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Art. 1b IVG, Art. 27 EOG, Art. 2 AVIG, Art. 1a und Art. 5 AHVG, Art. 319 OR
Art. 4 ATSG, Art. 6 Abs. 2 UVG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 UVV
Art. 5 AHVG, Art. 6, Art. 8, Art. 8bis und Art. 8ter AHVV
Art. 8, Art. 13, Art. 21 und Art. 64a Abs. 1 lit. b IVG, Art. 2 Abs. 1 und 2 HVI, Ziffer 5.06 HVI-Anhang; Rz. 2035 KHMI
Art. 8, Art. 27 und Art. 42 ATSG, Art. 12 Abs. 2 ATSV, Art. 8 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 AVIG
Art. 8, Art. 59 und Art. 60 AVIG
Art. 9 und Art. 17 Abs. 2 ATSG, Art. 42 IVG; Art. 37 und Art. 38 IVV

Art. 17 Abs. 2 ATSG; Art. 9 Abs. 1 ELG; Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV

Regeste:

Art. 17 Abs. 2 ATSG; Art. 9 Abs. 1 ELG; Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV – Gemäss Art. 9 Abs. 1 ELG sind  Ergänzungsleistungen als Jahresleistungen, die monatlich ausbezahlt werden, ausgestaltet. Ändert sich der Sachverhalt nach Erlass der leistungszusprechenden Verfügung in rechtserheblicher Weise, muss gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ATSG die Leistung erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben werden (Erw. 3.3). Ändern sich die Verhältnisse in Bezug auf das anrechenbare Erwerbseinkommen, ist die Revision der bereits gewährten Jahresleistung bzw. die Leistungsanpassung nur möglich, wenn der Auffangtatbestand von Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV erfüllt ist. Bei einer einmaligen Einnahme ist das Kriterium der «voraussichtlich längere Zeit andauernden Veränderung» nicht gegeben. Eine einmalige (Lohn-) Zahlung kann auch nicht als wiederkehrende Leistung im Sinne von Art. 23 Abs. 3 ELV betrachtet werden. Der Verordnungsgeber hat offenbar die Verfahrensökonomie und den geringeren Verwaltungsaufwand höher gewichtet als die sofortige Anrechnung jeder Veränderung, ansonsten hätte er in Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV keine Hürde in zeitlicher Hinsicht geschaffen (Erw. 4.2).

Aus dem Sachverhalt:

Der 1958 geborene A bezieht zu seiner Invalidenrente seit dem 1. März 2014 monatliche Ergänzungsleistungen (EL) von Fr. 969.– (vgl. Verfügung vom 9. April 2014). Am 26. Mai 2014 setzte A die Ausgleichskasse des Kantons Zug (AK Zug) darüber in Kenntnis, dass er am 23. Mai 2014 von seiner ehemaligen Arbeitgeberin, der Stadt X, aus einem gerichtlichen Vergleich heraus eine Entschädigung von Fr. 6'000.– bezahlt erhalten habe. Die AK Zug revidierte daraufhin mit Verfügung vom 10. Juli 2014 die laufenden Leistungen und setzte – rückwirkend und nur für den Monat Mai 2014 – die monatliche Ergänzungsleistung auf Fr. 0.– fest. Die zu Unrecht bezogene Ergänzungsleistung in der Höhe von Fr. 969.– im Monat Mai 2014 forderte sie gleichzeitig vom Versicherten zurück. Die vom Versicherten dagegen erhobene Einsprache wies die AK Zug mit Entscheid vom 26. November 2014 ab. Zur Begründung hielt sie fest, dass es sich bei der Entschädigung der Stadt X um massgebenden Lohn nach dem AHVG handle, die Entschädigung für vom Einsprecher erbrachte Arbeit erfolgt sei und keine Leistung im Sinne von Art. 11 Abs. 3 ELG vorliege. Der Betrag von Fr. 6'070.– sei zu Recht als Einkommen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG neben dem effektiven Einkommen (Bauhaus) bei den Einnahmen angerechnet worden.

Aus den Erwägungen:

(...)

3.3 Gemäss Art. 9 Abs. 1 ELG sind die Ergänzungsleistungen als Jahresleistungen, die monatlich ausbezahlt werden, ausgestaltet (vgl. Ulrich Meyer-Blaser, Die Anpassung von Ergänzungsleistungen wegen Sachverhaltsänderungen, in: Die Revision von Dauerleistungen in der Sozialversicherung, St. Gallen, 1999, S. 32 f.). Ändert sich der Sachverhalt nach Erlass der leistungszusprechenden Verfügung in rechtserheblicher Weise, so muss gestützt auf Art. 17 Abs. 2 ATSG die Leistung erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben werden.

