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Politische Rechte, Bürgerrecht und Polizei

Art. 4 und 5 Konkordat Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen, § 1 der kantonalen VO zum Konkordat
Art. 37 Abs. 2 und Art. 39 BV; § 5 Abs. 1 und § 73 KV; Art. 160 Abs. 1 und Art. 161 ZGB; § 33 und § 37 GG
§§ 39 Abs. 1a und 67 Abs. 2 WAG; Verordnung zum Wahl- und Abstimmungsgesetz vom 29. April 2008 (WAV)

§ 52c Abs. 3 WAG

Regeste:

§ 52c Abs. 3 WAG – Die  Regel von § 52c Abs. 3 WAF, wonach eine Listengruppe nur an der Sitzverteilung teilnimmt, wenn ihre Listen wenigstens in einem Wahlkreis mindestens 5 % aller  Parteistimmen des betreffenden  Wahlkreises oder im gesamten Kanton mindestens 3 % aller Parteistimmen erhält, ist nicht verfassungswidrig.

Aus dem Sachverhalt:

Am 5. Oktober 2014 fanden im Kanton Zug erstmals Gesamterneuerungwahlen des Kantonsrates nach der doppeltproportionalen Methode «Doppelter Pukelsheim» statt. Bei der Sitzverteilung kam ebenfalls erstmals die gesetzlichen Sperrklauseln des revidierte § 52c Abs. 3 WAG zur Anwendung. Gegen das Wahlergebnis reichten die Piratenpartei Zentralschweiz und zwei Stimmberechtigte beim Regierungsrat Beschwerde ein und beantragten, die Quoren von § 52c Abs. 3 WAG seien nicht anzuwenden, eventuell sei festzustellen, dass diese vor der Bundesverfassung und dem Völkerrecht nicht standhalten würden. Mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 trat der Regierungsrat auf die Beschwerde nicht ein. Gegen diesen Beschluss reichten die Piratenparteipartei Zentralschweiz und die beiden Stimmberechtigten am 27. Oktober 2014 beim Verwaltungsgericht Beschwerde ein und beantragten unter anderem, die Wahl des Kantonsrates sei aufzuheben und neu anzusetzen, wobei das direkte Quorum nicht anzuwenden sei, eventualiter sei festzustellen, dass die Regelung von § 52c Abs. 3 WAG vor Bundesrecht und Völkerrecht nicht standhalte.

Aus den Erwägungen:

(...)

4. Gemäss Art. 34 Abs. 1 der Bundesverfassung vom 18. April 1999 (BV, SR 101) sind die politischen Rechte gewährleistet. Die Garantie der politischen Rechte schützt die freie Willensbildung und die unverfälschte Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV).

a) Nach der Praxis des Bundesgerichts (BGE 140 I 107 ff. Erw. 3.1) gibt die in Art. 34 Abs. 2 BV verankerte Wahl- und Abstimmungsfreiheit den Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der Auseinandersetzung (Erw. 3.1. mit Verweis auf BGE 139 I 195 Erw. 2 und viele andere). Der Verfassungsgrundsatz der Wahl- und Abstimmungsfreiheit dient der Konkretisierung der politischen Gleichheit, die mit der Rechtsgleichheit von Art. 8 Abs. 1 BV eng verknüpft ist. Als Bestandteil der Wahl- und Abstimmungsfreiheit kommt dem Gleichheitsgebot für die politischen Rechte besondere Bedeutung zu, denn aus der Rechtsgleichheit und der politischen Gleichberechtigung im Speziellen folgt die Wahlrechtsgleichheit. Diese verlangt, dass allen Stimmen bei der Zählung nicht nur derselbe Wert, sondern auch derselbe Erfolg zukommt (das Bundesgericht spricht von «Erfolgswertgleichheit», BGE 131 I 79 Erw. 3.1). Das Bundesgericht hält fest, dass alle Stimmen in gleicher Weise zum Wahlergebnis beitragen, und möglichst alle Stimmen bei der Mandatsverteilung zu berücksichtigen sind. Die Zahl der gewichtslosen Stimmen sei auf ein Minimum zu begrenzen. Die Erfolgswertgleichheit erfasse damit nicht nur den Anspruch auf Verwertung der Stimme, sondern bedinge auch eine innerhalb des gesamten Wahlgebietes gleiche Verwirklichung des Erfolgswerts. Damit habe sie wahlkreisübergreifende Wirkung (BGE 131 I 79 mit Hinweis auf BGE 129 I 185 Erw. 7.2).

