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22.01.2019

Beurteilen – Woran denken Sie dabei?

Lernerfolg steht in einem sehr engen Zusammenhang mit dem Beurteilen. Was verändert sich beim Beurteilen mit der Einführung des Lehrplan 21  – und was bleibt?  Von Martina Krieg* Wenn Sie eine ...
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Lernerfolg steht in einem sehr engen Zusammenhang mit dem Beurteilen. Was verändert sich beim Beurteilen mit der Einführung des Lehrplan 21  – und was bleibt? 

Von Martina Krieg*

Wenn Sie eine herkömmliche Schule durchlaufen haben, denken Sie jetzt vermutlich an Noten. Haben Sie eine Rudolf Steiner Schule besucht, dann erinnern Sie sich allenfalls an umfassende, sehr wohlwollend geschriebene Lernberichte. Sie waren in einer Montessori Schule? Dann haben Sie vermutlich mit Kompetenzrastern gearbeitet. In jedem Fall sind Sie ein Kind Ihrer Erfahrungen und wenn Sie den folgenden Text nun lesen, wird es Ihnen nicht leicht fallen, sich von dem, was Sie erlebt haben, zu lösen.

Wo im Schulfeld vom Lehrplan 21 die Rede ist, werden wir Mitarbeitende der Abteilung Schulentwicklung immer auch mit zahlreichen Fragen zur Beurteilung konfrontiert. Schulleitende sammeln auftauchende Fragen von Lehrpersonen und stellen sie der Abteilung Schulentwicklung zu. Uns erstaunen diese Fragen nicht, wir haben sie selber auch. Die Fragenkataloge freuen uns. Sie sind ein Zeichen der aktiven Auseinandersetzung mit der bestehenden Handhabung der Beurteilungspraxis und bieten Gelegenheit, bestehende Routinen zu hinterfragen und nötigenfalls anzupassen. Das Thema Beurteilen ist immer virulent bei Lehrpersonen. Der neue Lehrplan bietet jedoch eine weitere Chance, sich vertiefter mit Aspekten des Beurteilens auseinanderzusetzen.

Der Lehrplan 21 gibt nicht bloss vor, was Kinder und Jugendliche lernen sollen. Anstelle von Lerninhalten sind Kompetenzen aufgeführt, über welche Schülerinnen und Schüler verfügen sollen. Schon längst sind die Zeiten vorbei, in denen eine Lehrperson nur Wissen referiert. Lernende eignen sich Wissen und Kompetenzen aktiv an. Die UNESCO bezeichnet diesen Wandel der Vorstellungen von Lernen und Kompetenzaufbau als «shift from teaching to learning»1. Die referierende Lehrperson ist auch heute noch gefragt, doch steht im Zentrum des Unterrichts die Hinwendung zu den Lernprozessen. Durch diese Orientierung an Kompetenzen und der Hinwendung zu den Lernprozessen ergeben sich neue Akzente in Bezug auf die Rückmeldung und Beurteilung von Lernprozessen und Schülerleistungen.

Um die Entwicklung der Kompetenzen zu fördern und zu beurteilen, sind Lernkontexte mit herausfordernden Aufgaben notwendig2. Beim Bearbeiten dieser Aufgaben gewinnt innerhalb der Lernprozesse die formative, also prozessbegleitende Beurteilung an Bedeutung. Durch unterstützende Rückmeldungen der Lehrperson und Dialoge über das Lernen erhält der Lernende die nötigen Hinweise für das Weiterlernen. Laut der viel zitierten Studie von Hattie3 steht der Lernerfolg in sehr engem Zusammenhang mit der Beurteilung. Von den rund 150 untersuchten Faktoren für den Lernerfolg finden sich unter den ersten zehn Plätzen4 drei Faktoren, die in engem Zusammenhang mit der formativen Beurteilung stehen:

  • Rang 1 (Effektstärke 1.44): Schülerinnen und Schüler erhalten im Unterricht die Möglichkeiten, ihre Kompetenzen einzuschätzen.
  • Rang 3 (Effektstärke 0.90): Lehrpersonen nutzen die Beurteilungen der Lernangebote durch die Lernenden zur Weiterentwicklung ihres Unterrichts.
  • Rang 10 (Effektstärke 0.73): Feedback: Lehrpersonen geben den Schülerinnen und Schülern differenzierte Rückmeldungen zur Qualität ihrer Leistungen.

