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Art. 115 ZPO

Art. 141 ZPO

Regeste:

Art. 141 ZPO – Eine  Zustellung durch öffentliche Publikation darf nur als ultima ratio erfolgen. Als unmöglich darf eine Zustellung nur dann erachtet werden, wenn vorgängig sämtliche sachdienlichen Nachforschungen vorgenommen wurden. Wählt das Gericht die Zustellform der öffentlichen Bekanntmachung, obschon die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, insbesondere eine andere Zustellform möglich gewesen wäre, so ist die Ediktalzustellung nichtig.

Aus den Erwägungen:

1. Vorab ist die Einhaltung der Berufungsfrist zu prüfen. Diese Frage hängt primär davon ab, ob die öffentliche Zustellung des Entscheids überhaupt zulässig war. Diese Frage ist aber zugleich (zusammen mit der Frage der Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung der Gesuchsanträge durch das Kantonsgericht) Gegenstand der Berufung selbst. Es handelt sich dabei mithin um eine sog. doppelrelevante Tatsache. Das bedeutet, dass mit dem Entscheid über die Rechtzeitigkeit der Berufung zugleich über die Berufung selbst entschieden ist. Erweist sich nämlich die Publikation des Entscheids (und dementsprechend auch die vorgängige Ediktalzustellung der Gesuchsanträge) als unzulässig und damit die Berufung als begründet, ist das Rechtsmittel jedenfalls auch rechtzeitig. Der angefochtene Entscheid wurde nämlich am 23. Mai 2014 im Amtsblatt des Kantons Zug veröffentlicht. Die Gesuchsgegnerin trägt vor, erstmals am 13. Juni 2014 Kenntnis vom Entscheid erhalten zu haben, als das Konkursamt diesen ihrem Verwaltungsratsmitglied H anlässlich der konkursamtlichen Beschlagnahmung der Aktiven vorgewiesen habe. War die öffentliche Zustellung unzulässig, begann die Berufungsfrist (wenn überhaupt) frühestens im Zeitpunkt zu laufen, als die Gesuchsgegnerin tatsächlich vom Entscheid Kenntnis erhielt; die unwiderlegbare Vermutung gemäss Art. 141 Abs. 2 ZPO, wonach die Bekanntgabe am Erscheinungsdatum stattgefunden hat, kommt diesfalls nicht zum Tragen (vgl. Huber, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Kommentar zur ZPO, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 141 N 21 f.).

2. Die Gesuchsgegnerin bestreitet zu Recht nicht, dass der vom Gesuchsteller monierte Organisationsmangel (Fehlen einer Revisionsstelle) besteht. Dass sie den Mangel bisher nicht behoben hat, führt sie aber darauf zurück, dass sie die das Gesuch des Handelsregisteramtes enthaltende Einschreibesendung des Kantonsgerichts nicht erhalten habe. Sie stellt sich auf den Standpunkt, indem das Kantonsgericht die Liquidation ausgesprochen habe, ohne dass sie sich wegen formaler Mängeln dazu habe äussern können, sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Die Zustellung des Gesuchs vom 2. April 2014 zur Stellungnahme sei mit dem Vermerk «nicht abgeholt» an das Kantonsgericht retourniert worden. Sie habe nicht mit einer Zustellung rechnen müssen, da kein Verfahren hängig gewesen sei. Von der darauf erfolgten Publikation der Rechtsbegehren im Amtsblatt des Kantons Zug habe sie keine Kenntnis genommen. Eine Zustellung durch Publikation gemäss Art. 141 ZPO könne nur erfolgen, wenn eine (andere) Zustellung unmöglich oder mit ausserordentlichen Umtrieben verbunden sei. Eine Unmöglichkeit der Zustellung liege vor, wenn die gerichtliche Sendung weder dem Adressaten persönlich noch seinem Vertreter noch einer zu deren Empfang berechtigten Person zugestellt werden könne. Damit die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen dürfe, habe das Gericht zuerst sämtliche sachdienlichen Nachforschungen vorzunehmen. Die Vorinstanz habe es unterlassen, solche Abklärungen zu treffen. Es sei nicht so gewesen, dass an ihrem Domizil nie jemand vorzufinden gewesen wäre. Die öffentliche Bekanntmachung des Entscheides des Kantonsgerichts vom 15. Mai 2014 sei daher nicht gerechtfertigt gewesen, weshalb dieser keine Wirkung entfalte.

