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Art. 1 IPRG, Art. II Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958
Art. 29 Abs. 2 BV
Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
Art. 74 ZPO, Art. 731b OR

Art. 90 Abs. 2 IPRG, Art. 15 Abs. 1 IPRG

Regeste:

Art. 90 Abs. 2 IPRG, Art. 15 Abs. 1 IPRG – Wurde der Nachlass eines ausländischen Staatsangehörigen im Ausland eröffnet und durch das dortige Gericht ein Nachlassbeauftragter bestellt, ist zur Beurteilung einer Vorfrage erbrechtlicher Natur – vorliegend die Aktivlegitimation des Nachlasses –, welche sich im Rahmen einer Vertragsklage stellt, die Anknüpfung an das Kollisionsrecht dieses Staates angezeigt. Damit kann die einheitliche Behandlung durch das ausländische Recht gewährleistet werden.

Aus den Erwägungen:

1. Die Vorinstanz bezifferte den Streitwert im angefochtenen Zwischenentscheid auf CHF 30'001.00. Indes hat ein Zwischenentscheid zur Legitimation einer Partei keinen eigenen Streitwert, sondern folgt dem der Hauptsache (Diggelmann, in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Kommentar zur ZPO, 2011, Art. 91 ZPO N 7). Der Gesuchsteller beziffert den Marktwert des betreffenden Grundstücks, für welches die Grundbuchsperre verlangt wird, auf CHF 2'527'000.00 (Vi act. 1 Rz 103). Die Streitwertgrenze der Berufung gemäss Art. 308 Abs. 2 ZPO ist somit offenkundig erreicht. Auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind unbestrittenermassen erfüllt, weshalb auf die Berufung einzutreten ist.

2.1 Der erstinstanzliche Richter hat das Verfahren einstweilen auf die strittige Frage der Aktivlegitimation des Gesuchstellers beschränkt (Vi act. 17) und diese mit Zwischenentscheid vom 3. November 2015 bejaht (Vi act. 27). Zur Begründung führte er aus, grundsätzlich sei die Vorfrage an das Kollisionsrecht desjenigen Staates anzuknüpfen, in dem die Sache beurteilt werde (lex fori), d.h. an das schweizerische IPRG (sog. selbständige Anknüpfung). Habe aber der Sachverhalt eindeutig überwiegende Beziehung zum Ausland, so sei an das Kollisionsrecht desjenigen Staates anzuknüpfen, in dessen Recht die Vorfrage aufgetaucht sei (sog. unselbständige Anknüpfung). Vorliegend sei der Nachlass indes bereits im Januar 2015 in Schweden eröffnet und mit Entscheid des Amtsgerichts Stockholm vom 8. Juli 2015 Rechtsanwältin S. als Nachlassbeauftragte bestellt worden. Es sei deshalb – um die einheitliche Behandlung durch das ausländische Recht zu gewährleisten – auf den Nachlass das schwedische Erbrecht anwendbar. Hinzu komme, dass K. sel. seinen Nachlass im Testament vom 5. Dezember 2014 selber schwedischem Recht unterstellt habe. Nach diesem Recht sei der Nachlass unbestrittenermassen aktivlegitimiert (Vi act. 27).

2.2 Die Gesuchsgegnerin stellt insbesondere das Bestehen einer überwiegenden Beziehung des Sachverhalts zum Ausland in Abrede (act. 1 S. 3). So trägt sie vor, der letzte Wohnsitz von K. sel. habe sich in Unterägeri befunden, wo auch das streitgegenständliche Grundstück liege. Der vom Gesuchsgegner angefochtene Abtretungsvertrag vom 22. Oktober 2013 sei in der Schweiz abgeschlossen und vom Notar der Gemeinde Unterägeri öffentlich beurkundet worden. Sodann sei der Nachlass nicht nur von der Behörde in Schweden, sondern auch von der Erbschaftsbehörde Unterägeri eröffnet worden. Zudem seien in der Schweiz gleich viele Entscheide ergangen wie in Schweden. Es sei deshalb die einheitliche Behandlung durch das schweizerische Recht auch im Rahmen einer vorfrageweisen Behandlung hinsichtlich der Aktivlegitimation zu beachten und entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht der unselbständigen Anknüpfung der Vorrang zu geben. Die Feststellung der Vorinstanz, wonach K. sel. im Testament vom 5. Dezember 2014 seinen Nachlass dem Heimatrecht unterstellt habe, beziehe sich allein auf das Erbrecht, obschon die Vorinstanz selber festgehalten habe, dass kein erbrechtlicher Sachverhalt vorliege. Zudem hätte abgeklärt werden müssen, ob das Testament überhaupt gültig sei.

