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Art. 16 RPG, § 27 PBG, § 27 Abs. 3 BO Risch
Art. 24c Abs. 2 RPG, Art. 17 Abs. 2 WaG, §§ 12 und 14 PBG

Art. 29 BV, §§ 5 und 16 VRG

Regeste:

Art. 29 BV, §§ 5 und 16 VRG – Wer Gesamteigentümerin eines Baugrundstücks ist, hat Anspruch darauf, in einem das Grundstück betreffenden Baubewilligungsverfahren als Partei behandelt zu werden. Als Partei hat sie ohne zeitliche Einschränkung Anspruch auf Akteneinsicht, unabhängig davon, ob sie sich am Verfahren als Einsprecherin beteiligt hat oder nicht.

Aus dem Sachverhalt:

Mit Schreiben vom 16. April 2014 gelangte der Rechtsvertreter der Erbengemeinschaft X. an den Gemeinderat Y. und ersuchte um Einsichtnahme in die Akten des Baubewilligungsverfahrens V 2011 / 007. Mit Entscheid vom 17. September 2014 teilte der Gemeinderat der Erbengemeinschaft mit, er habe das Gesuch an seiner Sitzung vom 10. September 2014 geprüft und sei zum Schluss gekommen, dass seitens der Gemeinde kein Handlungsbedarf bestehe, da die Einsichtnahme in die Unterlagen der damaligen öffentlichen Auflage bereits gewährt worden sei. Massgebend sei, dass die Erbengemeinschaft X. keine Einsprache erhoben habe. Einsicht in die Unterlagen, welche im Rahmen der Publikation des Baugesuchs öffentlich aufgelegt worden und die für jedermann zugänglich gewesen seien, werde später nicht mehr gewährt. Gegen diesen Entscheid liess die Erbengemeinschaft X. beim Regierungsrat Beschwerde einreichen und beantragen, die Verfügung des Gemeinderates Y. sei vollumfänglich aufzuheben und der Gemeinderat anzuweisen, die Verfahrensakten der Beschwerdeführerin zwecks Einsichtnahme umgehend zuzustellen. Am 16. Oktober 2014 überwies die Baudirektion die Beschwerdesache im Sinne von § 7 VRG an das Verwaltungsgericht. Die Baudirektion führte aus, die Akten, in welche Einsicht begehrt werde, würden ein Bauvorhaben ausserhalb der Bauzone betreffen. Wenn das Verwaltungsgericht Rechtsmittelinstanz für das Baugesuch sei, so gehe man davon aus, dass es auch für die Frage der Akteneinsicht in das hängige Verfahren zuständig sei und man erachte eine Überweisung gemäss § 67 Abs. 2 lit. b PBG als angezeigt. Mit Vernehmlassung vom 27. November 2014 liess der Gemeinderat Y. beantragen, die Beschwerde sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Beschwerdeführerin abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Aus den Erwägungen:

(...)

2. Das Akteneinsichtsrecht ist Bestandteil des verfassungsmässig garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. Neben dem verfassungsmässig garantierten Gehörsanspruch haben die Parteien auch gemäss § 16 Abs. 1 VRG Anspruch auf Einsicht in die Akten, soweit nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Als Parteien gelten Personen, deren Rechte oder Pflichten ein Entscheid berührt, und andere Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen einen Entscheid zusteht (§ 5 VRG). Die Beteiligten eines hängigen Verwaltungs- oder Verwaltungsbeschwerdeverfahrens haben bereits aufgrund ihrer Stellung als Verfahrensbeteiligte ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in die Verfahrensakten. Dieses Recht steht auch Personen zu, denen zu Unrecht die Teilnahme an einem Verfahren verweigert wird.

