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09.06.2021

Problemverhalten: ein Fallbeispiel

09.06.2021
Problemverhalten: ein Fallbeispiel
FH
Bild Legende:

Dranbleiben ist das A und O im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten. Dieser Weg muss gemeinsam beschritten werden. Auch deswegen, weil solche Situationen herausfordernd und belastend sind. Eltern können Teil der Lösung oder des Problems sein. Lehrpersonen auch.

Von Franziska Hotz*

Das folgende typische Beispiel zeigt, dass Verhaltensauffälligkeiten nicht ‘einfach’ wegtherapiert oder an weitere Strukturen (z. B. Sonderschulen) wegdelegiert werden können. Nur das ‘Dranbleiben’, das gemeinsame Suchen nach Ursachen und Zusammenhängen, im Sinne der systemischen Sichtweise, verspricht langfristigen Erfolg. Ausserdem sollten die eingeleiteten Massnahmen regelmässig evaluiert werden. Solche Situationen sind für den Schulalltag sehr herausfordernd. Als Schulpsychologinnen und Schulpsychologen bleiben wir dran und begleiten die Situationen oft über mehrere Jahre.

Robin
Die Kindergärtnerin von Robin meldet sich beim SPD, weil der Knabe deutliche Verhaltensauffälligkeiten zeigt. Der Übertritt in die erste Klasse steht bevor. Die Kindergärtnerin beschreibt Robin als einen fröhlichen und interessierten Jungen. Er sucht den Kontakt zur Kindergärtnerin und Gleichaltrigen. Seine Fortschritte in der deutschen Sprache sind sehr gering, obwohl er seit seinem zweiten Altersjahr in der Schweiz lebt. In seiner Grob- und Feinmotorik zeigt er grosse Schwierigkeiten. Die grössten Herausforderungen im Unterricht sind allerdings seine Verhaltensauffälligkeiten, welche teilweise an das Verhalten eines dreijährigen Kindes in der Trotzphase erinnern. Oft versteckt er sich irgendwo im Schulzimmer oder im Toilettenraum (Link: vgl. das Stufenmodell Stufe 2).

In letzter Zeit stört er nun auch zunehmend andere Kinder. Er schreit herum und macht Lärm. Im Kreis kann er kaum ruhig sein. Er hat auch schon andere Kinder getreten. Das elterliche Erziehungsverhalten beschreibt die Kindergärtnerin als eher passiv. Zuhause gibt es wenig Strukturen und kaum Regeln. Trotz verschiedener Massnahmen wie heilpädagogische Förderung, DaZ-Unterricht, Einbezug der Schulsozialarbeit und Gespräche mit den Eltern sind bis jetzt keine Verhaltensänderungen zu erkennen (Link: vgl. Stufenmodell Stufe 3).

Fallbeispiel
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Nach einem Besuch im Kindergarten vereinbaren wir eine schriftliche Anmeldung für die schulpsychologische Abklärung als nächsten Schritt. Daraufhin erfolgen Gespräche mit den Eltern auf dem SPD, Einzelsitzungen mit Robin und Austausch mit den Fachpersonen. Folgende Massnahmen werden vereinbart und in die Wege geleitet:

  • Psychomotoriktherapie
  • Erziehungsberatung
  • Regelmässige Standortgespräche mit den Eltern
  • Intensive schulische Unterstützung (SHP und Assistenz) im Rahmen der besonderen Förderung

Während den nächsten Monaten zeigt sich insgesamt eine leichte Verbesserung seines Verhaltens.

In der ersten Klasse meldet sich die Schule wieder beim SPD. Robin fällt weiterhin in seinem Verhalten auf. Die Lehr- und Fachpersonen sind sich unsicher, ob Robin auf kognitiver Ebene überfordert ist und wünschen eine erneute schulpsychologische Beratung.