2.1 Eine Zustellung durch öffentliche Publikation gemäss Art. 141 ZPO darf nur als ultima ratio erfolgen. Das Gesetz regelt die Fälle, in welchen die Ediktalzustellung zulässig ist, abschliessend (Huber, a.a.O., Art. 141 N 1, 8). Es sieht eine solche vor, wenn der Aufenthaltsort des Adressaten unbekannt ist und trotz zumutbarer Nachforschungen nicht ermittelt werden kann, eine Zustellung unmöglich ist oder mit ausserordentlichen Umtrieben verbunden wäre oder wenn eine Partei mit Wohnsitz im Ausland trotz entsprechender Aufforderung kein Zustellungsdomizil in der Schweiz bezeichnet hat. Als unmöglich darf eine Zustellung nur dann erachtet werden, wenn vorgängig sämtliche sachdienlichen Nachforschungen vorgenommen wurden (Frei, in: Hausheer/Walter [Hrsg.], Berner Kommentar zur ZPO, Art. 141 N 12). Wählt das Gericht die Zustellform der öffentlichen Bekanntmachung, obschon die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, insbesondere eine andere Zustellform möglich gewesen wäre, so ist die Ediktalzustellung nichtig (Huber, a.a.O., Art. 141 N 10). Es beginnen keine Fristen zu laufen und allfällige Entscheide werden nicht rechtskräftig (Frei, a.a.O., Art. 141 N 18).

2.2 Die Adresse der Gesuchsgegnerin ergibt sich aus dem Eintrag im Handelsregister. Das Kantonsgericht hat die Aufforderung zur Einreichung einer Stellungnahme zum Gesuch des Handelsregisteramtes am 3. April 2014 mit eingeschriebener Post an diese Adresse gesandt. Nachdem das Schreiben innerhalb der Frist von sieben Tagen nicht abgeholt und demzufolge an den Absender retourniert wurde, liess der erstinstanzliche Richter die Gesuchsanträge am 25. April 2014 mit der Aufforderung zur Stellungnahme im Amtsblatt des Kantons Zug publizieren. Ebenso stellte er den Entscheid vom 15. Mai 2014 am 23. Mai 2014 ohne weiteres auf dem Ediktalweg zu. Dass vor der öffentlichen Publikation weitere Abklärungen getroffen worden wären, ergibt sich aus den Akten nicht. Namentlich wurde aber weder eine nochmalige postalische Zustellung noch eine Zustellung durch Bote oder durch die Polizei versucht, obschon die Ediktalzustellung gemäss den vorstehenden Ausführungen nur ultima ratio erfolgen darf. Auch wenn diese letztgenannte Form der Zustellung die Ausnahme bleiben soll, ist auf sie insbesondere dann zurückzugreifen, wenn mit einer Postsendung keine Zustellfiktion i.S. von Art. 138 Abs. 3 ZPO erwirkt werden kann (Huber, a.a.O., Art. 138 N 28 f.). Da es sich beim Gesuch des Handelsregisteramtes um das prozesseinleitende Schriftstück handelte, fiel eine Zustellfiktion im vorliegenden Fall von vorneherein ausser Betracht. Es wäre deshalb ein Zustellversuch in anderer Weise als per Post erforderlich gewesen, bevor eine Ediktalzustellung in Betracht kam. Erst wenn eine Partei eine eingeschriebene Postsendung nicht abholt und sie auch nicht persönlich zuhause angetroffen werden kann, ist darin eine Zustellvereitelung zu erblicken, welche zu einer öffentlichen Zustellung berechtigt (vgl. Huber, a.a.O., Art. 141 N 16). Scheitert also ein erstmaliger postalischer Zustellversuch, kann grundsätzlich – wie erwähnt – noch nicht auf eine Zustellvereitelung geschlossen werden. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass die Vorinstanz offenbar auch noch am 16. April 2014 eine Zustellung mit uneingeschriebener Post an den einzigen Verwaltungsrat H vornahm, zumal dieser dieselbe Postadresse aufweist wie die Gesuchsgegnerin. Die Zustellung hätte zwingend mit Empfangsbestätigung erfolgen müssen (Huber, a.a.O., Art. 138 N 28). Die Voraussetzungen der Ediktalzustellung waren somit nicht erfüllt, weshalb eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt und beide in dieser Form erfolgten Zustellungen des Kantonsgerichts an die Gesuchsgegnerin keine rechtliche Wirkung zu erzeugen vermochten. Dementsprechend begann auch die Berufungsfrist mit der öffentlichen Publikation des Entscheides am 23. Mai 2014 nicht zu laufen. Der Entscheid vom 15. Mai 2014 erwuchs nicht in Rechtskraft. Er leidet sodann an einem schweren Mangel und ist aufgrund der sogenannten formellen Natur des Gehörsanspruchs (vgl. BGE 132 V 387; 126 I 19; 125 I 113) unabhängig davon, ob der Entscheid ohne die Verletzung anders ausgefallen wäre, aufzuheben (Sutter-Somm/Chevalier in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], a.a.O., Art. 53 N 26). Entsprechend braucht auf die weiteren Rügen der Gesuchsgegnerin, insbesondere die Verhältnismässigkeit der angeordneten Massnahme, nicht eingegangen zu werden.

Obergericht, II. Zivilabteilung, 6. August 2014

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