Navigieren auf Kanton Zug

Gerichtspraxis

Staats- und Verwaltungsrecht

Verfahrensrecht

Politische Rechte, Bürgerrecht und Polizei

Denkmalschutz

Bau- und Planungsrecht

Ausländerrecht und Bewilligungsgesetz

Sozialhilfe und Arbeitsmarktrecht

Steuerrecht

Sozialversicherung

Art. 2 Abs. 5 AVE GAV FAR
Art. 4 ATSV; Art. 43 Abs. 1 ATSG
Art. 6 MVG
Art. 8 Abs. 1 lit. c und f AVIG; Art. 21 Abs. 1 AVIV; Art. 27 ATSG
Art. 8 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 IVG
Art. 13 Abs. 1 AVIG; Art. 29 GAV Personalverleih
Art. 25 Abs. 1 KVG, Art. 26 KVG und Art. 32 Abs. 2 KVG; Art. 13d KLV
Art. 32 Abs. 1 KVG

Art. 43quater Abs. 3 AHVG, Art. 66ter AHVV, HVA Ziff. 5.56

Regeste:

Art. 43quater Abs. 3 AHVG, Art. 66ter AHVV, HVA Ziff. 5.56 – Wenn Hinweise auf eine krankheits- resp. genetisch bedingte Alopezie vorliegen, kann nicht entgegengehalten werden, die Haartracht lichte sich altersbedingt, weshalb der  Anspruch auf Kostengutsprache für eine  Perücke zu bejahen ist, sofern das äussere Erscheinungsbild der versicherten Person durch den Haarverlust beeinträchtigt ist.

Aus dem Sachverhalt:

Die Versicherte, E., Jahrgang 1931, meldete sich am 13. März 2013 bei der Ausgleichskasse des Kantons Zug zum Bezug eines Hilfsmittels der AHV an. Konkret beantragte sie eine Perücke. Zur Begründung verwies sie auf ihren behandelnden Arzt, Dr. M., sowie darauf, dass ihre äussere Erscheinung durch das fehlende Haar beeinträchtigt werde. Die Akten enthalten sodann eine Rechnung von «X» bzw. von F., eidg. dipl. Coiffure, für eine Damenperücke «Queens Luxury» aus synthetischem Haar zum Preis von Fr. 1'780.–. Ersichtlich ist sodann, dass Dr. M. zu einer Beurteilung eingeladen resp. dass das Aktendossier schliesslich dem regionalen ärztlichen Dienst (RAD) Zentralschweiz, für diesen Dr. S., Facharzt FMH für Innere Medizin, vorgelegt wurde. Mit Verfügung vom 1. Mai 2013 wurde das Leistungsbegehren abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Haarausfall der Versicherten sei nicht gesundheits-, sondern vielmehr altersbedingt.

