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06.11.2019

Knipsen oder schreiben? Texte als Souvenirs

06.11.2019
Max Huwyler über Peter K. Wehrlis Katalog von allem.
Max Huwyler
Bild Legende:

Knipsen oder schreiben? Als Peter K. Wehrli seinen Fotoapparat vergass, griff er zu Papier und Bleistift. Entstanden ist der KATALOG VON ALLEM.

Von Max Huwyler*

Schreiben, Gedanken in geschriebene Wörter formen. Als Schreiber den Wörtern einen Klang geben. Vielleicht tönenden Silben folgen mögen. Notierte Wörter machen sich im Hirn fest.

Oder einfach knipsen, Fotos machen als Souvenir. Klicks. Ich nahm wieder einmal Peter K. Wehrlis «KATALOG VON ALLEM» aus dem Büchergestell. Ich hatte den Band vor 20 Jahren erworben. Immer wieder darin gelesen. Wusste mit Bestimmtheit: Das ist mir ein wichtiges Buch. Ein Lesebuch mit dem Untertitel «1111 Nummern aus 31 Jahren». Vor 50 Jahren also hat PKW damit begonnen.

So setzt die Textfolge an:

1. der Schrecken
der erhellende Schrecken, der mich durchfuhr, als ich in der Zeitung das altbekannte Sprichwort las «Der Hunger ist der beste Koch» und beim Weiterblättern ein Bild aus Afrika entdeckte, das mir zeigte, dass die besten Köche nicht für die Hungernden kochen,
1a und die aus diesem Schrecken gewonnene Einsicht, wie vorschnell man Sätze nach ihrem Inhalt bewertet, ohne darauf zu achten, wer was zu wem sagt.

PKW ging auf eine Reise in den Balkan. Kaum war der Zug in Zürich in Fahrt gekommen, stellte PKW fest: Fotoapparat vergessen. Nach anfänglicher Wut über sich selber kam ihm die Idee, «die Erinnerungsbilder statt mit der Kamera nun mit den Mitteln der Sprache anzufertigen.» 31 Jahre für die Textsammlung, bis es ein KATALOG VON ALLEM war. Bis einfache Feststellungen sich durchs Notieren zu Beobachtungen verdichteten. Es ist ein Buch ohne Bilder drin.

PKW
Bild Legende:

Ein paar Beispiele von notierten Beobachtungen:

95. die Leber
die gehackte Leber, die eine Bäuerin bei der Suche nach einem Käufer auf einem Brett ins Wagenabteil hineinstreckt, wobei ich wirklich nicht wusste, dass dieser kotige Haufen gehackte Leber ist, bis mir jemand sagte, es sei gehackte Leber.
96. der Rumpf
der eigene Rumpf, den ein beinloser Bettler auf seinen Händen von Abteil zu Abteil schleppt, die ganze Zugläng durch; wozu ich nun noch beifügen muss, dass mich die Tatsache, dass es in fahrenden Zügen Bettlr gibt, ebenso befremdet, wie mich die Tatsache erschreckt hat, dass dieser Bettler keine Beine hat.
97. die Regenbogen
der grauviolettgrüne Regenbogen, der deshalb ein vermeintlicher Regenbogen ist, weil er – näher kommend wird das klar – ein Bogen ist aus farbigem Gestein, das sich aus der Ebene heraus plötzlich zu den Wänden der Taurusschluchten aufwirft.
98. die Inständigkeit
die Inständigkeit, mit der ein Knabe zwischen den Schienen in Ulukisla eine Flasche Wasser an den Mann zu bringen versucht, und das Erstaunliche, dass er den Eindruck der Inständigkeit allein mit den Gesten hervorruft.
119. der Kragen
meine Neugier auf die Wüste, die sich zur Ungeduld steigert, weil der Zug beim Ausfahren aus der Stadt zuerst den Vegetationsring durchbrechen muss, der Aleppo wie ein Kragen umgibt.
124. der Erdboden
die Farbe dieser Bienenstockhäuser, die sich, weil sie aus Lehm gebaut sind, durch nichts von der Farbe des Erdbodens unterscheiden: Dörfer sind mannshohe Ausbuchtungen aus dem Erdboden und wegen der Tarnfarbe schwer zu erblicken.
126. die Bahnhofsuhr
die viel eher wie eine Stubenstanduhr als wie eine Bahnhofsuhr aussehende Uhr im Bahnhof von Koumhane, deren Zifferblatt nur vom Minutenzeiger geteilt wird: Man sieht daran, dass die Zeit vergeht, ohne je zu sehen, wieviel Uhr es ist.
127. der Vorsatz
mein Vorsatz, die Gangart der Kamele, die da bei Hadidi den kahlen Hügeln entgegenwanken, zu beobachten, ihren Passgang zu protokollieren, und die anschliessende verwirrende Einsicht, dass ich immer noch nicht herausbekommen habe, wie Kamele eigentlich gehen.

Und so weiter. Und so viel weiter im langsam Lesen von Peter K. Wehrlis reichem KATALOG VON ALLEM.
Freundliche Empfehlung: Schreibblock mitnehmen auf die nächste Reise.

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