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Erinnerungen aus der Jugendzeit

von Josef Niederberger, 1917-2002, überlassen durch Richard Hediger

«Erinnerungen aus der Jugendzeit» von Josef Niederberger (1917–2002), überlassen durch Richard Hediger.


In den Jahren zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg, als die Rotkreuzer noch jeden Sonntagmorgen gruppenweise und plaudernd nach Risch zur Kirche gingen, kannte man noch alle Leute, ob alt oder jung. Zu den Dörflern gehörten damals die Handwerker, die Krämer, der Metzger, Bäcker und der Coiffeur, aber auch die Bähnler und Pöstler, letztere mit der Aussicht auf eine Pension im vorgerückten Alter. In der ganzen Gemeinde zerstreut lebten auf vorwiegend mittelgrossen Höfen in wetterbraunen und blumengeschmückten Zuger Bauernhäusern selbstbewusste, eigenständige Bauern mit mehrheitlich grossen Familien. 8 bis 12 Kinder waren keine Seltenheit. Und weil man sich gut kannte, wusste man auch um die Besonderheiten, Vorzüge oder Schwachheiten, aber auch um vorgekommene Ungereimtheiten seiner Mitbürger. Männer in öffentlichen Ämtern bedeuteten mehr und wurden hoheitsvoll mit ihrem Titel angesprochen. Der Name des Hofes wurde anstelle des Namens des Besitzers genannt. Originale erhielten mehr oder weniger liebevolle Zunamen und Auffallendes in Aussehen oder Gehaben wurden bald mit einem meist treffenden Spitznamen bedacht.

Die Rischer waren stolz, dass sie mit Landammä Josef Knüsel von Ibikon einen tüchtigen, verdienten und sparsamen Baudirektor in der Zuger Regierung wussten. Seine Hauptwerke waren der Reussdammbau, der Ausbau der Kantonsstrassen und die Erstellung der Lorzentobelbrücke, als Voraussetzung für die Inbetriebnahme der Strassenbahnen nach Aegeri und Menzingen. Seine Gattin wurde als Frau Landammä angesprochen und seine Kinder waren s'Landammäa Hildegard, Martha, Margrit, Jakob usw. Das gleiche galt bei allen übrigen Würdenträgern der Gemeinde üblich.

In Oberrisch waren es die Oberrichter Güglers, in der Unterrüti Chilchmeier Luthigers und in der Allrüti die Friedensrichter Schwerzmanns. Gemeindepräsident Elmiger im Steintobel war ein währschafter Bauer und handelte nebenbei mit Most und Schnaps. Seit mehreren Generationen versahen die Meier von Buonas das Amt des Gemeindeschreibers im Gasthaus zum Wildenmann, wo auch die Gemeindeversammlungen stattfanden. Wenn der Chileschriber genannt wurde, so war damit kein anderer als Sidler Miggel gemeint (Emil Sidler wohnte in Buonas und begleitete mehrmals schweizerisches Braunvieh in mehrwöchigen Schifffahrten über das Meer nach Argentinien.) Ein Gemeinderat, der nur knapp mit einer Stimme Mehrheit gewählt wurde, galt als Gottswille-Rotsherr. Die grössern Rischer Bürgergeschlechter, wenn auch nicht so zahlreich wie die Iten im Aegerital, waren die Knüsel und die Luthiger. Am fruchtbaren und sonnig gelegenen Hang gegen Michaelskreuz und bis gegen Meierskappel waren die Knüsel zahlreich vertreten und wurden mit Gaggelers, Bödelers, Knüsel-Marbache, s'Landammäs, Breiten-Wisels und später noch Grossweid-Hansis auseinandergehalten. Unter den Luthiger waren es der Chilchmeier, Gross-Luthiger oder auch Bupuu, Gibeler, Moos-Seppi, Moos-Hans, der Schützenmeister und der Chilerot.

Die Anrede "Herr" war nur bei der Begegnung mit dem Pfarrer, Lehrer und vielleicht noch mit dem Landammä üblich. Alle andern Mitbürger sprach man in der Du-Form an. Einer Frau begegnet man mit "ier", eine Form, die in vereinzelten Familien noch zwischen Kindern und Eltern gebräuchlich war.

Verschiedene Handwerker und Gewerbetreibende von damals gibt es nicht mehr, so die Schmiede von Peter und Paul Villiger, Schuhmacher Franz Heinzer, die Seilerei Schwerzmann in der Rüti, die Küferei Werder in Buonas und den Chrämer Keller und den Coiffeur Dällenbach im Dorf. Viktor Spuhler unterhielt in der Kreuz-Scheune eine mechanische Werkstätte, wo auch Motorräder und Autos repariert wurden. Spuhler hatte die Eigenkonstruktion eines Motorrades erstellt und diese patentieren lassen. Sein früher Tod machte eine kommerzielle Auswertung seiner Erfindung unmöglich.

