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Art. 274 Abs. 2 ZGB

Regeste:

Art. 274 Abs. 2 ZGB – Wird das Wohl des Kindes durch den persönlichen Verkehr gefährdet, üben die Eltern ihn pflichtwidrig aus, haben sie sich nicht ernsthaft um das Kind gekümmert oder liegen andere wichtige Gründe vor, so kann ihnen das Recht auf persönlichen Verkehr verweigert oder entzogen werden. Der vollständige Entzug des Rechts auf persönlichen Verkehr bildet indes die «ultima ratio». Können die nachteiligen Auswirkungen durch eine besondere Ausgestaltung des  Besuchsrechts in Grenzen gehalten werden, so verbieten das Persönlichkeitsrecht des besuchsberechtigten Elternteils, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, aber auch der Sinn und Zweck des persönlichen Verkehrs dessen gänzliche Unterbindung.

Aus den Erwägungen:

(...)

2.3 Eltern, denen die persönliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das unmündige Kind haben gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr (Art. 271 Abs. 1 ZGB). Das Recht steht den Betroffenen um ihrer Persönlichkeit willen zu. Als sogenanntes «Pflichtrecht» dient es freilich in erster Linie dem Interesse des Kindes. Oberste Richtschnur für die Ausgestaltung des Besuchsrechts ist daher das Kindeswohl, welches anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles zu beurteilen ist; allfällige Interessen der Eltern haben zurückzustehen. Bei der Festsetzung des Besuchsrechts geht es nicht darum, einen gerechten Interessenausgleich zwischen den Eltern zu finden, sondern den elterlichen Kontakt mit dem Kind in dessen Interesse zu regeln. Es ist allgemein anerkannt, dass aufgrund des schicksalhaften Eltern-Kind-Verhältnisses die Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen sehr wichtig und von hohem Wert ist und bei der Identitätsfindung des Kindes eine entscheidende Rolle spielen kann (zum Ganzen BGE 122 III 404 ff. E. 3a m.w.H.; auch BGE 130 III 585 ff. E. 2.1; Büchler/Wirz, in: Schwenzer [Hrsg.], FamKomm Scheidung Bd. I, 2. A., Bern 2011, N 21 zu Art. 273 ZGB).

Wird das Wohl des Kindes durch den persönlichen Verkehr gefährdet, üben die Eltern ihn pflichtwidrig aus, haben sie sich nicht ernsthaft um das Kind gekümmert oder liegen andere wichtige Gründe vor, so kann ihnen das Recht auf persönlichen Verkehr nach Art. 274 Abs. 2 ZGB verweigert oder entzogen werden. Gefährdet ist das Wohl des Kindes, wenn seine ungestörte körperliche, seelische oder sittliche Entfaltung durch ein auch nur begrenztes Zusammensein mit dem nicht obhutsberechtigten Elternteil bedroht ist. Dabei fallen Vernachlässigung, physische und psychische Misshandlung, insbesondere sexueller Missbrauch des Kindes, in Betracht. Erforderlich ist sodann, dass dieser Bedrohung nicht durch geeignete andere Massnahmen begegnet werden kann. Dies folgt aus dem Gebot der Verhältnismässigkeit, dem die Verweigerung oder Entziehung des persönlichen Verkehrs als Kindesschutzmassnahme unterliegen. Der vollständige Entzug des Rechts auf persönlichen Verkehr bildet daher die «ultima ratio» und darf im Interesse des Kindes nur angeordnet werden, wenn die nachteiligen Auswirkungen des persönlichen Verkehrs sich nicht in für das Kind vertretbaren Grenzen halten lassen (Urteil des Bundesgerichts 5A_331/2009 vom 6. Juli 2009 E. 2.2.1). Können die nachteiligen Auswirkungen durch eine besondere Ausgestaltung des Be-suchsrechts in Grenzen gehalten werden, so verbieten das Persönlichkeitsrecht des besuchsbe-rechtigten Elternteils, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, aber auch der Sinn und Zweck des persönlichen Verkehrs dessen gänzliche Unterbindung (BGE 122 III 404 E. 3 S. 407 f.). Zur Aufhebung des persönlichen Verkehrs genügt es deshalb nicht, dass dieser das Kindeswohl gefährdet. Zusätzlich ist erforderlich, dass der Gefährdung nicht durch eine besondere Ausgestaltung des persönlichen Verkehrs begegnet werden kann (Urteil des Obergerichts LU vom 22. Mai 2002, E. 3.1, Fall-Nr. 22 02 42). Zur Begrenzung der Gefährdung des Kindeswohls in derartigen Situationen kommt etwa das sog. begleitete Besuchsrecht, also die Anwesenheit einer Drittperson, als Kindesschutzmassnahme in Betracht. Ein begleitetes Besuchsrecht kann sich auch dann aufdrängen, wenn zwischen dem nicht obhutsberechtigten Elternteil und dem Kind eine Entfremdung stattgefunden hat. In diesem Fall soll diese Massnahme nicht der Überwachung, sondern der Förderung der bis anhin noch nicht in Gang gekommenen Beziehung dienen (BGE 122 III 404 E. 4.bb S. 411; Urteil des Obergerichts LU vom 22. Mai 2002, E. 3.1, Fall-Nr. 22 02 42).

