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Art. 12 lit. a und c BGFA - Interessenkollision

Regeste:

Art. 12 lit. a und c BGFA Interessenkollision

Beauftragt der in einem Strafverfahren beschuldigte Verwaltungsrat eine Rechtsanwältin bzw. einen Rechtsanwalt zur Wahrung der Rechte der geschädigten Aktiengesellschaft im Strafverfahren, liegt dann kein Interessenkonflikt vor, wenn die Ausübung des Mandats im ausschliesslichen Interesse der geschädigten Gesellschaft erfolgt.

Aus den Erwägungen:

3.1 Gemäss Art. 12 lit. c BGFA haben die Rechtsanwälte jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen, zu vermeiden. Die entsprechende Treuepflicht gegenüber dem Klienten ist umfassender Natur und erstreckt sich auf alle Aspekte des Mandatsverhältnisses. Sie steht im Zusammenhang mit der Generalklausel von Art. 12 lit. a BGFA, gemäss welcher die Rechtsanwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben haben, wie auch mit Art. 12 lit. b BGFA, der sie zur Unabhängigkeit verpflichtet (vgl. BGE 145 IV 218 E. 2.1 m.w.H.).

Ein nach Art. 12 lit. c BGFA verbotener Interessenkonflikt liegt vor, wenn der Anwalt die Wahrung der Interessen übernommen und dabei Entscheidungen zu treffen hat, mit denen er sich potentiell in Konflikt zu eigenen oder anderen ihm zur Wahrung übertragenen Interessen begibt. So genügt es beispielsweise für die Bejahung eines Interessenkonflikts, dass sich der Anwalt in seinen Entscheidungen für den Klienten nicht frei fühlt, weil diese seine eigenen oder die Interessen Dritter tangieren könnten, mit denen der Anwalt aus irgendwelchen Gründen verbunden ist. Dabei vermag aber nicht jedes abweichende Interesse von Personen, mit denen der Anwalt geschäftlich verkehrt, einen Konflikt zu begründen. Vorausgesetzt wird vielmehr eine Bindung, die nahelegt, dass der Anwalt bei seiner Berufstätigkeit auf die Interessen dieser Personen Rücksicht nimmt, sodass die vorbehaltlose Interessenwahrung für den Klienten beeinträchtigt wird (vgl. Fellmann, a.a.O., Rz 346-348 m.H.). Nach der Rechtsprechung reicht die blosse abstrakte Möglichkeit des Auftretens gegensätzlicher Interessenlagen allerdings nicht aus, um auf eine unzulässige Vertretung zu schliessen; verlangt wird vielmehr ein sich aus den gesamten Umständen ergebendes konkretes Risiko eines Interessenkonflikts (BGE 145 IV 218 E. 2.1 m.w.H.; 135 II 145 E. 9.1.; 134 II 108 E. 4.2.1; Urteil des Bundesgerichts 2C_814/2014 vom 22. Januar 2015 E. 4.1.1). Der Anwalt hat daher schon bei der Übernahme eines Mandats unter Berücksichtigung der speziellen Verhältnisse des Einzelfalls gewissenhaft und sorgfältig prüfen, ob die Gefahr einer Interessenkollision besteht. Solange dabei die Auffassungen der Beteiligten im Bereich einer möglichen, korrekten rechtlichen Interpretation liegen, kann nicht von sich widersprechenden Interessen ausgegangen werden (Fellmann, a.a.O., Rz 354 m.H.).

(…)

