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16.12.2015

Auf der Flucht – Flüchtlinge in der Volksschule

16.12.2015
Wie viele werden es sein? Welche Geschichten werden sie mitbringen? Werden wir das schaffen? Und wenn es noch mehr werden? Solche und weitere Fragen stellt man sich derzeit an den Volksschulen im ...
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Wie viele werden es sein? Welche Geschichten werden sie mitbringen? Werden wir das schaffen? Und wenn es noch mehr werden? Solche und weitere Fragen stellt man sich derzeit an den Volksschulen im Kanton Zug. Viele Gedanken, Fragen und Befürchtungen von Rektoren, Schulleitenden und Lehrpersonen drehen sich um Flüchtlingskinder.

Martina Krieg vom Amt für gemeindliche Schulen hat mit Rektor Erich Schönbächler über das Erleben der Flüchtlingssituation in Unterägeri gesprochen.

In Unterägeri sind seit Mitte August zwanzig fremdsprachige Kinder im schulpflichtigen Alter ins Dorf gezogen. Die Hälfte der Kinder stammt aus Staaten, deren Schulsystem dem unseren relativ ähnlich ist, die andere Hälfte hat entweder einen anerkannten oder hängigen Asylstatus. Gemeinsam haben die Kinder eines – sie sprechen kein Deutsch.

Die Familien mit Flüchtlingsstatus kommen von der Durchgangsstation Steinhausen nach Unterägeri. Grundsätzlich war geplant, dass Familien während 7 bis 12 Monaten in der Durchgangsstation bleiben können, um sich an Schweizer Kultur und Verhältnisse zu gewöhnen. Während die Familien noch in Steinhausen wohnen, werden sie in Cham in Deutsch unterrichtet. Momentan ist die Situation jedoch so, dass Familien häufig bereits nach zwei Monaten umgesiedelt werden, weil in einer Gemeinde eine günstige Wohnung frei wird – der Platz in der Durchgangsstation ist beschränkt und viele Flüchtlinge drängen in die Schweiz.

Erich Schönbächler, Rektor der Schulen Unterägeri, berichtet über folgende Erfahrungen: Eines montags steht vor ihm die Familie B. aus Afghanistan, eine Mutter mit ihren vier Kindern. Drei Jahre lang waren sie auf der Flucht, über Griechenland und Italien sind sie in die Schweiz gekommen, der Vater ist auf dem Weg gestorben. Die vier Kinder haben alle den ersten Januar als Geburtsdatum in ihren Papieren. Dem Aussehen zufolge sind sie kaum noch schulpflichtig, viel Bartwuchs der Jungen lässt ein fortgeschrittenes Teenageralter vermuten. Fortschicken will man sie nicht, man bringt sie als Erstes zum DaZ-Kurs (Deutsch als Zweitsprache), später wird man dann beim Asylamt nachfragen, ob die Jugendlichen wirklich noch schulpflichtig sind.

Heterogenität hoch 14
In einer ersten Intensivphase erhalten die Kinder und Jugendlichen während sieben Wochen 12-15 Lektionen Deutschunterricht pro Woche, den Rest der Zeit bleiben sie daheim. In Unterägeri besuchen 110 von 900 Schulkindern DaZ-Unterricht. Man kann sich vorstellen, dass die Voraussetzungen der Kinder in den Klassen unterschiedlicher nicht sein könnten. Da trifft man auf schwedische Kinder, die sich bereits ganz gut in Englisch unterhalten können, sie stammen aus einem bildungsaffinen, unterstützenden Elternhaus, aber auch auf Kinder, die traumatisiert sind, nicht sprechen, noch nie eine Schule besucht haben und falls doch, dann kennen sie weder unsere Schrift noch unsere Laute. Für Lehrpersonen der DaZ-Kurse ist die Heterogenität der Klasse eine schier nicht zu meisternde Aufgabe und doch muss es irgendwie möglich gemacht werden, aufgrund mangelnder Optionen.

Nach der Intensivphase werden die Kinder einer Schulklasse zugeteilt. Immer noch erhalten sie während 6-8 Lektionen pro Woche DaZ-Unterricht, ca. drei Jahre später sind es noch 2-4 Lektionen. Die Asylantenkinder bereiten Schulleitungen, Sekretariatsangestellten und Lehrpersonen grösste Sorgen. Während Schulleitende mit den überforderten, manchmal kaum zu erreichenden Mitarbeitenden des Asylamts Lösungen finden müssen oder per Übersetzer versuchen, etwas über die Geschichten der Kinder zu erfahren, übernehmen Mitarbeiterinnen des Sekretariats in Unterägeri Aufgaben, die weit über ihr geregeltes Tätigkeitsfeld hinausgehen, aber bitter nötig sind: Fehlendes Schulmaterial für die Kinder besorgen, meist auch Kleider und andere wichtige Alltagsgegenstände.

