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Gerichtspraxis

Rechtspflege

Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

Beschwerdeverfahren

Art. 80 SchKG; Art. 6 OBG

Regeste:

Art. 80 SchKG; Art. 6 OBG – Der Strafbefehl einer Staatsanwaltschaft, mit welchem einer juristischen Person gestützt auf Art. 6 OBG eine Busse auferlegt wurde, stellt einen  Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 2 SchKG dar.

Aus dem Sachverhalt:

Mit Eingabe vom 13. Mai 2015 reichte der Staat X., vertreten durch die Staatsanwaltschaft Y. (nachfolgend Beschwerdeführer), beim Einzelrichter am Kantonsgericht Zug in der Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes Z. gegen die A. AG (nachfolgend: Beschwerdegegnerin), ein Gesuch um definitive Rechtsöffnung für CHF 140.– nebst Zins zu 5 % auf CHF 120.– seit 19. Januar 2015 und für CHF 61.30 Betreibungskosten ein. Zur Begründung seines Gesuchs reichte er u.a. einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Y. vom 27. November 2014 ins Recht, worin diese die Beschwerdegegnerin der Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nach Abzug der Sicherheitsmarge auf Autobahnen um 5 km/h mit dem Pw ... schuldig sprach und sie dafür mit einer Busse von CHF 20.– zuzüglich amtliche Kosten von CHF 120.– bestrafte. Mit Entscheid vom 8. Juni 2015 wies der Einzelrichter das Rechtsöffnungsgesuch vom 13. Mai 2015 in der Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes Z. ab. Gegen diesen Entscheid reichte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 11. Juni 2015 innert Frist Beschwerde beim Obergericht Zug ein und beantragte, der Entscheid des Einzelrichters des Kantonsgerichtes Zug vom 8. Juni 2015 sei aufzuheben und dem Beschwerdeführer sei in der Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes Z. die definitive Rechtsöffnung für die Forderung von CHF 140.– nebst Zins zu 5 % auf CHF 120.– seit 19. Januar 2015 und für CHF 61.30 Betreibungskosten zu bewilligen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

Aus den Erwägungen:

1. Die Vorinstanz begründete den Rechtsöffnungsentscheid im Wesentlichen damit, der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Y. vom 27. November 2014 würde grundsätzlich einen Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 2 SchKG darstellen. Juristische Personen seien indes nicht deliktsfähig, sofern nicht ein Bundesgesetz oder kantonales Recht die Deliktsfähigkeit ausdrücklich vorsehe. Der Strafbefehl vom 27. November 2014 richte sich gegen die Beschwerdegegnerin als juristische Person. Im Strassenverkehrsrecht sei die Deliktsfähigkeit der juristischen Person nicht vorgesehen. Daran ändere auch der neue, am 1. Januar 2014 in Kraft getretene Art. 6 des Ordnungsbussengesetzes (OBG) nichts. Nach dieser Bestimmung könne die Busse zwar dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt werden, wenn nicht bekannt sei, wer eine Widerhandlung begangen habe. Eine Ausdehnung der Strafbarkeit auf juristische Personen sei damit aber nicht verknüpft. Der Strafbefehl vom 27. November 2014 sei daher nichtig. Die definitive Rechtsöffnung dürfe nicht erteilt werden, wenn das Urteil nichtig sei. Das Rechtsöffnungsgesuch sei demnach abzuweisen.

2. Dagegen bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts seien juristische Personen ausschliesslich dann delikts- und straffähig, wenn ein Bundesgesetz oder im Rahmen der kantonalen Zuständigkeit ein kantonaler Erlass dies ausdrücklich vorsehe. Für die ausnahmsweise Strafbarkeit der juristischen Personen werde demnach zwingend eine positive Rechtsgrundlage verlangt, wie sie beispielsweise in Art. 6 Ordnungsbussengesetz (OBG) vorgesehen sei. Gemäss Botschaft des Bundesrates habe der Gesetzgeber mit der Straffung des Ordnungsbussenverfahrens eindeutig beabsichtigt, dass Firmen (= juristische Personen) zur Rechenschaft gezogen werden könnten, wenn sie nicht in der Lage oder nicht willens seien, der Polizei jene Person anzugeben, die das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt habe. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz habe der Gesetzgeber die positive Rechtsgrundlage zur Bestrafung von juristischen Personen für das Ordnungsbussenverfahren mit Art. 6 OBG geschaffen. Gemäss Art. 6 OBG werde die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt, wenn nicht bekannt sei, wer eine Widerhandlung begangen habe. Im vorliegenden Fall habe die verantwortliche Person nicht ermittelt werden können. Die im Fahrzeugausweis als Halterin eingetragene Beschwerdegegnerin habe auf die Übertretungsanzeige vom 14. April 2014 sowie die Mahnung vom 17. Juni 2014 nicht reagiert. Auch B., einziges Mitglied des Verwaltungsrates der Beschwerdegegnerin, habe auf die Zahlungserinnerung vom 19. August 2014 nicht reagiert. Der Strafbefehl gegen die Beschwerdegegnerin sei somit zu Recht erlassen worden. Der Strafbefehl sei rechtsgültig. Er sei in Rechtskraft erwachsen und stelle in Bezug auf Busse und Gebühren einen Rechtsöffnungstitel dar.

