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09.06.2021

Der konservative Blick auf die Schule

09.06.2021
Die konservative Blick auf die Schule
Redaktion: Wo laut die Abwesenheit von Politik gefordert wird, wird leise Politik gemacht. Da loben wir uns offene Visiere! An dieser Stelle folgen drei dezidiert politische Blickwinkel auf die Bildungspolitik. Wir starteten mit dem liberalen Blickwinkel, wandten uns der linken Sichtweise zu und beenden die Debatte an dieser Stelle mit den Zielen einer konservativen Bildungspolitik. Mit Olivier Kessler (No Billag, Liberales Institut), Johannes Gruber (vpod) und Ulrich Schlüer (Schweizerzeit) konnte www.schulinfozug.ch drei sehr profilierte Autoren gewinnen.
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Der Lehrberuf ist Berufung und eine Führungsaufgabe. Gute Lehkräfte sind Persönlichkeiten, die einer ganzheitlichen Bildung verpflichtet sind. Die Schulreformen verschütten Bildung. 

 Von Ulrich Schlüer*

Persönlichkeiten prägen junge Menschen
Jeder Mensch ist eine eigenständige Persönlichkeit und verfügt über bestimmte Fähigkeiten, gewachsen aus persönlicher Begabung und Anlagen. Aufgabe der Verantwortlichen unserer Volksschule ist es, Lehrerinnen und Lehrer zu gewinnen und auszubilden, welche die in jedem jungen Menschen vorhandenen Anlagen und Begabungen zu entdecken, zu wecken, zu fördern und zur Entfaltung zu bringen vermögen.

Auf unterschiedlichen Wegen zum Ziel
An solcher Zielsetzung orientierte Bildungspolitik erkennt die Lehrerinnen und Lehrer als Persönlichkeiten, denen eine Schulführung übertragen wird, in welcher sie sich wie Unternehmerinnen und Unternehmer zu bewähren haben. Als eigenständigen, ebenfalls je mit besonderen Begabungen ausgestatteten Persönlichkeiten sind den Lehrerinnen und Lehrern Lernziele vorgegeben, die sie mit ihren Klassen verbindlich zu erreichen haben. Da es aber weder Einheitsschüler noch Einheitsklassen gibt, bestimmen die Lehrerinnen und Lehrer mit Blick auf die Zusammensetzung einer jeden ihnen anvertrauten Klasse, nach welcher Unterrichtsmethode und mit welchen Lehrmitteln sie das ihnen gesteckte Ziel erreichen wollen. Das Ziel ist ihnen verbindlich gesetzt – den Weg zum Ziel bestimmen die Lehrerinnen und Lehrer selber.

Persönlichkeitsorientierung anstelle bürokratischer Gleichschaltung
Solch auf die Entfaltung eigenständiger Persönlichkeiten ausgerichtete Schulführung widerspricht diametral der derzeit modischen Festlegung von alle Details vorschreibenden Einheitslehrplänen, welche seit Harmos die Volksschule in der Schweiz flächendeckend gleichzuschalten suchen. Gleichschaltung will Nivellierung, herbeigeführt durch immer enger regulierendes Controlling. Dies lässt den Schulbürokratismus auswuchern, beschneidet aber individuelle Begabungen bis zu deren Verschüttung. Die ausufernde Vertherapeutisierung der Volksschule legt Zeugnis ab vom Ausmass dieser bildungsfeindlichen Fehlentwicklung.

Lernfeindliche Unruhe
Wer heute Schulklassen an der Arbeit im Schulzimmer verfolgt, nimmt mit Befremden wahr, wieviel Unruhe den Unterricht beeinträchtigt durch das laufende Kommen und Gehen von Schülerinnen und Schülern zu irgend welchen Therapien oder andern Aktivitäten. Unterricht wird erfolgversprechend, wenn er Jugendlichen ermöglicht, sich auf ihnen gestellte Aufgaben zu konzentrieren, sich in den ihnen präsentierten Schulstoff ungestört zu vertiefen – ohne dass sie aufgrund im Schulraum herrschender Unruhe auf militärische Pamir-Hörschutzgeräte angewiesen sind.

Unverständlich, dass Lehrer – unter Billigung durch Schulleiter und Schulbehörden – zu solchen Hilfsmitteln Zuflucht nehmen, wenn sie Schülern wenigstens zeitweise ein ruhige Lernatmosphäre verschaffendes Klima mehr schlecht als recht gewährleisten sollen.