In prozessualer Hinsicht ist zu beachten, dass das Gericht den Sachverhalt gemäss Art. 296 Abs. 1 ZPO von Amtes wegen zu erforschen hat. Es gilt mithin die uneingeschränkte Untersuchungsmaxime, was indessen eine antizipierte Beweiswürdigung i.S. der willkürfreien Ablehnung untauglicher oder überflüssiger Beweisanträge nicht ausschliesst (vgl. Steck, Basler Kommentar zur ZPO, 2. A., 2013, Art. 296 N 17).

2.3.1 Der erstinstanzliche Richter stützte sich bei seinem Entscheid in Bezug auf das Besuchs- und Ferienrecht insbesondere auf die Aussagen der Kinder an der Anhörung vom 13. August 2013, wonach sie keinen Kontakt zum Gesuchsgegner wünschen (Vi act. 17).

Nach Art. 133 Abs. 2 ZGB ist bei der Regelung des persönlichen Verkehrs auf die Meinung des Kindes, soweit tunlich, d.h. entsprechend seinem Alter, seiner Reife und den übrigen wichtigen Umständen, Rücksicht zu nehmen (vgl. Art. 12 der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes). Es kann aber nicht darum gehen, dem Kind die Verantwortung für die Regelung des Besuchsrechts zu übertragen (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N 19 zu Art. 133 ZGB; Urteil des Obergerichts LU vom 22. Mai 2002, E. 3.1, Fall-Nr. 22 02 42). Inwiefern der Meinung des betroffenen Kindes bei der Ausgestaltung des persönlichen Verkehrs zwischen ihm und dem nicht obhutsberechtigten Elternteil Rechnung zu tragen ist, bestimmt sich vor allem nach dessen Alter. Das Bundesgericht erachtet erst zehn bzw. acht Jahre alte Kinder als nicht in der Lage, die Tragweite ihres Entscheides zu erkennen. Bei einer ablehnenden Haltung eines Kindes ab ca. 13 Jahren ist kein gerichtsübliches Besuchsrecht anzuordnen (Urteil des Bundesgerichts 5C.298/2006 vom 21. Februar 2007). Der vollständige Ausschluss des Besuchsrechts ist aber auch dann regelmässig ausgeschlossen. Vielmehr rechtfertigt es sich in solchen Fällen die Anordnung eines minimalen Besuchsrechts (Six, Eheschutz, Zürich/Basel/Genf 2008, Rz. 2.23). Nach Praxis des Bundesgerichts darf das Besuchsrecht nicht allein vom Willen des Kindes abhängen (Büchler/Wirz, a.a.O., N 28 zu Art. 273 ZGB; Urteil des Bundesgerichts 5A_331/2009 vom 6. Juli 2009 E. 2.2.3).

