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04.04.2022

Preisgekrönt: Studie zur Wirkung der Integration

04.04.2022
Aussagen über die Auswirkungen der Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Bildungsbedarf in der Schweiz.
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Der Schweizer Preis für Bildungsforschung 2021 ging an Prof. Beatrix Eugster, Dr. Simone Balestra und Dr. Helge Liebert. Mit ihrer Arbeit1 ermöglichen die Forschenden erstmals fundierte Aussagen über die Auswirkungen der Integration von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Bildungsbedarf in der Schweiz.

Beatrix Eugster, Schüler mit besonderen Bildungsbedürfnissen2 (SEN-Schüler) beeinflussen die anderen Schüler negativ. Und zwar deren schulische Leistungen, deren berufliches Fortkommen und zu guter Letzt auch deren späteres Einkommen. Das ist unpopuläre Post. Wie ist es Ihnen und Ihren Mitautoren seit der Publikation ergangen?
Unsere Studie zeigt tatsächlich, dass die Peer Effekte von SEN-Schülern negativ sind. Allerdings gibt es einige Qualifikationen. Erstens sind die Effekte auf die Testresultate moderat, diejenigen auf die Löhne sogar sehr klein. Zweitens treten die Effekte erst ab einem gewissen Schwellenwert auf, sprich wenn «zu viele» SEN-Schüler in einem Klassenzimmer zusammen sind. Drittens werden nicht alle Mitschüler gleich stark beeinflusst. Leistungsstarke Schüler sind kaum betroffen, eher schwächere Schüler hingegen stark. Und viertens lösen auch nicht alle SEN-Schüler gleich starke negative Effekte aus. Insbesondere solche mit schweren Diagnosen – welche entsprechend viel Lehrer-Ressourcen oder Lehrerzeit benötigen – beeinflussen ihre Mitschüler stark.
Diese Ergebnisse haben die Experten aus dem Bildungsumfeld nicht erstaunt. Sie sind aber nicht in Isolation zu betrachten. Die wichtige Frage ist nämlich, was wäre, wenn wir diese Schüler segregieren? Diese Frage beantworten wir im zweiten Teil unseres Artikels und zeigen, dass dies durchschnittlich zu schlechteren Schulleistungen führen würde. Während die Schüler in Klassen mit nun weniger SEN-Kindern leicht bessergestellt wären, würden die Leistungen der SEN-Kinder sehr stark fallen.

Bisherige Studien kamen eher zu einem anderen Schluss. Es gibt sogar Studien, welche bessere schulische Leistungen feststellen, wo Schüler mit besonderem Bildungsbedarf integriert werden. Wie ist das möglich?
Studien zu vergleichen, benötigt grosses Fingerspitzengefühl. Positive Effekte können insbesondere dann festgestellt werden, wenn Inklusion von einer Erhöhung der Ressourcen begleitet wird. Ein SEN-Kind mit Lehrassistenz verursacht andere Effekte als ein SEN-Kind ohne zusätzliche Lehrunterstützung. Auch die Art der speziellen Bildungsbedürfnisse spielt eine Rolle. Kinder mit körperlicher Behinderung, Kinder mit Lernschwierigkeiten oder solche mit Verhaltensauffälligkeiten können nicht gleichgesetzt werden.
In unserer Studie vergleichen wir Klassen, welche mit den gleichen Ressourcen auskommen müssen, aber zufällig mehr oder weniger SEN-Schüler beinhalten. Dies kann erklären, wieso bei uns die negativen Effekte überwiegen. Zudem messen wir nur den Effekt auf schulische Leistung, nicht aber auf wichtige «Soft Skills». Ein Aspekt, welchem wir in unserer zukünftigen Forschung sicher noch mehr Beachtung schenken möchten.

Wie viele SEN-Schüler erträgt es in einer Klasse?
Gemäss unseren Schätzungen liegt dieser Wert bei etwa 15-20% oder bei drei oder mehr Schülern in einer Klasse durchschnittlicher Grösse. Dann werden die negativen Effekte viel stärker. Eine gleichmässige Verteilung der Kinder auf die Klassen ist somit wichtig, um den Lernerfolg zu unterstützen.

