U20 - Sind wir noch Freunde?
Es ist wieder so weit: Ein weiteres Schuljahr samt Sommerferien liegt hinter mir. Ich bin zurück an der Schule, doch inzwischen in einer neuen Klasse. Da bemerke ich, wie mir ein alter Schulkollege entgegenkommt. Ich sehe ihn erwartungsvoll an, suche Blickkontakt, will ihn begrüssen – dann lasse ich es bleiben. Denn ich bemerke, wie er achtlos an mir vorbeigeht.
Mir fiel es nie schwer, in einer neuen Umgebung Freunde zu finden. Meist reichte für ein Entstehen von Bekanntschaften schon, einfach Zeit mit anderen Personen zu verbringen, etwas mit ihnen zu unternehmen. Ein Beispiel dafür wäre die Schule. Jedes Mal, wenn ich in eine neue Klasse kam, machte sich in mir die Angst bemerkbar, keine neuen Freunde zu finden. Trotzdem redete ich meist schon in der ersten Mittagspause mit anderen Schülern über dieses und jenes, lästerte über einen langweiligen Lehrer oder das versalzene Essen aus der Mensa.
Freunde kann man aber auch genauso schnell verlieren. Als ich am Ende meiner Primarschulkarriere meinen früheren Kollegen das Versprechen gab, diese auch in Zukunft zu treffen, hätte ich nicht im Entferntesten geahnt, manche von ihnen komplett zu vergessen. Und wenn ich einige Jahre später doch wieder einem Kollegen über den Weg lief, ignorierte man sich oft oder hielt sinnlosen Small Talk.
Wie kann das sein? Findet man im Laufe der Zeit andere Freunde? Wird man sich über die Jahre einfach fremd? Oder ist die Freundschaft gar nie so tiefgründig gewesen, wie man vielleicht dachte? Was auch immer der Grund ist, man wird einander weniger wichtig oder vergisst einander sogar. Dabei ist es ja nicht so, dass ich mir diesen abrupten Kontaktverlust wünschte. Vielmehr besteht ein flexibles Feld von Beziehungen, in welchem ich einerseits neue Kontakte knüpfe, andererseits manche verliere.
Ich gehe verwirrt den Gang entlang weiter, als mich eine unbekannte Stimme aus meinen Gedanken reisst. Ich hebe den Kopf, sehe einen Jungen, welcher mich grinsend anschaut und fragt: «Kommst du zufälligerweise aus der 2e? Ich glaube, wir sind jetzt in der gleichen Klasse!»