3.1 Beruht die Forderung auf einem vollstreckbaren gerichtlichen Entscheid, so kann der Gläubiger gemäss Art. 80 Abs. 1 SchKG beim Richter die Aufhebung des Rechtsvorschlags (definitive Rechtsöffnung) verlangen. Die definitive Rechtsöffnung wird erteilt, wenn nicht der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die Schuld seit Erlass des Entscheids getilgt oder gestundet worden ist, oder die Verjährung anruft (Art. 81 Abs. 1 SchKG).

3.2 Grundlage der in Betreibung gesetzten Forderung ist der (rechtskräftige) Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Y. vom 27. November 2014, worin die Beschwerdegegnerin der Überschreitung der signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nach Abzug der Sicherheitsmarge auf Autobahnen um 5 km/h mit dem Pw ... schuldig gesprochen und dafür mit einer Busse von CHF 20.– zuzüglich amtliche Kosten von CHF 120.– bestraft wurde. Gemäss Art. 373 StGB sind die aufgrund des Strafrechts des Bundes oder der Kantone ergangenen rechtskräftigen Entscheide mit Bezug auf Geldstrafen, Bussen, Kosten und Einziehung in der ganzen Schweiz vollstreckbar. Die Vollstreckung hat auf dem Weg der Betreibung zu erfolgen (vgl. Daniel Staehelin, in: Staehelin/Bauer/Staehelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, 2. A., Basel 2010, Art. 80 N 107). Der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Y. stellt demnach einen Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 80 Abs. 2 SchKG dar.

3.3 Daran vermag nichts zu ändern, dass es sich bei der Beschwerdegegnerin um eine juristische Person handelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind juristische Personen deliktsfähig, sofern ein Bundesgesetz oder kantonales Recht die Deliktsfähigkeit ausdrücklich vorsieht (vgl. BGE 105 IV 175 E. 3, mit Hinweis). Verlangt wird somit eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage. Eine solche findet sich in Art. 6 Ordnungsbussengesetz (OBG), der am 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung wird die Busse dem im Fahrzeugausweis eingetragenen Fahrzeughalter auferlegt, wenn nicht bekannt ist, wer die Widerhandlung begangen hat. Nach der Botschaft des Bundesrates zu Via sicura, Handlungsprogramm des Bundes für mehr Sicherheit im Strassenverkehr, vom 20. Oktober 2010 soll mit dieser Revision von einem der strafrechtlichen Grundsätze abgewichen werden, indem nicht mehr ausschliesslich die Person bestraft werden müsse, welche die Widerhandlung begangen habe, sondern der Fahrzeughalter oder die Fahrzeughalterin bestraft werden könne, falls der Täter oder die Täterin der Polizei nicht bekannt sei. Dies treffe häufig zu bei Widerhandlungen im ruhenden Verkehr und bei automatischen Verkehrskontrollen ohne Anhalteposten (z.B. Geschwindigkeit, Rotlicht). Sei der Täter oder die Täterin nicht bekannt, so solle künftig in der Regel der im Fahrzeugausweis eingetragene Fahrzeughalter oder die eingetragene Fahrzeughalterin die Busse bezahlen müssen. Dadurch könne folgende Problematik gemildert werden: Einerseits bestehe unter Familiengenossen ein Zeugnisverweigerungsrecht, so dass der Halter oder die Halterin Familiengenossen nicht «verraten» müsse. Andererseits seien viele Firmen oft nicht in der Lage oder nicht willens, der Polizei jene Person anzugeben, die das Fahrzeug zur fraglichen Zeit benutzt habe (vgl. BBl 2010 8486, Ziff. 1.3.2.26). Aus der Botschaft des Bundesrates geht klar hervor, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, «Firmen», also juristische Personen mit einer Busse zu belegen, sofern sie nicht in der Lage oder willens sind, der Polizei jene Person anzugeben, die das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt benutzte. Im vorliegenden Fall konnte die verantwortliche Person nicht ermittelt werden. Die im Fahrzeugausweis als Halterin eingetragene Beschwerdegegnerin reagierte nicht auf die Übertretungsanzeige vom 14. April 2014 sowie die Mahnung vom 17. Juni 2014. Auch B., einziges Mitglied des Verwaltungsrates der Beschwerdegegnerin reagierte nicht auf die Zahlungserinnerung vom 19. August 2014. Der Strafbefehl vom 27. November 2014, mit welchem der Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 6 OBG eine Busse auferlegt wurde, ist demnach nicht nichtig. Entsprechend ist der angefochtene Entscheid des Einzelrichters vom 8. Juni 2015, mit dem das Rechtsöffnungsgesuch vom 13. Mai 2015 in der Betreibung Nr. ...des Betreibungsamtes Z. abgewiesen wurde, in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und dem Beschwerdeführer in der Betreibung Nr. ... des Betreibungsamtes Z. definitive Rechtsöffnung für CHF 140.– nebst Zins zu 5 % seit 19. Januar 2015 zu erteilen. Für die Rechtsöffnungskosten von CHF 61.30 braucht keine Rechtsöffnung erteilt zu werden, da der Gläubiger berechtigt ist, von den Zahlungen des Schuldners die Betreibungskosten vorab zu erheben (Art. 68 Abs. 2 SchKG).

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 21. Juli 2015

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