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Art. 154 ZPO

Regeste:

Art. 154 ZPO – Vor der Beweisabnahme werden die erforderlichen Beweisverfügungen getroffen. Das Fehlen einer Beweisverfügung an sich bedeutet noch nicht ohne weiteres, dass der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben wäre. Entscheidend ist letztlich, ob und inwieweit eine Partei beschwert ist, d.h. ob ihr aus dem Fehlen einer (korrekten) Beweisverfügung ein erheblicher Nachteil entsteht und ob insbesondere ihr grundrechtlicher Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt worden ist.

Aus den Erwägungen:

1. Die Klägerin vertrat an der Hauptverhandlung im erstinstanzlichen Verfahren die Ansicht, dass der vorliegende Prozess nicht spruchreif sei. Insbesondere fehle eine Beweisverfügung und es hätten die Beweise durch das Kollegialgericht und nicht durch den Instruktionsrichter (Referenten) abgenommen werden müssen. Diese Einwendungen der Klägerin taxierte die Vorinstanz als unbegründet. Die Existenz der von den Parteien eingereichten Beweismittel sei in tatsächlicher Hinsicht unbestritten. Die Klägerin habe zudem nicht dargelegt, bezüglich welcher konkreten Tatsachen eine Beweisverfügung hätte erlassen werden sollen. Der vor-liegende Prozess sei daher nach der Hauptverhandlung auch ohne Beweisverfügung spruchreif gewesen. Die Beweisabnahme könne gemäss Art. 155 Abs. 1 ZPO zudem an eines oder mehrere Gerichtsmitglieder delegiert werden, was im vorliegenden Fall mit der Präsidialverfügung vom 6. April 2011 erfolgt sei.

1.1 Vorab ist festzuhalten, dass die Klägerin im Berufungsverfahren die Delegation der Beweisabnahme an ein Gerichtsmitglied zu Recht nicht mehr rügt. Die Legitimation für die Delegation ist in Art. 155 Abs. 1 ZPO ausdrücklich verankert.

Die Klägerin moniert jedoch, die Vorinstanz habe weder vor der persönlichen Befragung der Parteien noch vor der Einholung der Expertise und auch nicht vor Durchführung der Haupt-verhandlung eine Beweisverfügung erlassen. Während des ganzen vorinstanzlichen Verfahrens habe das Kantonsgericht die Klägerin im Ungewissen gelassen. Es sei ihr nicht möglich gewesen, sich im Hinblick auf die Parteibefragung gehörig vorzubereiten. X.Y. als Organ der Klägerin habe quasi zu einem strafrechtlichen Verhör erscheinen müssen. Er habe nicht klar und eindeutig gewusst, was ihm bevorstehe und zu welchen bestrittenen Tatsachenbehauptungen er werde aussagen müssen. Dasselbe gelte für die Hauptverhandlung. Aufgrund des Vorgehens der Vorinstanz sei den Parteien nicht klar gewesen, was ihnen an der Hauptverhandlung bevorstehe. Ein ordentliches Verfahren ohne Beweisverfügung sei nicht spruchreif. Die Klägerin wisse selbst heute noch nicht, weshalb die Vorinstanz X.Y. nicht zu allen Sachverhaltsbehauptungen befragt und die Befragung mit der Beweisaussage verknüpft habe. Die Klägerin wisse zudem selbst heute nicht, weshalb das Gericht die angerufenen Zeugen nicht gehört habe.

1.2 Vor der Beweisabnahme werden die erforderlichen Beweisverfügungen getroffen. Darin werden insbesondere die zugelassenen Beweismittel bezeichnet und es wird bestimmt, welcher Partei zu welchen Tatsachen der Haupt- oder der Gegenbeweis obliegt. Beweisverfügungen können jederzeit abgeändert oder ergänzt werden (Art. 154 ZPO). Sie sind prozessleitende Verfügungen im Sinne von Art. 124 Abs. 1 ZPO (Leu, in: Brunner und andere [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, 2011, Art. 154 ZPO N 23; Brönnimann, Berner Kommentar, 2012, Art. 154 ZPO N 5; Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung – Kurzkommentar, 2. A. 2014, Art. 124 ZPO N 3 und Art. 154 ZPO N 1).

Die Beweisverfügung leitet das Beweisstadium ein und legt das Programm des Beweisverfahrens fest. Ihr Erlass setzt voraus, dass das Gericht den vorhandenen Prozessstoff analysiert, anhand der in Frage stehenden materiellen Rechtsnormen die erheblichen von den irrelevanten Sachvorbringen trennt, sich Klarheit darüber verschafft, welche der rechtserheblichen Tatsachenbehauptungen bestritten und demnach beweisbedürftig sind, die form- und fristgerecht angerufenen Beweismittel auf ihre Tauglichkeit hin prüft und schliesslich im Idealfall auch noch die Reihenfolge von deren Abnahme festlegt (Priorisierung). Im Verhältnis zu den Parteien hat die Beweisverfügung Informationsfunktion: Die Parteien sollen wissen, was nach Ansicht des Gerichts erheblich ist und wer was womit zu beweisen hat (Brönnimann, a.a.O., Art. 154 ZPO N 3 f.; Leu, a.a.O., Art. 154 ZPO N 26 ff.). (...)