Nachkommen und Nachfolger von frühern Geschäften gibt es noch von der Metzgerei Anhorn, Bäckerei Holzgang, Velo-Fähndrich, Wagnerei Stuber, Sägerei Wismer in Küntwil, Handlung (Kolonialwaren!) Dahinden, Garage Zihlmann und Schmied Zehnder in Buonas.

Ein bedeutender Betrieb in der Gemeinde war die Fuhrhalterei von Adolf Schwarzenberger zur Linde. Er verfügte über Pferde und Wagen für alle Aufträge und Lebenslagen. Zur Taufe nach Risch fuhr er mit dem Break, für Hochzeitsfahrten benützte man den Landauer und die letzte Fahrt zum Friedhof in Risch erfolgte mit dem verzierten Leichenwagen. Für die Gemeinde und den Kanton wurden Sand- und Kiesfuhren ausgeführt. Fuhrhalterei und Scheune am Lindenplatz sind der Neuzeit gewichen.

Sohn Adolf Schwarzenberger übernahm als "Puurehöfler" das Hotel/ Restaurant zum Bauernhof in der Nähe des Bahnhofes. Sein Vorgänger war der legendäre Junggeselle und Kantonsrat Stuber Georges, der die hohe Schule der Gastronomie in mehrjährigem Aufenthalt in Paris bestanden hatte. Nächster Nachbar des Puurehöfler war der Posthalter und spätere Regierungsrat Josef Burkart, im Männerchor und Freundeskreis der Post-Seppi genannt.

Versierter Hotelier im "Waldheim" in Risch, als Nachfolger der Schützenmutter Marie Schriber, war der Waldheim-Seppi (Josef Schriber-Müller).

Wie überall haben auch in Rotkreuz-Risch die Originale nicht gefehlt. Bei der damals gebotenen häuslichen Zurückhaltung der Frauen waren sie als besonders auffallende Persönlichkeiten eher selten. Aber es gab sie auch. Beim Linde-Marti, das im ehemaligen Restaurant zur Linde als Kellnerin und später als Wirtin wirkte, war das Zentrum des täglichen Nachrichtendienstes. Die ledige Martha Holzgang verfügte über ein gutgeöltes, schlagfertiges, aber wohlgelittenes Mundwerk, war leutselig und träf in ihren Kommentaren und der Mittelpunkt gemütlicher Dorfgespräche. In diesem Kreise bildete sich das sangesfrohe Lindechörli, eine Höckelergruppe, bei der früher oder später die einmaligen Qualitäten des Reitpferdes Inkass von Nachbar und Velohändler Josef Hausherr zur Sprache kamen.

Die "Sidleri" (Frau Martina Sidler, Allrüti) bediente als Waschfrau ihre treue Kundschaft, war resolut und selbstsicher im Auftreten, wusste immer das Neueste und war bekannt, dass ihr immer ein oder auch zwei Glas Wein zum Essen vorgesetzt werden mussten. Sie hatte für eine kränkliche Tochter zu sorgen. Mancher Zustupf bekundete ihr das Wohlwollen und Verständnis der Leute.

Bereits zur älteren Generation gehörte der Briefträger Toni Ineichen, der in einer obern Wohnung im stattlichen Bauernhaus des Rotkreuzhofes wohnte. Er ging noch zu Fuss in Begleitung seines kleinen Dackelhundes auf die Posttour, die bis in die entfernte Alznach führte, wo bei Familie Bossard das Zobig immer auf dem Tisch bereit stand. Der gemächliche und bedächtige Gang von Toni Ineichen trug ihm den Spitznamen "Anton Gschwind" ein.

Würdevollen Schrittes, oft einen Zweiräder-Handwagen vor sich herschiebend, begegnete den Rotkreuzern der Binzmühle-Heiland mit seinem schulterlangen weissen Haar und einem wohlgepflegten langen Bart. Er war ledig, hiess mit dem bürgerlichen Namen Jakob Lörch, kaufte, erneuerte und verkaufte Antiquitäten und bewohnte seine Wohnung in der Binzmühle, deren Eingang mit römischen oder griechischen Säulen nicht zu übersehen war.

