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04.05.2021

«Das schaffst du!» Chance Leistungserwartung

04.05.2021
«Das schaffst du!» Leistungserwartungen von Lehrpersonen – eine Möglichkeit, Leistungspotenzial bei Schülerinnen und Schüler auszuschöpfen. Beitrag von Lena Hollenstein.
LH
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Eine hohe Leistungserwartung von Lehrpersonen kann eine Chance sein – und zwar für alle Schülerinnen und Schüler – das eigene Leistungspotenzial auszuschöpfen.

Von Lena Hollenstein*

Bis heute sind sich Fachpersonen nicht einig, welche Bedeutung Leistungserwartungen von Lehrpersonen für den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern zukommt. Die Debatte um die Bedeutung des Erwartungseffekts im Klassenzimmer wird sogar als eine der ‚heissesten‘ Debatten in der pädagogischen Psychologie bezeichnet.[1] Diese Zweifel bestehen, obwohl zahlreiche Studien zum Einfluss von Leistungserwartungen auf die Schülerinnen- und Schülerleistung seit der Studie «Pygmalion in the classroom»[2] einen positiven Zusammenhang bestätigen.[3] Bemerkenswert ist, dass in den letzten mehr als 50 Jahren, die die Erwartungsforschung im Klassenzimmer mittlerweile zählt, immer wieder positive Einflüsse von Leistungserwartung auf Schülerinnen- und Schülermerkmale nachgewiesen werden konnten. Hattie[4] hob in seiner Meta-Studie den Erwartungseffekt ebenso hervor wie Wang und Kolleginnen und Kollegen[5] in ihrem Review. Eines haben Studien zum Einfluss von Leistungserwartungen gemeinsam: Sie berücksichtigen kaum weitere Merkmale von Lehrpersonen, die ebenso bedeutsam für den schulischen Erfolg sind – wie zum Beispiel das professionelle (pädagogische, fachliche und fachdidaktische) Wissen. Somit stellt sich die Frage, was bei dem schulischen Erfolg dem Erwartungseffekt zuzuschreiben ist und was doch auf andere Merkmale der Lehrperson (z. B. pädagogisches, fachliches und fachdidaktisches Wissen) zurückzuführen ist.

Die Lehrperson vermittelt zwischen Lerninhalten und Lernprozessen

Grundsätzlich gilt: Neben kognitiven und familiären Faktoren von Schülerinnen und Schülern hat die Lehrperson in der Vermittlung zwischen Lerninhalten und Lernprozessen eine grosse Bedeutung.[6] Um die komplexen beruflichen Anforderungen erfolgreich bewältigen zu können, sind professionelle Kompetenzen gefordert. Dazu zählen sowohl kognitive (z. B. Professionswissen und Überzeugungen) als auch nicht-kognitive Merkmale (z. B. motivationale Orientierungen und selbstregulative Fähigkeiten).[7] Es gelten also sowohl das Wissen als auch Überzeugungen – wie z. B. die Leistungserwartung – als bedeutsame kognitive Merkmale, um Schülerinnen und Schüler in ihren Lernprozessen erfolgreich unterstützen und begleiten zu können.
Die Skepsis gegenüber dem Einfluss von Leistungserwartungen lässt sich so ein bisschen nachvollziehen, da die Leistungserwartung ein Merkmal von vielen ist. Die Leistungserwartung darf folglich nicht überschätzt werden. Trotzdem sollte sie auch nicht unterschätzt werden, da das Potenzial bei Schülerinnen und Schülern durch hohe Leistungserwartungen, die ihre Lehrpersonen ihnen entgegenbringt, ausgeschöpft werden kann.

Leistungserwartungen von Lehrpersonen PHSG
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Hohe Leistungserwartungen von Lehrpersonen können dazu beitragen, die Leistung von Schülerinnen und Schülern zu steigern. Bild: PHSG.

Von jeder Schülerin und jedem Schüler Leistungssteigerung erwarten

Als hohe Leistungserwartungen sind Erwartungen an die Leistung von Schülerinnen und Schüler zu verstehen, die sich über dem aktuellen Leistungsstand der Schülerin / des Schülers befinden. Es geht darum, dass von allen Schülerinnen und Schülern eine Leistungssteigerung erwartet wird – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrem sozioökonomischen Status oder anderen familiären und sozialen Schülerinnen- und Schülermerkmalen.
Die Höhe der Leistungserwartung sollte ausschliesslich auf der aktuellen Leistung oder dem gezeigten Leistungspotenzial einer jeden Schülerin und eines jeden Schülers gebildet werden.
Eine systematische Verzerrung der Leistungserwartung – d. h. basierend auf nicht leistungsrelevanten Merkmalen wie dem Geschlecht oder dem sozioökonomischen Status – ist im Sinne der Chancengerechtigkeit nicht zielführend und sollte vermieden werden.