Die Beweisverfügung kann sehr summarisch gehalten sein und muss nicht einmal begründet werden. Sie kann (als prozessleitende Verfügung) jederzeit abgeändert oder ergänzt werden (Art. 154 Satz 3 ZPO), so dass auch ein stufenweises Vorgehen möglich ist. Dem Gericht steht diesbezüglich ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. Guyan, Basler Kommentar, 2. A. 2013, Art. 154 ZPO N 7 ff.; Hasenböhler, a.a.O., Art. 154 ZPO N 31 ff.; Urteil des Obergerichts Zug Z1 2014 27 vom 28. April 2015 E. 4.1).

1.3 Die Klägerin macht geltend, die von der Vorinstanz vertretene Auffassung verletze Art. 154 ZPO. Das Kantonsgericht verkenne zudem den von ihm zitierten Bundesgerichtsentscheid (4A_541/2013 vom 2. Juni 2014 E. 3.4), wenn es der Klägerin vorwerfe, sie hätte im Rahmen der Hauptverhandlung nicht dargelegt, im Zusammenhang mit welchen konkreten Tatsachen die Vorinstanz eine Beweisverfügung hätte erlassen sollen.

1.4 Soweit die Vorinstanz das Fehlen einer Beweisverfügung mit dem Verweis auf das bundesgerichtliche Urteil 4A_541/2013 vom 2. Juni 2014 E. 3.4 zu begründen versucht, kann ihr nicht gefolgt werden. Wie sich aus der Erwägung 3.4.2 des bundesgerichtlichen Urteils ergibt, hatte im dortigen Verfahren der Präsident der Vorinstanz an der Hauptverhandlung die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass und aus welchen Gründen kein Beweisverfahren durchgeführt werde. Mithin fand – anders als im vorliegenden Prozess – gar kein Beweisverfahren statt, weshalb es auch keiner Beweisverfügung bedurfte (vgl. auch Urteile des Bundesgerichts 4A_78/2014 und 4A_80/2014 vom 23. September 2014 E. 8.1). Diese Konstellation lässt sich mit dem vorliegenden Verfahren nicht vergleichen.

1.5 Wenn die Vorinstanz ausführt, die Klägerin habe nicht dargelegt, bezüglich welcher konkreten Tatsachen eine Beweisverfügung hätte erlassen werden sollen, verkennt sie, dass gemäss der expliziten Regelung in Art. 154 ZPO vor der Beweisabnahme die erforderlichen Beweisverfügungen zu treffen sind. Demnach ist grundsätzlich eine Beweisverfügung zu er-lassen, damit die Parteien insbesondere von der gerichtlichen Sicht der streitigen oder sonst feststellungsbedürftigen Tatsachen, der entsprechenden Beweisführungslast und von den zugelassenen Beweismitteln Kenntnis nehmen können. Art. 154 ZPO bildet indes mit dem Wortlaut, wonach nur die «erforderlichen» Beweisverfügungen zu treffen sind, der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der Beweisverfügung Ansatzpunkt für eine Auslegung, welche das Gericht davon befreit, Beweisverfügungen in jedem Verfahren vor jeder Abnahme zu erlassen (vgl. Hasenböhler, a.a.O., Art. 154 ZPO N 33 m.w.H.). Es ist jedoch unbestritten, dass im ordentlichen Verfahren – wie es vorliegend zur Anwendung kommt – grundsätzlich Beweisverfügungen zu erlassen sind (vgl. Guyan, a.a.O., Art. 154 ZPO N 12 f.; ders., Beweisverfügung nach Art. 154 ZPO, ZZZ 2011/2012, S. 3 ff., 13 f.; Brönnimann, a.a.O.,
Art. 154 ZPO N 8; Leu, a.a.O., Art. 154 ZPO N 13; Passadelis, in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], 2010, Art. 154 ZPO N 7-9).

(...)

1.7 Das Fehlen einer Beweisverfügung an sich bedeutet noch nicht ohne weiteres, dass der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben wäre. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Vorinstanz mit Entscheid vom 20. März 2013 (act. 37) und ergänzend mit Entscheid vom 24. April 2013 (act. 40) ein gerichtliches Gutachten über die von der Klägerin behaupteten Zusatz-leistungen und das Vordach anordnete, mit A.B., einen entsprechenden Sachverständigen mit der Erstellung des Gutachtens beauftragte und diesem die als wesentlich eingestuften Fragen unterbreitete. Bei diesen Entscheiden handelt es sich letztlich um – zwar sehr rudimentäre – Beweisverfügungen, in denen das zugelassene Beweismittel bezeichnet und mit der Fragestellung das Beweisthema dem Grundsatz nach festgelegt wurde. Diese Beweisverfügungen erweisen sich jedoch insoweit als unvollständig und deshalb mangelhaft, als sie entgegen Art. 154 ZPO nicht bestimmen, welcher Partei zu welchen Tatsachen der Haupt- oder der Gegenbeweis obliegt (vgl. dazu Leuenberger, ZZZ 2011/2012 S. 109 ff.).

Entscheidend ist letztlich, ob und inwieweit eine Partei beschwert ist, d.h. ob ihr aus dem Fehlen einer (korrekten) Beweisverfügung ein erheblicher Nachteil entsteht und ob insbe-sondere ihr grundrechtlicher Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (vgl. dazu Leu, a.a.O., Art. 150 ZPO N 25 f.) verletzt worden ist. Diese Fragen sind nachfolgend im Rahmen der von der Klägerin erhobenen Rügen im Einzelnen zu prüfen.

Urteil des Obergerichts, I. Zivilabteilung, vom 22. März 2016
(Z1 2015 5)

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