3.4 Das Gesetz nennt in Art. 25 Abs. 1 der Verordnung über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung vom 15. Januar 1971(ELV; SR 831.301) vier Gründe, die zu einer Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung der jährlichen Ergänzungsleistungen führen, nämlich die Veränderung in der Personengemeinschaft (lit. a), die Änderung der AHV- oder IV-Rente (lit. b), die Änderung der Berechnungsfaktoren (lit. c) und die Änderung der Berechnungsfaktoren im Rahmen der periodischen Überprüfung (lit. d). Jeder dieser Anpassungsgründe ist gemäss Art. 25 Abs. 1 ELV an besondere Voraussetzungen geknüpft.

Gemäss Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV ist die jährliche Ergänzungsleistung bei Eintritt einer voraussichtlich längere Zeit dauernden Verminderung oder Erhöhung der vom ELG anerkannten Ausgaben und Einnahmen sowie des Vermögens zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben. Massgebend sind die neuen, auf ein Jahr umgerechneten dauernden Ausgaben und Einnahmen und das bei Eintritt der Veränderung vorhandene Vermögen. Macht die Änderung weniger als Fr. 120.– im Jahr aus, kann auf eine Anpassung verzichtet werden.

4. Die AK Zug sprach dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 8. Januar 2014 bzw. mit Verfügung vom 9. April 2014 eine jährliche Ergänzungsleistung von Fr. 11'100.– (Fr. 925.–/Monat) bzw. Fr. 11'628.– (Fr. 969.–/Monat) zu (vgl. AK-act. 1 und 6). Mit angefochtener Verfügung vom 10. Juli 2014 rechnete die Beschwerdegegnerin die vom Beschwerdeführer im Monat Mai 2014 einmalig erhaltene Entschädigung im Sinne eines Erwerbseinkommens auf ein Jahreseinkommen um und legte einen anrechenbaren Nettoverdienst von Fr. 94'837.– jährlich fest. Davon brachte sie Fr. 1'000.– in Abzug und berücksichtigte nebst der IV-Rente von Fr. 9'948.– in der Bedarfsrechnung 2/3 des Restbetrages, mithin Fr. 62'558.–, als zusätzliche Einnahme. Bei der Gegenüberstellung der gesamten Ausgaben und Einnahmen resultierte ein Einnahmeüberschuss von Fr. 36'042.– jährlich. Ausgehend von einem Jahresanspruch von Fr. 0.– legte die Beschwerdegegnerin den Anspruch auf Ergänzungsleistungen für den Monat Mai 2014 ebenfalls auf Fr. 0.– fest und forderte demzufolge die bereits ausbezahlte Ergänzungsleistung in der Höhe von Fr. 969.– für den Monat Mai 2014 zurück (vgl. AK-act. 11).

(...)

4.2 Mit dem Beschwerdeführer ist festzustellen, dass wenn sich wie vorliegend die Verhältnisse in Bezug auf das anrechenbare Erwerbseinkommen verändern, die Revision der bereits gewährten Jahresleistung, bzw. die Leistungsanpassung nur möglich ist, wenn der in Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV beschriebene Auffangtatbestand erfüllt ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Änderung der Berechnungsfaktoren voraussichtlich längere Zeit dauern wird. Wann von einer solchen voraussichtlich längere Zeit dauernden Veränderung gesprochen werden kann, ist in der Verordnung nicht geregelt. Auch das höchste Gericht hat sich bis heute, soweit ersichtlich, dazu nicht geäussert. Ebenso fehlen vom Bundesamt für Sozialversicherungen entsprechende Regelungen in der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL, gültig ab 1. Januar 2002, Stand 1. Januar 2010). Die Lehre postuliert hierzu aber immerhin, dass eine längere Zeit dauernde Veränderung vorliegt, wenn die eingetretene Änderung voraussichtlich von ihrem Eintritt an bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres bestehen bleibt (Meyer-Blaser, a.a.O.; S. 41 f.; Urs Müller; Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, 2. Auflage, Zürich 2006, Rz 153). In Bezug auf die Dauer der Veränderung schreibt die Verwaltungspraxis vor, dass die bei Spitalaufenthalt von der Krankenkasse für Unterkunft und Verpflegung erbrachten Leistungen vom dritten Aufenthaltsmonat an angerechnet werden (WEL Rz. 2089). Sodann sind bei einer Erhöhung der Naturallohnansätze bei der AHV die neuen Ansätze bei den bereits laufenden EL-Fällen anlässlich der nächsten, nicht durch eine Erhöhung der AHV-Rente bewirkten Neufestsetzung der EL, spätestens aber bei der nächsten periodischen Überprüfung des EL-Anspruchs anzuwenden (WEL Rz. 2069 vgl. zum Ganzen: Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 26. Januar 2012, ZL.2010.00114). Auch in der Invalidenversicherung wird von einer voraussichtlich längere Zeit dauernden Veränderung ausgegangen, wenn sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate gedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird (vgl. Art. 88a der Verordnung über die Invalidenversicherung [IVV, SR 831.201]).

