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15.06.2020

Von Daten lernen – Beispiel Bildungsbericht

15.06.2020
Chantal Oggenfuss: 10 Bildungsmonitoring und Einblick Bildungsbericht

10 Jahre Bildungsmonitoring Schweiz und ein Einblick in den Bildungsbericht Schweiz

Chantal Oggenfuss SKBF
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Diagnose reicht nicht und Schulentwicklung darf nicht auf Zufall beruhen. Dazu braucht es Vertiefung und Zeit. Aus diesem Grund leistet sich die Schweiz ein aufwändiges Bildungsmonitoring. Ein Einblick mit Beispielen.

Von Chantal Oggenfuss*

In der Schweiz verfügen rund 91 Prozent aller 25-Jährigen über einen Abschluss auf der Sekundarstufe II. Der Anteil von fast 100 Prozent sagt uns ohne Kontext wenig. Erst wenn diese Zahl in Relation zu anderen Informationen gesetzt wird, kann beurteilt werden, ob sich dahinter ein Hinweis auf hohe Qualität im Bildungswesen verbirgt oder ob es allenfalls auf einen Verbesserungsbedarf hindeutet. Die Quote von 91 Prozent zeigt, dass das bildungspolitische Ziel von Bund und Kantonen, das eine Schweizer Abschlussquote von 95 Prozent vorsieht (WBF & EDK 2015, 2019), noch nicht erreicht ist. Unter Berücksichtigung weiterer Daten ist sodann erkennbar, dass die Quote bei den 25-jährigen Ausländerinnen und Ausländern, die in der Schweiz geboren sind und hier ihre Schullaufbahn absolviert haben, mit 86 Prozent deutlich tiefer liegt (Grafik 1). Als vollständige Erklärung für die unterschiedlichen kantonalen Abschlussquoten (85 % - 98 % [ZG exakt auf CH-Schnitt von 91 % - L. F.]) reicht der Anteil Migrantinnen und Migranten in den Kantonen dennoch nicht aus. Um aus den Abschlussquoten Folgerungen ableiten zu können, braucht es weitere Informationen und vertiefte Analysen (siehe dazu Bildungsbericht 2018, S.111).

Bildungsbericht 2018 Abschlussquote
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Grafik 1: Abschlussquoten auf der Sekundarstufe II im Alter von 25 Jahren, nach Herkunft, 2015 Daten: BFS (Bildungsbericht 2018)

Seit 20101 wird im langfristig angelegten Bildungsmonitoring-Prozess systematisch das Schweizer Bildungssystem beobachtet und im Bildungsbericht Schweiz anhand von über 500 bildungspolitischen Aspekten beschrieben und evaluiert. Der Bericht liefert möglichst umfassend verfügbare Daten und Informationen zu allen Stufen des Bildungssystems, die unter Einbezug von wissenschaftlichen Befunden eingeordnet werden (SKBF 2014, WBF & EDK 2015). Die Schweiz hat sich damit für eine aufwändige Berichterstattung entschieden, die deutlich über einen Indikatorenbericht hinausgeht. Das Bildungsmonitoring dient damit der Umsetzung des Verfassungsauftrages gemäss dem Bildungsartikel (Art. 61a Abs.1 BV), der Bund und die Kantone verpflichtet, gemeinsam für eine hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz zu sorgen. Mit dem Ziel, wichtiges nationales Steuerungswissen zu generieren, beschränkt sich dabei das Monitoring mehrheitlich auf die Beschreibung der Bildungsprozesse und -ergebnisse auf der Systemebene. Auf die Publikation des Bildungsberichts Schweiz folgt jeweils eine umfassende Auswertungsphase, um aus den präsentierten Daten sowie den relevanten Forschungen und Informationen Erkenntnisse zu gewinnen. Im Anschluss überarbeiten die zuständigen Vertreterinnen und Vertreter des Bundes und der Kantone die bildungspolitischen Ziele oder sie legen neue Ziele fest. Da der Bericht auch auf Informationslücken hinweisen muss, kann der künftige Daten- und Forschungsbedarf abgeschätzt und entsprechende Schritte für die Datenerhebung eingeleitet werden.

Mit der Publikation des Bildungsberichts 2018 wurde bereits der zweite vollständige Zyklus des langfristigen Prozesses des Bildungsmonitorings abgeschlossen. In der Zwischenzeit laufen die Arbeiten für den nächsten Bildungsbericht. Für die Autorengruppe der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung bedeutet dies, dass sie Statistiken zu allen Stufen des Bildungssystems der Schweiz und auch Daten aus grösseren Studien wie bspw. ÜGK, PISA oder der Absolventenbefragung aller Schweizer Hochschulen heraussuchen, sichten und analysieren. In einem weiteren Schritt geht es hauptsächlich darum, die Daten vor dem Hintergrund von nationaler und internationaler Forschung sowie im Rahmen von dokumentierten strukturellen oder institutionellen Veränderungen in der Bildung oder in anderen Bereichen der Gesellschaft zu beleuchten.

