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Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR

Art. 4 ATSV; Art. 43 Abs. 1 ATSG

Regeste:

Art. 4 ATSV; Art. 43 Abs. 1 ATSG – Geleistete und rechtlich geschuldete  Unterhaltsbeiträge an im Ausland lebende, unterhaltsberechtigte Ehepartner und Kinder sind bei der Beurteilung der « grossen Härte» als Voraussetzung des Erlasses einer  Rückforderung zu berücksichtigen; Verletzung der Untersuchungs- und Abklärungspflicht durch die Verbandsausgleichkasse.

Aus dem Sachverhalt:

A. ist mazedonischer Staatsangehöriger und arbeitet bei der Y. AG in H. Er ist verheiratet und Vater der vier Kinder B. (geb. ... 1988), C. (geb. ... 1989), D. (geb. ... 1992) und E. (geb. ... 1994). Gestützt auf das bis 31. Dezember 2008 in Kraft gewesene kantonale Kinderzulagengesetz (KZG) bezog A. Kinder- bzw. Ausbildungszulagen. In Anwendung der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen neuen Regelungen nach dem Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZG, SR 836.2) teilte die Verbandsausgleichskasse X. A. jedoch mit Verfügung vom 19. Dezember 2011 mit, eine Überprüfung habe ergeben, dass ihm für die Zeitdauer vom 1. Januar 2009 bis 30. November 2011 Familienzulagen ohne eine Anspruchsgrundlage ausbezahlt worden seien. Die Kinder (...) befänden sich in Mazedonien und hätten gemäss Wegleitung zum Familienzulagengesetz, Rz. 322, keinen Anspruch. Gestützt auf Art. 25 ATSG werde er deshalb aufgefordert, die zuviel bezogenen Leistungen im Umfang von Fr. 40'950.– zurückzuerstatten. Vorbehalten bleibe die Stellung eines Erlassgesuches innert 30 Tagen.

Am 10. Januar 2012 stellte A. bei der Verbandsausgleichskasse X. ein Erlassgesuch und führte aus, er sei finanziell nicht in der Lage, die über die letzten Jahre ausbezahlten Fr. 40'950.– zurückzuerstatten. Die von der Ausgleichskasse genannten rechtlichen Änderungen seien ihm leider keineswegs bekannt gewesen. Er sei weder schriftlich noch mündlich von der Ausgleichskasse, vom Arbeitgeber oder von Bekannten auf eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen hingewiesen worden. Im Weiteren sei es so, dass eine Rückerstattung für ihn finanziell untragbar und daher unmöglich sei. Das Gegenteilige sei der Fall; er wäre weiterhin auf diese Unterstützung angewiesen. Neben dem Aufkommen für seinen Lebensunterhalt in der Schweiz sei er die alleinige finanzielle Quelle für seine vier sich noch in Ausbildung befindenden Kinder, wovon drei Kinder in auswärtigen Universitätsstädten wohnten und studierten sowie das jüngste Kind das Gymnasium besuche. Die Bestätigungen der Universitäten und Schulen habe er der Ausgleichskasse jährlich im Original mit Übersetzung zugesandt. Zudem komme er für seine Ehefrau und seine pflegebedürftigen Eltern in Mazedonien auf.

Mit «Erlassentscheid» vom 2. April 2012 erliess die Verbandsausgleichskasse X. dem Versicherten bei teilweise gegebener grosser Härte Fr. 6'111.25 der ursprünglichen Forderung, wies aber das Erlassgesuch für den Restbetrag von Fr. 34'838.75 ab. In der Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass gegen diese Verfügung innert 30 Tagen seit der Zustellung schriftlich Beschwerde erhoben werden könne, welche beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich einzureichen sei.

Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 18. April 2012 wandte sich A. an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und beantragte sinngemäss, der Entscheid vom 2. April 2012 sei aufzuheben und es sei ihm auch die Rückforderung von Fr. 34'838.75 zu erlassen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich trat auf die Beschwerde mit Beschluss vom 27. April 2012 mangels örtlicher Zuständigkeit nicht ein und überwies die Akten nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug. Dieses eröffnete unter der Dossiernummer S 2013 19 ein Verfahren und forderte die Verbandsausgleichskasse X. zur Vernehmlassung auf.