Ohne abschliessend festlegen zu müssen, wann die «voraussichtlich längere Zeit dauernde Veränderung» in der Regel als erfüllt zu betrachten ist, handelt es sich vorliegend – vergleichbar mit den in den zitierten Urteilen des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich (ZL.2010.00095 und ZL.2010.00114) vorgelegenen Sachverhalten (die Versicherten hatten Gelegenheit, in einem Monat während ein paar Tagen bzw. einen Monat lang einen einmaligen Zusatzverdienst zu erzielen) – um eine einmalige Einnahme des Beschwerdeführers von Fr. 6'000.– im Mai 2014, weshalb auch unter Berücksichtigung der für andere Veränderungen geltenden dreimonatigen Frist (vgl. oben) jedenfalls noch nicht von einer längeren Zeit gesprochen werden kann. Eine einmalige (Lohn-)Zahlung kann zum Vorneherein auch nicht als wiederkehrende Leistung im Sinne von Art. 23 Abs. 3 ELV betrachtet werden. Soweit die Beschwerdegegnerin hierzu einwendet, der Beschwerdeführer habe indes während vielen Jahren für die Stadt X gearbeitet und wenn er dafür nachträglich eine Zusatzentschädigung erhalte, sei eine Analogie zum zitierten Urteil ZL.2010.00095 nicht angebracht, zielt sie damit ins Leere. Entscheidend ist doch einzig, dass der Beschwerdeführer diese Zusatzentschädigung für monatelange Nacht- und Wochenendarbeit in den Jahren 2007 bis 2012 – sofern diese Entschädigung vom Mai 2014 denn überhaupt als solche zu qualifizieren wäre – im vorliegend für die EL-Berechnung relevanten Jahr 2014 einmalig ausbezahlt bekommen hat und es damit sein Bewenden hatte. Die Beschwerdegegnerin hat im Lichte der oben zitierten Lehre und Verwaltungspraxis zur Dauerhaftigkeit der Veränderung nicht weiter dargelegt, weshalb sie bei dieser zusätzlichen Einnahme von Fr. 6'000.– im Monat Mai 2014 von einer länger dauernden Veränderung ausgegangen ist. Wie das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich im oben erwähnten Entscheid vom 26. Januar 2012 (vgl. ZL.2010.00114) festgestellt hat, hat der Verordnungsgeber offenbar die Verfahrensökonomie und den geringeren Verwaltungsaufwand höher gewichtet als die sofortige Anrechnung jeder Veränderung, ansonsten er nicht für die in casu fragliche wirtschaftliche Veränderung in Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV – in Abweichung zu Art. 25 Abs. 1 lit. a-b ELV – in zeitlicher Hinsicht dahin gehend eine Hürde geschaffen hätte, dass die Veränderung lediglich und erst dann zur Leistungsanpassung führte, wenn sie längere Zeit dauerte.

4.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in Analogie zu den beiden Zürcher-Fällen (ZL.2010.00095 und ZL.2010.00114: in beiden Fällen hatten die Versicherten Gelegenheit, während eines Monats im Jahr ein Zusatzeinkommen zu erzielen) in casu keine solche «voraussichtlich längere Zeit dauernde Veränderung» eingetreten ist, sondern der Beschwerdeführer einzig im Mai 2014 eine einmalige Entschädigung über Fr. 6'070.40 von der ehemaligen Arbeitgeberin erhalten hat. Damit aber war die Voraussetzung für eine Änderung gemäss dem anwendbaren Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV im Laufe des Berechnungsjahres, nämlich der Eintritt einer voraussichtlich längere Zeit dauernden Erhöhung des Einkommens, nicht gegeben.

Mangels eines hinreichenden Revisionsgrundes hat die Beschwerdegegnerin die laufenden Ergänzungsleistungen zu Unrecht angepasst und die Rückforderung verfügt. In Gutheissung der Beschwerde sind demzufolge der Einspracheentscheid vom 26. November 2014 und die Verfügung vom 10. Juli 2014 aufzuheben.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. April 2015 S 2015 4

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