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Art. 192 SchKG i.V.m. Art. 725a OR

Art. 239 ZPO, Art. 325 ZPO, Art. 336 ZPO

Regeste:

Art. 239 ZPO, Art. 325 ZPO, Art. 336 ZPO – Entscheide, die nicht schriftlich begründet wurden und nur mit Beschwerde anfechtbar sind, werden mit der Eröffnung vollstreckbar.

Aus den Erwägungen:

3. Im Entscheid des Kantonsgerichts Zug, Einzelrichter, vom 21. Juni 2018 […] wurde die Beschwerdeführerin u.a. verpflichtet, der Gläubigerin CHF 8'504.40 nebst Zins zu 5 % seit 10. Februar 2017 sowie Betreibungskosten von CHF 73.30 zu bezahlen. Ferner wurde festgestellt, dass die Gläubigerin die Betreibung Nr. […] des Betreibungsamtes […] im Betrag von CHF 8'504.40 nebst Zins zu 5 % seit 10. Februar 2017 fortsetzen kann (act. 3/3). Für diesen Betrag hat die Gläubigerin die Fortsetzung der Betreibung verlangt und wurde am 4. Juli 2018 die Konkursandrohung aus- und der Beschwerdeführerin am 16. August 2018 zugestellt (act. 1/1). Dies wird von der Beschwerdeführerin zu Recht nicht bestritten.

4.1 Entscheide in vermögensrechtlichen Verfahren mit einem Streitwert von CHF 10'000.– oder weniger sind nur mit Beschwerde anfechtbar (Art. 308 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 319 lit. a ZPO). Die Beschwerde hemmt die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit des angefochtenen Entscheides nicht, es sei denn, die Rechtmittelinstanz schiebe die Vollstreckbarkeit auf (Art. 325 ZPO). Der vorliegende Entscheid erging in einer vermögensrechtlichen Streitigkeit mit einem Streitwert von CHF 8'504.40 und wurde mithin mit der Eröffnung vollstreckbar. Es stellt sich die Frage, ob daran etwas ändert, dass der Entscheid im Sinne von Art. 239 Abs. 1 lit. b ZPO ohne schriftliche Begründung eröffnet wurde und die Beschwerdeführerin fristgerecht eine schriftliche Begründung verlangte, welche noch nicht vorliegt (act. 1/4; vgl. Art. 239 Abs. 2 ZPO).

4.2 Zur Frage der Vollstreckbarkeit von Entscheiden, die nicht schriftlich begründet wurden und nur mit Beschwerde anfechtbar sind, besteht, soweit ersichtlich, keine bundesgerichtliche Rechtsprechung. Auch das Obergericht hatte sich bisher nicht mit der Frage zu befassen. In der kantonalen Rechtsprechung und in der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Das Obergericht des Kantons Zürich hat im Urteil RT120039 vom 11. Juni 2012 (in: ZR 111/2012, Nr. 70) erwogen, einem beschwerdefähigen Entscheid sei, in Analogie zu Art. 112 Abs. 2 Satz 3 BGG, die Vollstreckung zu versagen, solange nicht entweder die zehntägige Frist, innert welcher gemäss Art. 239 Abs. 2 ZPO eine Begründung verlangt werden kann, abgelaufen oder die begründete Ausfertigung des Entscheids eröffnet worden ist. Diese Rechtsprechung wurde mit Urteil LB150035 vom 13. August 2015 E. 2 bestätigt. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft ging im Entscheid 410 12 182 vom 19. Juni 2012 hingegen von der sofortigen Vollstreckbarkeit eines eröffneten, aber (noch) nicht schriftlich begründeten Urteils aus, hielt aber dafür, dass der unterliegenden Partei die Möglichkeit offenstehe, bei der Rechtsmittelinstanz vorsorglich den Aufschub der Vollstreckbarkeit bis zum Einreichen einer Beschwerde zu beantragen.