Mit Vernehmlassung vom 12. März 2013 beantragte die Verbandsausgleichskasse X. sinngemäss die Abweisung der Beschwerde und führte begründend aus, nach Inkrafttreten des FamZG per 1. Januar 2009 sei die Rechtsgrundlage für den Export der Zulagen für in Mazedonien lebende Kinder weggefallen. Die Kinder befänden sich nachweislich in Mazedonien. Nach ihrer Auffassung sei der vom Beschwerdeführer beteuerte gute Glaube gegeben, weshalb dem Erlassgesuch auch teilweise habe entsprochen werden können. Die Rückforderung sei von Fr. 40'950.– auf den Betrag von Fr. 34'838.75 reduziert worden. Die Unterstützungspflicht gegenüber Verwandten in Mazedonien oder die Erwerbsfähigkeit derer sei in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Die finanzielle Tragbarkeit bzw. Möglichkeit der effektiven Begleichung der Rückforderung sei ebenfalls nicht zu prüfen. Es sei lediglich auf die eingereichten Akten und die daraus resultierende Erlassberechnung abzustellen.

Mit Urteil S 2013 19 vom 19. März 2013 entschied der Einzelrichter der Sozialversicherungsrechtlichen Kammer des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug, auf die Beschwerde werde mangels eines Anfechtungsobjekts nicht eingetreten, und die Eingabe vom 18. April 2012 werde zur Behandlung als Einsprache an die Verbandsausgleichskasse X. überwiesen. Begründend hielt der Einzelrichter fest, die Rückforderungsverfügung der Verbandsausgleichskasse X. vom 19. Dezember 2011 sei seitens A. nicht angefochten worden, sodass diese in Rechtskraft erwachsen sei. Hingegen habe A. am 10. Januar 2012 ein Erlassgesuch gestellt, welches die Verbandsausgleichskasse X. mit Verfügung vom 2. April 2012 teilweise gutgeheissen habe. Die Rechtsmittelbelehrung in diesem Entscheid sei nicht nur in örtlicher, sondern auch in sachlicher Hinsicht falsch gewesen. Gemäss Art. 1 FamZG i.V.m. Art. 52 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG, SR 830.1) müsse zwingend ein Einspracheverfahren durchlaufen werden. Erst der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse, nicht aber deren Verfügung, bilde Anfechtungsobjekt des erstinstanzlichen Beschwerdeverfahrens.

In der Folge erliess die Verbandsausgleichskasse X. am 19. April 2013 einen weiteren «Erlassentscheid», dessen Wortlaut – bis vermutlich auf die Rechtsmittelbelehrung (die Rückseite der Verfügung liegt nicht in den Akten) – mit jenem vom 2. April 2012 übereinstimmt. Eine dagegen am 8. Mai 2013 erhobene Einsprache wies die Verbandsausgleichskasse X. mit Einspracheentscheid vom 11. Juni 2013 ab. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, die grosse Härte sei nur teilweise gegeben. Das diesbezügliche Ermittlungsblatt sei nach den Vorgaben von Art. 5 der Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 11. September 2002 (ATSV, SR 830.11) sowie des Bundesgesetzes über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung vom 6. Oktober 2006 (ELG, SR 831.30) und der Ergänzungsleistungsverordnung vom 15. Januar 1971 (ELV, SR 831.301) erstellt worden. Dieses sei integrierter Bestandteil des Einspracheentscheides. In der Rechtsmittelbelehrung nannte die Ausgleichskasse als zuständige Rechtsmittelinstanz fälschlicherweise wiederum das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich.

Dieser Rechtsmittelbelehrung folgend, richtete sich A. mit Eingabe vom 1. Juli 2013 an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und beantragte den kompletten Erlass der Rückerstattungsforderung. (...). Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich trat mit Beschluss vom 9. August 2013 mangels örtlicher Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Akten nach Eintritt der Rechtskraft an das Verwaltungsgericht des Kantons Zug.

Aus den Erwägungen:

(...)

5.

