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Strafzumessung

Art. 47 ff. StGB

Regeste:

Art. 47 ff. StGB – Strafzumessung.

Aus dem Sachverhalt:

Der Beschuldigten wird vorgeworfen, am 25. Dezember 2009 nach einer heftigen verbalen Auseinandersetzung mit ihrem Wohnungspartner in der gemeinsamen Wohnung, diesem mit einem Filetiermesser einen Stich in den linken Schulterbereich versetzt zu haben.

Daneben wird der Beschuldigten zur Last gelegt, am 24. August 2008 in einem Gartenrestaurant das von der Privatklägerin ungewollt zurückgelassene Portemonnaie samt Inhalt von ca. CHF 570.00 an sich genommen zu haben. Überdies soll die Beschuldigte zwischen Frühling und September 2009 ein einhändig bedienbares Schmetterlingsmesser mit einer Klingenlänge von 10 cm besessen haben, ohne eine dafür notwendige Bewilligung zu haben. Schliesslich wird der Beschuldigten vorgeworfen, am 27. November 2011 um ca. 07.55 Uhr während einer Polizeikontrolle durch die Luzerner Polizei in Luzern zwei Polizisten tätlich angegriffen zu haben.

Aus den Erwägungen:

Das Obergericht gelangte zusammenfassend zum Ergebnis, dass die Beschuldigte der versuchten schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 und 3 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB, des Diebstahls im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 StGB, der Widerhandlung gegen das Waffengesetz gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a WG und der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte gemäss Art. 285 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen ist.

4. Sanktion

4.1 (...)

4.2 Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen und ist an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Mit anderen Worten hat der Richter in einem ersten Schritt den Strafrahmen für die schwerste Straftat zu bestimmen und alsdann die Einsatzstrafe für diese Tat, unter Einbezug aller straferhöhenden und strafmindernden Umstände, innerhalb dieses Strafrahmens festzusetzen. In einem zweiten Schritt hat er diese Einsatzstrafe unter Einbezug der anderen Straftaten in Anwendung des Asperationsprinzips angemessen zu einer Gesamtstrafe zu erhöhen, wobei er ebenfalls den jeweiligen Umständen Rechnung zu tragen hat.

Ergänzend ist festzuhalten:

4.2.1 Als schwerste Tat gilt jene, die gemäss abstrakter Strafdrohung des Gesetzes mit der höchsten Strafe bedroht ist.

4.2.2 Die Bildung einer Gesamtstrafe im Sinne von Art. 49 Abs. 1 StGB ist – wie bereits erwähnt – nur bei gleichartigen Strafen möglich. Ungleichartige Strafen sind kumulativ zu verhängen, da das Asperationsprinzip nur greift, wenn mehrere gleichartige Strafen ausgesprochen werden. Das Gericht kann somit nur dann auf eine Gesamtfreiheitsstrafe erkennen, wenn es für jede einzelne Tat eine Freiheitsstrafe ausfällen würde. Es genügt also nicht, dass die anzuwendenden Gesetzesbestimmungen abstrakt gleichartige Strafen androhen (BGE 138 IV 120 E. 5.2 mit Hinweisen).

4.2.3 Wichtigste Kriterien für die Wahl der Sanktion bilden ihre Zweckmässigkeit, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz. Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit soll bei alternativ zur Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. ihn am wenigsten hart trifft (BGE 134 IV 97 E. 4.2.1 und 4.2.2 mit Hinweisen).

4.3 Schwere Körperverletzung im Sinne von Art. 122 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft, womit die versuchte schwere Körperverletzung zum Nachteil des Privatklägers eindeutig das schwerste von der Beschuldigten begangene Delikt ist. Innerhalb des erwähnten Strafrahmens misst das Gericht die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Es berücksichtigt das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse sowie die Wirkung der Strafe auf dessen Leben (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung oder Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung oder Verletzung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB). Im Falle eines Versuchs im Sinne von Art. 22 Abs. 1 StGB ist die Bewertung des Verschuldens zunächst für das mutmasslich vollendete Delikt vorzunehmen (BGE 136 IV 55 E. 5.7).