4. Unbestritten ist, dass der «Verwaltungsrat» der H. AG und der I. AG die Verzeigte beauftragt hat, diese beiden Gesellschaften bzw. deren Interessen in den gegen die Verwaltungsräte G. und E. geführten Strafuntersuchungen zu vertreten (vgl. vorne E. 3.2.1). Der genaue Inhalt des Auftrages und der Umfang der Bevollmächtigung der Verzeigten lässt sich den vorliegenden Akten allerdings nicht entnehmen. Die Möglichkeit eines Interessenkonflikts liegt indessen auf der Hand, waren es doch offenbar die beschuldigten Verwaltungsräte G. und E., die der Verzeigten den entsprechenden Auftrag erteilt haben. Auftraggeber sind letztlich aber nicht G. und E., sondern die H. AG und die I. AG, in deren Namen die Verwaltungsräte gehandelt haben. Dementsprechend hat sich die Verzeigte bei der Ausführung ihres Auftrags nicht für die beschuldigten Verwaltungsräte einzusetzen, sondern ausschliesslich und uneingeschränkt die Interessen ihrer Auftraggeberinnen, d.h. der H. AG und der I. AG, zu wahren. Diese Konstellation lässt sich mit dem Fall vergleichen, in welchem eine Gesellschaft beschliesst, gegen Mitglieder ihres Verwaltungsrates eine Verantwortlichkeitsklage zu erheben. Die Kompetenz zur Fassung eines solchen Beschlusses liegt nach der Vermutung von Art. 716 OR beim Verwaltungsrat (wobei es auch möglich ist, dass die Generalversammlung den Verwaltungsrat zwingt, eine Klage einzureichen). Klagt die Gesellschaft gegen eigene Verwaltungsratsmitglieder, besteht ebenfalls das Problem eines Interessenkonflikts, weshalb der Verwaltungsrat (oder allenfalls die Generalversammlung) verpflichtet ist, dafür einen geeigneten Vertreter (besonderen Prozessbeistand) zu bestellen und auf diese Weise eine Interessenkollision zu vermeiden (vgl. von der Crone, Aktienrecht, 2014, § 12 N 92, und Gericke/Waller, Basler Kommentar, 5. A. 2016, Art. 756 OR N 4, je m.w.H.; BGE 132 III 707 E. 1.2 f. und 3.1). Im Weiteren ist zu beachten, dass sich das geltende Erwachsenenschutzrecht – im Gegensatz zum früheren Vormundschaftsrecht – bei den behördlichen Massnahmen auf Beistandschaften für volljährige natürliche Personen beschränkt (Art. 390 Abs. 1 ZGB; Biderbost/Henkel, Basler Kommentar, 6. A. 2018, Art. 390 ZGB N 1). Die behördliche Bestellung eines Vertretungsbeistandes fällt daher ausser Betracht.

Im Lichte dieser Erwägungen erscheint der Auftrag, den die beschuldigten Verwaltungsräte der Verzeigten namens der H. AG und der I. AG erteilt haben, nicht nur als korrekt, sondern geradezu als geboten, weshalb nicht von sich widersprechenden Interessen auszugehen ist (vgl. vorne E. 3.1 a.E.). Mithin kann der Verzeigten nicht vorgeworfen werden, sie habe sich mit der Annahme des Mandates von vorneherein in einen «unauflöslichen Interessenkonflikt» begeben. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass sich die Verzeigte vom «Verwaltungsrat» der H. AG und der I. AG informieren liess; ohne entsprechende Instruktion, d.h. ohne Kenntnisse des Sachverhalts und der Akten, wäre die Verzeigte, die als Beauftragte das Möglichste zur Zweckerreichung zu tun hat, offenkundig gar nicht in der Lage (gewesen), den ihr erteilten Auftrag zu erfüllen (vgl. Weber, Basler Kommentar, 6. A. 2015, Art. 394 OR N 2). Schliesslich ist nochmals zu betonen, dass nicht die beschul-digten Verwaltungsräte, sondern die H. AG und die I. AG die Auftraggeber sind. Demzufolge haftet die Verzeigte nicht den Verwaltungsräten, sondern ausschliesslich den beiden Gesellschaften für die getreue und sorgfältige Ausführung des ihr übertragenen Geschäftes (vgl. Art. 398 Abs. 2 OR), weshalb anzunehmen ist, dass sie ihre Tätigkeit ausschliesslich auf die Wahrung der Interessen der Gesellschaften – und nicht derjenigen der Verwaltungsräte – ausrichtet.

5. Eine andere Frage ist, ob konkret ein Interessenkonflikt besteht, der die Verzeigte daran hin-dert, sich vorbehaltlos für die Interessen der H. AG und der I. AG einzusetzen (vgl. vorne E. 3.1).