Schüler mit Problemverhalten belasten Lehrpersonen und Klassen stark, während ein anständiges Kind mit einer Rechtschreibeschwäche einfacher und weniger belastend integriert werden kann. Können Sie aufgrund Ihrer Studie etwas dazu sagen?
Unsere Interpretation der Resultate orientiert sich am Konzept der «Lehrer-Zeit». Sowohl Kinder mit Lernbehinderungen als auch Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten benötigen überdurchschnittlich viel dieser Lehrerzeit. Im ersten Fall z. B. durch mehrfaches Erklären von Schulstoff, welcher für die restlichen Kinder bereits verarbeitet ist, im zweiten durch unruhiges Verhalten und Stören im Unterricht. Während die Belastung für die Lehrpersonen unterschiedlich sein kann, scheinen die negativen Effekte auf die Mitschüler ziemlich ähnlich zu sein.

Im Zuger Schulgesetz steht, dass Kinder mit einem Bedarf an verstärkten Massnahmen in der Regelklasse unterrichtet werden, soweit dies dem Wohle des Kindes dient und solange die schulische Qualität in der Regelklasse erhalten bleibt. Auch die besondere Förderung soll in erster Linie in der Regelklasse angeboten werden. Müssen wir zurück auf Feld 1?
Nein, im Gegenteil. Unsere Resultate zeigen auch, dass eine Durchmischung von Kindern und möglichst gleichmässige Verteilung von Schülern mit besonderem Bildungsbedarf optimal ist. Die Effekte von SEN-Kindern auf die Schulleistungen ihrer Mitschüler ohne SEN sind zwar negativ, aber relativ klein. Betrachtet man den Übertritt in den Beruf, so sind die Effekte ökonomisch kaum mehr relevant. Zudem kann unsere Studie keine Aussagen zu potenziell positiven Effekten in Bereichen der sozialen Kompetenzen machen. Unsere Resultate schliessen aber nicht aus, dass in Einzelfällen eine Sonderschulung ausserhalb der Regelklasse geboten sein mag, und sowohl für das betroffene Kind als auch die Mitschüler eine Entlastung sein kann.


1Peers with Special Needs: Effects and Policies (forthcoming) Review of Economics and Statistics (with Simone Balestra and Helge Liebert). Die Studie ist momentan im Druck und wurde www.schulinfozug.ch freundlicherweise zur Vorablektüre zur  Verfügung gestellt. Sobald sie gedruckt erschienen ist, wird sie als (Link:) Open Access Publikation auf der Homepage der Review of Economics and Statistics verfügbar sein.


2Zum besseren Verständnis
Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bildungsbedürfnissen (SEN-SuS), um die es in dieser Studie geht, sind nicht nur Schülerinnen und Schüler mit Sonderschulstatus, sondern auch solche mit Teilleistungsstörungen, Lernbehinderungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Für die Studie wurden ausschliessliche SEN-SuS erfasst, welche durch einen Schulpsychologischen Dienst abgeklärt wurden. Wo eine besondere Förderung ohne Begrüssung eines Schulpsychologischen Dienstes beschlossen wurde, tauchen diese SEN-SuS nicht in der Studie auf. Die Studie arbeitet mit Daten zur Sekundarstufe I. Inwiefern sich für Kindergarten und Primarschule Rückschlüsse aus der Studie ziehen lassen, ist schwierig zu beurteilen. In der Primarschule werden SEN-SuS öfter mit Unterstützungsmassnahmen aufgefangen als in der Sekundarstufe I. Zudem sind die Klassensettings unterschiedlich, z. B. oft mit Team Teaching und Klassenassistenzen. Inwiefern dies negative Peer Effekte aufzufangen vermag, kann mit den vorliegenden Daten nicht untersucht werden.

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