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Art. 172 ff. ZGB

Art. 176 Abs. 3 ZGB

Regeste:

Art. 176 Abs. 3 ZGB – Das Eheschutzgericht hat zu entscheiden, auf welchen Elternteil die Obhut, welche eben auch das Bestimmungsrecht über den Aufenthaltsort der Kinder mitumfasst, zu übertragen ist, wenn sich diese uneinig sind bzw. nicht selbst die Belassung der gemeinsamen Obhut beantragen. Das Eheschutzgericht hat sodann auch darüber zu befinden, ob demjenigen Elternteil, auf den die Obhut übertragen wird, allenfalls eine auf Art. 307 ZGB gestützte Weisung betreffend Wegzug ins Ausland zu erteilen ist.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.1.1 Ist die Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes begründet und haben die Ehegatten unmündige Kinder, so trifft gemäss Art. 176 Abs. 3 ZGB das Eheschutzgericht nach den Bestimmungen über die Wirkung des Kindesverhältnisses (Art. 273 ff. ZGB) die nötigen Massnahmen. Nach Art. 297 Abs. 2 ZGB kann das Gericht bei der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts die elterliche Sorge einem Elternteil allein zuteilen. In aller Regel wird jedoch im Rahmen des Eheschutzverfahrens oder vorsorglicher Massnahmen während des Scheidungsverfahrens lediglich die Obhut einem Ehegatten allein übertragen (in maiore minus). Der Grund liegt darin, dass die endgültige Gestaltung der Elternrechte dem Scheidungsurteil vorbehalten bleiben soll (Vetterli, in: Schwenzer [Hrsg.], FamKomm, Scheidung, Bd. I, 2. A., Bern 2011, Art. 176 N 1 mit Hinweis auf BGE 111 II 223). Wenn die Zuteilung der Obhut an einen Elternteil als genügend erscheint, um das Kindeswohl zu garantieren, besteht kein Grund an der gemeinsamen elterlichen Sorge etwas zu ändern (Urteil des Bundesgerichts 5A_69/2011 vom 27. Februar 2012; Schwenzer, Basler Kommentar ZGB, Bd. I, 4. A., 2010, Art. 297 N 6). Der Gesetzestext schliesst – als Kann-Vorschrift – nicht aus, die elterliche Sorge beiden Ehegatten gemeinsam zu belassen. Oberste Richtschnur ist und bleibt dabei das Kindeswohl. Für den Fall der Scheidung, wo der Haushalt nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft aufgehoben wird, verlangt das Gesetz neben der Vereinbarkeit mit dem Kindeswohl ausdrücklich einen gemeinsamen Antrag der Eltern, damit ihnen die elterliche Sorge gemeinsam überlassen werden kann (Art. 133 Abs. 3 ZGB). Das Fehlen eines gemeinsamen Antrags bzw. die damit dokumentierte mangelnde Kooperationsfähigkeit oder Kooperationswilligkeit wird quasi vom Gesetzgeber als von vornherein nicht mit dem Kindeswohl vereinbar angesehen. Auch wenn es für den Bereich des Eheschutzes keine vergleichbare gesetzliche Regelung gibt, muss dies auch im Eheschutz gelten, zumindest in jenen Fällen, wo die Aufhebung des Haushaltes nicht bloss von kurzer Dauer ist. Entgegen der Auffassung von Jann Six (Eheschutz, Zürich/Basel/Genf 2008, S. 33 Rz 2.07) erachtet es die Gerichtspraxis denn auch grundsätzlich als zulässig, in einem  Eheschutzverfahren die Obhut beiden Ehegatten zu belassen oder von diesen alternierend ausüben zu lassen. Aber auch hier ist – neben anderen Voraussetzungen – immer ein gemeinsamer Antrag beider Ehegatten zwingendes Erfordernis für die Belassung der gemeinsamen Obhut (Urteil des Bundesgerichts 5A_69/2011 vom 27. Februar 2012; 5A_645/2008 vom 27 August 2009 E. 6; ZR 103/2004 Nr. 25; Bräm/Hasenböhler, Zürcher Kommentar zum ZGB, 1997, Art. 176 N 83 ff.; AJP 2003, S. 665; Vetterli, a.a.O., Art. 176 N 6).