b) Gemäss Art. 39 Abs. 1 BV regelt der Bund die Ausübung der politischen Rechte in den eidgenössischen, die Kantone regeln sie in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten. Die Kantone sind in der Ausgestaltung ihres politischen Systems und des Wahlverfahrens weitgehend frei. Diese Zuständigkeit wird von den Kantonen im Rahmen der bundesverfassungsrechtlichen Garantien von Art. 34 BV sowie nach den Mindestanforderungen gemäss Art. 51 Abs. 1 BV ausgeübt (BGE 136 I 352 Erw. 2). Mit Bezug auf das von den Kantonen gewählte Wahlsystem genügen nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sowohl das Mehrheits- wie auch das Verhältniswahlrecht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Entscheidet sich ein Kanton für das Verhältniswahlrecht, erlangen die Garantien von Art. 34 Abs. 2 BV, wonach kein Wahlergebnis anerkannt werden soll, das nicht den freien Willen der Wählenden zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt, besondere Bedeutung. Insbesondere ist der Grundsatz der Erfolgswertgleichheit zu berücksichtigen, denn ein Proporzverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass es den verschiedenen Gruppierungen eine Vertretung ermöglicht, die weitgehend ihrem Wähleranteil entspricht (BGE 129 I 185 Erw. 7.3). Wird in einer Mehrzahl von Wahlkreisen gewählt, hängt die Realisierung des Verhältniswahlrechts unter anderem von der Grösse der Wahlkreise und damit zusammenhängend vom natürlichen Quorum ab. Je mehr Mandate einem Wahlkreis zustehen, desto tiefer ist das natürliche Quorum, d.h. der Stimmenanteil, den eine Liste benötigt, um bei einer ersten Sitzverteilung einen Sitz zu erhalten. Ein tiefes natürliches Quorum trägt dazu bei, dass alle massgeblichen politischen Kräfte im Parlament Einsitz nehmen können. Stehen hingegen einem Wahlkreis nur wenige Mandate zu, kann dies dazu führen, dass die Parteistärke im Parlament ungenau abgebildet wird. Kleinere Wahlkreise bzw. hohe natürliche Quoren können zur Folge haben, dass nicht bloss unbedeutende Splittergruppen, sondern auch Minderheitsparteien mit einem gefestigten Rückhalt in der Bevölkerung von der Mandatsverteilung gänzlich ausgeschlossen bleiben (BGE 140 I 107 ff. mit Verweis auf BGE 136 I 352).