4.3.1 Betreffend die objektive Tatschwere ist mit der Vorinstanz festzuhalten, dass die Beschuldigte erheblich in die körperliche Unversehrtheit des Privatklägers eingriff und ein hohes Risiko für eine schwere Körperverletzung schuf. Dabei offenbarte sie einige kriminelle Energie, weil sie ein Filetiermesser mit einer langen Klinge benutzte und unvermittelt bzw. überraschend zustach. Immerhin ist zu Gunsten der Beschuldigten zu berücksichtigen, dass sie mit nicht allzu grosser Kraft, d.h. nicht mit voller Wucht zustach, was wohl auch ein Grund dafür war, dass der Angriff relativ glimpflich ausging. Unter diesen Umständen ist die objektive Tatschwere - bei Vollendung des Delikts - als mittelschwer zu bezeichnen, so dass das objektive Verschulden im mittleren Drittel des Strafrahmens liegt und demnach eine Freiheitsstrafe von rund fünf Jahren als angemessen erscheint.

In subjektiver Hinsicht fällt leicht verschuldensmindernd ins Gewicht, dass die Beschuldigte keinen Plan hatte, sondern spontan in einem emotionalen Erregungszustand handelte, nachdem es zu einem heftigen Streit gekommen war und der Privatkläger sie aufgefordert hatte, ihre Sachen zu packen und die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Die Vorinstanz strich zudem zu Recht hervor, dass der Privatkläger die Beschuldigte provozierte, indem er bereits einige ihrer persönlichen Sachen vor die Eingangstür stellte. Weil die Reaktion der Beschuldigten unverhältnismässig und der Affekt bei objektiver Betrachtung nicht entschuldbar war, kommt der Strafmilderungsgrund von Art. 48 lit. c StGB zwar nicht zur Anwendung; die erwähnte Provokation kann aber dennoch leicht strafmindernd berücksichtigt werden. In gleicher Weise ist zu gewichten, dass hier "lediglich" von einer eventualvorsätzlichen Tatbegehung, mithin von einer schwächeren Vorsatzform, auszugehen ist. Demgegenüber ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz trotz des Alkohols, den die Beschuldigte konsumiert hatte, volle Einsichtsfähigkeit anzunehmen, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts erst bei einer Blutalkoholkonzentration zwischen zwei und drei Promille eine Vermutung für die Verminderung der Zurechnungsfähigkeit besteht (BGE 122 IV 49 ff.). Zu diesem Schluss passt, dass weder der Zuger Polizei noch der Ärztin des Zuger Kantonsspitals ein Rauschzustand der Beschuldigten auffiel. Im Gegenteil führten diese aus, bei der Beschuldigten (wenige Stunden nach dem Vorfall) keine Ausfallerscheinungen festgestellt zu haben bzw. die Beschuldigte sei nicht merkbar beeinträchtigt gewesen. Immerhin kann die durch den Alkohol bedingte Enthemmung leicht strafmindernd berücksichtigt werden. Das objektive Verschulden wird demnach durch die subjektive Tatkomponente leicht relativiert. Insgesamt trifft die Beschuldigte zwar nach wie vor ein mittelschweres Verschulden, jedoch erscheint nunmehr - bei Vollendung des Delikts - eine leicht reduzierte Freiheitsstrafe von vier Jahren als angemessen. Anzumerken bleibt, dass auch die Vorinstanz von einer Freiheitsstrafe von vier Jahren ausgeht. Deshalb ist es nicht nachvollziehbar, dass sie das Verschulden der Beschuldigten als schwer einstuft. Denn eine Strafe von vier Jahren weist angesichts des Strafrahmens von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe klar auf ein mittleres Verschulden hin.

Sodann ist zu gewichten, dass nur eine versuchte Tatbegehung vorliegt. Zu beachten ist, dass der Umfang der zulässigen Reduktion nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter anderem von den tatsächlichen Folgen der Tat und der Nähe des tatbestandsmässigen Erfolgs abhängt (Urteil des Bundesgerichts 6B_239/2012 vom 1. Februar 2013 E. 3.4.1). Wie bereits erwähnt, wurde der Privatkläger nur leicht verletzt. Immerhin war ein Spitalaufenthalt von vier Tagen erforderlich, und der Privatkläger war bis zum 3. Januar 2010 arbeitsunfähig. Auch wenn die Beschuldigte nicht mit letzter Konsequenz zustach, ist der relativ glimpfliche Ausgang namentlich angesichts der Klingenlänge des Filetiermessers weitgehend einer glücklichen Fügung zuzuschreiben. Daher führt die versuchte Tatbegehung zwar zu einer Reduktion der Einsatzstrafe, aber nicht um einen Drittel, wie die Vorinstanz annahm, sondern bloss um einen Viertel, was eine Freiheitsstrafe von drei Jahren ergibt.