a) Wer Eigentümer einer Sache ist, kann gemäss Art. 641 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210) über sie in den Schranken der Rechtsordnung nach Belieben verfügen. Dazu gehört auch die Befugnis, sein Grundstück zu überbauen. Berechtigt zur Einreichung eines Baugesuchs ist daher primär der Eigentümer des Grundstücks, auf dem gebaut werden soll. Bei den Formen von gemeinschaftlichem Eigentum (Miteigentum oder Gesamteigentum) ist je nach der Ausgestaltung des Eigentumsverhältnisses die Zustimmung aller Eigentümer oder auch nur einer Mehrheit erforderlich (Fritzsche/Bösch/Wipf, Zürcher Planungs- und Baurecht, 5. Auflage, Zürich 2011, S. 274f.). Bei Miteigentümern unterscheidet man zwischen notwendigen (werterhaltenden) baulichen Massnahmen, nützlichen (wertvermehrenden) Massnahmen und luxuriösen baulichen Massnahmen. Die notwendigen Massnahmen können mit einfachem Mehr beschlossen werden, für die nützlichen braucht es ein qualifiziertes Mehr und für luxuriöse Massnahmen braucht es Einstimmigkeit. Haben mehrere Personen, die durch Gesetzesvorschrift oder Vertrag zu einer Gemeinschaft verbunden sind, eine Sache kraft ihrer Gemeinschaft zu Eigentum, so sind sie Gesamteigentümer, und es geht das Recht eines jeden auf die ganze Sache (Art. 652 ZGB). Die Rechte und Pflichten der Gesamteigentümer richten sich nach den Regeln, unter denen ihre gesetzliche oder vertragsmässige Gemeinschaft steht. Besteht keine andere Vorschrift, so bedarf es zur Ausübung des Eigentums und insbesondere zur Verfügung über die Sache des einstimmigen Beschlusses aller Gesamteigentümer (Art. 653 Abs. 1 und 2 ZGB).

b) Eine der eben erwähnten Eigentümergemeinschaften ist die Erbengemeinschaft gemäss Art. 602 ZGB. Beerben nämlich mehrere Erben einen Erblasser, so besteht unter ihnen, bis die Erbschaft geteilt wird, infolge des Erbganges eine Gemeinschaft aller Rechte und Pflichten der Erbschaft (Art. 602 Abs. 1 ZGB). Sie werden Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände und verfügen unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse über die Rechte der Erbschaft gemeinsam (Art. 602 Abs. 2 ZGB). Gesamteigentümer handeln grundsätzlich nach dem Prinzip der Einstimmigkeit und Gemeinsamkeit. Entscheidungen über Nutzung, Verwaltung und Vertretung des gemeinschaftlichen Objekts erfordern Einstimmigkeit. Auch nach der neueren Praxis des Bundesgerichts wird stets am Erfordernis der Willensübereinstimmung für alle Entscheidungen über die Nutzung, Verwaltung und Vertretung des gemeinschaftlichen Objekts festgehalten (Art. 653 Abs. 2 ZGB; Urteil 5C.289/2005 vom 15. Juni 2007 E. 6.1 mit Hinweisen). Die Gesamteigentümer bilden deshalb sogar in einem Prozess eine notwendige Streitgenossenschaft (Urteil 5A_137/2010 vom 21. Mai 2010, Erw. 5.3). Vorbehältlich anderer Regelungen müssen alle Gesamteigentümer einem Beschluss zustimmen, damit Gesamteigentum ausgeübt bzw. darüber verfügt werden kann. Das Einstimmigkeitserfordernis erfasst jede Eigentumsausübung, d.h. Nutzungs-, Verwaltungs- und Verfügungshandlung jeder Art (Jürg Wichtermann, in BSK ZGB II, 4. Aufl., Basel 2011, Art. 653 N 12 f.).