c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 140 I 107 Erw. 3.2) sind natürliche und auch direkte gesetzliche Quoren, welche eine Limite von 10 % übersteigen, grundsätzlich unzulässig, wobei dieser Wert als Zielgrösse zu betrachten ist. Ausnahmsweise können Gründe überkommener Gebietsorganisation proporzfremde Elemente und damit ein Abweichen vom Verhältniswahlrecht rechtfertigen. Es kann sich dabei um historische, föderalistische, kulturelle, sprachliche oder religiöse Gründe handeln, welche kleine Wahlkreise als eigene Identitäten und als «Sonderfall» erscheinen lassen und ihnen – auf Kosten des Proporzes – im Sinne eines Minderheitenschutzes einen Vertretungsanspruch einräumen. Hierfür braucht es nach der Praxis des Bundesgerichts aber ausreichende sachliche Gründe. Je grösser die Abweichungen vom Proporzverfahren und von der Erfolgswertgleichheit, desto gewichtiger müssen sich die rechtfertigenden Gründe erweisen (BGE 136 I 352). Ein direktes gesetzliches Quorum von 12.4 % erachtet das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung als mit der verfassungsrechtlich garantierten Wahlrechtsgleichheit nicht mehr vereinbar, wohl aber ein solches von 6.6 % (BGE 131 I 74 ff. Erw. 5.3) und auch noch ein solches von 10 %. In einem im ZBl 1994, S. 479 ff. publizierten Entscheid wurde ein natürliches Quorum von 20 % als verfassungswidrig, ein solches von 9.1 % noch als verfassungsmässig betrachtet. Natürliche Quoren von 20 % bzw. 16.6 % wurden auch in BGE 129 I 185 als verfassungswidrig bezeichnet. In BGE 131 I 74 ff. Erw. 5.4 hält das Bundesgericht fest: Direkte Quoren, die eine grosse Zersplitterung der im Parlament einsitzenden politischen Kräfte verhindern sollen, und natürliche Quoren, die sich aus der Einteilung der Wahlkreise ergeben und deren Vertretung im Parlament sicherstellen, dienen zwar unterschiedlichen Zwecken, haben indessen die gleiche Wirkung, indem sie, je nach ihrer Höhe, mehr oder weniger Wähler von einer Vertretung im Parlament ausschliessen. Um der Rechtssicherheit willen ist, gestützt auf die angeführte Rechtsprechung, festzulegen, dass die Überschreitung einer Limite von 10 % in beiden Fällen mit einem Verhältniswahlrecht grundsätzlich nicht zu vereinbaren ist. Für natürliche Quoren, die Folge der bestehenden Gebietseinteilung sind und vielfach aus beachtlichen (historischen) Gründen erheblich davon abweichen, ist dieser Wert nicht als absolute Grenze, sondern als Zielwert zu verstehen, der jedenfalls bei einer Neuordnung des Wahlsystems möglichst angestrebt werden muss, auch wenn er, soweit nach wie vor ein ausgewiesenes Bedürfnis an der Beibehaltung proporzfremder Elemente besteht, nicht vollumfänglich erreicht wird. Für Sperrklauseln dagegen, die schon bei einer Grösse von weit unter 10 % die gewünschte Wirkung entfalten und deren Festsetzung immer ein willkürliches Element in sich trägt, ist diese Limite die absolute Obergrenze, sind doch kaum sachliche Gründe denkbar, die eine Annäherung an diesen Wert, geschweige denn seine Überschreitung, rechtfertigen könnten. Unter diesen Grundsätzen ist nun die Regelung im Kanton Zug, die von den Beschwerdeführern angefochten wird, zu prüfen.

5. Gemäss § 38 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Zug vom 31. Januar 1894 (KV, BGS 111.1) richten sich die Gesamterneuerungswahlen des Kantonsrates nach dem Grundsatz des proportionalen Wahlverfahrens. Wahlkreise sind die Einwohnergemeinden. Die Zahl der Kantonsratssitze der Wahlkreise wird durch einfachen Kantonsratsbeschluss nach Massgabe der nachgeführten Bevölkerungsstatistik (im Vorjahr veröffentliche Zahlen des Bundes der ständigen Wohnbevölkerung) festgelegt. Jedem Wahlkreis werden mindestens zwei Sitze zugeteilt (§ 38 Abs. 3 KV). Die Zuteilung der Sitze aufgrund der Stimmenzahlen erfolgt zuerst an die Parteien und politischen Gruppierungen entsprechend deren Wählerstärke im Kanton. Danach werden die Sitze der Parteien und politischen Gruppierungen auf die Wahlkreise nach Massgabe ihrer Sitzzahl gemäss Abs. 3 zugeteilt (doppeltproportionales Zuteilungsverfahren). Diese Verfassungsänderung, welcher das Stimmvolk am 22. September 2013 mit grosser Mehrheit zustimmte, hatte eine bewegte Vorgeschichte:

a) Mit Urteil vom 20. Dezember 2010 hielt das Bundesgericht fest, dass die bisherige Zuteilung der Kantonsratsmandate auf die Gemeinden des Kantons Zug für die Kantonsratswahlen verfassungswidrig sei. In der Folge beantragte der Regierungsrat dem Parlament mit Bericht und Antrag vom 10. Juli 2012 den Übergang zum sog. System des doppelten Pukelsheim. Der Kantonsrat folgte diesem Antrag am 31. Januar 2013 in erster Lesung. Im Rahmen der 2. Lesung vom 2. Mai 2013 beschloss der Kantonsrat – entgegen dem Antrag des Regierungsrates – dem Volk am 22. September 2013 zwei Varianten zum Entscheid vorzulegen: Dem «Zuger Doppelproporz» sollte ein explizites Verbot ebendieses Wahlsystems wie auch ein Verbot von Wahlkreisverbänden gegenübergestellt werden. Gegen diesen Beschluss wurde beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben, die vom Bundesgericht am 10. Juli 2013 gutgeheissen wurde. Am 22. September 2013 stimmte das Zuger Stimmvolk ausschliesslich über die Vorlage des Regierungsrates ab. Mit über 80 % der Stimmen entschied es sich für das doppeltproportionale Zuteilungsverfahren.