4.3.2 Die Vorinstanz hat den Werdegang und die persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten ausreichend angeführt, worauf zu verweisen ist. An der Berufungsverhandlung ergaben sich keine strafzumessungsrelevanten Neuerungen. Die Beschuldigte gab an, den Arbeitgeber gewechselt zu haben, weil sie ab August 2014 eine berufsbegleitende Ausbildung beginnen werde. Zurzeit verdiene sie monatlich CHF 3'500.00 netto. Sie habe Schulden, namentlich gegenüber der Gerichtskasse und dem Privatkläger. Aus den persönlichen Verhältnisse geht somit nichts hervor, was bei der Strafzumessung straferhöhend oder strafmindernd zu berücksichtigen wäre. Zudem sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die im Rahmen der Strafempfindlichkeit zu beachten wären.

Die Beschuldigte weist weder im Schweizerischen Strafregister noch im Deutschen Bundeszentralstrafregister Einträge auf. Die von der Vorinstanz erwähnte deutsche Vorstrafe wegen Sachbeschädigung ist mittlerweile aus dem Strafregister entfernt worden und darf der Beschuldigten nicht mehr vorgehalten werden (Art. 369 Abs. 7 StGB). Die Vorstrafenlosigkeit wirkt sich nach neuerer Rechtsprechung bei der Strafzumessung grundsätzlich neutral aus und ist nicht strafmindernd zu berücksichtigen (BGE 136 IV 1 E. 2.6.4).

Was das Nachtatverhalten betrifft, ist festzuhalten, dass die Beschuldigte seit Beginn der Strafuntersuchung geständig ist, die Urheberin der eingeklagten Stichverletzung im Nacken des Privatklägers zu sein. Insofern liegt ein Teilgeständnis vor, das indessen nur in bescheidenem Mass strafmindernd berücksichtigt werden kann, weil dadurch die Strafverfolgung nicht wesentlich erleichtert wurde. Leicht strafmindernd wirkt sich sodann aus, dass sich die Parteien während des Berufungsverfahrens verglichen haben, wobei sich die Beschuldigte verpflichtete, eine finanzielle Wiedergutmachung zu leisten, was als Zeichen von Einsicht und Reue zu werten ist. Von aufrichtiger Reue im Sinne von Art. 48 lit. d StGB kann jedoch noch nicht gesprochen werden. Zum einen handelte die Beschuldigte offensichtlich nicht uneigennützig; vielmehr ist sie es, die massgeblich vom ausgehandelten Vergleich profitiert. Zum andern setzt aufrichtige Reue ein vollumfängliches Geständnis und nicht nur ein Teilgeständnis voraus. Darüber hinaus reicht die blosse Verpflichtung zur Leistung einer Wiedergutmachung nicht aus, um aufrichtige Reue anzunehmen. Der Strafmilderungsgrund von Art. 48 lit. d StGB kann der Beschuldigten daher nicht zugebilligt werden. Insgesamt fällt die Täterkomponente aber dennoch leicht strafmindernd ins Gewicht.

4.3.3 Im Sinne einer Gesamtbewertung ist somit von einer Freiheitsstrafe von 33 Monaten auszugehen. Diese ist sodann um weitere drei Monate nach unten zu korrigieren, weil seit der Tat bereits über viereinhalb Jahre verstrichen sind. Demzufolge erweist sich letztlich eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten als angemessen.