Stärken fördern – Schwächen überwinden
Jeder Schüler und jede Schülerin verfügen über – manchmal nicht einfach zu entdeckende – individuelle Stärken. Alle Schülerinnen und Schüler werden aber auch durch gewisse individuelle Schwächen in ihrer Entwicklung und Entfaltung behindert. Es ist die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer, in den ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schülern die diesen ins Leben mitgegebenen Stärken zu entdecken und nachdrücklich so zu fördern, dass ihnen auch vermittelt wird, wie sie ihre Schwächen beherrschen und in Grenzen halten können: Eine wichtige Voraussetzung für jede Schülerin und jeden Schüler, ihr späteres Leben als erwachsene, für ihr Dasein selbstverantwortliche, sich in ihrer Umwelt bewährende Menschen zu meistern.

Die Fähigkeit, Schülerinnen und Schülern auf diese Weise in ein eigenständig zu meisterndes Leben einzuführen, unterscheidet Pädagogen von blossen Stoffvermittlungs-Funktionären.

Mit Kopf, Herz und Hand
Diese Führungsaufgabe der Lehrkräfte hat auch im Zeitalter der Digitalisierung nichts an Bedeutung eingebüsst. Die Digitalisierung – derzeit nicht selten fast vergöttert – hat Johann Heinrich Pestalozzis Grundsätze zur Bildung und Ausbildung künftiger Staatsbürgerinnen und Staatsbürger keineswegs verdrängt. In den Schülern Kopf, Herz und Hand zu fördern, ist auch heute wegweisende Aufgabe für alle Lehrkräfte. 

Längst nicht jede Schülerin, längst nicht jeder Schüler wird allein mit intellektuell herausfordernden Aufgaben zum Lernen und Leisten motiviert. Das «Werken», also der Umgang mit Materialien wie Metall, Holz, Papier und Textilien, sowie die Bearbeitung dieser Materialien mit Werkzeugen hat in der Vergangenheit unzähligen Schülerinnen und Schülern dazu verholfen, eigene Fähigkeiten, derer sie sich zuvor oft gar nicht bewusst waren, zu entdecken. Und nicht wenige junge Menschen, die intellektuell bloss schwer ansprechbar waren, wurden im Umgang mit Werkzeugen und Materialien der Tatsache gewahr, dass auch die Bearbeitung von Material gewissen Gesetzmässigkeiten unterliegt, die auch theoretisch zu erkennen und sinnvoll zu nutzen bald als unverzichtbar erachtet wird. Viele junge Menschen sind auf diesem Weg zu beruflich erfolgreichen Persönlichkeiten herangereift, was ihnen allein durch intellektuelle Herausforderung schwerlich gelungen wäre.

Klassenführung ist die Hauptaufgabe der Lehrkräfte
Daraus ergibt sich, dass überlegte Schul- und Klassenführung die Hauptaufgabe der Lehrerinnen und Lehrer ist. Der Lehrerberuf ist ein Führungsberuf. Selbstverständlich müssen sich ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer über einen gut gefüllten Rucksack bezüglich der zu vermittelnden Fächer (und darüber hinaus) ausweisen. Erfolg und Befriedigung im Lehrerberuf wachsen indessen aus gut und umsichtig bewältigter Klassenführung. Auf der Primarschulstufe sollen Lehrerinnen und Lehrer ihre Klassen in allen Fächern unterrichten – auf dass sie ihre Führungsfähigkeit voll zur Geltung bringen können.

Um dieser Führungsaufgabe gerecht zu werden, haben wir vor Jahren die Idee der «Lehrer-Lehre» entwickelt: Angehende Lehrerinnen und Lehrer sollen in ihren Beruf eingeführt werden durch erfahrene ältere Kolleginnen und Kollegen – in täglicher, sorgfältig begleiteter, mit den sie begleitenden erfahrenen Lehrkräften sorgfältig analysierter, besprochener und korrigierter Unterrichtserteilung. Dabei wird sich rasch zeigen, ob die Anfängerinnen und Anfänger ihren Beruf wahrhaftig als Berufung auffassen – oder ob sie sich besser einer anderen Tätigkeit zuwenden sollen.