Leistungspotenzial von Schülerinnen und Schülern ausschöpfen - Ergebnisse aus dem Dissertationsprojekt

Im Rahmen der Dissertation wurde der Zusammenhang zwischen Leistungserwartungen von Lehrpersonen und Schülerinnen- und Schülerleistungen am Beispiel des Fachs Mathematik in der Primarstufe untersucht.
Konkret wurden die Zusammenhänge zwischen Leistungserwartungen von 28 Lehrpersonen und der Mathematikleistung von 518 Primarstufenschülerinnen und -schülern in der Deutschschweiz analysiert. Die Ergebnisse zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen Leistungserwartungen und Lernleistungen – selbst unter Berücksichtigung des professionellen Wissens der Lehrpersonen. Das heisst, wenn Schülerinnen und Schüler von einer Lehrperson mit hohen Leistungserwartungen unterrichtet werden, zeigen diese Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Schuljahres eine bedeutsame Leistungssteigerung in Mathematik im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern, deren Lehrpersonen keine hohe Erwartung an sie richten – unabhängig von der Ausprägung des fachlichen, fachdidaktischen und pädagogischen Wissens der Lehrperson. Zudem wurde deutlich, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Mathematikleistung durch die Leistungserwartung von Lehrpersonen abgeschwächt werden kann. Dieses Ergebnis zeigt die Bedeutung von Lehrpersonen für erfolgreiche Lernprozesse. Die soziale Herkunft zählt als ein nicht leistungsrelevantes Merkmal und sollte folglich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler kaum beeinflussen – was allerdings meist nicht der Realität entspricht. Lehrpersonen können mit hohen Leistungserwartungen dazu beitragen, dass die soziale Herkunft für die Lernprozesse von Schülerinnen und Schüler an Bedeutung verliert und somit zur Chancengerechtigkeit beitragen.
Ebenso bekräftigen die Ergebnisse, dass alle Schülerinnen und Schüler von hohen Leistungserwartungen profitieren können – egal aus welcher sozioökonomischen Hintergrund oder mit welchem Geschlecht. Ausserdem wurde aus den Analysen ersichtlich, dass Schülerinnen und Schüler aus dem Verhalten ihrer Lehrperson erkennen können, ob sie ihnen viel oder wenig Leistung zutraut.

Ergebnisse übertragen in die Praxis des Lehrberufs – die Berufseinführungphase als Chance

Wenn sich durch weitere Studien die in der Dissertation gewonnenen Erkenntnisse erhärten lassen, so ist dies bedeutsam für das Handeln der Lehrpersonen im Unterricht – und somit auch für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen. Interventionsstudien zeigen, dass eine hohe Leistungserwartung bzw. das entsprechende Verhalten im Rahmen von Weiterbildungen erlernt werden kann.[8] Die Leistungserwartung von Lehrpersonen und der Einfluss auf ihr Handeln im Unterricht sollten bereits in der Ausbildung (verstärkt) thematisiert werden. Reflexionen des eigenen Unterrichts in Bezug auf die Erwartungshaltung gegenüber allen Schülerinnen und Schülern, zum Beispiel in Form von Videofeedback oder Team-Teaching-Methoden, können den im Unterricht auftretenden Erwartungseffekten auf der Basis von systematisch verzerrten Leistungserwartungen entgegenwirken. Dies sollte im Rahmen der Berufseinführung besonders gut umsetzbar sein. Eine mögliche Fragestellung, die im Zentrum der Reflexion stehen könnte, wäre: «Zeige ich während des Unterrichts allen Schülerinnen und Schülern, dass ich ihnen Leistungssteigerungen zutraue?» Zusätzlich ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen und die Überprüfung, inwieweit die eigenen Bewertungssysteme das Handeln möglicherweise einschränken oder verfälschen können, bedeutsam für eine Veränderung und ein wichtiger Bestandteil der Professionalität von Lehrpersonen.[9]
Lehrpersonen sollten sich der Wirkung ihrer Leistungserwartungen bewusst sein und diese im Laufe des Schuljahres regelmässig reflektieren, um ungenauen Leistungserwartungen basierend auf Vorurteilen entgegenwirken zu können. In ihrem Unterrichts- und Interaktionsverhalten im Klassenzimmer sollten sie darauf achten, dass sie für alle Schülerinnen und Schüler, angepasst an den jeweiligen Leistungsstand, herausfordernde Lernmöglichkeiten bieten und ein positives Lernumfeld schaffen.
Kritisch ist der Einfluss von ungenauen Leistungserwartungen vor allem dann, wenn es um wichtige Bildungsentscheidungen geht, wie beispielsweise die Entscheidung über die weiterführende Schule nach der Primarstufe.[10] Um das Risiko zu reduzieren, auf ungenauen Leistungserwartungen basierende falsche Entscheidungen zu treffen, können objektive Leistungskriterien oder die Berücksichtigung von mehreren Beurteilungen von unterschiedlichen Lehrpersonen genutzt werden.[11]