Diese Erkenntnisse können genutzt und im Unterricht gestärkt werden. Im Kanton Zug wird bereits seit Jahren dem formativen Beurteilen im Förderkreislauf von Beurteilen und Fördern B&F grosse Beachtung geschenkt5. Entscheidend ist, was man als Lehrperson bei der Beurteilung eigentlich herausfinden möchte. Will ich Aussagen über die Lernfortschritte oder über den Lernprozess von einzelnen Lernenden oder der Klasse? Will ich herausfinden, was den Schülerinnen und Schülern in meinem Lernsetting besonders hilfreich erscheint oder muss ich eine abschliessende Beurteilung für ein Zeugnis machen? Im angelsächsischen Raum werden folgende Absichten für Leistungsbeurteilungen unterschieden:

«assessment for learning»: Qualitätskriterien erkennen lernen
Lernende sollen durch das Einschätzen ihrer Arbeiten lernen, Qualitätsunterschiede zu erkennen. Es reicht nicht, Lernziele transparent zu machen. Zielführender sind Gespräche über Produkte, Präsentationen etc., was daran gut war oder noch zu optimieren ist. Diese Absicht des Beurteilens wird als «assessment for learning»6 bezeichnet, weil sie Hinweise auf das weitere Lernen bietet. Die Lernenden werden aufgefordert, sich über das eigene Tun und die eigenen Lernstrategien Gedanken zu machen. Hilfreich für solche Gespräche über das Lernen sind auch formative Lernkontrollen. Sie dienen als Grundlage, die Lernfortschritte aufzuzeigen, können als Belege in Portfolios7 abgelegt werden und z. B. in Orientierungsgesprächen zur Visualisierung wieder beigezogen werden. Auch Lernlandkarten8 haben sich vielerorts bewährt. Damit können sich Lernende zu unterschiedlichen Zeitpunkten selber einschätzen und immer wieder für Besprechungen zu Hand genommen werden.

«assessment as learning»: Nachdenken über eigene Lernwege
Eine weitere Beurteilungsabsicht unterstützt die Lernenden darin, ein Bewusstsein für das Vorgehen und angewandte Strategien beim Lösen von Aufgaben zu entwickeln (assessment as learning9). Die Lernenden erläutern der Lehrperson oder gegenüber Mitschülerinnen und -schülern ihre Denkwege. So erkennen sie unterschiedliche Herangehensweisen und können ihre Lernstrategien erweitern.

«assessment about teaching»: Feedback zum Lernsetting
Wenn Lehrpersonen öfters bei ihren Schülerinnen und Schülern nachfragen würden, was ihnen beim Lernen besonders geholfen hat, kann die Lehrperson den Unterricht adaptiv auf die Lernwege der Kinder hin gestalten (assessment about teaching10).

Lehrpersonen stimmen zumeist den oben beschriebenen Beurteilungsabsichten zu. Auch der neue Lehrplan kommt dem entgegen. Nicht zuletzt aufgrund der Erkenntnisse der Lernforschung wurde der Lehrplan 21 in Kompetenzen formuliert. Kinder lernen unterschiedlich. Sie erreichen ihre Ziele zu verschiedenen Zeitpunkten und benötigen für ihr Lernen unterschiedlich viel Unterstützung und Zeit. Längst besteht in Qualitätskonzepten von Kantonen und Gemeinden die Forderung, dass sich der Unterricht an dieser individuell verlaufenden Entwicklung und dem Leistungsvermögen des einzelnen Lernenden orientieren muss.11
Die passendste und angebrachteste Form der Beurteilung von Kompetenzen wäre, Kompetenzraster zu führen. In diesen Rastern wird eingetragen, was eine Schülerin, ein Schüler in einem spezifischen Fachbereich bereits kann – ganz individuell ihrem Lern- und Leistungsstand entsprechend.