In der Literatur wird vorab im Aufsatz von Staehelin/Bachofner (Vollstreckung im Niemands-land, Jusletter 16. April 2012) die Auffassung vertreten, ein Entscheid, gegen den das Rechtsmittel der Beschwerde zur Verfügung steht, sei mit der Eröffnung vollstreckbar und nicht erst mit Eröffnung der schriftlich begründeten Ausfertigung. Zwar könne eine Beschwerde dagegen erst eingereicht werden, wenn die Begründung vorliege. Die unterlegene Partei könne sich aber gegen die zwischenzeitliche Zwangsvollstreckung schützen, indem sie in sinngemässer Anwendung von Art. 263 ZPO bei der Rechtsmittelinstanz den Aufschub der Vollstreckbarkeit beantrage. In den Kommentierungen von Art. 239 und Art. 336 ZPO (Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerische Zivilprozessordnung, 3. A. 2016, Art. 239 ZPO N 35; Art. 336 ZPO N 13) und von Art. 80 und Art. 84 SchKG (Basler Kommentar, 2. A. 2010, Art. 80 SchKG N 7b; Art. 84 SchKG N 79) äussert sich Staehelin in gleicher Weise. Gleicher Auffassung sind auch Markus/Wuffli (Rechtskraft und Vollstreckbarkeit: zwei Begriffe, ein Konzept?, ZBJV 151/2015 S. 107 ff.) und Jent-Sørensen (Resolutiv bedingte Vollstreckbarkeit und Vollstreckung, SJZ 110/2014 S. 60 f.). Gemäss Rohner/Mohs (in: Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. A. 2016, Art. 336 ZPO N 2), Droese (Basler Kommentar, 3. A. 2017, Art. 336 ZPO N 8) und Tappy (in: Bohnet et al. [Hrsg.], CPC Code de procédure civile commenté, 2011, Art. 239 CPC N 22) wird demgegenüber der Entscheid erst mit Eröffnung der begründeten Ausfertigung vollstreckbar.

4.3 Der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft und die Argumentation von Staehelin, auf welche das Kantonsgericht abstützt, überzeugen insbesondere deswegen, weil ein Ent-scheid nicht zweimal eröffnet werden kann. Die Zivilprozessordnung erlaubt ausdrücklich eine Eröffnung des Entscheides ohne schriftliche Begründung (Art. 239 Abs. 2 ZPO). Die formelle Rechtskraft tritt mit dessen Eröffnung ohne Weiteres ein, sofern dagegen kein ordentliches Rechtsmittel mehr ergriffen werden kann. Ein Entscheid, der nur mit Beschwerde angefochten werden kann, wird daher gemäss Art. 325 Abs. 1 ZPO mit seiner Eröffnung rechtskräftig. Würde der Eintritt der Vollstreckbarkeit bis zur Zustellung des begründeten Entscheides hinausgeschoben, widerspräche dies dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes. Nähme man nämlich, wie das Obergericht Zürich, bezüglich der Vollstreckbarkeit von Entscheiden für den Zeitraum zwischen der Eröffnung im Dispositiv und der Anhebung der Beschwerde eine Gesetzeslücke an, die es im Sinne von Art. 112 Abs. 2 BGG zu füllen gelte, so wären beschwerdefähige Entscheide mit ihrer Eröffnung rechtskräftig, aber noch nicht vollstreckbar. Gegen eine solche Annahme spricht der Wortlaut von Art. 336 Abs. 1 ZPO (Staehelin/Bachofner, a.a.O., Rz 8).