c) Aus den Akten ergibt sich, dass sich das Baugrundstück GS Nr. 0000, im Gesamteigentum der Erbengemeinschaft X. und von A. B. befindet. Die Gesamteigentümer sind – wie erwähnt – für sämtliche die Liegenschaft betreffenden Nutzungs-, Verwaltungs- und Verfügungshandlungen zuständig und verantwortlich. Ein einzelnes Mitglied der Gesamteigentümergemeinschaft kann ohne die Zustimmung der andern weder rechtsverbindlich ein Baugesuch einreichen, eine Baute oder Anlage erstellen noch einer Abbruchverfügung zustimmen bzw. einer entsprechenden Anordnung Folge leisten. Wenn also die Baubewilligungsbehörde gegen einen einzelnen Gesamteigentümer – wie sie es vorliegend getan hat – eine Abbruchverfügung erlässt, so kann sie dies zwar in dem Sinne tun, dass sie ihn als Verhaltensstörer ins Recht fasst. Sie muss dabei aber in Kauf nehmen, dass ihm aufgrund des Privatrechts keine oder keine ausschliessliche Verfügungsmacht über die illegal erstellten Bauten zusteht. Er kann seiner Verpflichtung nur nachkommen, wenn die übrigen Gesamteigentümer in den Eingriff einwilligen. Widersetzen sich diese aber dem Abbruch, so wird dem «Verhaltensstörer» durch die Abbruchverfügung eine Pflicht auferlegt, die er mit den ihm zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln nicht erfüllen kann, d.h. die Abbruchverfügung ist nicht vollstreckbar. Beabsichtigt die zuständige Baubehörde dieses Vollstreckungshindernis zu beseitigen, bleibt ihr nichts anderes übrig, als gegen alle Verfügungsberechtigten, die ihre Zustimmung zum Abbruch verweigern, eine Duldungs- oder Beseitigungsverfügung zu erlassen (BGE 107 Ia 19, Erw. 2c). So oder so wird die Baubewilligungsbehörde nicht darum herumkommen, die übrigen Gesamteigentümer ins Verfahren miteinzubeziehen.

d) Das Baugesuch, welches am 11. April 2011 beim Bauamt der Gemeinde Y. eingereicht wurde, enthält insofern unzutreffende Angaben, als dass als Grundeigentümer nur A. B. aufgeführt wird. Mit Schreiben vom 8. August 2011 teilte die Gemeindeverwaltung Y. dem A.B. mit, dass man im Rahmen der Baugesuchsprüfung festgestellt habe, dass sich das betreffend Grundstück sowohl im Eigentum von A.B. wie auch der Erbengemeinschaft X. befinde. Die erforderliche Zustimmung der Erbengemeinschaft X. liege nicht vor. Das Einverständnis des Grundeigentümers sei bekanntlich Voraussetzung für eine allfällige Bewilligungserteilung. A.B. wurde aufgefordert, die Baugesuchsunterlagen umgehend entsprechend zu vervollständigen.

Aus diesen Angaben ergibt sich für das Gericht, dass die Beschwerdeführerin im Baubewilligungsverfahren V 2011 / 007 als Partei zu betrachten ist. Einmal ist sie Gesamteigentümerin des Baugrundstücks und dann ist sie von der Abbruchverfügung zumindest insofern indirekt betroffen, als diese ohne ihr Einverständnis nicht vollstreckt werden kann. Als Partei hat sie aber im Sinne von § 16 Abs. 1 VRG ohne zeitliche Einschränkung jederzeit Anspruch auf Einsicht in alle Verfahrensakten, unabhängig davon ob sie Einsprache eingereicht hat. Ihre Verfahrensbeteiligung bzw. ihre Parteistellung hängt nicht davon ab, ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt Einsprache gegen ein Baugesuch eingereicht hat, das ohne ihre Zustimmung gar nicht hätte behandelt werden dürfen. In diesem Sinn ist die Beschwerde gutzuheissen und der Gemeinderat Y. anzuweisen, dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin umgehend vollumfänglich Akteneinsicht zu gewähren.

Urteil des Verwaltungsgericht vom 23. Dezember 2014, V 2014 / 143

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