«assessment of learning»: Momentaner Lernstand beurteilen
Entgegen dieser idealen Vorstellung für das Beurteilen von Kompetenzen steht der Volksentscheid im Kanton Zug vom März 2012 mit der Forderung nach Notenzeugnissen ab der 2. Klasse der Primarstufe. Eine Lehrperson hat ihre Not uns gegenüber wie folgt zum Ausdruck gebracht: «Ich kann die Schüler schon dort abholen, wo sie sind. Ich kann sie auch individuell fördern, sodass sie optimal gefordert sind. Aber wie um alles in der Welt beurteile ich das dann? Ich kann sie schon beurteilen, aber dann sind diese Beurteilungen nicht mehr vergleichbar, weil sich ja alle woanders befinden. Also was jetzt?» Die Lehrperson hat das zum Ausdruck gebracht, was zum Alltag von Schule gehört – Förderung und Selektion. Lehrpersonen bewegen sich alltäglich in einem mitunter kaum auszuhaltenden Spannungsbogen. Am einen Ende des Bogens steht die Lehrperson mit dem Anspruch, die Kinder adäquat zu fördern, ihre Motivation und Lernfreude hochzuhalten. Am anderen Ende des Bogens steht die Forderung der Selektion mit der Beurteilungsabsicht «assessment of learning», wo es darum geht, momentane Lernresultate in den Blick zu nehmen und mit einer verbalen Aussage, mit Punkten oder einer Note zur Zielerreichung zu bewerten.
Die Schule hat einen Gesellschaftsauftrag zu erfüllen und muss verschiedenen Funktionen12 gerecht werden. Der Spannungsbogen kann nicht aufgelöst werden. Unbedingt muss innerhalb des Bogens die Chance der formativen Beurteilung weiterhin genutzt werden. Würde man sie weglassen oder nur halbherzig umsetzen, dann würde eine wertvolle Quelle für das Lernen ungenutzt bleiben. Sollen die Lernfortschritte und damit der Kompetenzzuwachs sichtbar gemacht werden, dann müssen systematische Dokumentationen des Lernens etabliert werden. Solche Belege werden für Lerndialoge13 und Orientierungsgespräche mit Eltern genutzt.
Ob Kompetenzerwartungen erfüllt werden, wird in «klassischen» Tests kaum ersichtlich, sondern vor allem in komplexen Alltagssituationen14. Das bedeutet, dass Lehrpersonen nicht dem Irrtum erliegen dürfen, dass sich Leistung, z. B. in einer schriftlichen Prüfung, exakt messen lässt. Eltern interessieren sich erfreulicherweise für die Schule. Im Extremfall kann dieses Interesse aber auch zu einer übereifrigen Einmischung, z. B. bei der Beurteilung, führen, wo über Punkte in Prüfungen diskutiert wird. Das Überprüfen von Kompetenzen erfordert aber komplexe Lernziele auf den Stufen von Verständnis, Anwendung oder gar von Analyse, Synthese und Bewertung15. Die Transparenz der Beurteilung gegenüber Eltern wird dann nicht darin bestehen, Notendurchschnitte vorzulegen, sondern weitere Belege für die erreichte Kompetenz beizuziehen, wie z. B. Beurteilungsraster, Lernlandkarten, Selbsteinschätzungen der Kinder etc. und diese in eine Gesamtübersicht zu bringen und zu erläutern.

Erweitertes Verständnis von Beurteilen
Kompetenzen lassen sich in den seltensten Fällen durch klassische Prüfungen beurteilen. Wenn eine Lehrperson z. B. folgende Kompetenzstufe beurteilen möchte: «Schülerinnen und Schüler erkunden Tauschbeziehungen (z. B. auf dem Wochenmarkt, im Supermarkt, im Hofladen) und können Regeln und deren Bedeutung erkennen (z. B. Angebot und Nachfrage, Ware gegen Geld, Interessenskonflikte, Kooperation der Tauschpartner)» (NMG.6.4 b) kann dies kaum mit Bleistift und Papier erfolgen. Lehrpersonen werden vermehrt die Beurteilung von Beginn ihrer Unterrichtsplanung an mitdenken müssen und neue vielseitigere Beurteilungsanlässe einplanen, welche die herkömmlichen schriftlichen Beurteilungssettings erweitern. Für die oben beschriebene Kompetenzstufe entsteht beispielsweise ein Plakat zu Regeln und deren Bedeutung oder die Kinder führen ein Interview mit einem Ladenbesitzer über Angebot und Nachfrage. Vielleicht machen sie ein Rollenspiel einer fiktiven Einkaufssituation und berichten der Lehrperson, warum sie diese oder jene Inhalte gewählt haben. Die Lehrperson beurteilt das Produzierte mit einem Beurteilungsraster, anhand von vorher kommunizierten Kriterien und schätzt ein, inwieweit die Kinder die gesetzten Lernziele erreicht haben.
Offensichtlich wird durch ein solches Beispiel auch, dass eine Beurteilung immer nur einen ausgesuchten Bereich abdeckt, nicht jede Kompetenz beurteilt werden kann und es unwahrscheinlich ist, dass jedes Kind den exakt gleichen Kompetenznachweis zum gleichen Zeitpunkt erbracht hat. Nur die gesteckten Lernziele bleiben dieselben. Eine exakte Messung von Kompetenzen ist, solange das «Kompetenzthermometer» noch nicht erfunden ist, nicht möglich.
Die in anderen Kantonen verbreiteten vergleichbaren Leistungsmessungen (z. B. Checks) mit kalibrierten Testaufgaben ermöglichen zwar einen Vergleich, aber immer nur für leicht überprüfbare Fähigkeiten und Fertigkeiten, sicher nicht für komplexe Kompetenzen. Im besten Fall bieten solche Testanlagen gute Möglichkeiten für Lehrpersonen, sich über die eigene Beurteilungspraxis Gedanken zu machen (z. B. Was könnten Gründe sein, dass einzelne Lernende im Test viel besser abschneiden als in meiner Einschätzung?), aber nur wenn eine Lehrperson, ein Team gewillt ist, die eigene Beurteilungskultur immer wieder zu hinterfragen und darüber in den Austausch zu kommen.