2.1.2 In Lehre und Rechtsprechung wird teilweise in Anlehnung an die Marginalie zu Art. 310 ZGB zwischen Obhutsrecht (droit de garde) und faktischer Obhut (garde de fait) unterschieden (vgl. M. Stettler, Garde de fait et droit de garde, in: RDT 2002, S. 236 ff.). Danach besteht die Obhut aus zwei Seiten, nämlich einer rechtlichen und einer faktischen. Die rechtliche Obhut ist (wie die faktische) Bestandteil der elterlichen Sorge. Sie besteht in der Befugnis, den Aufenthaltsort des Kindes sowie die Art und Weise seiner Unterbringung zu bestimmen. Die faktische Obhut äussert sich in der täglichen Sorge um das Kind und umfasst die für die laufende Betreuung und Erziehung des Kindes notwendigen Rechte und Pflichten der mit der Obhut betrauten Person (Bräm/Hasenböhler, a.a.O., Art. 176 N 81B). Der Träger des Obhutsrechts ist in der Regel auch für die tägliche Betreuung, Pflege und Erziehung des Kindes verantwortlich; ihm kommt also regelmässig auch die faktische Obhut (garde de fait) zu (Vetterli, a.a.O., Art. 176 N 3).

Das Bundesgericht hat eine solche Differenzierung der Obhut in einem Entscheid vom 2. November 2001 (BGE 128 III 9 E. 4a) ebenfalls getroffen und näher erläutert. In diesem Entscheid ging es allerdings um die Frage der Zuteilung der Obhut an einen Pflegeelternteil (Grossmutter des Kindes), dem die Vormundschaftsbehörde das Kind anvertraut hatte, nachdem sie der Mutter des Kindes als alleinigen Inhaberin der elterlichen Sorge, die Obhut mit deren Einverständnis entzogen hatte. Es führte im Einzelnen aus, die Obhut sei ein Bestandteil der elterlichen Sorge. Sie bestehe in der Zuständigkeit, den Aufenthaltsort des Kindes und die Art der Betreuung zu bestimmen. Der Inhaber der elterlichen Sorge könne somit das Kind einem Dritten anvertrauen, es wieder zurückholen, dessen Beziehungen überwachen und seine Erziehung bestimmen. Wenn jedoch der Gefährdung des Kindes nicht anders begegnet werden könne, so habe die Vormundschaftsbehörde es nach Art. 310 Abs. 1 ZGB den Eltern oder, wenn es sich bei Dritten befinde, diesen wegzunehmen und in angemessener Weise unterzubringen. Wenn das Kind nicht vom anderen Elternteil aufgenommen werden könne, werde es Dritten anvertraut, welche die tatsächliche Obhut (garde de fait) erhielten und somit seine Pflegeeltern im Sinne von Art. 294 und Art. 300 ZGB würden. Diese Kindesschutzmassnahme bewirke, dass die Obhut von den Eltern an die Vormundschaftsbehörde übergehe, die somit den Aufenthaltsort des Kindes bestimme und auch seine Betreuung festlege. Die Aufhebung der Obhut habe keinerlei Einfluss auf die elterliche Sorge, die weiterhin bei den Eltern bleibe. Diesen werde lediglich ein Teil davon weggenommen, nämlich das Recht, über den Aufenthaltsort des minderjährigen Kindes zu bestimmen. Die tatsächliche Obhut bestehe darin, dem Minderjährigen alles zu geben, was er im Alltag für seine harmonische Entwicklung benötige. Das Bundesgericht hat mithin diese Zweiteilung der Obhut – soweit ersichtlich – einzig im Zusammenhang mit dem Entzug der elterlichen Obhut und deren Übertragung auf die Vormundschaftsbehörde thematisiert, nicht aber wenn es um die Zuteilung der Obhut an einen Elternteil geht.

