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01.12.2015

Auf der Flucht – Situation Asylwesen Zug

01.12.2015
Regierungsrätin Manuela Weichelt-Picard ist Direktorin des Innern und in der gegenwärtigen Asylsituation besonders gefragt. Im Interview gibt sie Auskunft u. a. über persönliche Erlebnisse , über ...
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Regierungsrätin Manuela Weichelt-Picard ist Direktorin des Innern und in der gegenwärtigen Asylsituation besonders gefragt. Im Interview gibt sie Auskunft u. a. über persönliche Erlebnisse , über Schnittstellen der Zusammenarbeit, die Lage im Kanton Zug und die Möglichkeit, das Thema Asyl in der Schule aufzugreifen.

Von Lukas Fürrer

Frau Regierungsrätin Weichelt, der weltweite Flüchtlingsstrom hat auch die Schweiz, den Kanton Zug, erreicht. Wie sehr belastet Sie diese Situation als zuständige Regierungsrätin, die das kantonale Sozialamt mit der Abteilung "Soziale Dienste Asyl" unter sich hat?
Mich "beschäftigt" die aktuelle Asylsituation im wahrsten Sinne des Wortes auf zwei Arten; einerseits zeitlich als zuständige Regierungsrätin, aber auch emotional. Kürzlich stieg ich abends um 21 Uhr in Menzingen in den Bus. Darin sass auch eine Frau mit ihrem kleinen Jungen. Er hielt einen Caritas-Plastiksack in der Hand, aus dem ein Plüschtier ragte. Ich erfuhr, dass die Frau und der kleine Junge beim Empfangszentrum in Altstätten/SG eine Fahrkarte erhalten hatten und eine A4 Seite mit der Adresse des Gubels, ihr nächstes Dach über dem Kopf. Die Frau wusste nicht, wo aussteigen und drehte mit dem Bus eine Schlaufe. Als der Chauffeur sie im Dorf schliesslich an der richtigen Bushaltestelle aussteigen liess, war bereits niemand mehr dort, der sie im Dunkeln und in der Kälte zur Bundesunterkunft Gubel hätte fahren können. Dank der tollen Reaktion des Chauffeurs konnten wir gemeinsam eine Person finden, welche Frau und Kind zum Gubel begleitete. Dieses Erlebnis führte mir wieder einmal vor Augen, dass hinter jeder Zahl aus der Statistik ein Einzelschicksal steckt.

Der Bund weist dem Kanton Zug 1,4 % der Asylsuchenden zu. Aktuell halten sich gut 1'240 Personen Asylbewerber oder Flüchtlinge im Kanton Zug auf. Wie steht es um die Aufnahmekapazität?
Aktuell sind die Kapazitäten ausgeschöpft, viele vom Kanton Zug gemietete Wohnungen und Räume sind sogar überbelegt. Auch die Durchgangstation in Steinhausen, wo die Leute nach der Zuweisung durch den Bund zuerst aufgenommen werden, ist voll: Zieht in Steinhausen jemand aus, kommen sofort Neuankömmlinge. Neben der Durchgangsstation Steinhausen mietet der Kanton Zug insgesamt 73 Unterkünfte in zehn Gemeinden. Zusätzlich kann er die Zivilschutzanlage Schluecht in Cham mit insgesamt 50 Plätzen für die Unterbringung nutzen. Seit November 2015 steht uns auch das ehemalige Alterszentrum Waldheim in Zug, wo es Platz für maximal 90 Personen gibt, bis zu einer rechtskräftigen Baubewilligung zur Verfügung. Weiter haben wir eine öffentliche Ausschreibung nach GATT/WTO durchgeführt. Der Regierungsrat konnte kürzlich der Hotz Obermühle AG den Zuschlag geben, damit diese eine Unterkunft für gut 100 Menschen in Baar baut, die etwa im Herbst 2016 bezugsbereit ist. Das Problem ist: sowohl die Zivilschutzanlage in Cham wie das Alterszentrum Waldheim in Zug können nur befristet genutzt werden. Und auch viele Wohnungen, die wir mieten, sind Abbruchobjekte, fallen also früher oder später weg. Tatsache ist aber, dass bis jetzt im letzten Moment immer irgendwo „eine Tür aufging" und wir alle Menschen einquartieren konnten. Möglich war dies nur dank der Unterstützung von Gemeinden, Kirchen, Firmen, Institutionen und Privaten, die dem Kanton Raum vermieten.