Im Kanton Zug werden nach den Sommerferien für alle Gemeinden Fokustage zum Thema Beurteilen angeboten. Anhand einer Dokumentation zu kompetenzorientierter Beurteilung, mit dem Handbuch Beurteilen und Fördern B&F und einer zyklenspezifischen Aufgabensammlung erhalten Lehrpersonen Zeit und Raum, sich mit ihrer Beurteilungskultur auseinanderzusetzen. Wir freuen uns sehr, diese Veranstaltungen mit den Lehrpersonen durchführen zu dürfen.

*Martina Krieg ist Leiterin der Abteilung Schulentwicklung im Amt für gemeindliche Schulen des Kantons Zug

 

Quellen
  1. Marope, M., Griffin, P. / Gallagher, C.: Transforming Teaching, Learning, and Assessment. http://www.ibe.unesco.org/sites/default/files/resources/03_transforming_teaching_learning_and_assessment_31oct.pdf [8.1.2019].
  2. Klieme, E., Avenarius, H., Blum, W., Döbrich, P., Gruber, H., Prenzel, M., Reiss, K., Riquarts, K., Rost, J., Tenorth, H.-E., Vollmer, H. (2003). Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bonn: Bundesministerium für Bildung und Forschung.
  3. Hattie, J. A. C. (2013). Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von «Visible Learning», von Wolfgang Beywl und Klaus Zierer. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
  4. Lotz, M. & Lipowsky, F.: Die Hattie-Studie und ihre Bedeutung für den Unterricht. http://www.frank-lipowsky.de/wp-content/uploads/Lotz-Lipowsky-2.pdf [8.1.2019].
  5. Beurteilen und Fördern B&F, Kapitel 2.
  6. Winter, F. (2016): Leitfaden. Neue Formen der Leistungsbeurteilung. IQES Online. Download unter www.iqesonline.net/index.cfm?id=4EE25573-D34B-600F-03BF-23C677BFA220 [8.1.2019].
  7. Keller, St. & König, F.: Kompetenzorientierter Unterricht mit Portfolio. hep
  8. Lernlandkarten geben eine systematische Übersicht über die Kompetenzen (z. B. als Bild, als Mindmap etc.), die im Verlauf einer definierten Lernphase erworben werden sollen. Achermann, E. & Rutishauser, F. (2016). Mit Lernland-karten unterrichten und lernen. Grundlagen für Eingangsstufen und Primarschule. Bern: Schulverlag plus.
  9. Winter, F. (2016): Leitfaden. Neue Formen der Leistungsbeurteilung. IQES Online. Download unter www.iqesonline.net/index.cfm?id=4EE25573-D34B-600F-03BF-23C677BFA220 [8.1.2019].
  10. Ebd.
  11. Burk, K. & Grundey, U. (2004). Lernfortschritte in einer Schuleingangsklasse transparent machen – Landkarte der Lernwege. In: Horst Bartnitzky & Angelika Spreck-Hamdan (Hrsg.). Leistungen der Kinder wahrnehmen – würdigen – fördern. Frankfurt am Main: Grundschulverband.
  12. Z. B. nach Fend (2006): Qualifikation, Selektion, Integration und Legitimation, Enkulturation. https://www.wib-potsdam.de/wp-content/uploads/2017/12/KellerFunktionen.pdf [8.1.2019].
  13. Winter, F. (2015): Lerndialog statt Noten. Weinheim und Basel: BELTZ.
  14. Winter, F. (2008). Leistungsbewertung. Eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schülerleistungen. Grundlagen der Schulpädagogik, Band 49. Hohengehren: Schneider Verlag.
  15. vgl. Beurteilen und Fördern B&F, S. 103. f.

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