b) Zusammen mit der Kantonsverfassung wurde auch das WAG revidiert. Unter Ziff. 4.4.1 «Direktes Quorum (Wahlsperrklausel)» schlug der Regierungsrat in seinem Bericht und Antrag vom 10. Juli 2012 (KRV 2170.1, S. 10 f.) dem Kantonsrat vor, auf die Einführung eines direkten Quorums zu verzichten. Das System des doppelten Pukelsheim kenne in seiner reinen Ausgestaltung keine Wahlkreissperrklausel. Im Kanton Zug würde dies bedeuten, dass vielmehr jeder Partei, die rund 1/80 der Stimmen erhalte, ein Sitz garantiert werde. Ohne direktes Quorum werde somit der Wille der Wählerschaft weit möglichst widerspiegelt. Diese Überlegung spreche grundsätzlich gegen die Einführung eines Quorums, denn bei jeglicher Art von Quoren würden gewisse Stimmen ohne jede Wirkung bleiben. Auf der anderen Seite bestehe beim Verzicht auf ein direktes Quorum ein gewisses Risiko der Zersplitterung der politischen Kräfteverhältnisse und damit auch ein gewisses Risiko der Einschränkung der Handlungsfreiheit des Kantonsrates. Aus dem Bericht und Antrag der vorberatenden Kommission vom 8. November 2012 (KRV 2170.5) ergibt sich, dass diese sich für ein Mindestquorum von 5 % in einem Wahlkreis oder 3 % im Kanton entschied und beschloss, dem § 52c einen entsprechenden Absatz beizufügen. Die Kommission machte geltend, es werde keine Zersplitterung in Kleinstgruppen gewünscht, die sich nur für Singularinteressen einsetzen würden. Als Beispiel wurde eine Gruppierung genannt, welche die «Spange Cham» verhindern möchte und aufgrund dieser örtlichen Ausgangslage versuche, sich politisch zu manifestieren. Im Kantonsrat sei erst ab fünf Vertreterinnen oder Vertretern einer Parteieinsitz in eine Kommission möglich. Grundsätzlich solle aber im Parlamentsbetrieb eine effiziente Mitwirkungskultur garantiert werden. Die Kommission sei der Ansicht, dass dem Kanton nicht gedient sei, wenn einige Kantonsratsmitglieder, die je einer einzelnen Gruppierung angehörten, während Jahren im Kantonsrat Einsitz nehmen würden, jedoch mangels Fraktionsstärke in keiner Kommission mitwirken würden. Die vorberatende Kommission verwies schliesslich auf die gesetzlichen Lösungen im Kanton Aargau und im Kanton Zürich.