In einem neueren Urteil vom 1. Juni 2010 (BGE 136 III 353) hat es im Gegenteil ausdrücklich festgehalten, dass der Elternteil, dem das Kind anvertraut sei (faktische Obhut), auch Inhaber des Obhutsrechts in dem Sinne sei, dass er gegen den Willen des anderen Elternteils mit dem Kind ins Ausland ziehen könne. Diese Berechtigung könne jedoch durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB beschränkt werden. Ein Rechtsmissbrauch werde beispielsweise dann bejaht, wenn der Wegzug einzig dazu diene, die persönliche Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu gefährden. Werde die Obhut auf einen Elternteil übertragen, verbleibe dem Inhaber der elterlichen «Restsorge» im Wesentlichen (zusätzlich zum Besuchsrecht) ein Mitentscheidungsrecht bei zentralen Fragen der Lebensplanung des Kindes. Dabei sei, im Sinne von Grundsatzentscheidungen, an Fragen der Namensgebung, an die allgemeine berufliche Ausbildung, die Wahl der religiösen Erziehung, an medizinische Eingriffe und andere einschneidende bzw. das Leben des Kindes prägende Weichenstellungen wie beispielsweise die Ausübung von Hochleistungssport zu denken. Zwar habe der Wegzug in ein anderes Land selbstverständlich auch Auswirkungen auf die schulische Situation des Kindes. Der Mitinhaber der elterlichen Sorge müsse dies jedoch insoweit hinnehmen, als die Einschulung an einem neuen Ort unmittelbare Folge des Aufenthaltsbestimmungsrechts des obhutsberechtigten Elternteils sei. Im Weiteren hat das Bundesgericht im genannten Urteil ausgeführt, dem obhutsberechtigten Elternteil könne mit einer auf Art. 307 ZGB gestützten Weisung untersagt werden, das Kind ausser Landes zu bringen. Eine solche Weisung komme jedoch nur in Frage, wenn das Wohl des Kindes durch einen Umzug ins Ausland ernsthaft gefährdet würde, wobei anfängliche Integrations- und/oder sprachliche Schwierigkeiten in aller Regel keine ernsthafte Gefährdung des Kindeswohls begründen würden. Auch der blosse Tatbestand der Einschulung an einem neuen Ort sei für sich genommen kein Hinderungsgrund. Es treffe zwar zu, dass die Besuchsrechtsausübung bei grösserer Distanz zunehmend erschwert würde, dies sei indessen für sich alleine kein Grund, dem getrennten und allein obhutsberechtigten Ehegatten den Wegzug ins Ausland zu verbieten.

2.1.3 Für die Zuteilung der Obhut an einen Elternteil gelten grundsätzlich die gleichen Kriterien wie im Scheidungsfall. Allerdings kommt hier dem Grundsatz der Beziehungs- und Erlebniskontinuität herausragende Bedeutung zu, ohne dass bereits umfassend zu prüfen ist, welcher Elternteil dem Kind auf Dauer stabileren Halt verschaffen kann (Schwenzer, a.a.O., Art. 297 N 7). Nach der Rechtsprechung hat das Wohl des Kindes Vorrang vor allen anderen Überlegungen, insbesondere vor den Wünschen der Eltern. Vorab muss deren Erziehungsfähigkeit geklärt werden. Ist sie bei beiden Elternteilen gegeben, sind vor allem Kleinkinder und grundschulpflichtige Kinder demjenigen Elternteil zuzuteilen, der die Möglichkeit hat und dazu bereit ist, sie persönlich zu betreuen. Erfüllen beide Elternteile diese Voraussetzung ungefähr in gleicher Weise, kann die Stabilität der örtlichen und familiären Verhältnisse ausschlaggebend sein. Schliesslich ist – je nach Alter der Kinder – ihrem eindeutigen Wunsch Rechnung zu tragen. Diesen Kriterien lassen sich die weiteren Gesichtspunkte zuordnen, so die Bereitschaft eines Elternteils, mit dem anderen in Kinderbelangen zusammenzuarbeiten, oder die Forderung, dass eine Zuteilung der Obhut von einer persönlichen Bindung und echter Zuneigung getragen sein sollte (BGE 115 II 206 E. 4a S. 209; 115 II 317 E. 2 und 3 S. 319 ff.; 117 II 353 E. 3 S. 354 f.; BGer. 5A_798/2009 vom 4. März 2010 E. 5.3; 5A_22/2010 vom 7. Juni 2010 E. 3.1).

