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28.02.2014

Einprägsames Nichtverstehen in der Rigi-Parkanlage

28.02.2014
Die Erinnerung an ein längst abgetragenes Gebäude bindet sich an einen Satz, an einen geschriebenen, oder, aus meiner Sicht, an einen gelesenen Satz. In der Rigi-Parkanlage in Zug stand ein ...
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Die Erinnerung an ein längst abgetragenes Gebäude bindet sich an einen Satz, an einen geschriebenen, oder, aus meiner Sicht, an einen gelesenen Satz. In der Rigi-Parkanlage in Zug stand ein unscheinbares Steinhäuschen mit Krüppelwalmdach, ziegelbedeckt, türenlos, sommers wie winters frei zugänglich. Wer eintrat, machte eine Biegung nach rechts um 90 Grad, denn anderswohin führte kein Weg;  dann machte der Besucher — und dieser war männlichen Geschlechts — gleich nochmals eine Drehung nach rechts und stand vor der Wand, die zu besuchen der Zweck des Eintretens war. Dann, seewärts und schiffstegwärts gerichtet, schaffte er sich Erleichterung. Derweil ruhte des Besuchers Blick auf einer Emailtafel. Es ist nicht etwa die äussere Häuschenform, die das Gebäude plötzlich aus meinem Erinnerungsschatz auftauchen liess, auch nicht die Erinnerung an den scharfen Geruch, der aus der unbespülten Rinne aufstieg und oben durch ein angerostetes Eisengitter entwich. Es ist das Bild, allenfalls auch der Ton eines Satzes, der sich dem kleinen Leser eingeprägt hat, die weissliche, altersgelbe Emailtafel mit der eingeschmolzenen schwarzen Inschrift «System Ernst - Man bittet um Ordnen der Kleider in der Anstalt».

Bei wiederholten Gelegenheiten, meistens auf dem Heimweg, Sonntagnachmittag vom Fussballplatz, immer stand ich ratlos vor der Tafel. Wörter, ein Satz, den ich kaum als an mich gerichtete Aufforderung erkannt haben konnte; denn Sinn erschloss sich mir nicht aus «Man bittet um Ordnen der Kleider in der Anstalt». Ordnen der Kleider heisst doch «Mach es schööns Biigeli», wie es Mutter verlangte, wenn wir ins Bett gingen; das Biigeli kam auf die Sitzfläche des Schlafzimmerstuhls zu liegen. Aber hier? Und dann die «Anstalt». Für mich gab es die Fischbrutanstalt, die Strafanstalt, die Kreditanstalt. Ich brachte diese Anstalten nicht in Beziehung zu dem, was ich hier tat.

Irgend einmal muss ich den Sinn der in Schrift gegossenen Botschaft erkannt haben. An den Augenblick der Erkenntnis habe ich keine Erinnerung. Der Kern dieser scheinbar unbedeutenden Erinnerung ist ein Satz, der sich bei mir festgemacht hat, weil ich ihn nicht verstand. Die Neugier nach dem Entdecken des sprachlichen Geheimnisses hat die Einprägung bewirkt. Das Verstehen war weniger einprägsam als das Nichtverstehen. Das gibt dem Autor zu denken, der ein Lehrerleben lang auf die Wirkung der klärenden Erläuterung glaubte bauen zu können. Aus Selbstschutz vielleicht.

 

Aus dem Manuskript «Von Zug — Idyllen und Geschichten». Max Huwyler wurde 1931 in Zug geboren. Er arbeitete bis zur Pensionierung als Sekundarlehrer. Neben Geschichten und Hörspielen hat er zahlreiche Theaterstücke für die Schulbühne und Texte für Radio DRS verfasst. Der Autor hat zudem Grass und Canetti in Mundart übersetzt sowie einige Lyrikbände veröffentlicht. Max Huwyler lebt heute in Zug.

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