In der dritten Ausgabe des Bildungsberichts 2018 konnte erstmals auf eine modernisierte Bildungsstatistik zurückgegriffen werden, die für die Berichterstattung eine bedeutsame Erweiterung darstellt. Dank dieser neuartigen Datenlage können nun unter Einbezug der Versichertennummer (AHVN13) individuelle Daten erhoben, verschiedene bisher separate Bildungsstatistiken in Kombination betrachtet und Bildungswege von Personen nachgezeichnet werden. Diese Daten liefern so neben dem Wissen über die Unterschiede zwischen den Kantonen auch Informationen über die innerkantonale Varianz sowie Informationen über die Bildungskarrieren im Schweizer Bildungssystem. Diese modernisierte Datenbasis erlaubte es auch, zum ersten Mal stabile und differenzierte Abschlussquoten für die Sekundarstufe II zu berechnen (einleitender Abschnitt oben). Der nachfolgende Abschnitt zum Übertritt nach der obligatorischen Schule in die Sekundarstufe II aus dem Bildungsbericht 2018 ist ein anderes Beispiel für Erkenntnisse, die ebenfalls aufgrund der neuen Datengrundlage gewonnen werden konnten.

Der Übergang von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II

Die Zahl der direkten Übertritte von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II ist seit den 1990er-Jahren deutlich von 83 % auf rund 70 % gesunken. Parallel dazu ist die Zahl der Jugendlichen, die eine schulische oder nichtschulische Zwischenlösung (Praktika, Aufenthalt in einer anderen Sprachregion der Schweiz oder im Ausland)  absolvieren, angestiegen. Dazu muss berücksichtigt werden, dass in einigen Kantonen der Zugang zu den Zwischenlösungen, die einer eng definierten Gruppe ohne Anschlusslösung am Ende der obligatorischen Schule vorbehalten war, in den letzten Jahren auf weitere Zielgruppen ausgeweitet und praktisch ins Regelangebot aufgenommen wurde (Landert & Eberli 2015). Auf der Basis der PISA-Kohorte 2012 und den Daten zu ihrem weiteren Bildungsverlauf konnte Forschung unter anderem zeigen, dass beim Vergleich von Jugendlichen mit ähnlicher Leistung und gleichen demografischen Charakteristiken (Alter, Geschlecht) Migrantinnen und Migranten häufiger eine Zwischenlösung besuchten. Die Gründe für diesen Befund sind divers: Vertiefte Untersuchungen deuten darauf hin, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund eine allgemeinbildende Schule der Berufsbildung vorziehen und dazu möglicherweise eher einen Umweg via Zwischenlösung in Kauf nehmen (Wolter & Zumbühl 2017). Ob sich diese Investition lohnt, haben zwei andere Forschungsgruppen untersucht. Diese kommen zum Schluss, dass sich die Jugendlichen nach einer schulischen Zwischenlösung im Hinblick auf ihre weitere Bildungslaufbahn zwar von denjenigen unterscheiden, die ein Zwischenjahr, aber keine schulische Zwischenlösung, besucht haben. Im Vergleich zu den Jugendlichen, die direkt in die Sekundarstufe II übergetreten sind, gibt es hingegen keinen Unterschied (Müller 2016, Sacchi & Meyer 2016).

Bei einem Blick (Grafik 2) auf die Wahl der Ausbildung auf der Sekundarstufe II der Schülerinnen und Schüler der Schweiz in Abhängigkeit von ihren PISA-Kompetenzen fällt auf, dass das Schweizer Bildungssystem für ein breites Leistungsspektrum verschiedene Ausbildungsgänge bietet. Damit bestehen für sehr viele Jugendliche gute Chancen auf einen nachobligatorischen Abschluss. Im Hinblick auf die Durchschnittsleistung ist eine deutliche Hierarchie der Ausbildungstypen erkennbar. Es liegen auch grosse Überschneidungen vor. Das hat damit zu tun, dass sich Jugendliche aufgrund von persönlichen Präferenzen für eine Ausbildung entscheiden, für die sie überdurchschnittlich hohe Kompetenzen mitbringen oder umgekehrt. Neben den individuellen Entscheidungen sind die zu beobachtenden Überschneidungen der Leistungen auch eine Folge der institutionellen Unterschiede in den Kantonen. Während bestimmte Kompetenzen in einem Kanton für die Zulassung zum Gymnasium reichen, gilt das in anderen Kantonen nicht.