c) Bei der Beratung im Kantonsrat (Protokoll der 41. Sitzung des Kantonsrats vom 31. Januar 2013) erklärte der Präsident der vorberatenden Kommission, im Gegensatz zum Regierungsrat erachte man die Gefahr der politischen Zersplitterung als gegeben. Ohne Quorum brauche es nur einen Achtzigstel der Stimmen des ganzen Kantons, um im Parlament mit einem Sitz vertreten zu sein, da für die Mandatszuteilung neu nicht mehr die Gemeinde, sondern der ganze Kanton massgebend sei. Insbesondere für Gruppierungen, die in jeder Gemeinde ein paar Stimmen zusammenkratzen könnten, sei es viel leichter, einen Sitz zu ergattern. Man wolle aber nicht, dass sich der Kantonsrat am Ende aus einem Sammelsurium von Splittergruppen zusammensetze, welche an keiner Kommissionssitzung mehr teilnehmen könnten, weil diese sehr oft monothematischen Gruppierungen keine Fraktionsstärke aufweisen würden. Indem entweder das eine oder das andere Quorum erfüllt werden könne, schlage man die für die kleinen Parteien liberalste Lösungsmöglichkeit vor. Die Kommission wolle einen handlungsfähigen Kantonsrat. Sie wolle aber auch das Entstehen neuer politischer Gruppierungen nicht unnötig erschweren. Die Direktorin des Innern beantragte seitens des Regierungsrates, den Antrag der vorberatenden Kommission abzulehnen, da die mit dem neuen Sitzzuteilungssystem erzielte Stimmwert- und Erfolgswertgleichheit mit der vorgeschlagenen Sperrklausel wieder geschmälert werde. Bei den letzten Kantonsratswahlen hätten sämtliche Parteien, die mindestens eine Kandidatin bzw. einen Kandidaten in den Kantonsrat hätten einziehen lassen können, einen Wähleranteil von 5 % erreicht, weshalb von der Gefahr einer Parteizersplitterung keine Rede sein könne. Das neue Sitzzuteilungsverfahren zeichne sich dadurch aus, dass jede Partei möglichst genau nach ihrem Wähleranteil im Kantonsrat vertreten sei und jede Stimme im Kanton gleich viel zähle. Mit der Einführung von Wahlsperrklauseln würden diese Vorteile beeinträchtigt, da Stimmen für Gruppierungen, welche die Wahlsperrklausel nicht erreichten, wertlos bleiben würden. Bezüglich der beiden Kantone, welche eine Wahlsperrklausel kennen würden, sei festzuhalten, dass diese viele grössere Parlamente hätten und daher das natürliche Quorum für die Erlangung eines Sitzes klar unter 1 % liege. In beiden Kantonen sei daher die Gefahr der Zersplitterung um einiges grösser als im Kanton Zug. In Kenntnis dieser Voten stimmte der Kantonsrat der Einführung eines gesetzlichen Quorums von 5 % pro Wahlkreis bzw. von 3 % bezogen auf den ganzen Kanton im Verhältnis von 60 zu 40 % zu. Hierbei handelt es sich um einen demokratisch legitimierten Entscheid, der nicht leichthin umgestossen werden sollte.

d) Wie bereits erwähnt gibt es auch in anderen Kantonen, welche ihre Parlamente nach dem System des doppeltproportionalen Zuteilungsverfahrens wählen, Sperrklauseln. Gemäss § 61 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 kann für die Wahl des Grosses Rates und des Verfassungsrates durch Gesetz ein Quorum festgelegt werden. Gemäss § 13 Abs. 2 des Gesetzes über die Wahl des Grossen Rates des Kantons Aargau vom 8. März 1988, in der Fassung vom 7. Juni 2011, in Kraft seit dem 1. Mai 2012, nimmt eine Listengruppe an der Sitzverteilung nur teil, wenn ihre Listen wenigstens in einem Bezirk mindestens 5 % aller Parteistimmen des betreffenden Bezirks erhalten oder wenn sie eine Wahlzahl erreicht, die gesamtkantonal einem Wähleranteil von mindestens 3 % entspricht. Im Kanton Zürich muss ebenfalls ein gesetzliches Quorum erreicht werden. Gemäss § 102 Abs. 3 des Gesetzes über die politischen Rechte vom 1. September 2003, in der Fassung vom 17. November 2003, in Kraft seit dem 1. Januar 2005, nimmt eine Listengruppe an der Sitzverteilung nur teil, wenn wenigstens eine ihrer Listen mindestens 5 % aller Parteistimmen des betreffenden Wahlkreises erhalten hat. Die Gemeindeordnung der Stadt Zürich vom 26. April 1970 enthält in § 23 Abs. 4 ebenfalls eine Sperrklausel von 5 %, wobei die Stimmberechtigten der Stadt Zürich am 4. September 2011 eine Herabsetzung der Sperrklausel auf 2 % abgelehnt haben.

