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Gerichtspraxis

Verwaltungspraxis

Grundsätzliche Stellungnahmen

Aus der Praxis der Datenschutzstelle

Vorbemerkungen

Datenerhebung im Zusammenhang mit einem Antrag für Betreuungsgutscheine

Regeste:

§ 5 des Datenschutzgesetzes; §§ 2 und 3 des Gesetzes über die familienergänzende Kinderbetreuung und § 5 Abs. 1 der Verordnung zum Gesetz über die familienergänzende Kinderbetreuung; § 59 Abs. 1 Ziff. 13 des Gesetzes über die Organisation und die Verwaltung der Gemeinden i.V.m. §§ 6, 7, 8, 10, 11 und 12 des Reglements über die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung sowie §§ 1, 2, 3, 4, 5 und 6 der Verordnung zum Reglement über die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung der Gemeinde Cham. Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller müssen diejenigen Auskünfte erteilen und Belege einreichen, die zur Überprüfung des Anspruchs und zur Festlegung der Höhe der Betreuungsgutscheine für die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung benötigt werden.

Aus dem Sachverhalt:

Ein aus dem Ausland zugezogener Vater beschwerte sich bei der Datenschutzstelle darüber, dass er für den Bezug von Gutscheinen für die Ferienbetreuung seiner Kinder der Einwohnergemeinde ausserordentlich detaillierte Informationen zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen geben musste. Er störte sich insbesondere daran, dass die Gemeinde Informationen über den Einkauf in die gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) verlangte. Er vertrat die Ansicht, dass seine persönliche, private Altersvorsorge die Gemeinde nichts angehe und bat die Datenschutzstelle um eine Einschätzung.

Aus den Erwägungen:

Die Datenschutzstelle wies die anfragende Person vorab auf den Grundsatz hin, dass Leistungen des Staates bzw. des Gemeinwesens – insbesondere finanzielle Leistungen – nicht automatisch erbracht werden. Vielmehr müssen diese beantragt werden. Die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen muss dargelegt bzw. begründet werden.

Voraussetzungen der Personendatenbearbeitung

Auch wenn das Bauchgefühl etwas anderes sagen mag: bei den Daten über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse einer Person handelt es sich nicht etwa um besonders schützenswerte, sondern um «gewöhnliche» Personendaten im Sinn von § 2 Abs. 1 Bst. a des Datenschutzgesetzes (DSG; BGS 157.1; zur Definition der besonders schützenswerten Personendaten siehe § 2 Abs. 1 Bst. b DSG). Die Einwohnergemeinde darf solche Personendaten bearbeiten – und damit auch erheben –, sofern a) dafür eine gesetzliche Grundlage besteht, b) es für eine in einer gesetzlichen Grundlage umschriebenen Aufgabe unentbehrlich ist, oder c) die Betroffenen im Einzelfall ihre ausdrückliche und freiwillige Einwilligung erteilen (§ 2 Abs. 1 Bst. c i.V.m. § 5 Abs. 1 DSG).

Gesetzliche Grundlagen

Die familienergänzende Kinderbetreuung ist Aufgabe der Einwohnergemeinden (§§ 2 und 3 des Gesetzes über die familienergänzende Kinderbetreuung [Kinderbetreuungsgesetz; BGS 213.4] i.V.m. § 59 Abs. 1 Bst. 13 des Gesetzes über die Organisation und die Verwaltung der Gemeinden [Gemeindegesetz; BGS 171.1]).

Am 1. Januar 2016 trat das zuvor von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern der Einwohnergemeinde Cham in einer Urnenabstimmung angenommene Reglement über die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung (FEBR) in Kraft. Bei diesem Erlass handelt es sich um ein Gesetz im formellen Sinn.

Mit dem FEBR wurde ein System eingeführt, in welchem die Gemeinde Erziehungsberechtigte mit finanziellen Beiträgen in Form von Betreuungsgutscheinen unterstützt. Die Erziehungsberechtigten bezahlen in jedem Fall eine minimale Kostenbeteiligung. Die Betreuungsgutscheine können in den von der Gemeinde bezeichneten, privatrechtlichen Institutionen mit entsprechenden Angeboten im Frühbereich (bis Eintritt Kindergarten) oder im Schulbereich (ab Eintritt Kindergarten bis Abschluss Primar- bzw. allenfalls Oberstufe) eingelöst werden.

