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Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB

Regeste:

Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB – Trägt die unterhaltsberechtigte Partei selber vor, dass bei überdurchschnittlich hohem Einkommen sparsam gelebt wurde, ist die Anwendung der sog. einstufig-konkreten Methode zur  Unterhaltsberechnung gerechtfertigt, zumal ein überdurchschnittliches Einkommen ein Indiz dafür ist, dass eine Sparquote verbleiben sollte. Dabei ist es Sache des unterhaltsberechtigten Ehegatten, den konkreten Lebensbedarf mit Angaben der Einzelbedürfnisse darzutun. Die Untersuchungsmaxime entbindet die Parteien nicht von ihrer Pflicht, aktiv am Verfahren mitzuwirken und ihre eigenen Behauptungen darzulegen.

Aus den Erwägungen:

(...)

3. In beiden Berufungsverfahren ist die Höhe der vom Gesuchsgegner zu bezahlenden Unterhaltsbeiträge strittig. (...)

(...)

3.2 Die Gesuchstellerin moniert, die Vorinstanz habe zur Berechnung der Unterhaltsbeiträge zu Unrecht die einstufig-konkrete Methode angewandt. Die finanziellen Verhältnisse seien nicht derart gut, dass die Anwendung der einstufig-konkreten Methode zwingend wäre. Zudem habe der Gesuchsgegner eine Sparquote weder behauptet noch bewiesen. Richtigerweise sei die Methode des betreibungsrechtlichen Existenzminimums mit Überschussverteilung anwendbar. Im Übrigen habe die Vorinstanz den gebührenden Bedarf nicht nach der einstufig-konkreten Methode ermittelt, sondern sei von ihrem erweiterten Grundbedarf ausgegangen.

3.2.1 Bei der Festsetzung von Geldbeträgen des einen Ehegatten an den anderen gemäss Art. 176 Abs. 1 Ziff. 1 ZGB geht der Richter grundsätzlich von den bisherigen, ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarungen der Ehegatten über Aufgabenteilung und Geldleistungen aus, die der ehelichen Gemeinschaft eine bestimmte Struktur gegeben haben. Es kann diesbezüglich auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz in Erwägung 7.2.1 des angefochtenen Entscheides verwiesen werden. Zielgrösse des Unterhalts ist somit die Fortsetzung des ehelichen Lebensstandards zuzüglich allfälliger trennungsbedingter Mehrkosten. Nach gefestigter, auf die massgebliche einschlägige Lehre abgestützter Praxis des Obergerichts ist die Unterhaltsberechnung grundsätzlich nach der Methode der Notbedarfsberechnung mit Überschussverteilung (sog. zweistufige Methode) vorzunehmen, wobei ein allfälliger Überschuss im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Ehegatten i.d.R. hälftig zu teilen ist (sog. Halbteilungsgrundsatz). Die vereinbarte und bis zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts tatsächlich gelebte Lebenshaltung ist aber obere Schranke für den Unterhaltsanspruch, zumal bei hohem Familieneinkommen regelmässig nicht dessen Gesamtheit für den Unterhalt der Familie verwendet, sondern ein Teil zur Vermögensbildung zurückgelegt wird. Auf diesen Teil darf nur soweit zurückgegriffen werden, als damit die durch das Getrenntleben verursachten Mehrkosten gedeckt werden sollen. Denn der Grundsatz der Gleichbehandlung der Ehegatten bei der Regelung des Getrenntlebens darf nicht dazu führen, dass über den Umweg der hälftigen Teilung des den Ehegatten insgesamt zustehenden Einkommens eine Vermögensverschiebung eintritt, welche die güterrechtliche Auseinandersetzung vorwegnehmen würde. Die hälftige Teilung muss vielmehr dort ihre Grenze finden, wo das vorhandene Einkommen mehr ausmacht, als es die Wahrung der von den Gatten gewählten angemessenen Lebenshaltung erfordert (BGE 114 II 26 E. 8 S. 32; BGE 119 II 314 E. 4bb S. 318; Urteil des Bundesgerichts 5P.6/2004 vom 12. März 2004 E. 3.1; BGE 140 III 485 E. 3.3 S. 488).