In der Diskussion über den Einfluss der Leistungserwartung darf nicht vergessen werden, dass der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler nicht alleine durch eine hohe Leistungserwartung beeinflusst wird. Es darf also nicht das Fazit gezogen werden, dass leistungsschwache Schülerinnen und Schüler nur leistungsschwach sind, weil von ihnen keine Leistungssteigerung erwartet wird. Niedrige Leistungserwartung kann ein Faktor für misslingende Lernprozesse sein, ist jedoch nie der einzige Grund. Hingegen kann eine hohe Leistungserwartung eine Chance sein – und zwar für alle Schülerinnen und Schüler – das eigene Leistungspotenzial auszuschöpfen.

Weitere Informationen

*Dr. phil. Lena Hollenstein hat an der Humanwissenschaftlichen Fakultät zu Köln promoviert und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen. Sie beschäftigt sich mit Früher Bildung und der Professionsentwicklung von Lehrpersonen. In ihrer Dissertation vertiefte sie sich in die Zusammenhänge zwischen der Leistungserwartung von Lehrpersonen und Schülerinnen- und Schülerleistungen. Die Dissertation erfolgte im Rahmen des Projekts «Wirkungen der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung auf professionelle Kompetenzen, Unterricht und Schülerinnen- und Schülerleistung» (WiL) (s. Brühwiler & Guldimann, 2013-2017, [Link:] http://p3.snf.ch/project-146172), welche an die internationale Vergleichsstudie TEDS-M (Teacher Education and Developement Study in Mathematics) anschliesst. [Link:] Download PDF Dissertation.


[1] Szumski, G. & Karwowski, M. (2019). Exploring the Pygmalion Effect: The Role of Teacher Expectations, Academic Self-Concept, and Class Context in Students’ Math Achievement. Contemporary Educational Psychology, 59, 101787. [Link:] https://doi.org/10.1016/j.cedpsych.2019.101787

[2] Rosenthal, R. & Jacobson, L. (1968). Pygmalion in the classroom. New York: Holt, Rinehart and Winston. [Link:] https://doi.org/10.1007/BF02322211

[3] Wang, S., Rubie-Davies, C. M. & Meissel, K. (2018). A systematic review of the teacher expectation literature over the past 30 years. Educational Research and Evaluation, 24(3-5), 124–179. [Link:] https://doi.org/10.1080/13803611.2018.1548798

[4] Hattie, J. (2013). Visible learning: a synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. New York: Routledge.

[5] Wang, S., Rubie-Davies, C. M. & Meissel, K. (2018). A systematic review of the teacher expectation literature over the past 30 years. Educational Research and Evaluation, 24(3-5), 124–179. [Link:] https://doi.org/10.1080/13803611.2018.1548798

[6] Brühwiler, C. & Helmke, A. (2018). Determinanten der Schulleistung. In D. H. Rost, J. R. Sparfeldt & S. R. Buch (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie, (S. 78–91). Weinheim: Beltz.

[7] Kunter, M., Baumert, J., Blum, W., Klusmann, U., Krauss, S. & Neubrand, M., (Hrsg.). (2011). Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV. Münster: Waxmann.

[8] Rubie-Davies, C. M., Peterson, E. R., Sibley, C. G. & Rosenthal, R. (2015). A teacher expectation intervention: Modeling the practices of high expectation teachers. Contemporary Educational Psychology, 40, 72–85. [Link:] https://doi.org/10.1016/j.cedpsych.2014.03.003

[9] Woolfolk Hoy, A., Davis, H. & Pape, S. J. (2006). Teacher knowledge and beliefs. In P. A. Alexander & P. Winne (Hrsg.), Handbook of educational psychology, 2 (S. 715–737). Mahwah, N.J.: Erlbaum.

[10] Neuenschwander, M. P. & Niederbacher, E. (2017). Schulniveau-und Leistungserwartungen von Lehrpersonen und Leistungsentwicklung beim Übergang in die Sekundarstufe I. In M. Neuenschwander & C. Nägele (Hrsg.), Bildungsverläufe von der Einschulung bis in den ersten Arbeitsmarkt - Theoretische Ansätze, empirische Befunde und Beispiele, (S. 123–142). Wiesbaden: Springer. [Link:] https://doi.org/10.1007/978-3-658-16981-7_7

[11] Kunter, M. & Pohlmann, B. (2015). Lehrer. In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, (S. 261–281). Berlin: Springer. [Link:] https://doi.org/10.1007/978-3-642-41291-2_11

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