Die beiden Töchter sind erst 11 und 9 Jahre alt. Ihre Meinung soll zwar beachtet werden. Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen darf aber aufgrund ihres Alters nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Kinder die Tragweite ihres Entscheides überhaupt erkennen konnten. So oder anders stellt eine Abwehrhaltung des Kindes gegen den nicht obhutsberechtigten Elternteil allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls dar, welche eine gänzliche Verweigerung eines Besuchsrechts rechtfertigen würde. Das Wohl des Kindes ist nicht nur aus seiner subjektiven Sicht mit Blick auf sein momentanes Befinden zu beurteilen, sondern auch objektiv und mit Blick auf seine künftige Entwicklung (Urteil des Bundesgerichts 5C.170/2001 vom 31. August 2001 E. 5/a/aa, in: FamPra.ch 2002 S. 389). Anderes kann in engen Grenzen allenfalls bei älteren urteilsfähigen und bald mündigen Kindern gelten (Urteil des Bundesgerichts 5C.250/2005 vom 3. Januar 2006 E. 3.2.1, in: Fam-Pra.ch 2006 S. 751). Dass Kinder in der neuen Situation Mühe haben, mit dem anderen Elternteil den Kontakt zu behalten oder wiederherzustellen, erscheint – abhängig von den Modalitäten des Auseinanderlebens der Eltern und der Art und Weise, wie der obhutsberechtigte Elternteil die Kinder begleitet – nicht aussergewöhnlich (Urteil des Bundesgerichts 5A_341/2008 vom 23. Dezember 2008 E. 4.3). Dies vermag eine Verweigerung eines Besuchs- und Ferienrechts indes nicht zu rechtfertigen. In der Regel entspricht es gerade nicht dem Wohl des Kindes, wenn jeglicher Kontakt zwischen ihm und dem nicht obhutsberechtigten Elternteil unter dem Vorwand verhindert wird, das Kind selbst suche den Kontakt nicht (Urteil des Bundesgerichts 5A_341/2008 vom 23. Dezember 2008 E. 4.3). Für die weitere Persönlichkeitsentwicklung der Kinder ist es förderlich, wenn sie weiterhin zu beiden Elternteilen Kontakt pflegen können. Entsprechend ist aufgrund der ablehnenden Haltung der Kinder gegenüber dem Gesuchsgegner zwar kein gerichtsübliches Besuchsrecht anzuordnen. Die Anordnung eines minimalen Besuchsrechts erscheint aber aufgrund der schicksalhaften Eltern-Kind-Beziehung grundsätzlich zumutbar (Büchler/Wirz, a.a.O., N 28 zu Art. 273 ZGB; Urteil des Bundesgerichts 5C.298/2006 vom 21. Februar 2007 E. 2.3).

2.3.2 Sodann begründete der erstinstanzliche Richter die Verweigerung eines Besuchs- und Ferienrechts mit fehlenden Bemühungen seitens des Gesuchsgegners zur Kontaktaufnahme mit den Kindern seit der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes. Der Vorrichter erachtete es nicht als glaubhaft, dass der Gesuchsgegner überhaupt Versuche unternommen hat, mit den Kindern in Kontakt zu treten. Dieser Würdigung sind immerhin die Aussagen der Töchter entgegenzuhalten, wonach sie zum Geburtstag eine Karte erhalten hätten. Sohn Y gab an, dass er vom Gesuchsgegner einige E-Mails erhalten habe. An der Parteibefragung führte der Gesuchsgegner aus, dass er versucht habe, den Kontakt mit den Kindern per Telefon, E-Mail und Skype aufrechtzuerhalten. Die Gesuchstellerin habe aber diese Kontakte systematisch blockiert. Diese Darstellung wurde von der Gesuchstellerin nicht substanziiert bestritten. Es erscheint daher glaubhaft, dass der Gesuchsgegner gewisse Bemühungen zur Kontaktaufnahme mit den Kindern unternommen hat. Diesbezüglich hat er die Einvernahme von Zeugen beantragt. Dem erstinstanzlichen Richter ist zwar grundsätzlich beizupflichten, dass Zeugenbefragungen in einem Summarverfahren eher die Ausnahme darstellen. Aufgrund der in Kinderbelangen herrschenden Untersuchungsmaxime wäre die Anhörung einschlägiger Zeugen aber durchaus möglich gewesen, zumal das Gericht die näheren Umstände konkret abzuklären hat, damit im Einzelfall eine angemessene Regelung getroffen werden kann (Six, a.a.O., Rz. 2.15; BGE 131 III 209 E. 5 S. 212).