Die dagegen am 15. Mai 2013 erhobene Einsprache wurde mit Entscheid vom 30. Juli 2013 abgewiesen.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.
2.1 Der Bundesrat bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Bezügerinnen und Bezüger von Altersrenten oder Ergänzungsleistungen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontakts oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedürfen, Anspruch auf Hilfsmittel haben (Art. 43quater Abs. 1 AHVG). Sodann bestimmt er den Anspruch auf Hilfsmittel für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit im Aufgabenbereich (Art. 43quater Abs. 2 AHVG) und bezeichnet schliesslich die Hilfsmittel, welche die Versicherung abgibt oder an welche sie einen Kostenbeitrag gewährt. Auch regelt er das Verfahren und bestimmt, welche Vorschriften des IVG anwendbar sind (Art. 43quater Abs. 3 AHVG). In Art. 66ter der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 31. Oktober 1947 (AHVV, SR 831.101) wird die entsprechende Rechtsetzungsskompetenz dem Departement des Innern übertragen und festgestellt, dass Art. 14bis und 14ter der Verordnung über die Invalidenversicherung vom 17. Januar 1961 (IVV, SR 831.201; Beschaffung und Vergütung der Hilfsmittel resp. Einschränkung der Austauschbefugnis) sinngemäss gelten. Für die Geltendmachung des Anspruchs verweist Art. 67 Abs. 1ter AHVV auf Art. 66 IVV. Der Anspruch wird in der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung vom 28. August 1978 (HVA, SR 831.135.1) weiter präzisiert. So hält Art. 2 Abs. 1 HVA fest, dass Rentenbezüger, die für die Tätigkeit im Aufgabenbereich, für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt oder für die Selbstsorge auf Hilfsmittel angewiesen seien, auf die in der Liste im Anhang aufgeführten Leistungen Anspruch hätten, wobei die Liste Art und Umfang der Leistungen abschliessend regle. Artikel 4 HVA hält sodann sinngemäss fest, wer bei Entstehen des Anspruchs auf eine Altersrente Hilfsmittel oder Ersatzleistungen nach den Artikeln 21 und 21bis des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 19. Juni 1959 (IVG, SR 831.20) erhalten habe, dem bleibe der Anspruch auf diese Leistungen in Art und Umfang bestehen, solange die massgebenden Voraussetzungen erfüllt seien und soweit die vorliegende Verordnung nichts anderes bestimme. Weiter wird in Art. 6 HVA festgehalten, dass sich das Verfahren nach Art. 65 bis 79bis IVV richte und dass die IV-Stelle auch den Anspruch prüfe und die Mitteilung im formlosen Verfahren nach Art. 51 ATSG verfertige, während die Ausgleichskasse am Sitz der IV-Stelle für den Erlass einer allfälligen Verfügung zuständig sei. Im Anhang zur HVA findet sich die Hilfsmittelliste nach AHVG, welche unter Ziff. 5, konkret in Ziff. 5.56 Perücken thematisiert. Diesbezüglich wird im Sinne einer Anspruchsvoraussetzung ergänzend ausgeführt, eine Leistungspflicht bestehe, falls die äussere Erscheinung der Versicherten durch den fehlenden Haarschmuck beeinträchtigt sei. Die Kostenbeteiligung betrage pro Kalenderjahr indes höchstens Fr. 1'000.–. Demgegenüber hält der Anhang zur Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung vom 29. November 1976 (HVI, SR 831.232.51) unter Ziff. 5.06 fest, der jährliche Höchstbetrag liege bei Fr. 1'500.–.

2.2
2.2.1 Dem Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung (KSHA), gültig ab Januar 2013, ist unter Randziffer 2007 zu entnehmen, anspruchsberechtigt seien jene Versicherte, deren äusseres Erscheinungsbild beeinträchtigt sei. Versicherte, deren Haartracht sich altersbedingt lichte, seien von diesem Anspruch ausgeschlossen. Randziffer 2008 bestimmt überdies, der Betrag der Versicherung dürfe pro Kalenderjahr Fr. 1'000.– nicht übersteigen. Im Jahre der erstmaligen Anschaffung könne der Betrag ebenfalls voll ausgeschöpft werden. Es erfolge keine Einschränkung pro-rata.

2.2.2 Dem Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (KHMI), Stand 1. Januar 2014, ist unter Randziffer 2035 zu entnehmen, Versicherte hätten Anspruch auf Perücken, wenn die Haare als Folge eines akuten Gesundheitsschadens oder dessen Behandlung, z.B. durch Bestrahlung oder Chemotherapie, ausgefallen seien. Randziffer 2036 besagt, der Höchstbetrag für die Anschaffung (einschliesslich Anpassung, Färben, Frisieren, Reinigen und allfälliger Reparaturkosten) betrage pro Kalenderjahr Fr. 1'500.–. Im Jahr der ersten Abgabe könne der Höchstbetrag voll abgegeben werden (keine pro-rata-Einschränkung).

2.3. Sodann ist festzustellen, dass es zum Thema Perücken-Versorgung nach der HVA, d.h. für Betroffene im AHV-Alter, keine wirklich aussagekräftige Judikatur gibt, während sich zur Problematik der Perücken-Versorgung über die Invalidenversicherung jedenfalls ein Paar Entscheide des Bundesgerichts finden lassen.