Auf die Insel

Es sind vor allem Kinder aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und Sri Lanka, die den Mitarbeitenden der Schule Unterägeri Kopfzerbrechen bereiten. Der DaZ-Intensivunterricht alleine bietet den Kindern zu wenig Integrationsmöglichkeiten. Im letzten Jahr wurde im Rahmen eines Schulentwicklungsprojekts die 'Schulinsel' ins Leben gerufen. Der ursprüngliche Zweck der Schulinsel war es, Kinder und Jugendliche mit Verhaltensauffälligkeiten zu betreuen. Doch derzeit übernehmen die Lehrpersonen der Schulinsel noch ganz andere Aufgaben: Kinder und Jugendliche mit Asylstatus besuchen die Schulinsel und werden dort mit der Kultur und den Gebräuchlichkeiten der Schweiz vertraut gemacht. Dies bedeutet, sie spazieren ins Dorf, lösen ein Busbillett, gehen etwas einkaufen im Lebensmittelgeschäft, lernen, dass Abfall in den Mülleimer gehört, dass man pünktlich zum Unterricht erscheint, man sich hier per Handschlag und Augenkontakt begrüsst und Vieles mehr – Selbstverständlichkeiten für uns, Neuland für Flüchtlingskinder. Der Betreuungsaufwand ist riesig, Erich Schönbächler führt aus, es würde zur Unterstützung der vielfältigen Bedürfnisse und Hintergründe der Kinder praktisch eine 1:1 Begleitung benötigt. Es muss aufwändig abgeklärt werden, wo die oftmals traumatisierten Kinder und Jugendlichen überhaupt stehen, damit sie optimal beschult werden könnten. Maximal zehn Wochen können die Kinder auf der Schulinsel bleiben, bevor sie in die Klassen integriert werden. Doch dort wartet die nächste, fast unüberwindbare Herausforderung, eine Klasse mit 24 Schülerinnen und Schülern.

Arsema soll integriert werden, sie spricht aber auch nach zehn Wochen in Unterägeri noch kaum ein Wort, es gibt noch acht weitere DaZ-Kinder in der Klasse, ausserdem stehen gerade Übertrittgespräche an. Der Schule mangelt es an Ressourcen bzw. die Betreuung der Flüchtlingskinder beansprucht die finanziellen Ressourcen weit über die budgetierten Mittel. Arsema besucht nun weiterhin parallel die Schulinsel und die Regelklasse, doch der Grund ihres Schweigens ist noch nicht eruiert. Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen sind involviert. Man fragt sich, was geschehen würde, überliesse man die Kinder und Jugendlichen ihrem Schicksal. Folgt man der Frustrations-Aggressionshypothese (Dollard & Miller), dann lässt sich folgern: Wer sich kaum verständlich äussern kann, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit Frustrationen erleben. Können diese nicht abgebaut werden, ist als Folge Aggression sehr wahrscheinlich.

Flüchtlingskinder haben in hohem Masse Erfahrungen machen müssen, die weit über dem liegen, was ihnen entwicklungspsychologisch zumutbar ist. Schon die Gedanken an ihre Lebensgeschichten lässt auch empathische Erwachsene erschauern. Die Schulinsel ermöglicht die enge Begleitung der Kinder, sie ist nötig, damit eben keine unkontrollierbaren Aggressionen entstehen.


Café international
Was in vielen Schweizer Stuben als Spiel namens 'Café international' bekannt ist, ist in Unterägeri während eines Abends Realität geworden. Man hat Eltern aus 20 Nationen zu einem Abendanlass eingeladen. 20 Übersetzer der Caritas haben den Eltern das Schulsystem der Schweiz erklärt. Der Anlass war ein Erfolg, hat die Schule aber auch insgesamt 6000 Franken gekostet, die Dolmetscher haben einen angemessenen Stundentarif. Trotzdem, der Abend hat viel gebracht. Die Rektorate des Ägeritals planen für die Folgejahre, den Anlass gemeinsam anzubieten. Auch überlegt man, wie man weitere Ressourcen nutzen könnte, eventuell liesse sich das Projekt GiK (Generationen im Klassenzimmer) ausbauen. Hier helfen freiwillige Senioren und Seniorinnen mit. Mit «Schule & Elternhaus» ist man ebenfalls im Gespräch, wie die Nachbarschaftshilfe aktiviert werden könnte.

Die zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel des Kantons reichen der Gemeinde Unterägeri bei weitem nicht aus, wenn Kinder und Jugendliche der Auffangstation Steinhausen bereits nach zwei statt nach sieben Monaten in ihre Gemeinde umziehen. Sie sind noch nicht ansatzweise bereit, in eine Regelklasse integriert werden zu können. Lehrpersonen, Sekretariatsangestellte und Schulleitungen tun ihr Bestes, aber was, wenn noch mehr kommen?

Zurzeit besteht eine Arbeitsgruppe mit Mitarbeitenden des Amts für gemeindliche Schulen, des Sozialamts und der Rektorenkonferenz. Die Arbeitsgruppe sucht Lösungen, um der speziellen Flüchtlingssituation zu begegnen.

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