4.4 Somit sind noch die weiteren Delikte, d.h. der Diebstahl gemäss Art. 139 Ziff. 1 StGB zum Nachteil einer weiteren Privatklägerin, die Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte zum Nachteil der Luzerner Polizei gemäss Art. 285 Ziff. 1 Abs. 1 StGB sowie die Widerhandlung gegen das Waffengesetz gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a WG (Mitführen eines Butterflymessers), zu sanktionieren. Die Vorinstanz erhöhte die Freiheitsstrafe für die versuchte schwere Körperverletzung dem Asperationsprinzip folgend zunächst um zwanzig Tage (wegen Diebstahls), dann um einen Monat (wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte) und um zehn Tage (wegen Verletzung des Waffengesetzes). Das Strafgericht bildete demnach eine Gesamtfreiheitsstrafe ohne zu prüfen, ob es im konkreten Fall für jede einzelne dieser Taten eine Freiheitsstrafe ausgefällt hätte, was es aber wegen des Verhältnismässigkeitsprinzips und der erforderlichen Gleichartigkeit der Strafen für die Bildung einer Gesamtstrafe hätte tun müssen. Die Prüfung der Strafart ist demnach im Berufungsverfahren nachzuholen.

4.4.1 Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass eine deutlich schwerere Tat zusammen mit wenigen weiteren, leichter wiegenden Nebentaten zu sanktionieren ist. Werden diese Nebentaten allein beurteilt, kann ohne weiteres eine Geldstrafe verhängt werden. Zum einen soll - wie bereits dargelegt - bei alternativ zur Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. ihn am wenigsten hart trifft. Zum anderen ist massgeblich, dass die Beschuldigte keine Vorstrafen aufweist, weshalb allein schon deshalb keine schwerer wiegende Strafart in Betracht gezogen werden muss. Zwar ist festzuhalten, dass die Beschuldigte gegenüber der Luzerner Polizei zu einem Zeitpunkt (27. November 2011) tätlich wurde, als die Strafuntersuchung wegen des Vorfalls vom 25. Dezember 2009 bereits beinahe zwei Jahre lang im Gang war. Diese Tatsache allein lässt aber nicht den Schluss zu, die Beschuldigte sei gegenüber den schweizerischen Rechtsnormen gleichgültig und müsse daher mit einer Freiheitsstrafe belegt werden.

4.4.2 Von den Nebentaten ist der Diebstahl, begangen am 24. August 2008, das schwerste Delikt. Ausgehend vom ordentlichen Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geld-strafe ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz, die ein solches ausdrücklich verneint, von einem insgesamt leichten Verschulden auszugehen. Zu beachten ist in objektiver Hinsicht, dass der Deliktsbetrag von ungefähr CHF 570.00 nicht allzu hoch ist. In subjektiver Hinsicht ist wesentlich, dass die Beschuldigte mit direktem Vorsatz und aus finanziellen Beweggründen handelte, ohne in einer Notlage gewesen zu sein. Das Motiv erweist sich daher als rein egoistisch. Die Täterkomponente wirkt sich bei der Strafzumessung neutral aus, zumal die Beschuldigte den Diebstahl noch im erstinstanzlichen Verfahren bestritt. Hingegen ist leicht strafmindernd in Rechnung zu stellen, dass diese Tat schon rund sechs Jahre zurückliegt. Unter diesen Umständen erscheint eine hypothetische Einsatzstrafe von 20 Tagessätzen als gerechtfertigt.

Straferhöhend im Sinne von Art. 49 Ziff. 1 StGB wirken sich die weiteren Delikte aus, und zwar wie folgt:

  • Bezüglich des Tatbestands der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, begangen am 27. November 2011, wiegt das objektive Tatverschulden nicht mehr leicht, verhielt sich doch die Beschuldigte gegenüber der Luzerner Polizei äusserst renitent und aggressiv. Umgekehrt wirkt sich verschuldensmindernd aus, dass wegen der starken Alkoholisierung von über 2.5 Gewichtspromille von einer hohen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit und damit von einer starken Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von Art. 19 Abs. 2 StGB auszugehen ist. Das Verschulden reduziert sich daher insgesamt auf ein leichtes Mass. Unter Tätergesichtspunkten fällt deutlich straferhöhend ist Gewicht, dass die Beschuldigte die vorliegende Tat während einer laufenden Strafuntersuchung beging. Auf der anderen Seite ist merklich strafmindernd zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte geständig ist und sich gegenüber den betroffenen Luzerner Polizeibeamten schriftlich entschuldigt hat. Somit halten sich bei der Täterkomponente die positiven und negativen Gesichtspunkte ungefähr die Waage.
  • Hinsichtlich der Widerhandlung gegen das Waffengesetz, begangen zwischen Frühling und September 2009, kann insgesamt von einem leichten Verschulden ausgegangen werden, zumal die Beschuldigte glaubhaft angibt, das fragliche Butterflymesser nur mitgeführt zu haben, weil es ihr "ein Gefühl des Schutzes" gegeben habe. Im Rahmen der Täterkomponente kann strafmindernd das Geständnis berücksichtigt werden, allerdings nur in bescheidenem Mass, weil die Beweislage auch ohne Geständnis eindeutig ist.