5.1 Gemäss Art. 4 Abs. 1 ATSV wird die Rückerstattung unrechtmässig gewährter Leistungen, die in gutem Glauben empfangen wurden, bei Vorliegen einer grossen Härte ganz oder teilweise erlassen. Von einem gutgläubigen Bezug einer Sozialversicherungsleistung wird gesprochen, wenn das Bewusstsein über den unrechtmässigen Leistungsbezug fehlt, sofern dieses Fehlen nach objektiver Betrachtungsweise unter den gegebenen Umständen als entschuldbar erscheint. Rechtsunkenntnis stellt indes nicht à priori guten Glauben dar. Praxisgemäss ist mithin zu unterscheiden zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann oder ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein ist eine Tatfrage, während die Frage nach der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage gilt. Der gute Glaube ist zu vermuten und besteht folglich insbesondere dann, wenn sich die empfangende Person keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht hat. Ein nur leicht schuldhafter Verstoss gegen die Meldepflicht spricht nach der Praxis nicht gegen den guten Glauben (vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Auflage, Zürich/ Basel/ Genf 2009, Art. 25 Rz. 33 ff.; BGE 8C_375/ 2007 vom 28. September 2007 Erw. 1.2).

5.2 Die Beschwerdegegnerin stellt nicht in Frage, dass der Beschwerdeführer die seit dem 1. Januar 2009 zuviel ausbezahlten Leistungen in gutem Glauben empfangen hat. Die Darlegungen des Beschwerdeführers, wonach er nicht gewusst habe, dass die seit dem 1. Januar 2009 geltende gesetzliche Regelung keinen Leistungsexport nach Mazedonien mehr vorsehe, er weder von der Ausgleichskasse noch von seinem Arbeitgeber auf die Rechtsänderung aufmerksam gemacht worden sei, und er – im Gegenteil – jedes Jahr auf Aufforderung der Beschwerdegegnerin die entsprechenden Ausbildungs- bzw. Schulbestätigungen seiner Kinder in Mazedonien eingereicht habe, weshalb er davon ausgegangen sei, dass ihm die Zulagen für seine in Mazedonien lebenden Kinder zustehen, sind glaubwürdig. Es bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer wusste, die Leistungen für seine im Mazedonien lebenden Kinder zu Unrecht zu beziehen. Es kann somit ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich um einen gutgläubigen Bezug von Leistungen handelt, zumal das Vorhandensein des guten Glaubens zu vermuten ist. Zu prüfen bleibt das Kriterium der «grossen Härte», welches die Beschwerdegegnerin im angefochtenen Einspracheentscheid nur als teilweise gegeben betrachtete.

6.

6.1 Gemäss Art. 5 ATSV liegt eine grosse Härte im Sinne von Art. 25 Abs. 1 ATSG vor, wenn die vom Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung vom 6. Oktober 2006 (ELG, SR 831.30) anerkannten Ausgaben und die zusätzlichen Ausgaben nach Art. 5 Abs. 4 ATSV die nach ELG anerkannten Einnahmen übersteigen. Weitere Besonderheiten werden in Art. 5 Abs. 2 und 3 ATSV festgelegt. Massgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie im Zeitpunkt vorliegen, in welchem über die Rückforderung rechtskräftig entschieden ist (vgl. Art. 4 Abs. 2 ATSV). Dies ist im vorliegenden Fall das Jahr 2012.

Für die Beurteilung der grossen Härte werden pauschalisierte Ansätze herangezogen, wie sie für die Berechnung von Ergänzungsleistungen gelten. Dabei wird als Mietzins bei zu Hause lebenden Personen der jeweilige Höchstbetrag nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ELG angerechnet (Art. 5 Abs. 2 lit. a ATSV). Für die obligatorische Krankenpflegeversicherung wird bei allen Personen als Pauschalbetrag die höchste Prämie für die jeweilige Personenkategorie nach der jeweils gültigen Verordnung des EDI über die kantonalen und regionalen Durchschnittsprämien der Krankenpflegeversicherung für die Berechnung der Ergänzungsleistungen angerechnet (Art. 5 Abs. 2 lit. c ATSV). Sodann wird bei Alleinstehenden als zusätzliche Ausgabe ein Betrag von Fr. 8'000.–, bei Ehepaaren ein solcher von Fr. 12'000.– angerechnet (Art. 5 Abs. 4 lit. a und b ATSV).