Die Flüchtlingskrise ist eine gesellschaftspolitische Herausforderung, die fast jede Direktion und jeden Regierungsrat in unterschiedlichem Ausmass betrifft.

Das ist richtig. Das Asylwesen ist zu einer klassischen Querschnittsaufgabe mit hohem Aktualitätsgrad geworden. Vieles geschieht in Zusammenarbeit mit meinen Regierungskollegen der Bau- und der Sicherheitsdirektion. Das kantonale Migrationsamt innerhalb der Sicherheitsdirektion muss zum Beispiel dafür sorgen, dass Flüchtlinge ohne Bleiberecht ausgeschafft werden. Dies geschieht wiederum in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM). Während zwischen 2009 und 2011 gut 200 Rückführungen erfolgten, waren es zwischen 2012 und 2014 knapp 340. Dies entspricht einer Zunahme von über 50 %. Und natürlich gibt es auch Schnittstellen mit der Direktion für Bildung und Kultur, nämlich dann, wenn Flüchtlingskinder eingeschult werden. Da die Personen zum Teil schwer traumatisiert oder krank sind, ist auch die Gesundheitsdirektion involviert.

Für Laien ist die Terminologie nicht immer ganz einfach zu verstehen. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Flüchtling und einem Asylsuchenden?
Asylsuchende sind Personen, die sich im Asylverfahren befinden und darauf warten, bis über ihr Gesuch entschieden wird. Sie befinden sich im N-Status. Flüchtlinge hingegen sind Personen, deren Gesuch bereits behandelt wurde. Hier unterscheidet man zwischen "Vorläufig Aufgenommenen" (F-Status) und "Anerkannten Flüchtlingen" (B-Status). Vorläufig Aufgenommene haben einen negativen Entscheid erhalten, können oder dürfen aber aus einem bestimmten Grund nicht ausgeschafft werden. Anerkannte Flüchtlinge erhielten einen positiven Entscheid und dürfen bleiben. Dann gibt es auch noch die so genannten Härtefälle: Ihr Gesuch wurde ebenfalls abgelehnt, dennoch bekommen sie vom Bund eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung.

Was wissen wir über die Menschen hinter den Zahlen? Woher kommen sie, wie alt sind sie? Was machen sie den ganzen Tag?
Die Nationalität ist eigentlich fast immer bekannt. Im Kanton Zug kommen die meisten Asylsuchenden aus Eritrea (28%), gefolgt von Sri Lanka (13 %), Syrien und Somalia (je 9%). Die Mehrheit ist männlich und zwischen 20 und 30 Jahre alt. Nach und nach kommen aber auch Frauen mit Kindern und jede Woche kommen ein bis drei unbegleitete minderjährige Asylsuchende, so genannte UMA. Weil ihre Eltern nicht mitgereist sind oder sie keine Eltern mehr haben, müssen wir uns besonders gut um sie kümmern. Wir können die Teenager nicht einfach irgendwo einquartieren, sondern müssen eine Unterkunft für sie finden, die ihre spezielle Situation berücksichtigt. Gegenwärtig verfügt der Kanton über drei UMA-WG's. Die Jugendlichen, die dort wohnen, werden von einer Sozialpädagogin betreut. Sie klärt auch ab, wo die Teenager eingeschult werden oder wo sie eine Ausbildung machen können. Zur Zeit haben wir 33 Minderjährige ohne Eltern im Kanton Zug.

Wie sieht es aus mit Beschäftigungsprogrammen und dem Recht auf Erwerbstätigkeit?
Dies ist eine weitere grosse Herausforderung. Es reicht nämlich nicht, den Leuten einfach ein Bett zur Verfügung zu stellen, die Hausordnung in die Hand zu drücken und sie in einen Deutschkurs zu schicken. Integration heisst viel mehr: Jene Leute, die die aufgrund ihres Status in der Schweiz bleiben dürfen, müssen eine Arbeitsstelle im ersten Arbeitsmarkt finden. Während den ersten drei Monaten haben Asylsuchende allerdings kein Recht zu arbeiten. Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge hingegen dürfen ohne Einschränkung eine Erwerbstätigkeit ausüben. Voraussetzung dafür ist einzig, dass der Arbeitgeber ein entsprechendes Gesuch stellt und die ortsüblichen Lohn- und Arbeitsbedingungen des Berufs und der Branche einhält. Oft erfolgt der Einstieg in die Erwerbstätigkeit via ein Beschäftigungsprogramm. Das grösste Risiko ist nämlich, dass Asylsuchende und Flüchtlinge in der Sozialhilfe verbleiben, weil sie keinen Beruf gelernt haben respektive keinen Job finden. Was die Integrationsfähigkeit von Flüchtlingen betrifft, gehen die Ansichten in der Wirtschaft bekanntlich diametral auseinander. Die eine Seite sieht ein grosses Potenzial und glaubt, dank den Flüchtlingen den Fachkräftemangel beheben zu können. Die andere Seite zweifelt, ob die hohe Zahl von Flüchtlingen jemals wirtschaftlich unabhängig sein wird.