2.2 Die Vorinstanz bejahte zunächst die Erziehungsfähigkeit beider Parteien, was von diesen auch nicht in Frage gestellt wird. Was die Fähigkeit und Möglichkeit zur persönlichen Betreuung angeht, kam die Eheschutzrichterin zum Schluss, dass der Gesuchstellerin die Betreuungsfähigkeit «im Rahmen der derzeit gelebten Betreuungsregelung und unter Berücksichtigung ihrer Erwerbstätigkeit im Umfang von 80 %» zuerkannt werden könne. Auch dem Gesuchsgegner billigte sie die Betreuungsfähigkeit und -möglichkeit im bisher gelebten Umfang zu (jedes zweite Wochenende von Freitag nach Schulschluss bis Dienstagmorgen Schulbeginn). Unter diesen Umständen mass sie der Stabilität und Kontinuität die ausschlaggebende Bedeutung für die  Obhutszuteilung bei. Derjenige Elternteil, bei dem künftig mit weniger einschneidenden Veränderungen für das Kind zu rechnen sei, erhalte in diesem Falle den Vorzug, so die Vorinstanz. Da die Gesuchstellerin aber klar zum Ausdruck brachte, dass sie mit den Kindern nach Deutschland ziehen wolle, die Vorinstanz in einem solchen Umzug aber eine für die Kinder unnötige und ihrem Wohle abträgliche Verunsicherung erblickte, wollte sie der Gesuchstellerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Kinder offenbar nicht zugestehen. Die Vorinstanz wog dabei die Interessen der Gesuchstellerin für einen Umzug nach Frankfurt mit denjenigen der Kinder für ein Verbleiben in der gewohnten Umgebung in der Schweiz in der Nähe ihres Vaters gegeneinander ab und kam zum Schluss, dass die Gesuchstellerin keine stichhaltigen Gründe geltend machen könne, die es rechtfertigen würden, die Kinder diesen Ängsten auszusetzen. Auf der anderen Seite befand sie aber offenbar, dass die persönliche Betreuung durch die Mutter und der Aufenthalt der Kinder bei ihr dem Kindesinteresse besser gerecht werde, als das bei einer Zuteilung an den Vater der Fall wäre, nachdem dieser die Obhut für sich ja ebenfalls beanspruchte, falls die Gesuchstellerin den Aufenthaltsort nicht in Baar beibehalte. Diesen Widerstreit versuchte die Vorinstanz dadurch zu lösen, dass sie die Obhut in eine faktische und eine rechtliche Seite auftrennte und nur erstere der Gesuchstellerin übertrug, während die rechtliche Obhut den Parteien gemeinsam verbleiben sollte.