Zusammenfassend und unter Berücksichtigung des Asperationsprinzips rechtfertigt es sich deshalb, die Einsatzstrafe von 20 Tagessätzen um 40 Tagessätze zu erhöhen, weshalb bezüglich der Nebentaten eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen dem gesamten Verschulden der Beschuldigten angemessen ist. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführte, wäre diese Gesamt-strafe ohne die stark verminderte Schuldfähigkeit beim Tatbestand der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte um mindestens zwei Monate höher ausgefallen.

4.5 Die Höhe des Tagessatzes bemisst sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen, Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum (Art. 34 Abs. 2 StGB). Der Tagessatz für Verurteilte, die nahe oder unter dem Existenzminimum leben, ist daher in dem Masse herabzusetzen, dass einerseits die Ernsthaftigkeit der Sanktion durch den Eingriff in die gewohnte Lebensführung erkennbar ist und andererseits der Eingriff nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen als zumutbar erscheint. Als Richtwert lässt sich festhalten, dass eine Herabsetzung des Nettoeinkommens um mindestens die Hälfte geboten ist (BGE 134 IV 60 E. 6.5.2). In Berücksichtigung der per-sönlichen und finanziellen Verhältnisse der Beschuldigten errechnet sich daher folgende aktuelle Tagessatzhöhe:

Monatseinkommen netto CHF 3'500.00
Pauschalabzug von 50 % CHF 1'750.00
Zwischentotal CHF 1'750.00

1/30 von CHF 1'750.00 CHF 58.33
leicht aufgerundeter Tagessatz CHF 60.00

4.6 Hinsichtlich der Vollzugsfrage ist bei kumulierten ungleichartigen Strafen nicht auf die aus Freiheits- und Geldstrafe zusammengesetzte Gesamtsanktion abzustellen, sondern die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe sind je für sich zu betrachten (BGE 138 IV 120 E. 6). Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass bei der Geldstrafe sowohl der bedingte Vollzug gemäss Art. 42 StGB als auch der teilbedingte Vollzug gemäss Art. 43 StGB möglich ist. Demgegen-über erlaubt die Höhe der Freiheitsstrafe nur den teilbedingten Strafvollzug. Im Bereich von über zwei Jahren bis maximal drei Jahren tritt der teilbedingte an die Stelle des bedingten Strafvollzugs.

4.7 Die Staatsanwaltschaft beantragt den unbedingten Strafvollzug und führte an der Berufungsverhandlung zur Begründung aus, der Beschuldigten könne keine gute Prognose bescheinigt werden. Sie habe keine Einsicht gezeigt und trotz laufender Strafuntersuchung delinquiert. Für die Verteidigung sind die Voraussetzungen des bedingten Strafvollzugs erfüllt, zumal sich die Beschuldigte seit den vorliegend zu beurteilenden Vorfällen nichts mehr habe zuschulden kommen lassen.