6.2 Der Beschwerdeführer ist zwar verheiratet und Vater von vier Kindern, lebt indes nach eigenen Angaben alleine in der Schweiz. Seine Ehefrau und die Kinder leben in Mazedonien. Die Beschwerdegegnerin ist aus diesem Grund gestützt auf Art. 10 der Ergänzungsleistungsverordnung vom 15. Januar 1971 (ELV, SR 831.301), wonach Ehegatten oder andere Familienmitglieder, die sich längere Zeit im Ausland aufhalten, bei der Bemessung der Ergänzungsleistung ausser Betracht fallen, zu Recht von einer alleinstehenden Person ausgegangen. Bei der Anspruchsberechtigung sind demnach nur die persönlichen Einnahmen und Ausgaben des Beschwerdeführers zu berücksichtigen. Allerdings verkennt die Beschwerdegegnerin, dass auch geleistete familienrechtliche Unterhaltsbeiträge zu den persönlichen Ausgaben gehören (Art. 10 Abs. 3 lit. e ELG). Dies gilt – unabhängig von Art. 10 ELV – auch dann, wenn der unterhaltsberechtigte Ehepartner oder die Kinder im Ausland leben (vgl. Entscheid EL 2003/36 des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 12. Februar 2004, in diesem Punkt vom Bundesgericht mit Urteil P 12/04 vom 14. September 2005 bestätigt). Präzisierend hielt das Bundesgericht im Urteil P 12/04 vom 14. September 2005 fest, dass bei alleinigem Abstellen auf den Wortlaut von Art. 3b Abs. 3 lit. e aELG (heute Art. 10 Abs. 3 lit. e ELG) – als Ausgaben anerkannt werden «geleistete familienrechtliche Unterhaltsbeiträge – beliebig hohe Unterhaltskosten abzugsfähig wären, sofern sie nur effektiv erbracht worden seien. Getreu dem Gedanken der Unbeachtlichkeit eines Einkommensverzichts bei der EL-Berechnung müsse der Abzug von Ausgaben ausgeschlossen sein, welche die versicherte Person ohne Rechtspflicht oder zwingenden Rechtsgrund vornehme, denn der Abzug übersetzter Ausgaben habe eine missbräuchliche Ausrichtung von Ergänzungsleistungen zur Folge. Dies bedeute, dass der Abzug auf jene Beiträge beschränkt sein müsse, die in Erfüllung einer familienrechtlichen Pflicht geleistet würden. Freiwillig über diese Pflicht hinaus erbrachte Unterhaltsleistungen seien nicht abzugsfähig (Erw. 4.1). In der Folge wies das Bundesgericht die Sache an die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen zurück und wies diese an, weitere Abklärungen bezüglich des der in Bosnien lebenden Ehefrau des Ergänzungsleistungsbezügers zumutbaren Beitrags an die eheliche Gemeinschaft sowie des Beitrags des Ergänzungsleistungsbezügers zur Finanzierung eines angemessenen Lebensstandards in Bosnien anzustellen. Die Sozialversicherungsanstalt werde den anrechenbaren Betrag selbst zu ermitteln und hierbei zu berücksichtigen haben, dass die Ehefrau in einem Land mit erheblich niedrigerem Niveau der Lebenskosten wohne und der Betrag maximal den tatsächlich geleisteten Zahlungen entsprechen dürfe (Erw. 4.2 und 4.3; vgl. auch Carigiet/ Koch, Ergänzungsleistungen zur AHV/ IV, 2. Auflage, Zürich/ Basel/ Genf 2008, S. 144 f.).