2.2.1 Im Einzelnen führte die Vorinstanz zusammengefasst dazu aus, die bisherigen Lebensumstände eines Kindes sollten nicht ohne Grund verändert werden. A. und B. seien beide in der Schweiz geboren, würden nichts anderes kennen als die Schweiz und hätten die (...) Tagesschule seit jeher besucht. Dieses vertraute Umfeld sei ihr Fixpunkt, welcher ihnen Stabilität und Geborgenheit vermittle. Hierbei sei auf die Kinderanhörung von A. verwiesen, welche angebe, dass es ihr sowohl in Baar als auch an der Schule sehr gut gefalle. Sie habe nette Lehrer und viele gute Freundinnen, weshalb sie gerne zur Schule gehe. Auch wenn die derzeit drei besten Freundinnen von A. die (...) Tagesschule im Sommer 2013 verlassen würden, verkörpere die Schule das gewohnte Netzwerk, welches A. und B. von Beginn an gekannt hätten und in dem sie sich aufgehoben fühlten. Auch dass die Kinder nach Ansicht der Gesuchstellerin eine anfällige Gesundheit hätten, spreche dafür, die Kinder nicht mit unnötigen Veränderungen – wie einem Umzug nach Deutschland – zu belasten. Die von der Gesuchstellerin geltend gemachte Bereicherung durch den in Deutschland vorhandenen grösseren Familien-/Freundeskreis, welcher für einen Umzug nach Deutschland spreche, sei aufgrund der Tatsache, dass die Hauptbezugspersonen der Kinder ihre Eltern seien und daher der ungehinderte Kontakt zu beiden Elternteilen im Zentrum stehe, als sekundär zu betrachten. Insofern habe die Gesuchstellerin für einen Umzug nach Deutschland keine stichhaltigen Gründe aufzuzeigen vermocht. Es sei zwar nachvollziehbar, dass die Gesuchstellerin den Wunsch hege, nach Deutschland zu ziehen. Die Verwirklichung dieses Wunsches müsse aber zugunsten des Wohls der Kinder in den Hintergrund treten. Es komme hinzu, dass die Annahme des Bundesgerichts in seinem Urteil vom 1. Juni 2010, wonach die Obhutszuteilung im Eheschutzverfahren allgemein nicht nur die faktische Obhut umfasse, sondern auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht, im Gesetz keine Stütze finde. Gemäss Art. 176 Abs. 3 ZGB treffe das Gericht bei der Regelung des Getrenntlebens lediglich die «nötigen» Massnahmen bezüglich der minderjährigen Kinder. Gingen die Eltern auseinander, so erscheine es nur nötig, bis zur eigentlichen Regelung des Sorgerechts zu klären, wo sich das Kind künftig aufhalten werde, nicht aber, wer darüber allein bestimmen könne. Es sei nämlich nicht einzusehen, weshalb im bloss summarischen Eheschutzverfahren – bevor über die Zuteilung der elterlichen Sorge überhaupt entschieden werde – bereits ein Kernelement der elterlichen Sorge, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, ausgegliedert und einem Elternteil allein zugewiesen werden solle. Da die rechtliche Obhut einen Teilgehalt der elterlichen Sorge darstelle, welche die Eltern bis zur Scheidung i.d.R. noch gemeinsam innehätten, müsse im Eheschutzverfahren folglich nur die faktische, nicht aber bereits die rechtliche Obhut zugewiesen werden. Aus der Zuteilung der rechtlichen Obhut im Eheschutzverfahren würden sich überdies weitere Unstimmigkeiten ergeben. Gemäss Bundesgericht verbleibe dem Inhaber der «ausgehölten» elterlichen «Restsorge» im Wesentlichen ein Mitentscheidungsrecht bei zentralen Fragen der Lebensplanung des Kindes, worunter beispielsweise die Ausübung von Hochleistungssport oder der Wechsel von einer öffentlichen in eine Privatschule gehöre. Zum einen erscheine u.a. fragwürdig, inwiefern es sich bei der Ausübung von Hochleistungssport – im Vergleich zur Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland und der damit einhergehenden Beeinträchtigung der Beziehung des Kindes zum zurückbleibenden Elternteil – um eine prägende Weichenstellung handle. Zum anderen sei kaum nachvollziehbar, dass die sorgeberechtigten Eltern zwar gemeinsam darüber entschieden, ob ihr Kind eine staatliche oder eine Privatschule besuche, ob die fragliche Schule jedoch in Bern, New York, Islamabad, Peking oder Timbuktu liege, dagegen von demjenigen Elternteil alleine entschieden werden könne, dem die Obhut zugewiesen worden sei. Nicht zuletzt sei für die Obhutszuweisung im Eheschutzverfahren i.d.R. neben den Eigenbetreuungsmöglichkeiten vor allem die Kontinuität und Stabilität der Verhältnisse massgebend. In diesem Zusammenhang erscheine es widersprüchlich, dass das Eheschutzgericht einem Ehegatten beispielsweise die Obhut zuweise, da er der Geeignetere sei, die Kontinuität und Stabilität der Verhältnisse aufrecht zu erhalten, ihm mit der Obhutszuweisung jedoch gleichzeitig das Recht zuspreche, mit dem Kind ins Ausland zu ziehen. Schliesslich erscheine die Zuteilung der rechtlichen Obhut im Eheschutzverfahren auch mit Blick auf die bevorstehende Änderung des Zivilgesetzbuches bezüglich der elterlichen Sorge problematisch. Der neue Art. 301a ZGB (sogenannter Zügelartikel) kläre das Verhältnis zwischen elterlicher Sorge und dem Recht zur Bestimmung des Aufenthaltsortes. Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge würden gemeinsam darüber entscheiden, wo und zusammen mit wem das Kind lebe. Anders als heute sei es dem Eheschutzgericht damit verwehrt, den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge zu belassen und gleichzeitig das Recht, über den künftigen Aufenthaltsort des Kindes zu befinden, einem Elternteil allein zu überlassen. Vor dem Hintergrund, dass bereits heute bei der Scheidung zunehmend die geteilte elterliche Sorge belassen werde und mit Blick auf die hängige Revision des ZGB, müsse das Belassen der rechtlichen Obhut bei beiden Eltern grundsätzlich zulässig sein. Unter Würdigung der gesamten Umstände sei es daher angezeigt, die Kinder A und B für die Dauer des Getrenntlebens unter der rechtlichen Obhut beider Parteien zu belassen, wobei sie unter die faktische Obhut der Gesuchstellerin zu stellen seien.

