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17.02.2015

Ethik und Religion — Schule und Extremismus

17.02.2015
Im Interview mit dem Psychologen und Radikalisierungsexperten Ahmad Mansour* geht es um die Faszination radikalislamischer Ideen und darum, wie wir als Schule und Gesellschaft darauf reagieren. ...
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Im Interview mit dem Psychologen und Radikalisierungsexperten Ahmad Mansour* geht es um die Faszination radikalislamischer Ideen und darum, wie wir als Schule und Gesellschaft darauf reagieren. Kritisches Denken und intakte Beziehungen sind die beste Prävention.

Von Lukas Fürrer

Herr Mansour, was macht die Faszination radikalislamischer Ideen aus?
Die Faszination ist vielschichtig. Der Salafismus ist zum Beispiel eine Jugendkultur, mit eigenen Symbolen, einer eigenen Sprache, einem eigenen Stil. Dann geht es auch um Identität und Abgrenzung von der Gesellschaft, von den Eltern. Wer sich diesen Gruppen anschliesst, findet Freunde, ist nicht mehr alleine, sondern gehört zu einer weltweiten Gemeinde von Muslimen. Der Salafismus bietet Orientierung und Halt in einem unsicheren Alltag. Er teilt ein in Schwarz und Weiss. Indem die Gesellschaft abgewertet wird, wird man selber aufgewertet. Jugendliche fühlen sich gebraucht, sie bekommen Aufgaben, Missionen. Alle diese Inhalte machen die Faszination aus.

Wie reagiere ich, wenn ich als Lehrperson vernehme, dass sich ein Schüler angeblich zu radikalislamischen Ideen hingezogen fühlt?
Als Lehrer sollte man auf jeden Fall nicht in Panik ausbrechen, sondern das Gespräch mit dem betroffenen Schüler suchen. Handelt es sich nur um eine Provokation oder ist mehr dahinter? Gibt es eine Gruppe im Hintergrund? Welche Gruppe ist das? Ein Lehrer sollte in der Lage sein, Fragen zu stellen, diese Punkte im persönlichen Gespräch abzuklären und eine erste Analyse vorzunehmen. Wenn tatsächlich eine Ideologie dahintersteckt, dann muss man mit dem Schüler arbeiten und dazu auch Hilfe von außen beiziehen.

Gibt es Jugendliche, die mehr gefährdet sind als andere? Gibt es gewisse Muster, was die Anfälligkeit für radikalislamische Botschaften anbelangt?
Definitiv. Das sieht man bei allen Radikalisierungsprozessen, nicht nur bei Islamisten, sondern auch bei Links- oder Rechtsradikalen. Die meisten dieser Jugendlichen haben eine instabile Persönlichkeit. Sie sind mit sich selber unzufrieden. Sie suchen nach einem Held und nach Halt. In vielen betroffenen Familien fehlt eine Vaterfigur. Der Vater ist abwesend oder abweisend. In vielen betroffenen Familien ist die Kommunikation gestört. Die Jugendlichen finden in der Ideologie eine Ersatzfamilie. Sie suchen einen Ort, wo sie glücklich sein können, wo sie eine Aufgabe erhalten und Stabilität finden.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es sich hier um eine Ideologie handelt. Die Basis dieser Ideologie ist manchmal schon in der Erziehung angelegt. Die Salafisten erfinden nichts Neues. Sie überspitzen nur Inhalte, die diese Jugendlichen schon von Ihren Familien kennen. Hier meine ich patriarchalische Strukturen, Angstpädagogik, Erziehung zur Opferrolle, Erziehung von Feindbildern, das Verbot Fragen zu stellen, Zweifel zu haben und zu hinterfragen.

Welche Massnahmen muss die Gesellschaft treffen, um dem Phänomen zu begegnen?
Wir müssen diese Aufgabe als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen. Und wir dürfen nicht naiv sein. Es darf nicht sein, dass wir die Jugend vor Islamismus schützen wollen, indem wir mit Gruppierungen zusammenarbeiten, welche die Basis für die Radikalisierung schaffen. Das sind nämlich nicht unbedingt nur die Salafisten. Das kann die Moschee von nebenan sein, das können politische Verbände sein, das kann die Familie sein. Das heisst, dass wir genau hinschauen müssen, mit wem wir es zu tun haben. Das heisst, dass wir über die sichtbaren Radikalen — den IS, die Jihadisten, Al Kaida etc. — hinausschauen und eine Wertedebatte führen müssen. Was lehnen diese Jugendlichen ab? Wieso lehnen sie das ab? Dann diskutieren wir auf einer ganz anderen Ebene. Dann geht es vielleicht nicht um hunderte, sondern um 50'000 Betroffene. Aber wir kommen als Gesellschaft nicht darum herum, die Wertedebatte zu führen.

Welchen Beitrag soll in diesem Zusammenhang die Schule leisten?
Die Schulen müssen in das kritische Denken der Schüler investieren. Die Schüler müssen lernen, Werte und Haltungen nicht automatisch zu übernehmen, sondern zu hinterfragen. Welche Werte sind uns wichtig und wieso? Sie müssen sich und ihre Sehnsüchte kennenlernen. Und die Bezugspersonen müssen aufmerksam und sensibel genug sein, um Radikalisierungsprozesse in einem frühen Stadium zu erkennen. Es braucht vor allem auch Lehrerinnen und Lehrer, welche sensibel und willens sind, die oben genannten Muster und Gefährdungen zu erkennen und darauf zu reagieren.

Die Neue Zürcher Zeitung berichtete mehrfach differenziert und aus verschiedenen Perspektiven zum Thema. Aus meiner Sicht ganz besonders lesenswert: Das Gespräch von Marc Zitzmann mit Dounia Bouzar oder der Beitrag Gottgefällige Sadisten von Daniel Steinvorth.

 

*Ahmad Mansour ist Diplom-Psychologe, geboren 1976 in Tira (ein kleines arabisches Dorf in Israel) und lebt heute in Deutschland. Ahmad Mansour ist u. a. Mitglied der Deutschen Islam Konferenz und berät die European Foundation for Democracy in den Themen Integration, Radikalisierung, Antisemitismus und Erziehungsmethoden in muslimischen Familien. Ahmad Mansour ist Autor und fordert in seinen Artikeln die Muslime, die Pädagogik und die Politik zum gemeinsamen Engagement gegen extremistische Phänomene auf.

 

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