3. Fest steht vorliegend, dass die Versicherte an einer Alopecia leidet, dass sie Anspruch auf eine Perücke zu Lasten der Altersversicherung geltend macht und dass letztere diesen Anspruch verneint. Streitig ist, ob die Alopecia gesundheits- oder altersbedingt ist. Aus den Akten ergibt sich dazu, was folgt:

3.1 Im Nachgang an die Anmeldung zum Leistungsbezug zog die Ausgleichskasse bzw. die IV-Stelle einen Arztbericht von Dr. M., FMH für Allgemeinmedizin, vom 12. April 2013 bei. Demgemäss leidet die Versicherte an einer hormonell bedingten starken Alopezie, progredient (9/12), einer Hypothyreose sowie an einer hypertroph-obstruktiven Kardiopathie bei Status nach Aortenklappenersatz. Der progrediente Haarausfall sei durch lokale Massnahmen und Medikamente nicht wirksam zu stoppen. Die Alopezie sei diffus progredient mit deutlichen Kahlstellen im Kopfhaar. Prognostisch wird in Bezug auf die Alopezie sowie insbesondere die Hypothyreose festgehalten, diese würde(n) bereits seit längerem behandelt (S. 7 f. der AK-Akten).

3.2 RAD-Arzt Dr. med. S., Facharzt FMH für Innere Medizin, hält am 18. April 2013 fest, Dr. M. berichte über eine therapieresistente, hormonell bedingte, diffus progrediente Alopezie mit deutlichen Kahlstellen. Nebenbefundlich werde eine Hypothyreose erwähnt, die aber behandelbar sei. Der Schilderung des Arztes könne wohl eine Beeinträchtigung des äusseren Erscheinungsbildes entnommen werden, hingegen fehlten Hinweise für eine in diesem Zusammenhang stehende, akute Erkrankung, sodass anzunehmen sei, dass es sich um eine altersbedingte Lichtung der Haartracht handle. Nach Widergabe von KSHA Rz. 2007 wird geschlussfolgert, die Voraussetzungen für die Vergütung der Perücke durch die IV seien nicht gegeben (S. 9 der AK-Akten).

3.3 Doktor med. I., Dermatologie und Venerologie FMH, berichtet am 19. August 2013 zuhanden der AHV/ IV und hält die Diagnose einer androgenetischen Alopezie mix pattern typ Ludwig II und Hamilton-Norwood IV fest. Sodann wird ausgeführt, die Patientin leide seit Jahren unter einem progredienten frontoparietalen Haarverlust, der im Alltag nicht mehr durch die bleibenden Haare versteckt werden könne. In der Familienanamnese sei eine androgenetische Alopezie bei der Mutter und der Schwester der Patientin wie bei den beiden Söhnen bekannt. Zum Untersuchungszeitpunkt habe eine frontoparietal betonte Alopezie ohne Vernarbung mit dermatoskopisch Anisotrichose (Miniaturisierung der Haare) imponiert. Für einen Hirutismus (männliches Verteilmuster der Terminal- oder Langhaare) gebe es keine Anhaltspunkte. Aufgrund der Anamnese und Klinik handle es sich vorliegend um eine androgenetische Alopezie mit pattern typ Stadium II nach Ludwig und Stadium IV nach Hamilton-Norwood, d.h. ein durch Androgene realisiertes Hervortreten des genetisch determinierten charakteristischen Ausprägungsmusters des Haarkleids bei der Frau. Die androgenetische Alopezie sei bei Frauen von den gleichen Faktoren abhängig wie bei Männern; genetische Veranlagung und Androgene. In den Wechseljahren finde dann eine Hormonumstellung statt, die die androgenetische Alopezie weiter akzentuiere. Die Östrogenspiegel würden sinken, die Androgene dagegen relativ rasch ansteigen. Bei vielen Frauen mache diese Hormonumstellung schliesslich die Neigung zu androgenetischer Alopezie sichtbar. Die Versicherte fühle sich durch ihre stark sichtbare Alopezie kosmetisch sehr beeinträchtigt. Sie, Dr. I., bitte deshalb um Übernahme der Kosten für die Perücke (S. 17 der AK-Akten).