Und wie sehen Sie es?
Die Wahrheit liegt wohl, wie so oft, irgendwo dazwischen. Das Bild hoch motivierter und hoch qualifizierter Migrantinnen und Migranten, welche sehr schnell sehr viel in die Rentenkasse einbezahlen, ist wohl genauso undifferenziert, wie das Bild der schmarotzenden Asylsuchenden, die mit dem Essen oder der Ausstattung ihrer Asylunterkunft nicht zufrieden sind. Entscheidend für eine gute Integration ist: Probleme dürfen nicht verschwiegen werden. Wenn über heikle Aspekte nicht offen diskutiert wird, entstehen fremdenfeindliche Stimmungen. Im Kanton Zug findet der Dialog über die Asylsituation bis jetzt in einer guten Art und Weise und auf einer sachlichen Ebene statt. Wichtig ist auch, dass man Menschen nicht mit falschen Versprechungen anlockt, um sie dann wieder in ihr Elend zurückzuschicken.

Sie sagten anfangs, der Bund weise den Kantonen die Flüchtlinge zu. Wie gelangen diese denn in den Kanton Zug? Werden sie hierher chauffiert?
Nein, mit Flüchtlingen gefüllte Busse kommen hier keine an. Meist ist es so, dass der Bund den Flüchtlingen aus dem Empfangszentrum ein ÖV-Billet aushändigt und die Flüchtlinge dann selbständig in den Kanton Zug reisen. Zusätzlich haben sie eine Wegbeschreibung mit Angaben, wann sie in der Durchgangsstation in Steinhausen eintreffen müssen. Der Kanton wiederum weiss genau, wann der Bund welche Flüchtlinge losschickt. Falls angekündigte Personen nicht auftauchen, erfolgt eine Meldung ans Amt für Migration bzw. ans SEM. Diese Überweisungen vom Bund an die Kantone funktionieren gut und es kommt kaum vor, dass jemand nicht dort eintrifft wo er müsste. Zu sagen gibt es noch, dass dem Kanton Zug nur registrierte Asylsuchende und Flüchtlinge zugewiesen werden. Das heisst: Wir kennen die Namen der Personen, die zu uns kommen.

Und was ist mit der Militäranlage auf dem Gubel? Wohnen dort keine Flüchtlinge, die dem Kanton Zug zugewiesen werden?
Nein. Das ist keine kantonale Unterkunft. Sie wird vom Bund betrieben. Dort wohnen Leute, die noch im Asylverfahren stecken. Je nachdem müssen sie die Schweiz wieder verlassen oder werden später auf die Schweizer Kantone verteilt. Die Anzahl Asylsuchender auf dem Gubel werden dem Kanton Zug aber angerechnet, was sich positiv auf unsere Aufnahmestatistik auswirkt.

