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30.09.2018

Wegen einer Aufsatznote vor Gericht

30.09.2018
Gerichte befassen sich selten mit Noten und bemängeln diese noch seltener. 2016 war dies aber wieder einmal der Fall. Das Corpus Delicti: Ein Aufsatz. Oder doch ein Hut? Von Alexander Lioris* ...
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Gerichte befassen sich selten mit Noten und bemängeln diese noch seltener. 2016 war dies aber wieder einmal der Fall. Das Corpus Delicti: Ein Aufsatz. Oder doch ein Hut?

Von Alexander Lioris*

Vom Klassenzimmer in den Gerichtssaal: Vor einigen Tagen prangten diese Worte wieder einmal als Titel über einem ganzseitigen Bericht in einer Tageszeitung. Davor ist diese Thematik in jüngerer Zeit vor allem im Zusammenhang mit einem Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts aufgegriffen worden. Besagtes Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. Juli 2016 (Geschäftsnummer: VB.2016.00361) sorgte für Aufsehen, da es seit längerer Zeit wieder einmal ein Urteil war, das die Benotung einer Prüfung – konkret handelte es sich um einen Aufsatz im Rahmen einer Aufnahmeprüfung an ein Langzeitgymnasium – bemängelte. Genau gesagt entschied das Zürcher Verwaltungsgericht, dass die Benotung des Aufsatzes rechtswidrig sei und deshalb von der beurteilenden Behörde erneut vorgenommen werden müsse. Dieser Punkt ist wichtig. Das Gericht hat die seines Erachtens von der beurteilenden Behörde nicht korrekt vorgenommene Benotung nicht selber vorgenommen, sondern die beurteilende Behörde angewiesen, ihre Benotung neu – im Sinne der Erwägungen – vorzunehmen.

Das Zürcher Verwaltungsgericht führte dazu aus: Schon weil das Verwaltungsgericht dafür nicht über die notwendige Fachkompetenz verfügt, kann es die Note für den Aufsatz nicht selber neu festlegen. Die Angelegenheit ist vielmehr an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit diese die Benotung des Aufsatzes neu vornimmt.

Willkür ist nicht haltbar
Nun kann man sich die Frage stellen, weshalb das Gericht den Aufsatz zur neuen Benotung zurückgibt, wenn es zugleich ausführt, dass es für eine Beurteilung nicht über die notwendige Fachkompetenz verfügt. Eine Haltbarkeits- bzw. Vertretbarkeitskontrolle gesteht sich das Gericht dann eben doch zu. Denn wenn eine Benotung nicht haltbar ist, dann ist sie willkürlich. Und bei Willkür müssen die Rechtsmittelinstanzen eingreifen. Darauf lohnt sich etwas näher einzugehen.

Juristen sind keine Pädagogen
Juristinnen und Juristen, die mit einem Beschwerdeverfahren betraut werden, verfügen in der Regel über keine pädagogische Ausbildung. Aber auch wenn sie über eine solche verfügen würden, wüssten sie nicht um die konkreten Anforderungen in der betreffenden Schulstufe an der jeweiligen Schule. Sie hätten beispielsweise auch keine Kenntnis vom Lernstand bzw. vom vermittelten Stoff der jeweiligen Schülerinnen und Schüler. Auch würden sie die Aufsätze der anderen Prüfungskandidatinnen und -kandidaten nicht kennen. Daher ist es in der Rechtslehre herrschende Meinung – und auch das Bundesgericht geht in konstanter Rechtsprechung davon aus –, dass die Instanzen bei der Beurteilung von Notenbeschwerden darauf verzichten dürfen und sollen, ihr eigenes Korrektururteil an die Stelle desjenigen der beurteilenden Lehrpersonen oder Examinatorinnen und Examinatoren zu stellen. Mit anderen Worten sollen sich die Beschwerdeinstanzen einer gewissen Zurückhaltung unterziehen, weil es ihnen ganz einfach nicht möglich ist, beispielsweise eben einen Deutschaufsatz mit dem Erfahrungs- und Wissenshintergrund einer Lehrperson zu beurteilen.

Kommt hinzu, dass beispielsweise Aufsatzkorrekturen immer eine gewisse subjektive Komponente haben, weshalb eine abweichende Beurteilung einer Drittperson noch kein Indiz für eine fehlerhafte Aufsatzkorrektur ist.

Suche nach sachfremden Kriterien
Die Prüfung der Beschwerdeinstanzen beschränkt sich daher darauf, ob sachfremde Kriterien bei der Bewertung miteingeflossen sind oder die Lehrperson bei der Korrektur Lösungsansätze der Schülerin oder des Schülers nicht berücksichtigt hat, obwohl diese nach allgemeiner Anschauung sinnvoll sind, oder etwas bemängelt worden ist, das nach logischer Sichtweise und unabhängig von pädagogischen Aspekten nicht Teil der Aufgabenstellung war (wie im einleitend zitierten Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts; vgl. auch nachfolgend).

Mithin wird von den Rechtsmittelinstanzen eingegriffen, wenn eine Beurteilung schlichtweg nicht haltbar und somit willkürlich ist. Im Kanton Zug ist in § 85 Abs. 2 des Schulgesetzes vom 27. September 1990 (BGS 412.11) denn auch ausdrücklich festgehalten, dass die Schülerbeurteilung nur in Bezug auf Verfahrensfehler und Willkür überprüft wird.