6. Beim gesetzlichen Quorum handelt es sich um einen Eingriff in die von Art. 34 BV garantierten politischen Rechte. Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein und müssen verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 1–3 BV).

a) Artikel 36 Abs. 1 BV verlangt für jede Einschränkung eines Grundrechts eine gesetzliche Grundlage. Das Erfordernis des Rechtssatzes, d.h. einer generell-abstrakten Norm, gewährleistet die Rechtsgleichheit und die Rechtssicherheit. Mit der Bestimmung von § 52c Abs. 3 WAG hat das angefochtene gesetzliche Quorum eine klare Grundlage in einem formellen Gesetz.

b) Weiter muss die Einschränkung von Grundrechten durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt sein. Als öffentliche Interessen gelten vor allem der Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen, der Schutz der Rechtsordnung und viele andere (siehe die Zusammenstellung bei Rainer J. Schweizer, St. Galler Kommentar zur BV, 3. Auflage, N 32 zu Art. 36). Es bestehen aber auch nicht zu unterschätzende Interessen der Behörden und der staatlichen Verwaltung, z.B. besondere Geheimhaltungsinteressen oder der Schutz der Funktionsfähigkeit der Behörden (Schweizer, a.a.O. mit verschiedenen Verweisen). Ob und inwieweit diese Interessen einen Eingriff rechtfertigen, ist im Hinblick auf das infrage stehende Grundrecht für jeden Einzelfall zu beurteilen.

aa) Mit einem gesetzlichen Quorum soll eine Parteienzersplitterung bzw. eine zu grosse Zersplitterung der im Parlament sitzenden politischen Kräfte verhindert werden. Mit einem Quorum kann sichergestellt werden, dass sich ein politisches Interesse mit einem sichtbaren Gewicht formiert hat und hinter einem Sitz steht. Ohne Quorum besteht die Gefahr, dass Kleinstgruppierungen ohne Fraktionszugehörigkeit ihre fehlende Vertretung in den Kommissionen durch eine hohe Zahl von parlamentarischen Vorstössen zu kompensieren versuchen, was den Parlamentsbetrieb behindern würde. Das Quorum soll auch die Bildung stabiler Mehrheiten sicherstellen und politische Blockierungen verhindern, welche die wirksame Erfüllung öffentlicher Aufgaben erschweren. Mit dem Quorum sollen unbedeutende Splittergruppen – im Gegensatz zu Minderheitsparteien mit gefestigtem Hintergrund – ausgeschlossen werden. Auch nach der Auffassung des Bundesgerichts darf mit direkten Quoren verhindert werden, dass sich die in einem Parlament einsitzenden Kräfte aufsplittern und damit die Funktionsfähigkeit des Parlaments beeinträchtigen.

bb) Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, überzeugt nicht in allen Punkten. Richtig ist, dass nach § 24 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Kantonsrates vom 28. August 2014 (GO, KR, BGS 141.1) auch Ratsmitglieder in die Kommissionen wählbar sind, die keiner Fraktion angehören. Allerdings wird eine solche Wahl ausdrücklich nur möglich sein, wenn eine Fraktion freiwillig auf ein ihr zustehendes Mandat verzichtet, denn Kommissionen sollen gemäss § 24 Abs. 2 GO KR proportional zur Anzahl der Sitze im Parlament besetzt werden, d.h. es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Einsitznahme in eine Kommission für Einzelpersonen. Was den Beitritt einer Einzelperson zu einer Fraktion betrifft, so ist ein solcher möglich, wenn die Fraktion einem solchen zustimmt, was aber nur der Fall sein dürfte, wenn die entsprechenden politischen Ansichten weitgehend übereinstimmen. Dass es Beispiele dafür gibt, dass Einzelkämpfer im Parlament sich erfolgreich einer Fraktion anschliessen können und in der Lage sind mitzuarbeiten, soll nicht bestritten werden. Es kann aber im Ergebnis nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gerade Mitglieder von kleinen Splittergruppen wegen ihrer bisweilen radikaleren Ideen schwer haben, sich anderen Fraktionen anzuschliessen bzw. in diese zu integrieren, bzw. von diesen überhaupt aufgenommen zu werden.

