Weihnachten heute? Fürchtet euch nicht!
Innehalten und die Welt gestalten – allen Verwerfungen zum Trotz. Das ist Weihnachten.
Von Guido Estermann*
Weihnachtsbeleuchtungen an den Häusern und in den Gärten, Lichtermeere schmücken die Strassen, Weihnachtsmärkte und dekorierte Schaufenster: die vorweihnachtliche Zeit hat begonnen. Es ist eine besondere und auch schöne Zeit, auch wenn die «Vermarktung» manch eine(r) stört. Diese besondere Zeit während den kalten Wintertagen und nassgrauen Abenden weckt in vielen unter uns die tiefe Sehnsucht nach Harmonie, Frieden, Glück oder dem Angenommensein in den Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Diese Gefühle gehören zum Menschsein. Sie lassen den Menschen in seiner ganzen Vielfalt erfahrbar werden.
Unsere heutige Zeit ist geprägt von einer hohen Dynamisierung, Effizienzsteigerung und dem Anspruch auf immerwährendes Wachstum und der stetigen Konkurrenz. Wir leben im Weltbild eines kapitalistischen Habitus, wobei nicht einfach der ökonomische Kapitalismus, sondern ein existenzieller gemeint ist. Der Mensch selbst versteht sich heute mehr und mehr in einer Dynamik der steigenden Beschleunigung, der steigenden Wertvermehrung mit ihrem Nützlichkeitsanspruch, des Optimierens und der Konkurrenz. Sei es im persönlichen Leben oder im beruflichen Umfeld. Und für viele Menschen bedeutet dieses Weltbild, dass sie dauernd in Bewegung sein müssen und dem Anspruch der stetigen Anpassung entsprechen müssen. So ganz nach dem Motto «Willst du überleben, so passe dich an und ändere dich». Die Suche nach Halt und Stabilität wird dabei die Kehrseite menschlicher Existenz.
Und diese Spannung führt nicht selten dazu, dass der Mensch in einen Angstmodus verfällt. Angst wird deshalb heute von vielen Soziologen und Zukunftsforschern als Megatrend der westlichen Gesellschaft beschrieben. Die Angst, das Bestehende und Erreichte zu verlieren, die Angst, die Zukunft im Grunde eigentlich gar nicht mehr gestalten zu können. Die Ökologische Krise, das Auseinanderfallen der bisherigen Finanzlogik, die Zersplitterung gesellschaftlicher Ansprüche und Vorstellungen werden dabei wirksam.
Und trotzdem: Es gibt das Phänomen der Zukunft. Das Phänomen, dass es sich lohnt, sich für diese Zukunft einzusetzen. Es gibt das Phänomen, dass wir fähig sind, immer wieder selbst Distanz zu der Beschleunigung der Welt, zum unreflektierten Wachstum oder der einengenden Optimierung zu nehmen. Wir Menschen sind fähig, zu unserer Welt und zu uns selbst Stellung zu nehmen. In dieser Stellungnahme bleiben wir in der handelnden Disposition. Wir können die Welt positiv gestalten. Wir können die Welt so gestalten, dass das ganze Menschsein mit all seinen Facetten der Intellektualität, der Emotionalität, den gemachten Erfahrungen Wirklichkeit werden kann.
Und so können wir mit unserer eigenen Angst umgehen. «Fürchtet euch nicht» - so heisst es in der biblischen Erzählung, als die Engel zu den Hirten sprachen. Der Evangelist Lukas hat hier ein Grundexistenzial menschlicher Verfasstheit formuliert, welches konstruktive Dynamik ermöglicht. «Fürchtet euch nicht» lässt Raum für Neues und Geglücktes. Und dieses konstruktiv Neue und Glückhafte passiert und «bricht» in die Welt ein, so die urchristliche Überzeugung. Die Zukunft kann damit von uns gestaltet werden, trotz allen Verwerfungen in den Zeiten.
Weihnachten heute. Überall dort, wo die Angst und Furcht dem Vertrauen und Hoffen weicht, überall dort passiert Weihnachten aktuell. Und deshalb sind vielleicht die Weihnachtsbeleuchtungen, die geschmückten Schaufenster oder die pulsierenden Weihnachtsmärkte nicht einfach nur ökonomische Verfasstheiten, sondern treffen diese innere Sehnsucht nach Angstfreiheit und Zukunftshoffnung. «Fürchtet euch nicht» in der konstruktiven Stellungnahme zur Welt – diese christliche Botschaft lässt Dynamis (Geist) wirken. Weihnachten heute in uns und in der Welt.
| *Dr. Guido Estermann Leiter der Fachstelle Bildung-Katechese-Medien BKM der katholischen Kirche Zug und Dozent für Mensch-Natur-Gesellschaft/ERG an der Pädagogischen Hochschule Schwyz. |
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