Navigieren auf Schulinfo Zug

Inhaltsnavigation auf dieser Seite

Navigation
  • Fokus
  • Problemverhalten – ein Schlussgespräch
19.01.2022

Problemverhalten – ein Schlussgespräch

19.01.2022
Abschlussinterview zum Fokusthema Problemverhalten
SSt
Bild Legende:

Verhaltensauffällige Kinder sind für das ganze System Schule eine grosse Herausforderung. Als Berater und Unterstützer der Schule wird so auch der Schulpsychologische Dienst immer wieder mit dem Thema konfrontiert. Im Gespräch mit zwei Schulpsychologinnen erzählen diese, wie sie mit dem Thema «verhaltensauffällige Kinder» in Kontakt kommen und beantworten spannende Fragen zum Thema.

Ein Interview von Silvia Stauber mit Debora Hauser und Géraldine Rossi*

Wann gilt ein Kind als «verhaltensauffällig»? Was sind die Anzeichen?
Zuerst einmal muss zwischen internalisierendem und externalisierendem Verhalten unterschieden werden, also nach innen resp. nach aussen agierend. Das externalisierende Verhalten führt deutlich häufiger zu einer Anmeldung beim SPD.

Ein Kind wird meist als verhaltensauffällig beschrieben, wenn es sich nicht angemessen oder altersentsprechend in der Schule zeigt. Die Lehrperson muss dem Kind dann viel Aufmerksamkeit schenken.

Anzeichen können sehr vielfältig sein, z. B.: das Kind leistet nicht seinem Potenzial entsprechend, es zeigt Trotzverhalten, hat eine tiefe Frustrationstoleranz, zeigt Aggressionen, das Kind stört (andere Kinder, die Lehrperson, sich selber), das Kind wird als Bedrohung wahrgenommen, macht Sachen kaputt. Internalisierende Verhaltensauffälligkeiten wiederum können sich in Motivationseinbussen, der Körperhaltung oder depressiven Tendenzen zeigen.

Ganz allgemein könnte man sagen, ein Kind gilt als verhaltensauffällig, wenn es nicht mehr den subjektiven Normen der Lehrperson bezüglich altersentsprechendem Verhalten entspricht. Subjektive Normen deshalb, weil diese von Lehrperson zu Lehrperson stark variieren können. Die eigene Haltung und Wahrnehmung der Lehrperson spielen eine entscheidende Rolle, wie auffällig im Verhalten ein Kind beurteilt wird.

Wer meldet dem SPD, dass ein Kind verhaltensauffällig sei?
Schulische Heilpädagogen (SHP), Lehrpersonen, Schulsozialarbeiter (SSA), Schulleitungen oder Eltern können sich melden. In den meisten Fällen meldet sich die SHP oder Lehrperson, die täglich mit dem Kind arbeitet und die Schwierigkeiten hautnah erlebt.

Wie wird ein verhaltensauffälliges Kind dem SPD beschrieben?
Diese Beschreibungen sind sehr vielfältig. Bei externalisierendem Verhalten kann es beispielsweise heissen: das Kind macht nicht, was es soll, es stört den Unterricht, das Kind hat oft Konflikte mit anderen, das Kind arbeitet sehr lustorientiert, das Kind hat eine schlechte Emotionsregulation resp. vorwiegend negative Strategien wie Verweigern, Weglaufen, Blockieren, das Kind kann sich nicht konzentrieren, das Kind vergisst oft sein Material.
Internalisierende Verhaltensauffälligkeiten beschreiben eher, das Kind wirke bedrückt, ziehe sich zurück, habe wenig Selbstvertrauen, mache selbstabwertende Aussagen oder verweigere.
Natürlich gibt es auch gemischte Formen.

UrbanJungle Michel Gilgen
Bild Legende:

Wie geht der SPD bei einer Anmeldung wegen eines verhaltensauffälligen Kindes vor?
Bevor es zu einer eigentlichen SPD-Anmeldung kommt, gibt es immer ein telefonisches Vorgespräch mit der Lehrperson oder SHP. Es gilt zuerst zu klären, wie die Situation aktuell ist und wie das weitere Vorgehen aussehen soll. Sind vielleicht noch andere Fachpersonen involviert (SSA, KJP, private Psychologen)? Was wissen die Eltern über das Problemverhalten ihres Kindes? Was wurde bereits versucht? Was könnte noch ausprobiert werden?

Nach der Anmeldung macht die Schulpsychologin/der Schulpsychologe oft einen Schulbesuch, um das Kind im täglichen Schulsetting zu beobachten. Manchmal gibt es eine Abklärung mit dem Kind und in jedem Fall gibt es Gespräche mit allen Beteiligten. Der SPD entscheidet nicht, wie es für das Kind weiter gehen soll, sondern unterstützt die enge Zusammenarbeit zwischen Schule, Eltern und evtl. weiteren Fachpersonen.

Wer wird in die Beratung bei einem verhaltensauffälligen Kind mit einbezogen?
Alle Beteiligten der Schule (Lehrperson, SHP, je nachdem SSA, Logopädin, Psychomotoriktherapeutin), die Eltern, das Kind selber sowie weitere involvierte Fachpersonen (z. B. Psychotherapeuten, KJP, Kinderärzte, Ergotherapeuten) werden einbezogen.
Wenn die Schule nach dem Stufenmodell vorgeht sind zwangsläufig viele Fachpersonen involviert (vgl. Link Artikel Stufenmodell).