Pädagogische Hochschulen unterminieren Bildungsauftrag
Mittels Schaffung der Pädagogischen Hochschulen haben die Bildungsfunktionäre der Lehrerausbildung einen anderen – aus unserer Sicht falschen – Weg gewiesen. Die Verakademisierung mag Salär-Sprünge bewirkt haben, der Volksschule dient sie nicht. Dass viel zu viele Absolventinnen und Absolventen von Pädagogischen Hochschulen den Lehrerberuf nach wenigen Jahren Berufspraxis aufgeben, spricht Bände. Mit der von Pädagogischen Hochschulen durchgesetzten Verakademisierung der Lehrerausbildung wurde der Verzicht auf den – von Akademikern wenig geschätzten – Werkunterricht Tatsache, was all jene Jugendliche benachteiligt, die den Weg in selbstgestaltete Existenz einst via Bearbeitung von Materialien mit Werkzeugen gefunden haben.

Dass die Pädagogischen Hochschulen die Illusion verbreiten, es genüge, bestimmten Lernstoff – zum Beispiel mathematische Operationen wie Dreisatz oder Prozentrechnung – bloss kurz anzutippen, die Abwicklung dieser Operationen danach ganz der Handy-Handhabung zu überlassen, kann als pädagogischer Irrweg nur beklagt werden. Das sorgfältige Einüben von Fertigkeiten ist die Voraussetzung für das Verständnis der diesen zugrunde liegenden Gesetzmässigkeiten. Obwohl wir uns an anderem Ort zur Digitalisierung kritisch geäussert haben, halten wir die Nutzung digitalisierter Programme für auf individuelle Stärken und Schwächen eingehendes Einüben wichtiger Fertigkeiten auf jeder Schulstufe als wertvoll.

Aktivismus verschüttet Bildung
Dass der Weg in eigenständige Lebensgestaltung heute durch Ausbau zunehmend ausschliesslich den Intellekt ins Zentrum stellende Lehrplan-Anforderungen verbaut wird, hat der Qualität der Volksschule Schaden zugefügt. Eigenständige Begabung wird zunehmend verdrängt durch vom Lehrplan vorgegebene, obligatorisch zu vermittelnde Einheitsmeinung. Zusätzlich verbaut von der Schule entfalteter Aktivismus vielen Schülerinnen und Schülern den Weg, aufgrund eigener, individueller Erfahrungen sich zu eigenständigen Persönlichkeiten zu entwickeln.

Wo Lehrmeinungen mit moralischem Anspruch als alternativlos vorgegeben werden, finden nur allzu bald Ideologen Betätigungsfelder vor, die sie zu nutzen trachten mit dem Ziel, die Jugend vorgegebener Denkschulung zu unterwerfen. Indem einzelne Schulen bereits den Freitag ganz offiziell zum «Tag des Manifestierens» erklärt haben, machen sie sich schuldig, Schülerinnen und Schüler als einseitig indoktrinierte Gefolgschaft ideologisch-politischer Lehrmeinungen zu missbrauchen.

Fazit
Politische, vom Volk gewählte Bildungsbehörden wurden auf lokaler, regionaler und kantonaler Ebene weitestgehend entmachtet. Bildungsfunktionäre bestimmen heute das Geschehen in der Volksschule. Eine Unzahl Reformen wurde von diesen losgetreten. Bevor Umwälzung bewirkende Reformen sorgfältig ausgewertet werden konnten, wurden sie durch neue Reformen bereits wieder verdrängt. Die kostenverschlingende Bildungsbürokratie wuchert aus, der Bildungsauftrag gegenüber der Jugend leidet.

Überdurchschnittliche Bildung sollte ursprünglich der nicht über natürliche Rohstoffe verfügenden Schweiz das Wohlergehen und den Wohlstand der Bevölkerung sichern. Unverständlich ist angesichts dieses Anspruchs, dass die Volksschulbildung der Mitsprache durch die Bevölkerung entzogen und einer laufend auswuchernden Bürokratie unterworfen worden ist.

Volksschule ohne Volk: Das kann in der Schweiz nicht gedeihen.


* Dr. Ulrich Schlüer war Mittelschullehrer für Geschichte und ist Chefredaktor der Zeitung Schweizerzeit. Von 1995 bis 2007 und von 2009 bis 2011 war Ulrich Schlüer Mitglied des Nationalrats (SVP, ZH).

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