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Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK
Art. 99 Abs. 1 lit. b ZPO
Art. 114 lit. c und 115 ZPO

Art. 115 ZPO

Regeste:

Art. 115 ZPO – Das Fernbleiben des Beklagten an der Vermittlungsverhandlung ist nicht mutwillig, wenn er dies der Schlichtungsbehörde anzeigt und um Ausstellung der Klagebewilligung ersucht, damit der Anspruch des Klägers gerichtlich beurteilt werden kann.

Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 113 Abs. 2 lit. c ZPO werden im Schlichtungsverfahren keine Gerichtskosten gesprochen bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht. Das Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsbehörde Miet- und Pachtrecht ist damit kostenlos. Nach Art. 115 ZPO können indes bei bös- oder mutwilliger Prozessführung die Gerichtskosten auch in den unentgeltlichen Verfahren einer Partei auferlegt werden.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts im Sozialversicherungsbereich, die aufgrund der analogen Regelung von Art. 115 ZPO auch für das Zivilverfahren anwendbar ist (Koslar, in: Baker & McKenzie, Schweizerische Zivilprozessordnung, Bern 2010, Art. 115 N 7), kann mutwillige Prozessführung u.a. darin begründet liegen, dass eine Partei eine ihr in dieser Eigenschaft obliegende Pflicht (Mitwirkungs- oder Unterlassungspflicht) verletzt (BGE 128 V 323 E. 1.b). In BGE 124 IV 285 E. 3.b erkannte das Bundesgericht, der Verzicht, trotz gerichtlicher Mahnung, zu den Vorbringen in einer Klageschrift Stellung zu beziehen, vermöge den Vorwurf der Mutwilligkeit allerdings nicht zu begründen. Vielmehr handelt nach dem zitierten Entscheid nur derjenige mutwillig, wer als Arbeitgeber oder Versicherter Rechnungen und Mahnungen nicht beachtet, sich deswegen von der Vorsorgeeinrichtung betreiben lässt, diese – bei materiell offensichtlich unbegründetem Standpunkt – mittels Rechtsvorschlag zwingt, den Rechtsweg zu beschreiten, in eben diesem selber veranlassten Prozess nichts von sich hören lässt und somit nicht das Geringste zur Klärung des Sachverhalts beiträgt. Eine solche Prozessverursachung, verbunden mit der durch Untätigkeit geprägten Haltung im Gerichtsverfahren, welche insgesamt auf eine Verzögerungstaktik des Zahlungspflichtigen hinausläuft, darf nach der Auffassung des Bundesgerichts im grundsätzlich kostenlosen Sozialversicherungsverfahren durch Auferlegung von Gerichtskosten sanktioniert werden.

3.1 Der Vertreter der Beschwerdeführerinnen, der von der Schlichtungsbehörde Miet- und Pachtrecht ordnungsgemäss auf den 28. Juni 2013 zur Schlichtungsverhandlung vorgeladen worden war, teilte mit, er werde an der Schlichtungsverhandlung nicht teilnehmen, und ersuchte um Erteilung der Klagebewilligung an die Mieter. Zusammenfassend machte er geltend, bereits für die letzte Schlichtungsverhandlung mit den Mietern vergeblich nach Zug gereist zu sein. Zudem erachtete er die Mängelrüge der Mieter bezüglich der schwankenden Temperatur des Duschwassers als unbegründet. Entsprechend dieser Ankündigung blieb der Vertreter der Beschwerdeführerinnen der Schlichtungsverhandlung fern. Die Beschwerdeführerinnen bzw. ihr Vertreter missachteten damit die in Art. 204 ZPO statuierte Pflicht zur Teilnahme an der Schlichtungsverhandlung und wurden säumig. Trotz der Verletzung dieser Mitwirkungspflicht kann darin nicht eine bös- oder mutwillige Prozessführung erblickt werden, die es rechtfertigt, den Beschwerdeführerinnen abweichend vom Grundsatz der Kostenlosigkeit des Sühnverfahrens vor der Schlichtungsbehörde Miet- und Pachtrecht die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Dabei fällt Folgendes in Betracht:

3.2 Die Schlichtungsbehörde versucht in formloser Verhandlung, die Parteien zu versöhnen (Art. 201 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Misslingt dies und kommt keine Einigung zustande, erteilt die Schlichtungsbehörde entweder die Klagebewilligung (Art. 209 ZPO) oder unterbreitet den Parteien in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen einen Urteilsvorschlag (Art. 210 f. ZPO) oder erlässt in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von CHF 2'000.– auf Antrag der klagenden Partei einen Entscheid (Art. 212 ZPO). Bei Säumnis der klagenden Partei gilt das Schlichtungsgesuch als zurückgezogen und das Verfahren wird als gegenstandslos abgeschrieben (Art. 206 Abs. 1 ZPO). Bei Säumnis der beklagten Partei verfährt die Schlichtungsbehörde, wie wenn keine Einigung zu Stande gekommen wäre (Art. 206 Abs. 2 ZPO) und bei Säumnis beider Parteien wird das Verfahren als gegenstandslos abgeschrieben (Art. 206 Abs. 3 ZPO). Beim kostenpflichtigen Schlichtungsverfahren, d.h. im Falle der Zuständigkeit der kommunalen Friedensrichter (§§ 37 f. GOG) oder der Schlichtungsbehörde Arbeitsrecht bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von über CHF 30'000.– (§ 39 GOG und Art. 113 Abs. 2 lit. d ZPO), werden die Kosten des Schlichtungsverfahrens nach Art. 207 Abs. 1 ZPO der klagenden Partei auferlegt, wenn sie das Schlichtungsverfahren zurückzieht (lit. a), wenn das Verfahren wegen Säumnis abgeschrieben (lit. b) oder wenn die Klagebewilligung erteilt wird (lit. c). Die klagende Partei trägt damit die Kosten nicht nur im Falle der eigenen Säumnis. Vielmehr ist dies auch der Fall, wenn die beklagte Partei der Schlichtungsverhandlung unentschuldigt ferngeblieben ist und aus diesem Grund die Klagebewilligung erteilt wird (Art. 206 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 209 ZPO). Bei Einreichung der Klage werden diese Kosten zur Hauptsache geschlagen (Art. 207 Abs. 2 ZPO). Beim kostenpflichtigen Schlichtungsverfahren werden der beklagten Partei im Falle ihrer Säumnis nach der gesetzlichen Regelung somit keine Kosten wegen mutwilliger Prozessführung auferlegt, falls eine Klagebewilligung ausgestellt wird. Eine unterschiedliche Regelung ist auch nicht gerechtfertigt, wenn die Schlichtungsbehörde bei Säumnis der beklagten Partei den Parteien einen Urteilsvorschlag unterbreitet oder auf Antrag der klagenden Partei einen Entscheid erlässt. In diesen Fällen hat die beklagte Partei ohnehin den Rechtsnachteil zu tragen, dass sie sich in der gleichwohl durchgeführten Schlichtungsverhandlung (Art. 147 Abs. 2 ZPO) nicht äussern konnte und Tatsachenbehauptungen der klagenden Partei als unbestritten gelten (Art. 150 Abs. 1 ZPO). Sie wird damit in aller Regel aufgrund des für sie negativen Verfahrensausgangs ohnehin als unterliegende Partei die Kosten zu tragen haben (Art. 106 Abs. 1 ZPO). Zusammenfassend steht damit fest, dass der beklagten Partei im kostenpflichtigen Schlichtungsverfahren im Falle ihrer Säumnis keine Kosten wegen mutwilliger Prozessführung auferlegt werden. Unter diesen Umständen ist es auch nicht gerechtfertigt, anders zu verfahren, wenn das Schlichtungsverfahren vom Grundsatz der Kostenlosigkeit beherrscht wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die beklagte Partei – wie vorliegend – der Schlichtungsbehörde vorgängig mitteilt, dass und aus welchen Gründen sie der Verhandlung fernbleibt.

3.3 Hinzu kommt Folgendes: Nach der eingangs zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt mutwillige Prozessführung durch die Beklagte vor, wenn die Verletzung der Mitwirkungspflicht insgesamt auf eine Verzögerungstaktik hinausläuft. Ein derartiges Verhalten kann den Beschwerdeführerinnen indes nicht vorgeworfen werden. Sie erachteten zwar die Klage der Mieter als vollkommen unbegründet und waren daher nicht bereit, sich im Vermittlungsverfahren mit den Mietern zu versöhnen. Gleichwohl spielten die Beschwerdeführerinnen nicht auf Zeit, sondern ersuchten um Erteilung der Klagebewilligung an die Mieter, damit die Klage gerichtlich beurteilt werden kann. Ein trölerisches Verhalten liegt damit nicht vor, das mit der Auferlegung der Kosten gemäss Art. 115 ZPO sanktioniert werden müsste. In der Literatur und Rechtsprechung wird denn auch die Ansicht vertreten, dass in aller Regel nur eine bös- oder mutwillige Prozessführung vorliegt, wenn der Kläger – und nicht der Beklagte – unentschuldigt einer Verhandlung fernbleibt (Jenny, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2. A., Zürich/Basel/Genf 2013, Art.115 N 9 mit Hinweisen; ZR 111 Nr. 91).

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 3. April 2014

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