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Art. 12 lit. a und c BGFA - Interessenkollision

Art. 13 BGFA, Art. 321 StGB

Regeste:

Art. 13 BGFA, Art. 321 StGB – Entbindung vom Anwaltsgeheimnis
Ist ernsthaft zu befürchten, dass der Mandant die gegenüber dem Rechtsanwalt ausgesprochene Drohung, seine Ehefrau zu erschiessen, wahrmachen wird, rechtfertigt es sich, den Rechtsanwalt zwecks Erstattung einer Meldung an die Strafverfolgungsbehörde vom Anwaltsgeheimnis zu entbinden.

Aus den Erwägungen:

1. Nach § 14 Abs. 1 lit. e EG BGFA ist die Aufsichtskommission zuständig für die Entbindung der Rechtsanwälte vom Berufsgeheimnis. Diese Befugnis hat die Aufsichtskommission gestützt auf § 14 Abs. 4 EG BGFA an den Präsidenten der Aufsichtskommission delegiert. Demgemäss ist der Präsident für die Behandlung des vorliegenden Entbindungsgesuchs zuständig.

2. Gemäss Art. 321 Ziff. 1 StGB ist es Rechtsanwälten untersagt, ein Geheimnis zu offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben. In Übereinstimmung damit verpflichtet Art. 13 BGFA die Rechtsanwälte zur Wahrung des Berufsgeheimnisses. Die Preisgabe eines Berufsgeheimnisses ist jedoch zulässig aufgrund einer Einwilligung des Berechtigten oder einer auf Gesuch des Geheimnisträgers erteilten schriftlichen Bewilligung der Aufsichtsbehörde (Art. 321 Ziff. 2 StGB). Bei der Frage der Entbindung von der Geheimhaltungspflicht ist in der Regel eine Abwägung der Interessen des Anwaltes einerseits und des Klienten andererseits vorzunehmen. Da weder das Strafgesetzbuch noch das BGFA näher umschreiben, wann die Aufsichtsbehörde die Ermächtigung erteilen darf, ist diese gehalten, aufgrund einer Güterabwägung ihren Entscheid zu fällen (vgl. Felix Wolffers, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, 1986, S. 140; Nater/Zindel, in: Fellmann/Zindel [Hrsg.], Kommentar zum Anwaltsgesetz, 2. A. 2011, Art. 13 BGFA N 137). Das Anwaltsgeheimnis hat dabei einen hohen Stellenwert und grundsätzlich Vorrang vor anderen Interessen. Das Gesagte ist aber keinesfalls eine Faustregel. Eine allgemeingültige Regel, welche Interessen insbesondere den Vorzug geniessen, existiert nicht. Der Entscheid ist vielmehr immer unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles zu fällen. Das Interesse an der Geheimhaltung muss objektiv bewertet werden. Wie gross es ist, hängt in erster Linie davon ab, was offenbart werden soll. Zu beachten ist dabei, ob die Offenbarung den Klienten irgendwie schädigt oder beeinträchtigt (Verfügung des Präsidenten der Aufsichtskommission vom 8. Mai 2003 [AP 2003/13]; Giovanni Andrea Testa, Die zivil- und standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwaltes gegenüber dem Klienten, 2001, S. 151, mit Hinweisen auf die Literatur und Rechtsprechung; vgl. ferner BJM 1997 S. 53 ff.).

Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, die Aufsichtsbehörde habe dem Anwalt eine Offenlegung zu bewilligen, um ein Verbrechen gegen Dritte zu verhindern oder deren Folgen zu bekämpfen. In dieser Absolutheit ist das kaum richtig. Der Klient sucht möglicherweise anwaltlichen Rat gerade deshalb auf und vertraut dem Anwalt sensible Informationen nur deshalb an, weil er die rechtlichen Konsequenzen prüfen lassen will und damit den Zugang zum Recht sucht. Die Rechtsordnung sieht keine Ausnahme vom anwaltlichen Berufsgeheimnis zur Verhinderung oder Bekämpfung von Verbrechen vor. Missbräuchlich wird die Verweigerung der Einwilligung erst in Notstandfällen sein (Schiller, Schweizerisches Anwaltsrecht, 2009, Rz. 663). Für den rechtfertigenden Notstand gelten die Grundsätze der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität. Eine unmittelbare Gefahr für einen Dritten wird der Anwalt nur selten mit der Preisgabe von Klienteninformationen abwenden können. Zudem müsste das Interesse des Dritten höherwertig sein als dasjenige des Klienten an der Geheimhaltung. Das ist nicht leichthin anzunehmen. Dem hohen verfassungsmässigen Rang des Anwaltsgeheimnisses ist Rechnung zu tragen, wenn der Zugang zum Recht nicht illusorisch gemacht werden soll. Ein Beispiel für rechtfertigenden Notstand ist die Offenlegung von Klienteninformationen, um ein drohendes schweres Verbrechen gegen Leib und Leben abzuwenden (Schiller, a.a.O., Rz. 568).