3. Entgegen der Auffassung der Gesuchsgegnerin hat die Vorinstanz ihren Entscheid – soweit ersichtlich – nicht damit begründet, dass aufgrund einer überwiegenden Beziehung zum Ausland die Vorfrage unselbständig anzuknüpfen ist (act. 1 S. 3). Vielmehr stellte die Vorinstanz darauf ab, dass im vorliegenden Fall der Nachlass bereits in Schweden eröffnet worden ist und zog – gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung – in Erwägung, dass unter diesen Umständen die einheitliche Behandlung durch das ausländische Erbrecht zu beachten sei. Deshalb sei für die Vorfrage in der Regel vollumfänglich auf das ausländische Erbrecht abzustellen (Vi act. 27 E. 3.4).

3.1 Die Vorinstanz stützte ihren Entscheid insbesondere auf BGE 119 II 281 ab. Im dortigen Urteil ging es um die Frage der Passivlegitimation, welche sich nicht im für die Hauptfrage anwendbaren Schuldrecht, sondern im Erbgang realisiert hat. Der Nachlass wurde in Frankreich eröffnet und, soweit behördliche Akte erfolgt waren, nach französischem Recht behandelt. Zudem hatten die Nachkommen ihre Ausschlagungserklärung nach französischem Recht vor der zuständigen französischen Instanz abgegeben. Das Bundesgericht hat daher eine möglichst mit dem französischen Erbrecht übereinstimmende Lösung gesucht (Schwander, in: AJP 1993 Ziff. 3 S. 1008).

3.2 Auch im vorliegenden Fall ist – wie die Vorinstanz richtig festhielt – zur Klärung der Vorfrage, d.h. ob dem Nachlass die Aktivlegitimation zukommt, das Erbrecht heranzuziehen, während aber die Streitsache selber nicht erbrechtlicher Natur ist (Vi act. 27 E. 3.2). Inwiefern darin ein Widerspruch zu sehen ist, vermag die Gesuchsgegnerin nicht nachvollziehbar darzutun. Die Vorinstanz führte zutreffend aus, dass es eine Frage des Erbrechts sei, wer die Rechte im Zusammenhang mit dem angefochtenen Abtretungsvertrag nach dem Ableben von K. sel. geltend machen könne (Vi act. 27 E. 3.2). Mithin berührt auch bei der vorliegenden Konstellation die Vorfrage der Aktivlegitimation ein anderes Rechtsgebiet als die Hauptsache. Der Nachlass des am 8. Januar 2015 in Schweden verstorben K. sel. wurde in Schweden eröffnet (Vi act. 1/71). In diesem Sinne ist das erwähnte Urteil des Bundesgerichts durchaus mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Die Behörden in Schweden erachteten sich als zuständig, da sich die gesetzliche Erbfolge eines schwedischen Staatsangehörigen gemäss dem schwedischen Kollisionsrecht ausschliesslich nach schwedischem Recht beurteilt, unabhängig vom letzten gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Kapitel 1 § 1 Absatz 1 des schwedischen Gesetzes über zwischenstaatliche Rechtsverhältnisse betreffend die Nachlässe von Verstorbenen vom 5. März 1937 [1937:81] (Anwendbares Recht Schweden); Vi act. 16/78 Rz 11, Vi act. 16/80 § 5). Sie erstellte denn auch die Todesfallbescheinigung und traf die Verwandtschaftsabklärung (Vi act. 1/71). Weiter betraute das Amtsgericht Stockholm mit Entscheid vom 20. Januar 2015 vorläufig Rechtsanwältin B., Genf, mit der Verwaltung des Nachlasses (Vi act. 1/74). In Aufhebung dieses Entscheides ernannte das Gericht am 8. Juli 2015 Rechtsanwältin S. aus Huddinge in Schweden zur Nachlassverwalterin (Vi act. 20/2). Zwar hat die Behörde in Unterägeri im April 2015 den Ehe- und Erbvertrag eröffnet (Vi act. 20/6). Anders als in Schweden wurden aber keine weitergehenden Anordnungen getroffen, insbesondere nicht in Bezug auf die Nachlassverwaltung. Die Erbschaftsbehörde Unterägeri hat die Ernennung von Rechtsanwältin B. als Willensvollstreckerin lediglich bescheinigt (Vi 16/85), nachdem diese vom Amtsgericht Stockholm als Nachlassverwalterin eingesetzt worden war. Dementsprechend hat die Erbschaftsbehörde denn auch die Bescheinigung am 28. September 2015 ohne Weiteres widerrufen, nachdem das Amtsgericht Stockholm mit Entscheid vom 8. Juli 2015 B. ihres Amtes als Nachlassverwalterin enthoben hatte (Vi act. 24/9, Vi act. 20/2). Unter diesen Umständen ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz – gestützt auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 119 II 281) – die Vorfrage nach schwedischem Recht beurteilt und damit dem internationalen Entscheidungseinklang Vorrang gegeben hat (Vi act. 27 E. 3.5). So wird auch dem Grundsatz einer einheitlichen Behandlung des Nachlasses am besten Genüge getan (vgl. Graham-Siegenthaler, in: Abt/Weibel [Hrsg.], Erbrecht, 3. A. 2015, Anhang IPR N 3). Der Einwand der Gesuchsgegnerin, wonach es im erwähnten Urteil des Bundesgerichts primär um die Anwendbarkeit eines Artikels eines Staatsvertrages gegangen sei (act. 5 S. 2), vermag daran nichts zu ändern. In der Lehre wird die überzeugende Auffassung vertreten, dass der Schweizer Richter im Rahmen der blossen vorfraglichen Beurteilung von erbrechtlichen Verhältnissen jedenfalls nicht ausser Acht lassen soll, wenn der Erbgang im Heimatstaat des Erblassers eröffnet worden und nach dem IPR des Heimatstaates Heimatrecht als Erbstatut anwendbar ist. Es liegt eine der Anerkennungsproblematik ähnliche Situation vor, auch wenn kein anerkenn- und vollstreckbarer ausländischer Entscheid vorliegt (Schwander, in: AJP 1993 Ziff. 5d S. 1009). In solchen Konstellationen geht es – wie bereits erwähnt – um die Beachtung einer einheitlichen Behandlung des Nachlasses durch das ausländische Erbrecht im Rahmen einer vorfragenweisen Behandlung vor schweizerischen Gerichten. Es ist daher vollumfänglich auf das ausländische Erbrecht abzustellen (Schnyder/Liatowitsch, Basler Kommentar, 3. A. 2013, Art. 92 IPRG N 4).