Grafik 2: PISA-Punkte in Lesen nach erstgewählter Ausbildung nach der obligatorischen Schule 2012/2013 Daten: SEATS, anforderungsprofile.ch; Berechnungen Forschungsstelle für Bildungsökonomie der Uni Bern (Bildungsbericht 2018)
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Grafik 2: PISA-Punkte in Lesen nach erstgewählter Ausbildung nach der obligatorischen Schule 2012/2013 Daten: SEATS, anforderungsprofile.ch; Berechnungen Forschungsstelle für Bildungsökonomie der Uni Bern (Bildungsbericht 2018)

Erläuterung zur Grafik 2: Der rosa Balken markiert den Median. Blau abgebildet ist das obere Quartil und grün das untere Quartil. Bei der Einteilung der Berufsbildung mit eidg. Fähigkeitszeugnis EFZQ1-EFZQ4 handelt es sich um eine offizielle Einteilung der Kantone und des Gewerbeverbandes, mitfinanziert vom Bund (Infos unter anforderungsprofile.ch). EBA bedeutet eidg. Berufsattest.Die Verteilung der PISA-Kompetenzen zeigt bspw., dass das untere Quartil der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten schlechtere Kompetenzen erbrachte als das obere Quartil der Lernenden in Berufslehren, die laut anforderungsprofile.ch zu den beiden höchsten Anforderungsgruppen gehören (EFZQ1 und EFQ2).

Nach 10 Jahren Bildungsmonitoring ist dank der neuartigen Datenqualität eine verbesserte Evaluation des Bildungssystems möglich. Trotzdem lassen sich viele im Bildungsbericht aufgezeigte Gegebenheiten nicht auf ihre Ursachen oder ihre Wirkung untersuchen. Dazu braucht es Analysen zu komplexen Wirkungszusammenhängen. Die zwei vollständig durchlaufenen Monitoringzyklen machen deutlich, dass es sich dabei um einen sehr langfristig angelegten Prozess handelt. Erst nach einer Evaluationsphase des Berichts liegen Erkenntnisse für neue Zielsetzungen vor. Bis zur Definition und Umsetzung von Massnahmen braucht es ebenfalls Zeit. Die Auswirkungen dieser Massnahmen können erst nach mehreren Jahren retrospektiv analysiert werden. Damit verliert das Bildungsmonitoring jedoch nicht an Bedeutung. Vielmehr wird deutlich, dass die kontinuierliche Weiterentwicklung des Bildungsmonitorings erforderlich ist, wenn die Berichterstattung zur Qualität des Bildungssystems über die Diagnose hinausgehen und die eingesetzten Massnahmen nicht nur zufällig die gewünschten Effekte erzielen sollen (Wolter 2018).


*Chantal Oggenfuss ist seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung und Mitautorin der Bildungsberichte Schweiz 2014 und 2018.

1: Teile des Beitrags sind in Bildung Schweiz (7/8 2018) und im Bildungsbericht Schweiz 2018 erschienen.

Weitere Informationen

http://www.skbf-csre.ch/bildungsbericht/bildungsbericht/

https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/bildungsraum-schweiz/bildungszusammenarbeit-bund-kantone/bildungsmonitoring-schweiz.html

 

Quellenangaben

Landert, C. & Eberli, D. (2015). Bestandesaufnahme der Zwischenlösungen an der Nahtstelle I. Zürich: Landert Brägger Partner.

Müller, B. (2016). Four essays on the economics of vocational education and training [Dissertation Universität Bern]. Bern: BM.

Sacchi, S. & Meyer, T. (2016). Übergangslösungen beim Eintritt in die Schweizer Berufsbildung: Brückenschlag oder Sackgasse? Schweizerische Zeitschrift für Soziologie (1), 9-39.

SKBF [Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung] (2014). Bildungsbericht Schweiz 2014. Aarau: SKBF.

SKBF [Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung] (2018). Bildungsbericht Schweiz 2018. Aarau: SKBF.

WBF [Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung] & EDK [Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren] (2015). Chancen optimal nutzen. Erklärung 2015 zu den gemeinsamen bildungspolitischen Zielen für den Bildungsraum Schweiz. Bern.

WBF [Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung] & EDK [Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren] (2019). Chancen optimal nutzen. Erklärung 2019 zu den gemeinsamen bildungspolitischen Zielen für den Bildungsraum Schweiz. Bern.

Wolter, S. C. (2018). Bildungssystem Schweiz: Prädikat gut, mit Verbesserungspotenzial. Die Volkswirtschaft 7/2018, 5-8.

Wolter, S. C. & Zumbühl, M. (2017). The native-migration gap in the progression into and through upper-secondary education (IZA Working Paper No. 11217).

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