3.2.2 Die Gesuchstellerin führte im erstinstanzlichen Verfahren selber aus, dass der Gesuchsgegner bzw. die Familie während des Zusammenlebens sparsam gelebt habe. So habe sich der Gesuchsgegner die Haare selber geschnitten, die Ersatzteile für sein Fahrzeug habe er auf dem Schrottplatz gekauft, aus Kostengründen sei lediglich eine Wechselnummer eingelöst worden und es sei jeweils der minimale Versicherungsschutz bei der günstigsten Krankenkasse abgeschlossen worden. Die Familie habe zudem lediglich Reka-Ferien gemacht (Vi-act. 30 S. 8, 14). Das Einkommen der Parteien bezifferte die Vorinstanz auf monatlich rund CHF 17 000.– (Vi-act. 48 Erw. Ziff. 7.2.3). Dabei handelt es sich um ein überdurchschnittlich hohes Einkommen, welches die Anwendung der einstufig-konkreten Methode zu rechtfertigen vermag (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5A_288/2008 vom 27. August 2008 E. 5.4). Aufgrund der Ausführungen der Gesuchstellerin und vor dem Hintergrund, dass ein überdurchschnittliches Einkommen ein Indiz dafür ist, dass eine Sparquote verbleiben sollte (BGE 140 III 485 E. 3.5.2 S. 490), ist die Vorinstanz zu Recht von der Bildung von Ersparnissen während der Ehe ausgegangen. Entgegen der Argumentation der Gesuchstellerin hat der Gesuchsgegner im Übrigen durchaus auch selbst eine Sparquote behauptet, indem er ausführte, dass jedenfalls monatlich CHF 500.– an die 3. Säule je Partei einbezahlt wurden. Beim hier überdurchschnittlich hohen Familieneinkommen ist offenkundig, dass die Sparquote durch die anfallenden Mehrkosten für die Führung zweier Haushalte nicht aufgebraucht wird (Vi-act. 7 S. 14). In Bezug auf die Höhe der Sparquote ist dabei anzumerken, dass Tatfragen auch ohne Beweiserhebung auf Grund von Indizien (z.B. Einkommen und Ersparnisse während der Ehe), Erfahrungssätzen (z.B. durchschnittliche Lebenskosten für eine vierköpfige Familie) oder eigenem Wissen des Sachgerichts beantwortet werden können (Urteil des Bundesgerichts 5A_288/2008 vom 27. August 2008 E. 5.2). Die Anwendung der einstufig-konkreten Methode ist aufgrund der Verhältnisse im vorliegenden Fall – entgegen der Ansicht der Gesuchstellerin – jedenfalls gerechtfertigt, da die Aufteilung des gemeinsamen Überschusses gemäss den vorstehenden Erwägungen nicht zu höheren Unterhaltsbeiträgen führen darf, als zur Wahrung einer angemessenen Lebenshaltung nötig ist. Zum gebührenden Bedarf macht die Gesuchstellerin keine substanziierten Ausführungen. Sie trägt vor, die Parteien hätten wegen des Verfahrensverlaufes nicht davon ausgehen müssen, dass ihr Bedarf konkret behauptet und bewiesen werden müsse (Z2 2015 20: act. 1 S. 5). Dem kann nicht gefolgt werden. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind in jedem Fall die relevanten Lebensverhältnisse festzustellen. Es geht nicht an, die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen unabhängig vom konkreten Einzelfall durch die Methode der hälftigen Überschussverteilung zu ersetzten (vgl. BGE 134 III 577 E. 3 S. 580).

3.2.3 Die Gesuchstellerin rügt weiter, die Vorinstanz habe ihr lediglich den erweiterten Bedarf als gebührenden Lebensstandard zugestanden. Einen (höheren) gebührenden Bedarf hat die Gesuchstellerin indes – wie bereits erwähnt – auch im Berufungsverfahren nicht konkret dargelegt. Es ist Sache des unterhaltsberechtigten Ehegatten, den konkreten Lebensbedarf mit Angaben der Einzelbedürfnisse – für Wohnung, Haushalt, Garderobe, Gesundheitspflege, Kommunikation, Mobilität, soziale Kontakte, kulturelle und sportliche Aktivitäten, Reisen, usw. – darzutun (Vetterli, in: FamKommentar Bd. I: ZGB, 2. A., Bern 2011, Art. 176 N 29; BGE 115 II 424 E. 3 S. 426). Die Untersuchungsmaxime entbindet die Parteien nicht von ihrer Pflicht, aktiv am Verfahren mitzuwirken und ihre eigenen Behauptungen darzulegen (BGE 128 III 411 E. 3.2.1 = Pra 2003 Nr. 5; Urteil des Bundesgerichts 5A_555/2013 vom 29. Oktober 2013 E. 3.3). Hat es die Gesuchstellerin unterlassen, ihren gebührenden Bedarf substanziiert zu behaupten und zu belegen, ist nicht zu beanstanden, dass ihr die Vorinstanz lediglich den erweiterten Bedarf zugestanden hat.

(...)

Obergericht, II. Zivilabteilung, 2. September 2015

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