4.7.1 Grundvoraussetzung sowohl für die bedingte Strafe im Sinne von Art. 42 StGB als auch für die teilbedingte Strafe gemäss Art. 43 StGB ist, dass eine begründete Aussicht auf Bewährung besteht. Zwar fehlt bei Art. 43 StGB ein entsprechender Verweis auf Art. 42 StGB, doch ergibt sich dies aus Sinn und Zweck von Art. 43 StGB. Wenn und soweit die Legalprognose des Täters nicht schlecht ausfällt, verlangt die Bestimmung, dass zumindest ein Teil der Strafe auf Bewährung ausgesetzt wird. Umgekehrt gilt, dass bei einer Schlechtprognose auch ein bloss teilweiser Aufschub der Strafe nicht gerechtfertigt ist. Denn wo keinerlei Aussicht besteht, der Täter werde sich in irgendeiner Weise durch den – ganz oder teilweise – gewährten Strafaufschub beeinflussen lassen, muss die Strafe in voller Länge vollzogen werden (BGE 134 IV 1 E. 5.3.1).

4.7.2 Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft lässt sich mit dem Argument, die Beschuldigte habe trotz laufender Strafuntersuchung delinquiert, nicht auf eine Schlechtprognose schliessen. Zu beachten ist, dass die Beschuldigte bei der Anhaltung durch die Luzerner Polizei sehr stark angetrunken war; es kann deshalb von einer einmaligen Entgleisung ausgegangen werden. Die Beschuldigte erklärte denn auch an der Berufungsverhandlung, es müsse nicht wieder mit solchen Vorfällen gerechnet werden, weil sie nicht mehr so viel Alkohol trinke. Diese Aussage wirkt glaubhaft, wenn man in Übereinstimmung mit der Verteidigung in Betracht zieht, dass sich die Beschuldigte seit dem 27. November 2011 strafrechtlich nichts mehr zuschulden kommen liess. Die versuchte schwere Körperverletzung zum Nachteil des Privatklägers liegt gar über viereinhalb Jahre zurück. Weil sich die Beschuldigte und der Privatkläger vor kurzem verglichen haben, scheint der Konflikt endgültig überwunden zu sein, sodass weitere Delikte zum Nachteil des Privatklägers heute unwahrscheinlich sind. Die Beschuldigte betonte an der Berufungsverhandlung, eine neue Eskalation sei nicht zu befürchten; es sei heute alles ruhig und normal; sowohl sie wie auch der Privatkläger hätten ihre Lehren gezogen. Eine positive Veränderung in den Lebensumständen kann auch darin erblickt werden, dass die Beschuldigte heute einer geregelten Arbeit als Sachbearbeiterin nachgeht und berufsbegleitend eine Ausbildung zur technischen Kauffrau beginnen will, um «endlich über einen Berufsabschluss» zu verfügen.

Auch das zweite Argument der Staatsanwaltschaft für eine Schlechtprognose stösst ins Leere. Es kann nicht auf fehlende Einsicht geschlossen werden, wenn die Beschuldigte auch im Berufungsverfahren beharrlich bestreitet, den Privatkläger vorsätzlich verletzt zu haben. Denn die beschuldigte Person muss sich nicht selbst belasten (Art. 113 Abs. 1 StPO). Sie hat zudem keine Wahrheitspflicht. An eine Falschaussage im Sinne einer reinen Selbstbegünstigung dürfen, mit Ausnahme einer allfälligen Kostenauflage für unnütz verursachte Beweiserhebungen (Art. 417 StPO), keine Sanktionen geknüpft werden (Urteil des Bundesgerichts 6B_336/2013 vom 14. Februar 2014 E. 2.1). Davon abgesehen kann festgehalten werden, dass die Beschuldigte insofern eine gewisse Einsicht und Reue gezeigt hat, als sie sich verpflichtete, dem Privatkläger eine finanzielle Wiedergutmachung zu leisten.

Ferner ist zugunsten der Beschuldigten zu berücksichtigen, dass sie keine Vorstrafen aufweist. Daher ist davon auszugehen, dass ihr das vorliegende Strafverfahren und die erstandene Untersuchungshaft die volle Tragweite ihres Fehlverhaltens vor Augen geführt und sie genügend beeindruckt haben. Eine Gesamtwürdigung aller massgebenden Faktoren lässt somit den Schluss zu, dass der Beschuldigten keine Schlechtprognose zu stellen ist; vielmehr besteht eine begründete Aussicht auf Bewährung.