2.2.2 (...)

2.3 Auch wenn man mit der Vorinstanz davon ausgehen wollte, dass eine Aufspaltung der Obhut in eine rechtliche und eine faktische Seite und eine entsprechende unterschiedliche Zuteilung im Eheschutzverfahren an sich gesetzlich zulässig sei, darf nicht übersehen werden, dass nach den vorstehenden Ausführungen eine Zuteilung bzw. Belassung der gemeinsamen Obhut – und damit auch nur des Obhutsrechts im Sinne der vorstehenden Unterscheidung – zwingend einen gemeinsamen Antrag der Ehepartner voraussetzt (vgl. Erw. 2.1 hiervor). Daran mangelt es aber im vorliegenden Fall. Schon aus diesem Grunde ist eine Zuteilung bloss der faktischen Obhut an die Gesuchstellerin nicht zulässig, da entsprechend die rechtliche Obhut bei beiden Ehepartnern gemeinsam verbliebe, ohne dass das vorausgesetzte Einverständnis beider Parteien vorläge. Nachdem die Frage des Aufenthalts der Kinder bereits im vorliegenden Eheschutzverfahren zum Thema gemacht wurde und zwischen den Parteien strittig war, muss darüber aber entschieden werden. Indem die Vorinstanz lediglich über die Zuteilung der faktischen Obhut befunden und diese der Gesuchstellerin alleine übertragen hat, entschied sie eben über die zwischen den Parteien herrschende Streitfrage nicht, wo der Aufenthaltsort der Kinder sein soll, wenn sich die Eltern darüber nicht einigen können. Der Gesuchstellerin ist deshalb insofern beizupflichten, dass die Zuteilung bzw. Belassung des Obhutsrechts und damit des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Kinder bei beiden Elternteilen im Ergebnis auf einen Nichtentscheid hinausläuft. Faktisch hat zwar dieser Entscheid (bzw. Nichtentscheid) zur Folge, dass die Gesuchstellerin mit den Kindern nicht nach Deutschland ziehen darf, da der Gesuchsgegner damit nicht einverstanden ist. Dass dieses Ergebnis von der Vorinstanz letztlich – wie aus ihren Erwägungen ohne weiteres hervorgeht – als richtig erachtet wird und insofern auch gewollt war, ändert nichts daran, dass die rechtliche Begründung dafür nicht haltbar ist. Das Eheschutzgericht hat zu entscheiden, auf welchen Elternteil die Obhut, welche eben auch das Bestimmungsrecht über den Aufenthaltsort der Kinder mitumfasst, zu übertragen ist, wenn sich diese uneinig sind bzw. nicht selbst die Belassung der gemeinsamen Obhut beantragen. Insofern ist denn auch BGE 128 III 9 nicht einschlägig, verblieb doch die rechtliche Obhut in jenem Fall gerade bei der Vormundschaftsbehörde, die eben alleine über den Aufenthaltsort bestimmt. Das Eheschutzgericht hat sodann auch darüber zu befinden, ob demjenigen Elternteil, auf den die Obhut übertragen wird, allenfalls eine auf Art. 307 ZGB gestützte Weisung betreffend Wegzug ins Ausland zu erteilen ist. Eine solche Weisung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch nur im Rahmen des Rechtsmissbrauchsverbots oder für den Fall zulässig, dass das Wohl des Kindes durch einen Umzug ins Ausland ernsthaft gefährdet würde (vgl. BGE 136 III 353). Auch wenn nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein Umzug ins Ausland grundsätzlich keine Kindeswohlgefährdung darstellen soll, kann im konkreten Fall unter Umständen gleichwohl eine ernstliche Gefährdung des Kindeswohls vorliegen, namentlich wenn die faktische Erschwerung oder gar Verunmöglichung des bisherigen Besuchsrechts des nicht obhutsberechtigten Elternteils, das in seinem Umfang und seiner Ausgestaltung für die Kinder und ihre Beziehung zu diesem Elternteil bedeutsam ist, nicht vermieden werden kann. Und schliesslich wies schon die Vorinstanz zu Recht auf die bereits beschlossene Änderung der diesbezüglichen Gesetzeslage durch die neue Bestimmung von Artikel 301a ZGB hin, die nun definitiv Mitte dieses Jahres in Kraft tritt (Medienmitteilung des EJPD vom 29. November 2013).