(...)

4. Diese Akten und Fakten sind nun nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu würdigen.

4.1 Beurteilend ist zunächst daran zu erinnern, dass es vorliegend um eine erstmalige Hilfsmittelabgabe nach den Bestimmungen des AHVG bzw. der HVA, nicht aber um die Hilfsmittelabgabe nach den Regeln des IVG bzw. der HVI geht. Entsprechend ist der Wortlaut der jeweiligen Regelungen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Während im Anhang zur HVI in Ziff. 5.06 einzig auf den jährlichen Höchstbetrag für die Entschädigung (Fr. 1'500.– pro Kalenderjahr) hingewiesen wird; erwähnt Ziff. 5.56 im Anhang zur HVA überdies, Anspruchsvoraussetzung sei, dass die äussere Erscheinung durch den fehlenden Haarschmuck beeinträchtigt sei. Sodann wird aber auch in der Bestimmung im Anhang der HVA auf den dort geltenden Höchstbetrag pro Kalenderjahr (Fr. 1'000.–) verwiesen. Trotz dieser Unterschiede ist allerdings festzustellen, dass der genaue Wortlaut der jeweiligen Hilfsmittelverordnungen für die Rechtsanwendung nicht sonderlich hilfreich erscheint. Etwas aussagekräftiger erweisen sich dagegen die jeweiligen Kreisschreiben. Führt das KHMI zum Anspruch auf eine Perücke nach den Bestimmungen der Invalidenversicherung aus, Voraussetzung sei, dass die Haare als Folge eines akuten Gesundheitsschadens oder dessen Behandlung, z.B. durch Bestrahlung oder Chemotherapie, ausgefallen seien, hält die KSHA zum Perückenanspruch nur aber immerhin fest, Voraussetzung sei, dass das äussere Erscheinungsbild der versicherten Person durch den Haarverlust beeinträchtigt sei und die Haartracht sich nicht altersbedingt lichte.

4.2 Soweit RAD-Arzt Dr. S. die Leistungspflicht der AHV in erster Linie in Abrede stellte, weil vorliegend ein Zusammenhang mit einer akuten Erkrankung durch nichts belegt werden könne, fällt auf, dass er argumentierte, als ob es in casu um eine Leistungspflicht nach den Bestimmungen des IVG und in Übereinstimmung mit dem Kreisschreiben KHMI ginge. Soweit er in seinem Fazit schliesslich ausführte, die Voraussetzungen für eine Vergütung der Perücke durch die IV seien nicht gegeben, indiziert dies noch einmal, dass er die medizinischen Unterlagen auf die Erfüllung der Voraussetzungen nach Rz. 5.06 des Anhangs zur HVI überprüfte, nicht aber der Kriterien nach Rz. 5.56 des Anhangs zur HVA. Wie die obigen Ausführungen verdeutlichen, verlangt der Verordnungsgeber den Kausalzusammenhang zu einer akuten Krankheit oder deren Behandlung zwar im Zusammenhang mit der Perückenversorgung nach HVI, nicht aber im Zusammenhang mit der Perückenversorgung nach HVA. Der Umstand allein, dass ein lediglich altersbedingter Haarausfall nicht zu einer Perücke zulasten der Altersversicherung berechtigt, lässt sodann nicht eo ipso auf das Erfordernis des Kausalzusammenhangs mit einer akuten Erkrankung und/ oder deren Behandlung schliessen. Auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber wie der Verordnungsgeber im Zusammenhang mit der Hilfsmittelversorgung für AHV-Rentenberechtigte immer wieder Querverweise auf das IVG statuierten und für das Verfahren auf die entsprechenden IV-rechtlichen Bestimmungen verwiesen, schliesslich die IV-Stellen mit der entsprechenden Abklärungspflicht beauftragten, impliziert nicht, dass es bezüglich der Anspruchsvoraussetzungen keine Unterschiede geben kann bzw. dass die IV-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen zusätzlich zu denen im AHV-Recht stets miterfüllt sein müssen. Vielmehr kann nach Ansicht des Gerichts auch eine genetische Ursache eines Haarverlusts einen Anspruch auf eine Perücke begründen, wenn nicht anzunehmen ist, dass das Alter alleinige oder zumindest überwiegende Ursache des Problems ist; dies jedenfalls dann, wenn der Haarverlust das äussere Erscheinungsbild der versicherten Person beeinträchtigt. Über die Erheblichkeit der Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes schweigt sich der Verordnungsgeber aus, so dass hier nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen sind. Es ist denn auch nicht Sache des kantonalen Versicherungsgerichts, neue Kriterien für die Anspruchsvoraussetzung einzuführen. Damit ergibt sich aber vorerst, dass vorliegend jedenfalls nicht auf die Beurteilung von RAD-Arzt Dr. S. abgestellt werden kann. Es bleibt zu prüfen, ob die Berichte von Dr. M. und insbesondere von Dr. I. darauf schliessen lassen, dass nicht das Alter, sondern eine andere Ursache den vorliegend zu beurteilenden Haarausfall hauptsächlich verursachte.