Das FEBR legt in § 5 die Voraussetzungen zum Bezug von Betreuungsgutscheinen wie folgt fest:

  • zivilrechtlicher Wohnsitz in der Gemeinde;
  • Betreuungsangebot im Früh- bzw. Schulbereich;
  • Erwerbstätigkeit der Erziehungsberechtigten (mit Ausnahmen).

Die Höhe der Betreuungsgutscheine ist einkommensabhängig abgestuft. Massgebend ist das steuerbare Einkommen gemäss Kantons- und Gemeindesteuern zuzüglich Einkäufe in die gebundene Selbstvorsorge (Säule 3a) und die berufliche Vorsorge (2. Säule) sowie zuzüglich eines Anteils am steuerbaren Gesamtvermögen. Beiträge eines Arbeitgebers an die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung werden angerechnet. Die Höhe der Betreuungsgutscheine wird grundsätzlich einmal jährlich aufgrund der letzten rechtskräftigen Steuerveranlagung festgesetzt (siehe § 6 Abs. 2, § 7 Abs. 1 und 3 und § 8 Abs. 1 FEBR).

Das FEBR regelt auch Einzelheiten der Antragstellung. So müssen die Erziehungsberechtigten für den Bezug der Betreuungsgutscheine einen Antrag an die Einwohnergemeinde stellen. Der Antrag muss die zur Überprüfung der Anspruchsberechtigung und zur Berechnung der Höhe der Betreuungsgutscheine notwendigen Informationen enthalten. Die Erziehungsberechtigten sind verpflichtet, alle Auskünfte, die zur Berechnung der Betreuungsgutscheine benötigt werden, vollständig und wahrheitsgetreu anzugeben sowie die zweckdienlichen Unterlagen einzureichen. Bei fehlenden oder unvollständigen Angaben besteht kein Anspruch auf Betreuungsgutscheine (siehe § 10 Abs. 1, 2 und 6 und § 11 FEBR sowie § 5 Abs. 1 der Verordnung zum Gesetz über die familienergänzende Kinderbetreuung [Kinderbetreuungsverordnung, KiBeV; BGS 213.42]).

§ 17 FEBR enthält eine Delegationsnorm welche vorsieht, dass der Gemeinderat Höhe und Umfang der Betreuungsgutscheine sowie den Vollzug des Reglements in einer Verordnung regelt. § 10 Abs. 2 FEBR erwähnt zudem ausdrücklich, dass die Einzelheiten des Antragsinhalts («notwendige Informationen») in einer Verordnung geregelt werden. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sind Delegationsnorm und Festlegung der einzureichenden Informationen und Unterlagen auf Verordnungsstufe nicht zu beanstanden, soweit es sich um gewöhnliche Personendaten im Sinne von § 2 Abs. 1 Bst. a DSG handelt.

Die Verordnung zum Reglement über die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung (FEBV) erwähnt als notwendige Informationen, die im Antrag enthalten sein müssen: Steuerveranlagung, Angaben zum Pensum der Erwerbstätigkeit, Bestätigung des Betreuungsangebots, Auszahlungsadresse, Beiträge des Arbeitgebers (vgl. § 1 FEBV). Für die Berechnung des «massgebenden Einkommens» werden diejenigen Zahlenangaben verwendet, welche die Antragsteller unter den Positionen der Steuererklärung für natürliche Personen im Kanton Zug für das steuerbare Einkommen, die Einkäufe in die gebundene Selbstvorsorge bzw. in die berufliche Vorsorge und das steuerbare Gesamtvermögen gemacht haben (vgl. § 2 FEBV: Codes 490, 220/221, 250/251, 690).

