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05.12.2017

Kompetenzen — Antworten zum Lehrplan 21

Von der Kompetenzorientierung über die Rolle der Lehrperson bis zur Unterrichtsmethode: Der Lehrplan 21 gibt zu vielen Fragen Anlass. Mit Christoph Mylaeus* hat sich ein profunder Kenner des ...
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Von der Kompetenzorientierung über die Rolle der Lehrperson bis zur Unterrichtsmethode: Der Lehrplan 21 gibt zu vielen Fragen Anlass. Mit Christoph Mylaeus* hat sich ein profunder Kenner des Lehrplans 21 den Fragen von www.schulinfozug.ch gestellt. 

Von Lukas Fürrer

Der politische Pulverdampf rund um den Lehrplan 21 verzieht sich langsam. Was waren aus Ihrer Sicht die Ursachen für die intensive Debatte?
Der Auftrag der Volksschule muss von Zeit zu Zeit Gegenstand der öffentlichen Diskussion sein. Das ist gut so und wichtig für den Rückhalt der Volksschule in der Bevölkerung und in der Politik. Dieses Mal hat sich diese Diskussion am Lehrplan 21 entfacht, und das aus ganz unterschiedlichen Motiven: politischen, weltanschaulichen und – eher seltener – auch fachlichen.

Auch in akademischen Kreisen hält hingegen die Diskussion um die Kompetenzorientierung an. Hat man den ersten gemeinsamen sprachregionalen Lehrplan mit der Kompetenzorientierung überladen?
Nein. Dass der Lehrplan die Ziele der Volksschule in Form von Kompetenzen beschreibt, welche die Schülerinnen und Schüler erwerben sollen, entspricht einem Anliegen, das insbesondere auch die Lehrerschaft bei der Konzipierung des Lehrplans eingebracht hat. Der Lehrplan soll konkret und nachvollziehbar beschreiben, was die Schülerinnen und Schüler am Ende einer längeren Lernphase können. Es genügt nicht, zu beschreiben, mit welchem Stoff sie sich auseinandergesetzt haben – die Auseinandersetzung soll auch zu einem Können führen. Das ist an sich nichts Neues, aber die Lehrpläne waren bis heute nur teilweise so konzipiert.

Bei der Kompetenzorientierung, hiess es seitens der Deutschschweizer Bildungsdirektorinnen und -direktoren, gehe es darum, vom Wissen noch mehr zum Können und zur Anwendung zu kommen. Ist das der Kern der Kompetenzorientierung?
Pestalozzis Bild von „Kopf, Herz und Hand" hat viel mit dem zu tun, was heute unter Kompetenzorientierung verstanden wird. Der Kopf soll wissen und die Dinge verstehen, man soll mit dem Herz dabei sein und sich für die Sache einsetzen, und das alles bringt wenig, wenn man es nicht auch mit den Händen umsetzen kann. Die Erziehungswissenschafter sprechen heute von Kenntnissen, Fertigkeiten und Einstellungen, und in der politischen Diskussion wurde daraus der Slogan „Ich weiss, ich kann, ich will". Diese drei Elemente machen das aus, was im Lehrplan 21 als Kompetenz verstanden wird.



Zur Kompetenzorientierung gehört neben dem Wissen und Können also auch das Wollen. Mit dem Wollen ist es so eine Sache. Bei mir sträuben sich die freiheitlichen Nackenhaare, wenn mir jemand sagt, dass ich wollen muss. Man kann das aber auch viel positiver sehen: die Lehrpersonen stehen in der Pflicht, die Schülerinnen und Schüler zum Wollen zu bewegen. Wer liegt richtig?