4.3
4.3.1 Soweit Dr. M. im Zusammenhang mit der diagnostizierten androgenetischen Alopezie insbesondere hormonelle Probleme ansprach und überdies erklärte, das Problem sei im September 2012 manifest geworden, könnte allenfalls geschlussfolgert werden, die Alopezie sei vorliegend erst im Alter aufgetreten, folglich altersbedingt. Allerdings ergibt sich aus Dr. M. Bericht nicht, wie lange die Beschwerdeführerin bereits bei ihm in Behandlung ist resp. ob die «späte Entdeckung» des Problems nicht daher rühren könnte, dass die Beschwerdeführerin ihn diesbezüglich vorgängig nie speziell konsultiert hatte. Zu bedenken ist überdies, dass Dr. M. an anderer Stelle in etwas kryptischer Weise von «progredienter Alopezie hormonell bedingt und Hypothyreose => bereits länger behandelt!» sprach, sich mithin zur Dauer der «Erkrankung» nicht wirklich schlüssig äusserte. Auf eine längere Krankheitsdauer hin deutet schliesslich die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe schon im Alter von 65 Jahren übermässigen Haarausfall festgestellt und über längere Zeit Medikamente, Biotin Forte, eingenommen. Zum Kriterium Erkrankung als Ursache für die Alopezie – obschon jedenfalls nicht explizit ein Kriterium nach HVA – ist sodann zu bedenken, dass diversen medizinischen Online-Lexika entnommen werden kann, dass eine Hypothyreose, eine krankhafte Schilddrüsenunterfunktion, sehr wohl Ursache für eine Alopezie sein könne. Dass die Hypothyreose gut behandelbar ist, impliziert nicht, dass mit dieser Behandlung auch die Alopezie behandelt bzw. kuriert werden kann. Als Zwischenergebnis ist entsprechend festzustellen, dass es sich vorliegend verbietet, aus den dürftigen Angaben Dr. M., die aber immerhin den Hinweis auf eine Erkrankung enthalten, die nach medizinischer Kenntnis zu Alopezie führen kann, auf eine ausschliesslich oder überwiegend altersbedingte Alopezie zu schliessen.

4.3.2 Frau Dr. I. – deren im Einspracheverfahren eingereichten Bericht die Ausgleichskasse völlig ignorierte – diagnostizierte eine androgenetische Alopezie mix pattern vom Typ II nach Ludwig bzw. Typ IV nach Hamilton-Norwood und führte auf-grund der Anamnese aus, die Versicherte leide seit Jahren unter einem progredienten, frontoparietalen Haarverlust. Sodann sei familienanamnestisch eine androgenetische Alopezie bei der Mutter, bei der Schwester wie auch bei den Söhnen der Versicherten erstellt. Für die androgenetische Alopezie seien, so Dr. I. weiter, die genetische Veranlagung resp. die Androgene verantwortlich. Schliesslich verdeutlichte sie, dass die Hormonumstellung in den Wechseljahren nicht die Ursache der Erkrankung sei, sondern diese weiter akzentuieren könne. Die Ausführungen von Dr. I. lassen erkennen, dass das Alter für die Entwicklung der nun beklagten Alopezie der Beschwerdeführerin wohl nicht völlig bedeutungslos war, dass die Ursache der «Erkrankung» aber anderweitig bedingt, die Ätiologie andernorts zu suchen ist.