6.3 Damit eine familienrechtliche Unterhaltszahlung im ergänzungsleistungsrechtlichen Sinne als Ausgabe anerkennt werden kann, muss sie entweder richterlich, behördlich oder vertraglich festgesetzt und betraglich konkretisiert worden sein. Die Auseinandersetzung über den Bestand und die Höhe der konkreten familienrechtlichen Unterhaltspflicht der versicherten Person muss also abgeschlossen sein (Carigiet/ Koch, a.a.O., S. 144). Im vorliegenden Fall, in dem der Beschwerdeführer alleine in der Schweiz lebt und nach eigenen Angaben für seine Ehefrau und die im massgeblichen Jahr (2012) 18 bis 24 Jahre alten, sich teilweise im Studium befindlichen Kinder in Mazedonien aufkommt, liegt kein Unterhaltsvertrag in den Akten. Allerdings ist nicht ernsthaft zu bezweifeln, dass der vierfache Familienvater zumindest gegenüber seinen vier sich noch in Ausbildung befindlichen Kindern unterhaltspflichtig ist (Art. 276 ZGB). Die ebenfalls in Mazedonien lebende Ehefrau geht offenbar keiner Erwerbstätigkeit nach. Sofern ihr die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann, ist der Beschwerdeführer grundsätzlich auch ihr gegenüber unterhaltspflichtig (Art. 163 ZGB). Es rechtfertigt sich im vorliegenden Fall, in dem es nicht um Dauerleistungen nach ELG, sondern um die Beurteilung des Vorliegens einer grossen Härte im Sinne von Art. 4 Abs. 1 ATSV als Voraussetzung zum Erlass einer Rückerstattungsforderung geht, nicht, allein mit der Begründung, es liege kein Unterhaltsvertrag vor, die vom Beschwerdeführer geleisteten familienrechtlichen Unterhaltsbeiträge bei den anrechenbaren Ausgaben ausser Acht zu lassen. Dies umso weniger, als der Wortlaut von Art. 10 Abs. 3 lit. e ELG als anerkannte Ausgaben «geleistete» familienrechtliche Unterhaltsbeiträge nennt, wobei – wie in Erw. 6.2 dargelegt – die «geleisteten» familienrechtlichen Unterhaltsbeiträge lediglich die Obergrenze bilden und gegebenenfalls auf das tatsächlich Geschuldete zu reduzieren sind. Die Beschwerdegegnerin begründete die Nichtberücksichtigung der durch den Beschwerdeführer geleisteten familienrechtlichen Unterhaltsbeiträge denn auch nicht mit dem fehlenden Unterhaltsvertrag, sondern stellte sich auf den Standpunkt, die Ausgaben seien gestützt auf Art. 10 ELV nicht zu berücksichtigen, was nach dem in Erw. 6.2 Gesagten klarerweise nicht zutrifft.

6.4 Nachdem der Beschwerdeführer im Erlassgesuch ausdrücklich auf die von ihm geleisteten Unterhaltsbeiträge hingewiesen hatte, die Beschwerdegegnerin diese aber unter Verweis auf Art. 10 ELV ausser Acht liess und weder abklärte, ob ein Unterhaltsvertrag vorhanden ist, noch wie viel der Beschwerdeführer tatsächlich monatlich für seine Frau und die Kinder bezahlt, und wie hoch seine Unterhaltspflicht (Art. 163 und 276 ZGB) ist bzw. ob er allenfalls über seine Pflicht hinausgehende Leistungen erbracht hat, hat sie die ihr obliegende Untersuchungs- und Abklärungspflicht (Art. 43 ATSG) verletzt. Die Sache ist aus diesem Grund zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung und zum Neuentscheid an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen. Diese wird demnach abzuklären haben,

  • ob ein Unterhaltsvertrag vorhanden ist,
  • wie hoch die Zahlungen des Beschwerdeführers im Jahr 2012 tatsächlich waren,
  • und ob der Beschwerdeführer allenfalls über seine Pflicht hinausgehende Leistungen erbracht hat, was (auch) von der Kaufkraft in Mazedonien sowie davon abhängt, ob die Ehefrau zumutbarerweise einen Beitrag an die eheliche Gemeinschaft leisten könnte.

(...)

7. Zusammenfassend erweist sich die vorliegende Beschwerde insoweit als begründet, als die Beschwerdegegnerin ihrer Abklärungspflicht nicht genügend nachgekommen ist. Die Beschwerde ist in dem Sinne gutzuheissen, dass der Einspracheentscheid vom 11. Juni 2013 aufzuheben ist und die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsabklärung und zum Neuentscheid an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen ist.

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014 S 2013 161

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