. Und doch ist da eine Leere, eine irreversible Lücke tief in meinem Herzen drin. Die Trauer, sie verfliegt nicht. Ein Schiff fährt in den Hafen ein, es ist wohl von England hergekommen. Drei Dutzend stramme Männer schreiten die Schiffsrampe runter. Keiner ist wie er. Ich höre eine Möwe kreischen. War es ein Schrei der Verzweiflung?

Wieder kehrt mein Blick zum eben angekommenen Fünfmaster zurück. Vor vielen Jahren war auch er einer dieser jungen, kräftigen Burschen, die vor keinem Hindernis zurückschreckten, welches sie von ihrem Ziel abhielt. Dieses Unbeugsame, es hat seinen Tod auf dem Gewissen. Ich bemerkte, wie sich eine Träne löst und langsam meine Wange hinunterkullert. Schnell blinzle ich. Der Arzt hat gesagt, ich dürfe keine einzige Träne der Trauer mehr vergiessen, sonst werde ich am Schluss noch verrückt. Aber es war keine Träne der Trauer, es war eine des schneidenden Schmerzes über diesen unglaublichen Verlust. Doch war es am Ende nicht dasselbe?

Meine Hand fährt zitternd über das fein geschliffene Akazienholz. Er hat dieses Haus gebaut, mit seinen Händen erschaffen. Und jetzt ist er weg. Mein einziger Trost ist, dass ich ihn wohl bei Gott wiedersehe. Wenn er denn da ist. Sollte ich bis dahin den Kopf hängen und diese permanente Ohnmacht mich einnehmen lassen? Wohl nicht. Ich sollte leben. Ich will leben, ich will mich am Gelächter der Kinder auf dem Markt weiden. Doch ich kann nicht, bringe es nicht über mich, ihn gehen zu lassen, denn ich bin die, die sich erinnert. Einzig ich weiss, was wirklich passiert ist. Langsam färbt sich der Himmel rot. Es wird Abend. Ob die Nacht kalt werden wird? Die letzten Gepäckstücke der «Endeavour», so ist das Schiff in schnörkeliger Schrift angepinselt, werden auf das Festland gebracht. Ich sehe, wie ein gutaussehender Halbwüchsiger ein adrett gekleidetes Fräulein umgarnt. Auch er zog mich damals in seinen Bann, wann immer er mit mir sprach. Diese Zeiten sind nun vorbei, er ist auf ewig verstummt. Eine weitere Träne findet den Weg über meine Wange. Diesmal blinzle ich nicht. Er hatte es verdient, dass man ihm nachtrauert. Er war ein wunderbarer Zeitgenosse. Wäre da nur nicht dieser verheerende Überfall gewesen, zum guten Glück sitzen die Mörder nun hinter Schloss und Riegel. 

Doch war nicht ich es, die ihm die Kugel durch den Kopf gejagt hat?

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