Letztlich braucht jedoch nicht abschliessend geklärt werden, ob der Gesuchsgegner hinreichende Bemühungen zur Kontaktaufnahme mit den Kindern seit der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes unternommen hat. Denn selbst wenn er sich bisher nicht ernsthaft um die Kinder gekümmert hätte, würde dies die Verweigerung oder die Entziehung des persönlichen Verkehrs nur rechtfertigen, wenn diese Verhaltensweise das Kindeswohl tatsächlich beeinträchtigt hätte (BGE 118 II 21). Die Bestimmung von Art. 274 Abs. 2 ZGB bezweckt den Schutz des Kindes und nicht die Bestrafung eines Ehegatten (Six, a.a.O., Rz. 2.19). Zu Recht weist der Gesuchsgegner darauf hin, dass die Vorinstanz nicht substanziiert dargetan habe, inwiefern das Kindeswohl bei der Gewährung eines Besuchs- und Ferienrechts konkret gefährdet wäre. Der erstinstanzliche Richter erachtete zwar als glaubhaft, dass es zu Gewaltvorfällen gekommen sei. Dass sich diese aber gegen die Kinder gerichtet hätten, wurde seitens der Gesuchstellerin weder behauptet noch hat die Vorinstanz derartige Vorfälle festgestellt. Gewaltvorfälle sind grundsätzlich nur insoweit geeignet, das Besuchsrecht auszuschliessen oder einzuschränken, als diese sich gegen das Kind gerichtet haben (Six, a.a.O., Rz. 2.19). Aus dem Umstand, dass ein Ehegatte Opfer von häuslicher Gewalt geworden ist oder Gewaltdrohungen gegen ihn ausgesprochen worden sind, darf noch nicht geschlossen werden, das Besuchsrecht sei deshalb mit dem Kindeswohl nicht vereinbar (Six, a.a.O., Rz. 2.22). Es ist nochmals festzuhalten, dass eine Gefährdung im Hinblick auf die vollständige Aufhebung des persönlichen Verkehrs angesichts dessen Bedeutung für das Kind wie für die Eltern nicht leichthin anzunehmen ist (BGE 127 III 295 E. 4a m.w.H.). Da eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls im angefochtenen Entscheid nicht festgestellt wurde und sich eine solche auch aus den vorliegenden Akten nicht ergibt, war ein völliger Verzicht auf ein Besuchsrecht nicht gerechtfertigt (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_331/2009 vom 6. Juli 2009 E. 2.2.4). Es wird dabei nicht verkannt, dass die Zusammenführung mit dem Gesuchsgegner im Rahmen eines Besuchsrechts für die Kinder – zumindest anfänglich – aufgrund des seit längerer Zeit fehlenden Kontaktes belastend sein wird. Dies ist aber nicht ungewöhnlich und soll nicht zu einer Verweigerung des Besuchsrechts führen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_341/2008 vom 23. Dezember 2008 E. 4.3). Darüber hinaus hätte die Vor-instanz prüfen müssen, ob dieser Belastung der Kinder nicht durch geeignete andere Massnahmen hätte begegnet werden können, etwa durch ein begleitetes Besuchsrecht (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_331/2009 vom 6. Juli 2009 E. 2.2.1).

Obergericht, II. Zivilabteilung, 7. Mai 2014

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