Einverstanden: Wenn jemand versucht, mich zum Wollen zu zwingen, hat er schon verloren. Man muss mir eine Sache als erstrebenswert präsentieren, damit ich mich darauf einlasse. Lernen funktioniert nur in Freiheit. Aber Freiheit beinhaltet auch die Möglichkeit der Einsicht in die Notwendigkeit. Ich kann also auch lernen, wenn es mit Mühe und Aufwand verbunden ist. Lernen ist oft nicht lustbetont. Oft muss ich lernen, und wenn ich eine Vorstellung habe, warum ich mich dem unterziehe, steht das nicht im Widerspruch zur Freiheit. Es gehört zum Auftrag der Schule, den Kindern zu zeigen, warum sie etwas lernen, auch wenn dies jetzt nicht das ist, was sie am liebsten tun würden. Was allerdings dann nicht geht, ist die Motivation zum Gegenstand der Leistungsbeurteilung zu machen. Wenn ein Kind die ihm gestellten Aufgaben gut löst, obwohl es in der Sache nicht motiviert ist, darf ihm die fehlende Motivation nicht negativ angerechnet werden.

Die dem Präsidenten LCH und Gymnasiallehrer, Beat Zemp, nachgesagte Aussage, dass es keinen Sinn mehr mache, Schweizer Pässe auswendig zu lernen (dasselbe soll er auch zu historischen Jahreszahlen gesagt haben), hat mich erstaunt. Ist die Vorstellung, dass Orientierung im (Zeit-)Raum auch innerlich abrufbarer Details und Haltepunkte bedarf, tatsächlich überholt?
Nein, und so meint Beat Zemp das auch nicht. Das müssen wir doch differenziert betrachten. So erinnere ich mich noch gut an den Spruch „3-3-3, bei Issos Keilerei", mit dem ich mir in meiner Schulzeit gemerkt habe, dass es im Jahre 333 eine Schlacht bei Issos gab. Was ich nicht mehr weiss, ist, um was es bei dieser Schlacht ging, wer beteiligt war, und welche Bedeutung das für unser heutiges Leben und unsere heutige Kultur hat. Da kann ich doch ohne Verlust von Bildung auch die Jahreszahl vergessen.
Aber die Bewohner der Schweiz sollten eine Vorstellung haben, welche geografische, geschichtliche und ökonomische Bedeutung der Gotthard-Pass für die Schweiz und Europa hatte und hat. Das kann man aber nicht mit „auswendiglernen" erfassen, so wie ich seinerzeit den Merksatz zur Schlacht bei Issos auswendig gelernt habe. Ähnliches kann man zu den Jahreszahlen sagen: Die Grundzüge des Verlaufs der Weltgeschichte und der Geschichte der Schweiz sollten die Schülerinnen und Schüler kennen, und dazu gehören auch einige wenige Schlüsseldaten.

Ich möchte zu den Themen «Wissen» und «Fachlichkeit» noch etwas nachhaken. Trägt der kompetenzorientierte Lehrplan 21 den Grundlagen und der Präzisionserwartung an die obligatorische Schulzeit genügend Rechnung? Oder anders gefragt: Wenn «Faktenwissen» nicht mehr allzu hoch im Kurs steht, was bedeutet dies dann für den Erwerb und die Beherrschung der grundlegenden Kulturtechniken «Lesen, Schreiben, Rechnen» als Voraussetzung für Bildung?
Wir reden über den Lehrplan 21 der Volksschule und nicht über die Gymnasialbildung. Der Lehrplan 21 beschreibt, was Jugendliche am Ende der obligatorischen Schulzeit, also etwa im Alter von 15 bis 16 Jahren wissen und können sollen, und zwar alle, auch die schwächeren Schülerinnen und Schüler. Der Vorwurf, Wissen und Fachlichkeit käme mit dem Lehrplan 21 zu kurz, kommt in dieser pauschalen Weise vor allem aus Kreisen der Gymnasiallehrer oder – namentlich in der Nordwestschweiz – aus Kantonen mit progymnasialen Schultypen. Von Lehrpersonen der Volksschule hören wir viel mehr, dass der Lehrplan eher hohe Anforderungen stellen würde. Im übrigen sind diese Vorbehalte von beiden Seiten dann immer eher abstrakt und pauschal. Wenn man konkret fragt, welches Faktenwissen und welche Fachlichkeit denn eigentlich fehlt, stellt man schnell fest, dass diese Kritiker auf die Rückfrage keine Antwort haben und vermutlich auch den Lehrplan gar nicht genau gelesen haben. Alt-Regierungsrat Schmidt aus Basel-Land hat einmal gesagt: Der Lehrplan 21 hat mehr Kritiker als Leser. Dort, wo in der Vernehmlassung konkrete Hinweise auf ein Zuviel oder Zuwenig gekommen sind, wurde das auch geprüft, und das hat zu vielen Änderungen am Lehrplanentwurf geführt.