c) Die Einschränkung der politischen Rechte muss nach Art. 36 Abs. 3 BV auch verhältnismässig sein. Ein Grundrechtseingriff muss zur Erreichung des öffentlichen Zwecks geeignet und erforderlich sein. Geeignet ist ein Eingriff, wenn durch die entsprechende staatliche Handlung das öffentliche Interesse auch tatsächlich wahrgenommen werden kann. Sind mehrere staatliche Massnahmen denkbar, mit denen der verfolgte Zweck erreicht werden kann, so verlangt das Element der Erforderlichkeit, dass auf schwerer wiegende Massnahmen verzichtet wird. Schliesslich muss sich der Eingriffszweck im Verhältnis zur Eingriffswirkung im konkreten Fall bewähren (vgl. hierzu Schweizer, a.a.O., N 37 ff. zu Art. 36 BV). Die Beschwerdeführer werfen dem Regierungsrat diesbezüglich vor, er habe mit keinem Wort die Schwere des Eingriffs im Verhältnis zum zu erreichenden Ziel abgewogen. Zur Frage der Verhältnismässigkeit ist zu sagen, dass das Quorum nach zugerischem Recht weit unter der vom Bundesgericht festgelegten absoluten Limite von 10 % liegt. Zudem erlauben es unterschiedlich hohe Quoren auf Gemeinde- und Kantonsebene (5 % in den einzelnen Gemeinden und 3 % für das ganze Kantonsgebiet) einer politischen Gruppierung, die nur in einzelnen Gemeinden aktiv ist, allenfalls Sitze im Kantonsrat zu erringen. Sofern nämlich eine Partei in einer Gemeinde 5 % aller Parteienstimmen erreicht, zählen bei der Oberzuteilung auch die Stimmen dieser Listengruppe aus den Wahlkreisen, in denen das Quorum nicht erreicht wurde. Es trifft keineswegs zu, dass die gesetzliche Regelung von § 52c Abs. 3 WAG einer Partei dauerhaft die Möglichkeit nimmt, mit ihren politischen Überzeugungen übereinstimmende Vertreter in den Kantonsrat zu wählen und zu gleichen Bedingungen wie andere Kandidaten anzutreten. Ein gesetzliches Quorum von 3 % ist offensichtlich geeignet, eine Aufsplitterung der Kräfte im Parlament zu verhindern und damit zu erreichen, dass die Funktionsfähigkeit des Kantonsrats nicht beeinträchtigt wird. Die Festlegung der Grenze für das Kantonsquorum bei 3 % scheint dem Gericht auch unter dem folgenden Aspekt angemessen: Mit Ausnahme der Beschwerdeführerin 1 lagen alle Parteien deutlich über dem Kantonsquorum (an zweitletzter Stelle lag die grünliberale Partei mit 6.041 % der Stimmen). Daraus kann gefolgert werden, dass es für Gruppierungen, die in den meisten Gemeinden des Kantons zur Wahl antreten, nicht besonders schwierig zu sein scheint, das Quorum von 3 % deutlich zu übersteigen. Hier kann auch noch auf das Ergebnis der Kantonsratswahlen von 2010 hingewiesen werden, wo – zwar noch nach dem alten Wahlsystem – mit Ausnahme von zwei parteilosen Bewerbern alle Parteien zumindest vier Sitze erreicht hätten, wenn schon damals nach den heutigen Regeln mit einem gesetzlichen Quorum gewählt worden wäre.

d) Zusammenfassend ergibt sich Folgendes: Mit einem Wahlkreisquorum von 5 % und einem Kantonsquorum von 3 % liegt die Sperrklausel von § 52c Abs. 3 WAG weit unter der vom Bundesgericht in langjähriger Praxis festgelegten Limite von 10 %. Weiter ist unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit zu beachten, dass – sofern eine Gruppierung im Kanton Zug in einem Wahlkreis mehr als 5 % der Listenstimmen erhält – bei der Oberzuteilung auch die Stimmen zählen, welche in anderen Wahlkreisen für diese Listengruppe abgegeben wurden. Schliesslich garantiert das neue Zuger Proporzwahlverfahren nach dem sogenannten doppelten Pukelsheim im Vergleich zu vielen anderen Kantonen – in denen zum Teil auch für die Legislative noch das Majorzwahlverfahren gilt – eine sehr weitgehende Verwirklichung der Erfolgswertgleichheit. Unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit ist auch zu beachten, dass die Beschwerdeführerin 1 mit 0.476 % der Listenstimmen weit unter dem Stimmenanteil lag, der ihr ohne Quorum einen Sitz im Kantonsrat verschafft hätte (die Grenze für ein Mandat liegt bei insgesamt 80 Kantonsratssitzen bei etwa 1.25 %). Der Grund hierfür liegt wohl weniger im Faktum eines gesetzlichen Quorums, sondern vielmehr darin, dass sich die Beschwerdeführerin als bis anhin weitgehend unbekannte Gruppierung erstmals an den Kantonsratswahlen beteiligt hat und nur in drei von elf Gemeinden zur Wahl angetreten ist.