Auch die II. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich befasste sich in einem kürzlich ergangenen Entscheid vom 21. August 2013 (Geschäfts-Nr.: LY130010-O/U) mit der Bedeutung dieser Änderung und ihrer möglichen Auswirkung auf die Rechtsprechung zum geltenden Recht. Sie kam dabei mit interessanten Überlegungen zum Schluss, dass ein Umzug des obhutsberechtigten Elternteils ins Ausland grundsätzlich geeignet sei, das Kindeswohl zu gefährden. Nach dem neuen, Mitte des laufenden Jahres in Kraft tretenden Artikel 301a ZGB ist das Recht zur Bestimmung des Aufenthaltsortes der Kinder neu zwingend Teil der elterlichen Sorge. Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge entscheiden damit auch gemeinsam darüber, wo und zusammen mit welchem Elternteil das Kind lebt. Damit wird es dem Eheschutz- bzw. Massnahmegericht künftig verwehrt sein, den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge zu belassen und gleichzeitig einem Elternteil allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu überlassen. Können sich die Eltern nicht einigen, so liegt es am Gericht bzw. an der Kindesschutzbehörde, zu entscheiden. Der Entscheid hat sich dabei vorrangig am Wohl des Kindes zu orientieren. In diesem Sinne kann einem Elternteil der Wegzug erlaubt werden, allenfalls unter Neuregelung der Betreuung und des persönlichen Verkehrs. Denkbar ist aber auch, dass das Gericht einen Wegzug verbietet. Speziell geregelt ist der Fall, dass ein Elternteil seinen Aufenthaltsort ins Ausland verlegen will. Anders als bei einem Wohnsitzwechsel innerhalb der Schweiz setzt ein Wegzug ins Ausland immer, d.h. auch wenn der Vorgang keine erheblichen Auswirkungen auf die Wahrnehmung der elterlichen Sorge hat, das Einverständnis des andern Elternteils oder eine gerichtliche/behördliche Bewilligung voraus. Dahinter steht die Erkenntnis, dass ein Wegzug ins Ausland regelmässig zur Begründung einer ausländischen Jurisdiktion führt. Entsprechend schwieriger gestaltet sich in diesen Fällen die spätere Durchsetzung einer in der Schweiz getroffenen Regelung der elterlichen Sorge (Botschaft des Bundesrates vom 16. November 2011, BBl 2011 9077, 9107 f.). Da bisher eine gesetzliche Regelung zum Inhalt der Obhut fehlte und dieser Inhalt daher durch die (höchstrichterliche) Rechtsprechung näher definiert wurde, erblickt das Zürcher Obergericht gemäss dem zitierten Entscheid (LY130010-O/U vom 21. August 2013) keine unzulässige Vorwirkung des neuen Rechts, wenn die gesetzgeberische Wertung des neuen Rechts bereits heute im Rahmen der Auslegung des geltenden Rechts berücksichtigt wird. Entsprechend hält es dafür, dass ein Umzug des obhutsberechtigten Elternteils ins Ausland grundsätzlich geeignet ist, das Kindeswohl zu gefährden.

Die Vorinstanz hat nun weder über die Zuteilung der (umfassenden) Obhut an einen Elternteil noch über eine allfällige Weisung i.S. von Art. 307 ZGB befunden (auch wenn gewisse Erwägungen in diese Richtung weisen), weshalb die Sache zur Entscheidung an sie zurückzuweisen ist. Dabei wird sie durchaus auch die rechtlichen Überlegungen des Zürcher Obergerichts im vorzitierten Entscheid in seine Erwägungen einbeziehen dürfen. Würde das Obergericht im Berufungsverfahren direkt entscheiden, ginge den Parteien eine Instanz verloren. Es kommt hinzu, dass der Vorinstanz ein nicht unerheblicher Ermessensspielraum zukommt, zumal sie sich von den Parteien und namentlich von deren Tochter A. einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte.

Obergericht, II. Zivilabeteilung, 7. Januar 2014

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