Ein gemeinsamer Lehrplan, so heisst es bei den Zielen zum Lehrplan 21, dient auch als Grundlage zur Entwicklung von Instrumenten zur förderdiagnostischen Leistungsmessung, die in der ganzen Deutschschweiz eingesetzt werden können. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Kompetenzorientierung und Leistungsmessung?
Bisher wurde in der Deutschschweiz für die individuelle Standortbestimmung der Schülerinnen und Schüler vor allem das „Stellwerk" des Lehrmittelverlags St. Gallen eingesetzt. Dieses Instrument basierte auf den Lehrplänen des Kantons St. Gallen und wurde an den Leistungen der Schülerinnen und Schüler des Kantons St. Gallen geeicht. Das hat Einschränkungen der Aussagekraft der Ergebnisse für die übrigen Kantone, in denen diese Instrumente eingesetzt wurden. Der gemeinsame Lehrplan gibt nun eine gemeinsame Basis für die nächste Generation dieser Instrumente und eine bessere Abstimmung der Instrumente mit dem Lehrplan.  Meiner Meinung nach ist eine Aussage im Lehrplan dann gut formuliert, wenn alle Beteiligten – die Lehrpersonen, die Lernenden und die Eltern – aus dieser Formulierung nachvollziehen können, ob das Ziel im konkreten Einzelfall auch erreicht wurde, dass heisst: Die Schülerinnen und Schüler entsprechende Aufgaben lösen können. Das erleichtert natürlich auch die Entwicklung von Aufgaben für die Leistungsmessung. Aber das war nicht das primäre Ziel.

Steigern Leistungsmessungen die Qualität der Schule?
Nein. Leistungsmessungen können lediglich Hinweise auf Probleme geben. Was die Ursachen der Probleme sind, kann man daraus nicht ableiten. Das heisst: Schlechte Ergebnisse bei Leistungsmessungen werfen Fragen auf, geben aber keine Antworten. Wenn die Fragen richtige beantwortet werden und die richtigen Massnahmen daraus abgeleitet werden, kann das zu einer Verbesserung der Qualität der Schule beitragen. Aber einen direkten Zusammenhang gibt es nicht.

Bildung war nie zweckfrei. Trotzdem geht es bei der Bildung um mehr als um Wissen, Können, Wollen und Anwendung, nämlich — um es mit Peter Bieri zu sagen — ums Werden. Steht die Kompetenzorientierung dieser Auffassung von Bildung im Weg?
Ich glaube, nicht. Es gibt in der Pädagogik eine Tradition der Abgrenzung von Allgemeinbildung und Berufsbildung, in der oft eine mit Philosophie verbundene Allgemeinbildung höher bewertet und anspruchsvoller definiert wird als die Berufsbildung, die eher mit dem Können und der Anwendung verbunden wird. Ich kann namentlich auf die Volksschule bezogen eine solche Abgrenzung nicht für richtig finden, im Gegenteil. Ziele des Wissens, des Könnens und des Wollens stehen nicht der Bildung im Wege, sie sind deren Grundlage.



Bleiben wir noch einen Moment bei der Bildung. Auch das sokratische Gespräch zwischen Lehrer und Klasse ist in Gefahr, wenn der Frontalunterricht als solcher schlechtgeredet wird. Die bevorzugte Methode in «Dead Poets Society» ist der Frontalunterricht und Robin Williams spielte einen Lehrer und keinen Lernbegleiter. Ist es ein Mythos, dass der Lehrplan 21 vermehrt zu Lernumgebungen und eigenverantwortlichem Lernen (individuell sind Lernprozesse ja immer) führt — und sich die Lehrerinnen und Lehrer damit mehr und mehr zu Lerncoaches und Lernbegleitenden entwickeln? Mein Eindruck ist, dass dieses Bild — die Kompetenzorientierung als Auslöser für diese Entwicklung — auch in den Köpfen von vielen Lehrpersonen verankert ist. Täusche ich mich?