4.3.3 Würdigend ist sodann festzustellen, dass die Beschwerdeführerin an einer behandelbaren Stoffwechselerkrankung leidet, welche bekanntlich zu verschiedenen Symptomen, unter anderem zu Haarausfall führen kann, und dass sie hinsichtlich Alopezie genetisch vorbelastet ist, ergab die Familienanamnese doch, dass nicht nur ihre Söhne, sondern bereits ihre Schwester und noch früher ihre Mutter unter demselben Problem leiden bzw. litten. Soweit die Beschwerdeführerin überdies ausführte, sie habe schon im Alter von 65 Jahren einen übermässigen Haarverlust zu beklagen gehabt, ist dies nicht in Zweifel zu ziehen, wenn gleich ein eigentlicher Beweis hierfür – wie für alle anamnestischen Angaben – fehlt, es ist für die nunmalige Beurteilung indes auch nicht von primärer Bedeutung. Fakt ist nämlich, dass nach dem Gesagten und insbesondere gestützt auf die Beurteilungen der Dres. M. und I. vorliegend nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit primär von einer krankheits- resp. genetisch bedingten Alopezie auszugehen ist. Sodann erlauben die bei den Akten liegenden Fotografien den Schluss, dass der Haarverlust das äussere Erscheinungsbild der Beschwerdeführerin – einer ansonsten gepflegte ältere Frau – tatsächlich beeinträchtigt, und dies in erheblicher Weise. Dass die Kopfbehaarung bei der Mehrheit der Menschen im höheren Alter etwas lichter wird, dass Haare mit zunehmendem Alter entsprechend dünner werden, dass das Alter die Ausprägung der Kopfbehaarung bzw. allenfalls einer Glatze mithin mitbestimmen kann, kann nach Ansicht des Gericht allerdings nicht dazu führen, in casu und unbesehen der medizinisch erstellten Fakten das Alter als die alleinige oder mindestens überwiegende Ursache für die diagnostizierte Alopezie zu qualifizieren. So zu entscheiden hiesse, Personen im Rentenalter jeglichen Anspruch auf eine Perücke nach den Bestimmungen des AHVG bzw. der HVA generell abzusprechen, was sicherlich nicht Sinn und Zweck von HVA Anhang Ziff. 5.56 ist resp. sein kann. Jedenfalls würde die separate Regelung des Perückenanspruchs in der HVA dadurch weitgehend zum toten Buchstaben.

4.4 Zusammenfassend ist festzustellen, dass vorliegend nicht überwiegend wahrscheinlich von einer ausschliesslichen oder überwiegenden altersbedingten, sondern vielmehr von einer überwiegenden genetisch– bzw. krankheitsbedingten Verursachung der diagnostizierten androgenetischen Alopezie auszugehen ist. Auch steht ausser Frage, dass das Erscheinungsbild der Beschwerdeführerin durch den Haarverlust beeinträchtigt wird. Entsprechend sind die Anspruchsvoraussetzungen für eine verordnungsgemässe Kostenbeteiligung an der Perücke erfüllt. Demzufolge ist die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, der Beschwerdeführerin die verordnungsmässigen Leistungen für eine Perücke gestützt auf HVA Anhang Ziff. 5.56 zu gewähren. Damit erweist sich die Beschwerde als begründet und sie ist entsprechend gutzuheissen.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 12. Juni 2014 S 2014 53

Weitere Informationen

Fusszeile

Deutsch