Fort- und Rückschritte
Nach einer Abklärung, einem Schulbesuch und Gesprächen mit den Beteiligten kommen wir zur folgenden Gesamtbeurteilung: Robin verfügt über ein durchschnittliches nonverbales kognitives Potential. Sein Sprachverständnis in der deutschen Sprache ist nicht altersgemäss. In seinen exekutiven Funktionen (Impulskontrolle, Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit etc.) ist er stark beeinträchtigt. Insgesamt zeigt er jedoch individuelle Fortschritte in allen Entwicklungsbereichen. Er hat eine längere Ausdauer, kann sich besser fokussieren und hat teilweise adäquatere Umgangsformen mit Frustrationen entwickelt als im Kindergarten. Er profitiert von den aufgegleisten Massnahmen. Als eine wichtige Ressource werten wir die integrative Haltung der Lehr- und Fachpersonen, die sich durch eine wohlwollende und wertschätzende Beziehung zu Robin auszeichnet. Sein störendes Verhalten nimmt ab, wenn auch nur in kleinen Schritten. Sein lautes Verhalten wie Singen und Schwatzen beeinträchtigt nach wie vor den Unterricht. Die Verhaltensauffälligkeiten nehmen in der Regel im Verlaufe des Tages zu, sind jedoch nicht voraussehbar (Link: vgl. Stufenmodell Stufen 3 und 4).

Fallbeispiel
Bild Legende:

Es werden erneut Vereinbarungen und Massnahmen getroffen:

  • Robin benötigt weiterhin eine sehr enge Begleitung und Unterstützung durch die SHP und Assistenz im Rahmen der besonderen Förderung
  • Start Logopädietherapie
  • Weiterführung Psychomotorik und Erziehungsberatung
  • Eine kinderpsychiatrische Abklärung mit Verdacht auf ADHS wird klar empfohlen
  • Mindesten einmal pro Woche erfolgt ein Feedback über die aktuelle Situation von Robin durch die Schule an die Eltern
  • Es finden regelmässig Standortgespräch mit den Beteiligten statt.  

Nach weiteren Standortgesprächen stellt sich nun die Situation wie folgt dar: Im Verhalten in der Schule sind weiterhin stetig kleine Fortschritte beobachtbar. Die schulischen Lehr- und Fachpersonen arbeiten mit einem Belohnungssystem, auf das Robin positiv reagiert. Nach wie vor übt die Lehrperson mit ihrer ressourcenorientierten Einstellung, ihrer Geduld und ihrem Engagement einen positiven Einfluss auf Robin aus. Zudem scheint ihn die Klasse in seinem Verhalten zu akzeptieren. Durch sein impulsives Verhalten kommt es immer wieder zu kleinen Zwischenfällen, auch Sachbeschädigungen. Er bereut seine Reaktionen danach wieder.

Eltern ziehen nicht am gleichen Strick
Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist anspruchsvoll, da sich die Eltern kaum engagieren. Sie zeigen nach wie vor einen permissiven Erziehungsstil und haben kein Problembewusstsein bezüglich der Verhaltensauffälligkeiten ihres Sohnes. Die kinderpsychiatrische Abklärung steht noch aus. Die Erziehungsberatung wurde von Seiten der Eltern beendet. Die Schulleitung wies die Eltern deutlich darauf hin, dass sie mit der Schule zur Zusammenarbeit verpflichtet sind. Die Eltern kennen die weiteren möglichen Schritte (Link: vgl. Stufenmodell Stufen 5 und 6). Die beteiligten Lehr- und Fachpersonen versuchen alles, um das Verhalten zu ändern. Wir wissen aber alle auch, dass es immer wieder Verläufe gibt, bei denen die Massnahmen der besonderen Förderung nicht ausreichen.

Im neuen Schuljahr wird es einige Veränderungen im schulischen Setting (neue Klasse, neue Lehrperson) geben. Es ist unklar, wie Robin auf diese neuen Herausforderungen reagieren wird.

Wir bleiben dran.


*Franziska Hotz ist Schulpsychologin und seit Sommer 2017 beim Schulpsychologischen Dienst Zug.

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