Sehen wir uns an, was das Zürcher Verwaltungsgericht im besagten Urteil als nicht haltbar bzw. willkürlich erachtete.

Das Thema verfehlt...
Für den Deutschaufsatz war folgende Aufgabenstellung vorgegeben: «Der alte Hut. In einer verstaubten Schachtel auf dem Dachboden liegt ein alter Hut. Erzähle eine Geschichte zu diesem Hut. Aus dem Text soll hervorgehen, was für eine Bedeutung dieser Hut früher hatte und warum er Jahre später noch auf dem Dachboden aufbewahrt wird.»

Der Beschwerdeführer verfasste dazu eine Geschichte in Form eines Märchens. Die Geschichte handelt vom jungen Zauberer Merlin, dem eines Nachts die Grossmutter im Traum erscheint und ihn bittet, einen Hut unter einem Baum auszugraben und ihr zu bringen. Die Geschichte endet damit, dass Merlin den Hut der Grossmutter bringt und diese ihm erklärt, der Hut habe heilende Kräfte. Aus dem Text geht nicht hervor, dass der Hut Jahre später noch auf dem Dachboden aufbewahrt wird. Für den Text erhielt der Beschwerdeführer die Note 2.0.

Sehr stark verkürzt wurde von der Beschwerdegegnerin als Begründung für die Note 2.0 vorgebracht, dass der Beschwerdeführer sich nicht einmal ansatzweise an die Aufgabenstellung gehalten habe. Im Text komme weder eine Schachtel noch der Dachboden vor; es werde einfach ein Märchen erzählt, das überhaupt gar nichts mit der Aufgabenstellung zu tun habe. Am Gymnasium gehe es nicht so sehr darum, Geschichten erzählen zu können, sondern Aufgabenstellungen zu erfassen und umzusetzen. Dieser Aufsatz sei einfach eine ins Blaue erzählte Geschichte, die in keiner Weise mit der Aufgabenstellung irgendetwas gemeinsam habe. Das Thema sei bewusst so gestellt worden, dass eben kein Märchen erzählt werden sollte, und wenn, dann müsste man den Hut auf dem Dachboden entsprechend begründen. Der Text sei ein reiner Phantasietext und das einzige, das berücksichtigt worden sei, sei der Titel.

...oder doch nicht?
Diese Begründung überzeugte das Zürcher Verwaltungsgericht nicht. Für das Gericht war der Vorwurf, dass sich der Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise an die Aufgabenstellung gehalten habe, nicht überzeugend. Die Kandidierenden hätten gemäss Aufgabenstellung ausdrücklich eine Geschichte zum alten Hut verfassen sollen. Weshalb diese Geschichte nicht in die Form eines Märchens hätte gekleidet werden dürfen, sei weder dargelegt noch ersichtlich. Es sei daher nicht nachvollziehbar, inwiefern mit dieser Aufgabenstellung Geschichten in Form von Märchen hätten verhindert werden sollen. Der Beschwerdeführer sei vom vorgegebenen Thema zwar erheblich abgewichen, der sinngemässe Vorwurf, seine Geschichte erfasse das Grundthema nicht einmal ansatzweise, sei indes unberechtigt. Verlangt worden sei eine Geschichte zu einem Hut. Die Kandidierenden hätten dartun müssen, welche Bedeutung dieser Hut früher gehabt habe und weshalb er noch Jahre später auf dem Dachboden aufbewahrt worden sei. Im Text des Beschwerdeführers spiele ein Hut eine zentrale Rolle. Welche Bedeutung der Hut habe, gehe aus der Geschichte ohne Weiteres hervor. Hätte der Beschwerdeführer die Geschichte beispielsweise damit beendet, dass die Grossmutter den Hut anschliessend in einer Schachtel auf dem Dachboden verstaut hätte und jener danach dort vergessen worden sei, wäre die Aufgabenstellung – jedenfalls formal – sogar vollständig erfüllt worden.

Die Herangehensweise des Beschwerdeführers möge etwas unkonventionell gewesen und deshalb erheblich von derjenigen der anderen Kandidierenden abgewichen sein. Daraus zu schliessen, die Aufgabenstellung sei vollständig missachtet und das Aufsatzthema vollständig verfehlt worden, sei jedoch nicht haltbar und damit willkürlich. Die Benotung des Aufsatzes erweise sich schon deshalb als rechtswidrig. Im Übrigen würde auch die Beschwerdegegnerin festhalten, dass der Beschwerdeführer die weiteren Bewertungskriterien – neben dem zentralen, dass der Text auf das Thema und die Aufgabenstellung ausgerichtet werden müsse – zu einem hohen Grad erfüllt habe.

Die Angelegenheit wurde deshalb – wie ausgeführt – an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen, damit diese die Benotung des Aufsatzes neu vornimmt.

Zusammengefasst ist somit festzuhalten, dass die Rechtsmittelinstanzen keine Prüfungen bzw. Aufsätze bewerten. Sie setzen aber gewisse Schranken. Die Beurteilung, ob vorliegend zu Recht oder nicht, überlasse ich gerne Ihnen.

*Alexander Lioris ist Stv. Generalsekretär / Leiter Rechtsdienst in der Direktion für Bildung und Kultur des Kantons Zug.

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