Was ist mit den schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen? Werden die sogleich eingeschult, wenn sie im Kanton Zug ankommen?
Ja, in der Schweiz hat jedes Kind ein Recht auf Bildung und Schule und zwar unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus. Für jene Asylsuchende und Flüchtlinge, die dem Kanton Zug zugewiesen werden, ist die Durchgangsstation Steinhausen der erste Anlaufpunkt. Dort bleiben sie in einer normalen Lage zwischen sieben und zwölf Monaten. Hier werden sie auch an die schweizerischen Lebensverhältnisse gewöhnt und erhalten Deutschunterricht. Die Primarschulkinder in der Durchgangsstation besuchen zuerst die Kleinklasse Deutsch (KKD) in Cham. In einer zweiten Phase werden die Flüchtlinge auf Unterkünfte in den Gemeinden verteilt und werden Schulpflichtige in der jeweiligen gemeindlichen Schule angemeldet. Sobald die Kinder einen gewissen Sprachstand erreicht haben, dürfen sie die Regelklasse besuchen. Je nach Bedarf unterstützen Lehrpersonen für Deutsch als Zweitsprache die Kinder weiterhin während 1 bis 2 Lektionen pro Woche in Deutsch. Aktuell besuchen rund 140 Kinder aus dem Asyl- und Flüchtlingsbereich die Volksschule im Kanton Zug, was aktuell rund 1 % aller schulpflichtigen Kinder entspricht.
Im Moment verkürzt sich der Aufenthalt in der Durchgangsstation aufgrund der hohen Anzahl an Asylsuchenden und Flüchtlingen, was Auswirkungen auf die skizzierten Folgeprozesse hat, konkret auch auf die Aufenthaltsdauer in der Durchgangsstation. Die Personen werden viel früher auf Liegenschaften in anderen Gemeinden verteilt und somit gehen die schulpflichtigen Kinder viel früher in die gemeindliche Verantwortung über. Wir stehen diesbezüglich mit der Direktion für Bildung und Kultur in Kontakt.

Sollen Lehrpersonen das Thema Flüchtlinge in der Schule aufgreifen?
Unbedingt! Kinder und Jugendliche interessiert dieses Thema sehr. Die Thematik ist omnipräsent; auch in den sozialen Medien, auf Facebook oder in den Gratiszeitungen, die oft von Jugendlichen durchgeblättert werden. Am diesjährigen Zukunftstag vom 12. November stellte das Kantonale Sozialamt für die Kinder in der Direktion des Innern ein Programm zusammen, das sich um das Flüchtlingsthema drehte. Am Morgen besuchte die fünfköpfige Schülergruppe die Durchgangsstation in Steinhausen und zeigte sich dort enorm interessiert. Ich denke, für Kinder ist es sehr eindrücklich, wenn sie sehen, dass Gleichaltrige aus ihrer Heimat flüchten mussten. Die Zukunftskinder machten sich Gedanken, stellten kluge und kritische Fragen. Noch am Mittagstisch sprachen sie von den Flüchtlingen. Es beschäftigte sie offenbar sehr. Nach dem Zukunftstag gaben die Schülerinnen und Schüler ein Feedback ab, wie ihnen der Zukunftstag gefallen hat. Ein Mädchen schrieb, dass es sehr froh sei, dass die Flüchtlinge im Kanton Zug "in guten Händen" seien.

Wie sieht es mit Unterrichtsmaterialen zum Thema Asyl und Flüchtlinge für die Schulen aus? Stellen hier der Bund oder die Institutionen etwas zur Verfügung?
An Material mangelt es nicht. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) und die UNO bieten anschauliche Unterrichtsmaterialien, Filme, Lernspiele, Bilder sowie Statistiken und Publikationen zu den Themen Flüchtlinge, Asyl und humanitäre Hilfe an. Zielgruppe sind 10- bis 15-Jährige. Das SEM bietet Ausstellungsmodule zu den Themen "Vorurteile / Assoziationen", "Die Schweiz als Ein- und Auswanderungsland", "Personenfreizügigkeit EU", "Schutz vor Verfolgung" und "Integration" an. Die UNO stellt gratis zahlreiche Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, um Kinder und Jugendliche für die Flüchtlingsproblematik zu sensibilisieren. Es händigt auch Materialsets zu den Schicksalen von Flüchtlingskindern in Afrika und Europa aus und es hat das Rollenspiel "Stationen einer Flucht" entwickelt, bei dem Schüler in die Rolle eines Flüchtlings schlüpfen können. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe macht Begegnungen zwischen Schulen und Flüchtlingen möglich. Schön ist es auch, wenn Schulkinder mit Sponsorenläufen, Benefizveranstaltungen oder Basarverkäufen Geld für Flüchtlinge sammeln. Die Advents- und Weihnachtszeit bietet sich dafür besonders gut an. Die Flüchtlings- und Asylthematik passt gut ins Schulzimmer, weil sie so vielseitig ist und wirtschaftliche, soziale und gesellschaftspolitische Aspekte beinhaltet. Wie immer die Lehrpersonen das Thema in den Unterricht integrieren, den Schülerinnen und Schülern wird bestimmt eines bewusst: wie gut es uns in der Schweiz geht und wie privilegiert wir sind.

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