Demzufolge ist der Beschuldigten mit Bezug auf die Geldstrafe der bedingte, hinsichtlich der Freiheitsstrafe der teilbedingte Strafvollzug zu gewähren. Die Probezeit im Sinne von Art. 44 Abs. 1 StGB ist dabei auf das Minimum von zwei Jahren festzusetzen. Dies deshalb, weil sich die Beschuldigte in strafrechtlicher Hinsicht bereits seit über zweieinhalb Jahren wohl verhalten hat.

4.8 Wenn demnach für die Freiheitsstrafe von 30 Monaten auf eine teilbedingte Strafe erkannt werden kann, hat das Gericht den aufgeschobenen und den zu vollziehenden Strafteil fest-zusetzen und die beiden Teile in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Nach Art. 43 StGB muss der unbedingt vollziehbare Teil mindestens sechs Monate betragen (Abs. 3), darf aber die Hälfte der Strafe nicht übersteigen (Abs. 2). Im äussersten Fall (Freiheitsstrafe von drei Jahren) kann das Gericht demnach Strafteile im Ausmass von sechs Monaten Freiheitsstrafe unbedingt mit zweieinhalb Jahren bedingt verbinden. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens liegt die Festsetzung im pflichtgemässen Ermessen des Gerichts. Als Bemessungsregel ist das "Verschulden" zu beachten, dem in genügender Weise Rechnung zu tragen ist (Art. 43 Abs. 1 StGB). Das Verhältnis der Strafteile ist so festzusetzen, dass darin die Wahrscheinlichkeit der Legalbewährung des Täters einerseits und dessen Einzeltatschuld anderseits hinreichend zum Ausdruck kommen. Je günstiger die Prognose und je kleiner die Vorwerfbarkeit der Tat, desto grösser muss der auf Bewährung ausgesetzte Strafteil sein. Der unbedingte Strafteil darf dabei das unter Verschuldensgesichtspunkten (Art. 47 StGB) gebotene Mass nicht unterschreiten (BGE 134 IV 1 E. 5.6).

Wie bereits im Rahmen der Strafzumessung dargelegt, worauf verwiesen werden kann, fällt der Beschuldigten beim Tatbestand der versuchten schweren Körperverletzung insgesamt ein mittelschweres Verschulden zur Last. Hinzu kommt, dass jede Körperverletzung für das Opfer ein schlimmes Ereignis ist. Daher kann der unbedingt vollziehbare Teil nicht auf das Minimum festgesetzt werden. Weil aber die Rückfallgefahr sehr klein ist, genügt es, den vollziehbaren Teil so zu bemessen, dass er nur leicht über dem Minimum liegt und ein Vollzug der Strafe in Halbgefangenschaft (Art. 77b StGB) noch möglich ist. Demnach ist der unbedingt vollziehbare Teil der Freiheitsstrafe auf acht Monate (unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 22 Tagen; Art. 51 StGB), der aufgeschobene Teil auf 22 Monate festzusetzen, und zwar bei einer Probezeit von zwei Jahren.

Das bedeutet, dass die Beschuldigte die Freiheitsstrafe im Umfang von 22 Monaten vorerst nicht verbüssen muss; bewährt sie sich bis zum Ablauf der zweijährigen Probezeit, muss sie diese definitiv nicht mehr absitzen (Art. 45 StGB). Im Sinne von Art. 44 Abs. 3 StGB wird die Beschuldigte aber ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass der aufgeschobene Teil der Freiheitsstrafe widerrufen werden kann, d.h. nachträglich zu verbüssen ist, wenn sie während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen begeht (Folgen der Nichtbewährung gemäss Art. 46 StGB). Anzumerken bleibt, dass in gleicher Weise auch die bedingte Geldstrafe nachträglich widerrufen werden kann, d.h. nachträglich zu bezahlen ist, wenn sich die Beschuldigte nicht bewährt.

Was den unbedingt vollziehbaren Teil der Freiheitsstrafe anbelangt, ist schliesslich festzuhal-ten, dass die Verbüssung einer Freiheitsstrafe für jede Person, die in ein günstiges persönliches und berufliches Umfeld eingebettet ist, eine gewisse Härte darstellt. Deshalb kann im vorliegenden Fall von «einer unbilligen Härte», wie die Verteidigung meint, keine Rede sein.

Obergericht, Strafabteilung, 10. Juli 2014

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