Während Einkäufe in die gebundene Selbstvorsorge und die berufliche Vorsorge für die Berechnung des steuerbaren Einkommens in Abzug gebracht werden können, werden sie für die Berechnung des «massgebenden Einkommens» für die Höhe der Betreuungsgutscheine der Gemeinde Cham berücksichtigt. Es gibt Gemeinden, die für die Berechnung der Betreuungsgutscheine allein auf das steuerbare Einkommen abstellen. Die Erläuterungen des Gemeinderates Cham zur Urnenabstimmung über das Reglement enthalten keine Hinweise zu den Gründen für die Berücksichtigung der Einkäufe in die 2. und 3. Säule zur Berechnung des massgebenden Einkommens. Eine möglich Erklärung ist, dass Erziehungsberechtigte, die aufgrund ihrer vorteilhaften Einkommens- oder Vermögenssituation in der Lage sind, ausserordentliche Beiträge an die 2. oder 3. Säule zu leisten, gegenüber Erziehungsberechtigten, die sich keine Vorsorgebeiträge leisten können, gleich bzw. nicht besser gestellt werden sollen. Unabhängig von den Beweggründen kann festgehalten werden, dass der Souverän die Berechnungsmethode jedenfalls befürwortet und angenommen hat; aus datenschutzrechtlicher Sicht ist sie somit nicht zu beanstanden.

Fazit

Nach Abklärung der gesetzlichen Grundlagen konnte die Datenschutzstelle der anfragenden Person die Rechtmässigkeit der Datenerhebung durch die Gemeinde – insbesondere auch der Angaben zu Einkäufen in die gebundene Selbstvorsorge oder die berufliche Vorsorge – bestätigen.

Ergänzend

§ 10 Abs. 3 FEBR lautet:

«Mit dem Antrag ermächtigen die Erziehungsberechtigten die zuständige Stelle und das Steueramt, alle notwendigen Daten zu ermitteln und auszutauschen, die für die Berechnung der Betreuungsgutscheine benötigt werden. Die Abklärungen werden dabei unter Wahrung des Daten- und Persönlichkeitsschutzes vorgenommen.»

Mit dieser Bestimmung wird eine automatische, generelle Einwilligung bzw. Ermächtigung zur Datenerhebung und zum Datenaustausch eingeführt. Zwar vermag eine Einwilligung eine gesetzliche Grundlage zur Datenbeschaffung bzw. -bekanntgabe ausnahmsweise zu ersetzen. Rechtlich zulässig ist sie jedoch nur, wenn die datenschutzrechtlichen Anforderungen erfüllt sind: die Einwilligung muss sich auf den konkreten Einzelfall beziehen, sie muss ausdrücklich erfolgen, sie muss auf Freiwilligkeit basieren (das heisst auch, dass sie jederzeit widerrufen werden kann), und die betroffene Person muss klar und in genügendem Umfang über die Datenbearbeitung informiert sein (vgl. § 5 Abs. 1 Bst. c und Abs. 2 Bst. c DSG). Diese Voraussetzungen fehlen bei generellen Einwilligungen. Zudem dürfte in aller Regel auch nicht überprüft werden, ob die Informationsbeschaffung tatsächlich im öffentlichen Interesse erfolgt und ob sie verhältnismässig ist. Ganz grundsätzlich stellt die Figur der Einwilligung gerade in unserer Rechtsordnung, in der staatliches Handeln einer Rechtsgrundlage bedarf, einen eigentlichen Fremdkörper dar, denn «[e]ntweder ist der Staat im Rahmen seiner Aufgaben auf bestimmte Daten angewiesen, dann müssen die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden – oder er ist es nicht, dann darf er sie aber auch nicht mit Hilfe der Zustimmung beschaffen» (siehe Tätigkeitsbericht der Datenschutzstelle des Kantons Zug 2008, S. 9).

Das Bundesgericht äusserte sich im Entscheid 8C_949/2011 vom 4. September 2012 zu einer ähnlichen Bestimmung im Sozialhilfegesetz des Kantons Bern. Es hob die Bestimmung entgegen dem Antrag der Beschwerdeführer zwar nicht auf, wies aber darauf hin, dass diese verfassungskonform ausgelegt und damit nur zweckgebunden und verhältnismässig eingesetzt werden dürfe. Die Vollmacht dürfe von den Behörden unter Berücksichtigung der Mitwirkungspflichten erst als letzte Massnahme und nur auf verhältnismässige Art und Weise genutzt werden. Die Erwägungen des Bundesgerichts müssten für § 10 Abs. 3 FEBR analog berücksichtigt werden. In diesem Sinne wäre denn auch der letzte Satz der Bestimmung – «Die Abklärungen werden dabei unter Wahrung des Daten- und Persönlichkeitsschutzes vorgenommen.» – auszulegen.

 

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