e) Die Zahl der gewichtslosen Stimmen wird mit der zugerischen Lösung auf ein Minimum begrenzt. Unter dem Kantonsquorum von 3 % könnten ohne Quorum höchstens zwei Sitze erreicht werden, für die ca. 2.5 % der Listenstimmen erforderlich wären. Wer mehr als 3 % der Listenstimmen erreicht, liegt bald im Bereich von mutmasslich drei Sitzen (...). Es ist (...) (auch) nicht zu sehen, wie § 52c Abs. 3 WAG die Bundesverfassung oder den UNO-Pakt II (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, abgeschlossen am 16. Dezember 1966, für die Schweiz in Kraft getreten am 18. September 1992) in unzulässiger Weise verletzen soll (gerade nach Art. 25 des UNO-Paktes II verletzen nicht alle, sondern nur unangemessene Einschränkungen das freie Stimm- und Wahlrecht). Die zugerische Lösung fügt sich auch aus föderalistischer Optik gut in die gesetzlichen Regelungen der umliegenden Kantone Aargau und Zürich ein, welche im Verlauf der letzten zehn Jahre ebenfalls das Wahlsystem des sogenannten doppelten Pukelsheim eingeführt haben und die auch ein gesetzliches Quorum zur Vermeidung der Zersplitterung des Kantonsparlaments durch viele Kleinparteien kennen. Ebenfalls nicht unerwähnt bleiben soll, dass in unserem nördlichen Nachbarland, der Bundesrepublik Deutschland, sowohl auf Bundes- wie auf Länderebene ein Quorum von 5 % gilt. Wird dieses nicht erreicht, so besteht kein Anspruch auf Sitze im Bundestag oder in den Länderparlamenten.

f) Dass es sich beim 3 %-Quorum auf Kantonsebene im WAG nicht um eine ungewöhnliche gesetzliche Sondernorm handelt, zeigt auch ein Hinweis auf § 30 Abs. 1 lit. k des Steuergesetzes vom 25. Mai 2000 (StG, BGS 632.1). Gemäss dieser seit dem 1. Januar 2012 in Kraft stehenden Bestimmung können Mitgliederbeiträge und Zuwendungen an politische Parteien bis zu einem Gesamtbetrag von Fr. 20'000.– vom steuerbaren Einkommen in Abzug gebracht werden, wenn diese im Register nach Art. 76a des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976 eingetragen sind, wenn sie in einem kantonalen Parlament vertreten sind oder wenn sie in einem Kanton bei den letzten Wahlen des kantonalen Parlaments mindestens 3 % der Stimmen erreicht haben. Das Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer vom 14. Januar 1990 (DBG, SR 642.11) enthält eine wörtlich identische Regelung, wobei der Höchstbetrag auf Fr. 10'100.– festgelegt ist. Die beiden erwähnten gesetzlichen Regelungen basieren auf Art. 9 Abs. 2 lit. l des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinde vom 14. Dezember 1990 (StHG, SR 642.14). Diese Formulierung erlaubt eine rechtsgleiche Anwendung in allen Kantonen und wurde so gewählt, dass in Kantonen, welche über eine hohe Sperrklausel für den Einzug ins Parlament verfügen, auch Parteien berücksichtigt werden können, die zwar nicht den Einzug ins Parlament geschafft haben, aber doch über eine gewisse Wählerschaft verfügen (vgl. hierzu den Bericht der staatspolitischen Kommission des Ständerates vom 16. Juni 2008, BBl. 2008, 7463 ff.).

7. Insgesamt ergibt sich, dass die Beschwerde abgewiesen werden muss, soweit darauf eingetreten werden kann.

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 13. November 2013 V 2014 / 145

Eine gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde vom Bundesgericht mit Urteil vom 9. Dezember 2014 abgewiesen.

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