5.1 Diesbezüglich wirft die Anzeigeerstatterin der Verzeigten im Wesentlichen vor, dass sie an Instruktionen [im Sinne von Anweisungen] der beschuldigten Verwaltungsräte gebunden sei und diese «über die Verzeigte die Geschädigtenvertretung der H. AG und der I. AG kontrollierten». Die Verzeigte bestreitet diese Vorwürfe. Sie lasse sich durch die Verwaltungsräte weder instruieren noch instrumentalisieren. Träfe die Behauptung der Anzeigeerstatterin zu, hätte sie das Mandat nicht angenommen bzw. niedergelegt.

5.2 Aufgrund der vorliegenden Akten besteht kein Anlass, die Darstellung der Verzeigten in Zweifel zu ziehen. So weist sie vorab zu Recht darauf hin, dass sie die H. AG und die I. AG als Privatklägerinnen im Verfahren gegen die beiden Beschuldigten konstituiert hat, was belegt, dass sie gewillt ist, die Interessen der beiden Gesellschaften zu wahren. Aufgrund der fachlichen Qualifikationen der Verzeigten (…) ist sodann anzunehmen, dass sie in der Lage ist, den ihr erteilten Auftrag unabhängig, d.h. insbesondere ohne Instruktionen Dritter, zu erfüllen. Im Weiteren bestehen auch keine konkreten Hinweise, die darauf schliessen liessen, dass die Verzeigte zum Nachteil ihrer Auftraggeberinnen auf die Interessen der beschuldigten Verwaltungsräte Rücksicht nimmt. Die Anzeigeerstatterin hat in diesem Zusammenhang lediglich eine Telefonnotiz von C. vom 19. März 2019 (act. 2/11) eingereicht, deren Richtigkeit von der Verzeigten bestritten wird. Den Nachweis für einen Interessenkonflikt vermag diese Urkunde aber ohnehin nicht zu erbringen. Zum einen vertritt C. offenkundig eigene Interessen. Zum anderen gibt die Telefonnotiz einzig die Sicht von C. wieder, die letztlich auf deren unbelegter Behauptung beruht, dass die «Konstituierung [der Verzeigten] als Geschädigten Vertreterin der Gesellschaften keinesfalls  neutral sei, da sie immer noch durch die Schädiger instruiert werde». Im Übrigen erachtet es auch die verfahrensleitende Staatsanwältin grundsätzlich als unproblematisch, dass die H. AG und die I. AG, die sich als Privatklägerinnen konstituiert haben, von der Verzeigten vertreten werden. Hätten Anzeichen für einen konkreten Interessenkonflikt bestanden, hätte die Staatsanwältin in der Verfügung vom 28. November 2018 wohl entsprechende Bedenken geäussert. Dies hat sie jedoch nicht getan (vgl. act. 6/1 S. 4)

5.3 Anzumerken bleibt, dass sich die Verzeigte der Problematik des von ihr übernommenen Mandats offenbar durchaus bewusst ist. Wie sie in der Vernehmlassung vom 18. April 2019 festhält, hat sie gegenüber den beschuldigten Verwaltungsräten klargestellt, dass sie nicht deren Interessen, sondern einzig diejenigen der geschädigten Gesellschaften vertrete. Sollten die Beschuldigten über ihre Organstellung je von ihr ein Tätigwerden verlangen, welches sich gegen die Interessen der Geschädigten richten würde, würde sie dies verweigern und nötigenfalls das Mandat niederlegen. Insofern sei sie nicht gezwungen, sich irgendwelchen potentiellen Weisungen der Beschuldigten zu beugen (act. 6 Rz 16 und 20).

Diese Haltung entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach es sich von selbst versteht, dass – sollte es in Zukunft zu einem konkreten Interessenkonflikt kommen – das Mandat niederzulegen ist (vgl. BGE 145 IV 218 E. 2.1 m.w.H.; 134 II 108 E. 4.2.1 und 5.3 a.E.). Irgendwelche Anzeichen, dass sich die Verzeigte nicht an dieses Gebot halten und damit gegen Art. 12 lit. c BGFA verstossen könnte, liegen keine vor. Ebenso fehlen Hinweise, dass die Verzeigte in anderer Weise die Berufsregeln von Art. 12 lit. a und b verletzt hat.

6. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Verzeigte keine Berufsregel verletzt hat. Das Disziplinarverfahren ist daher einzustellen.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, 1. Oktober 2019 (AK 2019 2)

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