Eine unvergessliche Persönlichkeit im Dorfbild von Rotkreuz war der weit herum bekannte und erfolgreiche Handelsmann Xaver Dahinden. Anfänglich belieferte er seine Kundschaft mit einem Vierrad-Handwagen. Als erster in Rotkreuz war er stolzer Besitzer eines Autos, Marke Pic-Pic, verwendbar als Personen- oder Lieferungswagen. Bei seinen Bauernhofbesuchen kam es ihm zu statten, dass es damals noch keine Promillegrenzen gab. Die fahrerischen Fähigkeiten musste er sich mangels Fahrlehrer als Autodidakt selbst erwerben. In jener Zeit sollen sich gelegentlich die Tücken der noch zahlreich vorhandenen Strassengräben bemerkbar gemacht haben. Zum Glück gab es noch überall zugkräftige Pferdegespanne. Leutselig und gesprächig wie er war, wurden ihm seine Mödeli und gelegentlichen Verirrungen am Wirtstisch vorgehalten und als reuevollem Sünder blieb in biblischer Anspielung schon bald der Spitzname "Der Zöllner Da-hinden" an ihm haften. Zum Bau der 1938 eingeweihten Kirche von Rotkreuz hat er einen wackeren Obolus beigesteuert. Sein damit verbundener Kontakt mit dem damaligen Kaplan und ersten Pfarrer von Rotkreuz, Albert Zollet, hat ihm dann noch zusätzlich einen Namen der kirchlichen Hierarchie eingetragen. Als er sein Geschäft bereits an seinen Sohn Wilhelm abgetreten hatte, eilte es ihm gelegentlich nicht, das eheliche Gemach an der Buonaserstrasse aufzusuchen. Das trug ihm wiederholte Ermahnungen seitens der um sein Wohl besorgten Gattin Agathli ein. Sein daraus entstandenes schlechtes Gewissen war nicht mehr zu verbergen. Als er wieder einmal zu vorgerückter Stunde vom "Bauernhof" heim zu stapfte, und er seine Gemahlin auf ihn wartend wähnte, verabschiedete er sich zum Vorwand für seine späte Heimkehr vor der Haustüre mit einem laut vernehmbaren "Gut Nacht Herr Kaplan". Sein priesterlicher Freund war aber nur in seiner Phantasie noch unterwegs. Dummerweise haben den Vorgang in der Helle der Strassenbeleuchtung noch andere Heimkehrer gehört und gesehen. Und so ist der gute Xaveri als "Herr Kaplan" in die ewige Seligkeit eingegangen.

"Zibel" nannte man einen Eisenbahner, der sich besonders gut auf den Gemüsebau verstand. "Schällenunder" war der Übername für einen Bauern von gedrungener Gestalt und "Brägel" betitelte man einen grossen, kräftigen Mitbürger mit wahren Pratzen von Händen. Aus dem seinen Lebensabend in Rotkreuz verbringenden Schwendimann wurde nach einer etwas zu reichlich ausgefallenen Weinprobe ein "Schwenkimann" und einem biedern Käser von urchiger Schweizer Art, mit kurzem Schnurrbart, entsprechend gescheiteltem Haar und Vornamen Adolf wurde beim gemütlichen Jass der Spottname "Hitler" angehängt.

Mancher wird sich fragen, woher die witzigen und kaum als Beleidigung aufgefassten Spott- und Zunamen kommen. Da geht die Erinnerung an den Kundenmetzger Anton Estermann aus Buonas, der in seinen jungen Jahren jeden Dienstagmorgen vor dem Tagesanbruch Kälber, Obst, Gemüse und Eier mit dem Schiff über den Zugersee zum Markt nach Zug gerudert hat. Als er einmal im blaugestreiften weis-sen Kittel, das Metzgerwerkzeug auf dem Rücken, in der Dämmerung auf der Strasse zwei Schwatzbasen begegnete, wollte er sich ungeschoren an ihnen vorbeischleichen. Als sie ihn trotzdem erkannten, verfiel er auf die spitzbübische Bemerkung: "Ich bitte um ein gnädiges Urteil". Als immer zu einem Scherz aufgelegter Witzbold schlug er dem neu zugezogenen ledigen Briefträger Josef Faden vor, die Tochter des Erfinders Viktor Spuhler zu heiraten. Den daraus entstehenden Familiennamen "Faden-Spuhler" könnte man sich bestimmt gut merken.

Jedes Jahr im Frühling und Herbst kamen zwei gern gesehene Italiener als Pfannenflicker und Scherenschleifer nach Rotkreuz. Sie schlugen ihre Werkstatt hinter der Kreuz-Scheune auf. In emsiger Arbeit schliffen sie die Scheren, schärften die Messer und verzinnten die Kupferpfannen, die sie vorher in der Umgebung eingesammelt hatten. Einer der beiden Italiener war ein guter Bläser und es war ihm eine Freude, während seiner Anwesenheit in der 1917 gegründeten Musikgesellschaft mitzuwirken.

Da war noch der Feldmauser Wismer Felix aus dem Luzernischen in würdevoller Gott-Vater-Erscheinung, der seine Dienste den Bauern anbot, wenn die Hofkatzen den Mäusen nicht mehr Meister wurden. Die Bezahlung richtete sich nach der Anzahl gefangener schwarzer und grauer Mäuse, die dem Auftraggeber vorgewiesen werden mussten.

Es gäbe noch allerhand kurzweiliges zu berichten über das Leben und die Leute im Eisenbahnerdorf Rotkreuz und in der einstigen Bauerngemeinde Risch. Alle, die in diesen Erinnerungen zu Ehren gekommen sind, leben nicht mehr und so sollen sie im verdienten Frieden ruhen.

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