Das ist eine unsägliche Diskusssion, die zu nichts führt. Alle diese Unterrichtsmethoden und Rollenkonzepte für Lehrperson kann man am richtigen oder falschen Ort einsetzen und gut oder schlecht umsetzen. Mit dem Lehrplan 21 und dem Grundsatz der Kompetenzorientierung hat das nichts zu tun. Man müsste jedes einzelne dieser Konzepte inhaltlich, konzeptionell und begrifflich klären: Das ist im Rahmen dieses Interviews nicht leistbar. Alle diese Ansätze gibt es viel länger als den Lehrplan 21, und keiner dieser Ansätze wird vom Lehrplan 21 vorgeschrieben oder priorisiert. Das Gegenteil ist der Fall: Verfechter der einen oder anderen methodischen Ansätze instrumentalisieren den Lehrplan 21 für ihre Anliegen, und hoffen, dass die methodischen Konzepte, die sie schon seit langem als die einzig richtigen betrachten, jetzt endlich mit dem Lehrplan 21 in die Schulen kommen.

Andersrum gefragt: Bleibt die Volksschule in Zukunft als Ort des sozialen Lernen erhalten? Also als Ort, wo zwar auch nebeneinander (eigenverantwortliches Lernen), aber eben auch miteinander (Behandlung gemeinsamer Gegenstände, exemplarisches Lernen), voneinander (von der Lehrperson, von den Fragen der Mitschülerinnen und Mitschüler) und füreinander (Verantwortung für die Gemeinschaft) gelernt wird?
Das will ich hoffen, und es würde auch den Aussagen des Lehrplans zu den überfachlichen Kompetenzen entsprechen. Auch in den Fachbereichslehrplänen findet man Aussagen zum sozialen Lernen, beispielsweise im Deutsch, im Bildnerischen Getalten oder im Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft.

Wie soll die richtige Balance der Unterrichtsformen gefunden und überprüft werden?
Unterschiedliche Lern- und Unterrichtsformen im Unterricht einzusetzen, gehört zum Kerngeschäft der Lehrerinnen und Lehrer und ist ein wichtiges Kriterium für guten Unterricht. Die Lehrerinnen und Lehrer sind dafür ausgebildet, und ich habe volles Vertrauen, dass sie das auch tun.

Dazu noch eine Gender-Frage, zum Thema Knaben und Mädchen: Eigenverantwortung und Kooperation gelten als wichtige Facetten der Kompetenzorientierung, auch mit Blick auf das Lern- und Unterrichtsverständnis des Lehrplans 21. Besteht damit aus Perspektive «Geschlecht» auch die Gefahr einer Benachteiligung der Knaben, die auf Ansporn und Wettbewerb nachweislich besser ansprechen als auf Eigenverantwortung und Kooperation?
Dass es bei Knaben und Mädchen Unterschiede im Lernverhalten und den Schulleistungen geben kann, davon wird in Studien berichtet. Daraus dann aber eine Benachteiligung von Knaben abzuleiten, scheint mir etwas gewagt. Zur Kompensation einer vermuteten Benachteiligung dann aber den Lehrplan nach Knaben und Mädchen zu differenzieren, wäre eine fragwürdige Konsequenz. Gerade wenn Knaben auf Ansporn und Wettbewerb besser ansprechen, bleiben Eigenverantwortung und Kooperation für Knaben hoch prioritäre Ziele, weil sie für beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg von höherer Bedeutung sind als die Kategorien Ansporn und Wettbewerb.

*Dr. Christoph Mylaeus-Renggli ist ausgebildeter Primarlehrer und Erziehungswissenschafter. Nach Lehrtätigkeiten auf der Primarschulstufe und am Seminar für Pädagogische Grundausbildung im Kanton Zürich war er während 10 Jahren Direktionssekretär der Bildungsdirektion des Kantons Nidwalden. Von 1999 bis 2010 war er als Regionalsekretär der BKZ zuständig für die Zusammenarbeit der Zentralschweizer Kantone im Bildungswesen. Seit 2011 ist er Geschäftsleiter der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) und in dieser Funktion massgeblich an den Arbeiten zum Lehrplan 21 beteiligt.

 

 

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