4.4 Es ist zwar nicht zu verkennen, dass der Gläubiger so unter Umständen seine Forderung vollstrecken kann, bevor über die erstinstanzliche Beseitigung des Rechtsvorschlages abschliessend entschieden wurde. Der Schuldner ist daher möglicherweise darauf angewiesen, eine Rückforderungsklage einzureichen (vgl. dazu Markus/Wuffli, a.a.O., S. 116 ff.), womit er das Solvenzrisiko des Gläubigers trägt, was das Obergericht Zürich als stossend bezeichnet (Urteil RT120039 vom 11. Juni 2012 E. 3.5). Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass um-gekehrt der Gläubiger das Solvenzrisiko des Schuldners trägt, wenn er einen rechtskräftigen Entscheid nicht vollstrecken kann. Da ein erstinstanzlicher Entscheid zu seinen Gunsten vorliegt, besteht zudem eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass er seinen Anspruch zu Recht geltend gemacht und der Schuldner diesen zu Unrecht bestritten hat (Staehelin, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], a.a.O., Art. 239 ZPO N 35 a.E.).

In praktischer Hinsicht kommt hinzu, dass das Betreibungsamt von sich aus nicht beurteilen könnte, ob ein ihm vom Gläubiger vorgelegtes unbegründetes Urteil vollstreckbar ist oder nicht. Dem Betreibungsamt ist nämlich nicht bekannt, ob von einer Partei die Ausfertigung einer schriftlichen Begründung verlangt wurde oder ob die entsprechende Frist verstrichen ist und damit auch auf die Ergreifung eines Rechtsmittels verzichtet wurde (Art. 239 Abs. 2 ZPO). Der Gläubiger müsste eine Vollstreckbarkeitsbescheinigung vorlegen, obwohl eine solche für die Stellung des Fortsetzungsbegehrens gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht erforderlich ist (Urteil des Bundesgerichts 5A_78/2017 vom 18. Mai 2017 E. 2.2).

4.5 Der Schuldner ist, jedenfalls nach Auffassung des Kantonsgerichts Basel-Landschaft und von Staehelin, der Vollstreckung nicht schutzlos ausgeliefert. Vielmehr könne er in analoger Anwendung von Art. 263 ZPO bei der Beschwerdeinstanz vorsorglich den Aufschub der Voll-streckbarkeit beantragen (vgl. auch Markus/Wuffli, a.a.O., S. 114). Dies wird damit begründet, dass gemäss Art. 263 ZPO vorsorgliche Massnahmen schon vor Rechtshängigkeit der Klage in der Hauptsache angeordnet werden könnten. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäss Art. 325 Abs. 2 ZPO sei eine vorsorgliche Massnahme sui generis. Es sei daher nicht ausgeschlossen, diese auch schon vor Einreichung der Beschwerde anzuordnen. Wie es sich damit verhält, muss vorliegend zwar nicht abschliessend beurteilt werden, da die Beschwerdeführerin keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Die Argumentation leuchtet indessen ein. Mithin ist davon auszugehen, dass dem Schuldner, der gegen einen für ihn negativen Rechtsöffnungsentscheid noch kein Rechtsmittel ergreifen kann, dennoch ein Rechtsbehelf zur Abwehr der Vollstreckung zur Verfügung steht. Mit diesem kann er überprüfen lassen, ob sich unter Berücksichtigung der drohenden Nachteile und unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Vollstreckung rechtfertigt. Auch unter dem Aspekt des Schutzes des Schuldners und seines Anspruchs auf das rechtliche Gehör ist es mithin unnötig, die Vollstreckbarkeit des gemäss Art. 239 Abs. 1 lit. b ZPO unbegründet eröffneten Entscheides bis zur Zustellung der Begründung aufzuschieben. Eine im Sinne von Art 112 Abs. 2 BGG zu füllende Gesetzeslücke ist nicht ersichtlich.

4.6 Im Übrigen entspricht diese Lösung gemäss dem erläuternden Bericht zur Änderung der Zivilprozessordnung vom 2. März 2018 (S. 72 f.) dem Vorentwurf des Bundesrates für eine Än-derung der Zivilprozessordnung. Dieser sieht in einem neuen Abs. 2bis von Art. 239 ZPO ausdrücklich vor, dass ohne schriftliche Begründung eröffnete Entscheide vollstreckbar sind.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 2. Oktober 2018 (BA 2018 45)

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