Welche Lösungsmöglichkeiten zum Umgang mit einem verhaltensauffälligen Kind gibt es? Wer kann/muss diese umsetzen?
Die Lösung hängt oft von der Ursache des Problems ab. Lösungsmöglichkeiten können deshalb vielfältig sein. Grundsätzlich ist aber eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligter zentral. Die Fachpersonen müssen zusammenarbeiten und die Eltern müssen im Boot sein, sonst wird es schwierig, eine nachhaltige Veränderung zu bewirken.
Die Beziehung des Kindes zur Bezugsperson ist äusserst wichtig, deshalb muss die Lehrperson bei einem verhaltensauffälligen Kind besonders viel Beziehungsarbeit leisten.
Sehr oft übernimmt die SSA einen wichtigen Part und arbeitet niederschwellig vor Ort mit dem Kind an einer Verhaltensmodifikation. Es kann auch vorkommen, dass sie mit der gesamten Klasse oder Gruppen arbeitet. Manchmal wird eine Klassenassistenz eingesetzt um das Kind im Unterricht zu begleiten. Die Lehrperson wird entlastet und kann sich wieder um die Klasse kümmern.
Einige Gemeinden führen noch Kleinklassen für besondere Förderung. Andere haben eine Time-Out Klasse oder Schulinsel, welche ein verhaltensauffälliges Kind vorübergehend aufnehmen können.
Auch externe Beobachtungsaufenthalte z. B. im Tagesambulatorium von Kinder- und Jugendpsychiatrie Zug können dazu dienen, dem Problem und seiner Lösung besser auf die Spur zu kommen.

Wann müssen verhaltensauffällige Kinder in eine Sonderschule? Wer entscheidet wann und aufgrund wovon, ob es eine Sonderschulung braucht?
Wie bereits erwähnt arbeiten die Gemeinden meist nach einem Stufenmodell (vgl. Link Artikel Stufenmodell). Der SPD hat zudem Kriterien, welche eingehalten werden müssen, bevor eine Sonderschulung resp. verstärkte Massnahmen, wie wir es nennen, in Frage kommen. Bei verhaltensauffälligen Kindern sind das u. a., dass die Verhaltensauffälligkeiten seit mindestens sechs Monaten bestehen müssen und dass alle Massnahmen vor Ort ausgeschöpft wurden.
Im Kanton Zug kommen verhaltensauffällige Kinder, die verstärkte Massnahmen brauchen, in der Regel in eine separative Sonderschule.
Der SPD macht eine Bedarfsabklärung nach einem standardisierten Abklärungsverfahren (SAV). Anhand des SAV macht der SPD eine Massnahmenempfehlung. Der Rektor der Gemeinde entscheidet über die Massnahme.

UrbanJungle Michel Gilgen
Bild Legende:

Wie erlebt der SPD die Integration verhaltensauffälliger Kinder in der Regelschule? Welche Hürden gibt es zu überwinden?
Die Fachpersonen vor Ort leisten gute Arbeit. Die Gemeinden bringen oft zusätzliche Ressourcen auf, um verhaltensauffällige Kinder in der Regelschule zu fördern. In Einzelfällen gelingt es trotz aller Bemühungen nicht, das Kind zu integrieren. Dann kommt es zu verstärkten Massnahmen.
Hürden können sein: die Gemeinde hat keine Ressourcen mehr, die Lehrperson ist am Anschlag, es sind keine Fortschritte beim Kind ersichtlich, die Zusammenarbeit mit den Eltern gestaltet sich als schwierig.

Wo gibt es im bestehenden System im Kanton Zug Verbesserungsbedarf beim Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern?
Die Evaluation der integrativen Sonderschulung (IS) im Kanton Zug hat gezeigt, dass es im Falle verhaltensauffälliger Kinder an Beratung und Unterstützung fehlt. Damit die Schule nicht so schnell separieren muss, wären mehr begleitende Ressourcen in der Klasse wünschenswert.

Mit welchen Schwierigkeiten/Herausforderungen ist der SPD bei verhaltensauffälligen Kindern sonst noch konfrontiert?

  • Die Eltern und Lehrpersonen müssen die Beratung auch wollen, was nicht immer der Fall ist.
  • Die Beratung bei verhaltensauffälligen Kindern erfordert viele zeitliche Ressourcen.
  • Die Angebote vor Ort sind manchmal beschränkt.
  • Separation ist nicht immer gut für das Kind.
  • Die Gemeinden haben unterschiedliche Voraussetzungen, Ressourcen, Haltungen.
  • Offene Ohren für unsere Ideen sind nicht immer da.
  • Manchmal kommt der Kontakt zum SPD spät zustande.
  • Kooperation und/oder Einsicht der Eltern fehlt manchmal.
  • Die richtige Schule zu finden ist nicht immer einfach.

*Silvia Stauber, Debora Hauser und Géraldine Rossi sind Schulpsychologinnen beim Schulpsychologischen Dienst des Kantons Zug. Ebenfalls sehr empfehlenswert von D. H. und G. R.: die Darstellung der entwicklungspsychologischen Schritte (Link:) "Entwicklungspsychologie — Was, wann?".

Weitere Informationen

hidden placeholder

behoerden

Fusszeile