3.3 Selbst wenn aber die ausländische Rechtsordnung als nicht anwendbar erachtet würde, so käme der Richter nicht darum herum, zumindest Rücksicht auf die Rechtssätze der ausländischen Rechtsordnung zu nehmen, wenn sich der ausländische Staat selber als zuständig ansieht (Schwander, Einführung in das internationale Privatrecht, 1990, Rz 441), was hier gemäss den vorstehenden Ausführungen der Fall ist. Im Rahmen dieser Rücksichtnahme auf das schwedische Recht erschiene es aufgrund der gesamten Umstände angezeigt, dem Nachlass die Aktivlegitimation zuzugestehen.

4. Die Anwendung des schwedischen Rechts auf den Nachlass ist sodann auch angezeigt, weil K. sel. seinen Nachlass im Testament vom 5. Dezember 2014 ausdrücklich dem Heimatrecht unterstellt hat (Vi act. 5/72). Die Gesuchsgegnerin erachtet die Rechtswahl als ungültig, da K. sel. aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Unterschiede der Rechtsordnungen hinsichtlich seines Nachlasses zu erfassen (Vi act. 7 S. 6). Dass das Testament angefochten worden ist, behauptet sie aber nicht.

Ihr Einwand erweist sich ohnehin als unbegründet. Eine Rechtswahlerklärung wird von der Gerichtspraxis grosszügig angenommen. So braucht das Bewusstsein, dass eine Rechtswahl getroffen wird, nicht vorhanden zu sein (Graham-Siegenthaler, a.a.O., Anhang IPR N 70 mit Hinweis auf BGE 125 III 35 [= Pra 1999 Nr. 153]). Es reicht aus, dass der Wille des Erblassers zur Anwendung des Heimatrechts vorhanden war, was sich in der Regel schon aus dem Wortlaut des Testaments ergibt (Schwander, in: AJP 1999 S. 491). Es war daher nicht erforderlich, dass der Erblasser die Unterschiede der Rechtsordnungen im Detail erfassen konnte. Die Wahl des Heimatrechts ist nach Art. 90 Abs. 2 IPRG zulässig.

5. Im Übrigen liesse sich die Anwendung des schwedischen Rechts auf die Vorfrage der Aktivlegitimation auch rechtfertigten, wenn das IPRG der Schweiz zur Anwendung gelangen würde. Denn Art. 15 Abs. 1 IPRG sieht vor, dass das Recht, auf welches das IPRG verweist, ausnahmsweise nicht anwendbar ist, wenn der Sachverhalt mit einem anderen Recht offensichtlich in viel engerem Zusammenhang steht. Dies trifft in diesem Fall aufgrund der konkreten Umstände zu (vgl. E. 3.2 hiervor).

(...)

Obergericht, II. Zivilabteilung, 12. Februar 2016

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