3. Der Gesuchsteller ist unentgeltlicher Rechtsbeistand des Gesuchsgegners im Scheidungsverfahren zwischen den Eheleuten B. und C.. Er ist daher grundsätzlich zur Wahrung der Interessen des Gesuchsgegners verpflichtet und darf keine vertraulichen Informationen preisgeben, die den Gesuchsgegner schädigen und beeinträchtigen könnten. Dazu gehört fraglos die vom Gesuchsgegner beabsichtigte Meldung an die Zuger Strafverfolgungsbehörden, wonach der Gesuchsgegner im Telefongespräch vom 25. Oktober 2019 gedroht habe, seine Ehefrau zu erschiessen. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Äusserung des Gesuchsgegners nicht erfolgte, weil er die rechtlichen Konsequenzen prüfen lassen wollte und damit den Zugang zum Recht suchte. Aufgrund der Schilderungen des Gesuchstellers hegt der Gesuchsgegner vielmehr einen tiefen Groll gegen seine Ehefrau, weil er aufgrund ihrer Anschuldigungen wegen häuslicher Gewalt von Mitte November bis Anfang Dezember 2017 in Haft genommen wurde und weil sie gemäss seiner Darstellung das gemeinsame Konto um mehrere zehntausend Franken erleichtert habe. Mit der Preisgabe der Todesdrohung an die Zuger Strafverfolgungsbehörden bezweckt der Gesuchsteller den Schutz von C.. Er will damit ein drohendes schweres Verbrechen gegen Leib und Leben verhindern. Der Gesuchsteller beruft sich damit auf einen rechtfertigenden Notstand im Sinne von Art. 17 StGB. Die Gefahr, dass der Gesuchsgegner seine Drohung in die Tat umsetzen wird, kann zwar nicht abschliessend beurteilt werden. Indes sprechen zahlreiche Indizien dafür, dass die Todesdrohung ernst gemeint ist und das Leben von C. in Gefahr ist. So ist der Gesuchsgegner – wie erwähnt – wegen häuslicher Gewalt bereits in Haft genommen worden. Da eine Inhaftierung nicht leichthin erfolgt, besteht Grund zur Annahme, dass es sich damals um gravierende Vorkommnisse gehandelt hat. Der Gesuchsgegner wurde während der Inhaftierung auch gutachterlich untersucht, wobei der Gutachter eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostizierte, deren Symptomatik gemäss dem Gutachten trotz recht hochdosierter Medikation klinisch erkennbar blieb, was zu einer verminderten Impulskontrolle führe. Das vom Gesuchsteller glaubhaft beschriebene aggressive Verhalten des Gesuchsgegners gegenüber seiner Ehefrau während des Eheschutzverfahrens zeigt denn auch, dass sich der Gesuchsgegner nicht unter Kontrolle hat. Es ist daher in Übereinstimmung mit dem Gesuchsteller ernsthaft zu befürchten, dass der Gesuchsgegner seine Todesdrohungen in die Tat umsetzen könnte. Dies kann der Gesuchsteller allenfalls nur verhindern, wenn ihm trotz bestehendem Anwaltsgeheimnis das Recht eingeräumt wird, die Strafverfolgungsbehörden über die Todesdrohung des Gesuchsgegners zu informieren. Keiner Erläuterung bedarf es sodann, dass der Schutz des Lebens der Ehegattin des Gesuchsgegners Vorrang hat vor dessen Recht auf Wahrung des Anwaltsgeheimnisses. Die für eine Notstandssituation verlangten Grundsätze der Verhältnismässigkeit und der Subsidiarität sind damit erfüllt. Es liegt demnach ein rechtfertigender Notstand im Sinne von Art. 17 StGB vor, der den Gesuchsteller zur Preisgabe der Todesdrohung an die Zuger Strafverfolgungsbehörden berechtigt. Die Entbindung vom Anwaltsgeheimnis hat, wie vom Gesuchsteller beantragt, ohne Anhörung des Gesuchsgegners zu erfolgen. Der Gesuchsgegner würde andernfalls gewarnt, womit nicht ausgeschlossen werden kann, dass er seine Drohung wahrmachen wird, bevor die Strafverfolgungsbehörden allfällige Massnahmen in die Wege leiten könnten. Der Zweck der Entbindung vom Anwaltsgeheimnis – der Schutz von Leib und Leben der Ehegattin des Gesuchsgegners – würde damit illusorisch. Aufgrund dessen ist auch von einer Zustellung dieser Verfügung an den Gesuchsgegner abzusehen.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, Präsident, 31. Oktober 2019 (AP 2019 86)

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