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§ 10b BeurkG

Regeste:

§ 10b BeurkG Öffentliche Beurkundung von Generalversammlungen einer Aktiengesellschaft

Bei notariellen Protokollen hat die von der Urkundsperson vorzunehmende Datierung den Charakter einer Sachbeurkundung. Die Urkundsperson untersteht diesbezüglich der Wahrheitspflicht. Das neben der Notarunterschrift stehende Datum hat den Tag anzugeben, an welchem diese Unterschrift beigesetzt wurde. Vor- und Nachdatierung ist nicht nur eine grobe Pflichtverletzung, sondern macht solche Urkunden insgesamt nichtig.

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss § 32 Abs. 1 BeurKG und § 14 Abs. 1 lit. g EG BGFA übt die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte die Aufsicht über die Beurkundungstätigkeit der zur öffentlichen Beurkundung ermächtigten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus. Zur Aufsichtstätigkeit gehört nach § 33 Abs. 1bis lit. d BeurkG die Disziplinargewalt bei Amtspflichtverletzungen. Die Aufsichtskommission ist daher zur Behandlung des vorliegenden Disziplinarverfahrens zuständig.

2. Gemäss § 19 BeurkG wird die öffentliche Urkunde durch die Beurkundungserklärung der Urkundsperson hergestellt (Abs. 1). Die Urkundsperson unterzeichnet diese Erklärung unter Angabe von Ort und Datum (Abs. 3 Satz 1). Nach § 10b BeurkG hat die Urkundsperson die Beurkundung mit Sorgfalt vorzubereiten und auszuführen (Abs. 1). Sie darf nur beurkunden, was sie mit eigenen Sinnen wahrgenommen hat (Abs. 2). Sie hat den wahren Willen der Parteien zu ermitteln und in der Urkunde klar und vollständig zum Ausdruck zu bringen. Zu diesem Zweck hat sie die Parteien über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren, ihnen die für die Willensbildung erforderlichen Auskünfte zu erteilen und auf die Beseitigung von Widersprüchen und Unklarheiten hinzuwirken (Abs. 3). Diese Pflichten gelten auch dann, wenn der Urkundsperson eine vorbereitete Urkunde vorgelegt wird (Abs. 4).

Die Urkundsperson hat bei der urkundlichen Bezeugung ihrer Feststellungen nach bestem Wissen und Gewissen Wahrheit anzustreben. Sie darf nur solche Tatsachen in der Gestalt des notariellen Zeugnisses, d.h. als eigene Aussage beurkunden, von deren Wahrheit sie überzeugt ist (Brückner, Schweizerisches Beurkundungsrecht, 1993, Rz. 1078 f. mit Hinweisen). Bei notariellen Protokollen hat die von der Urkundsperson vorzunehmende Datierung den Charakter einer Sachbeurkundung. Sie untersteht der notariellen Wahrheitspflicht. Das neben der Notarunterschrift stehende Datum hat den Tag anzugeben, an welchem diese Unterschrift beigesetzt wurde. Vor- und Nachdatierung ist nicht nur notarielle Pflichtverletzung, sondern macht solche Urkunden insgesamt nichtig (Brückner, a.a.O., Rz. 1253 mit Hinweis auf BGE 113 IV 77 E. 3.c).

2.1 RA A. hat unbestrittenermassen im August 2018, mutmasslich im Zeitraum zwischen dem 21. und dem 23. August, als Urkundsperson eine öffentliche Urkunde über eine ausserordentliche Generalversammlung der B. AG errichtet, an welcher gemäss den Ausführungen der Urkundsperson die Statuten der Gesellschaft geändert wurden. Diese Urkunde hat sie mit dem Datum des 28. Juni 2018 und der Urkundennummer 66/2018 versehen. Die Datumsangabe ist aber offensichtlich unwahr: Zwar hat am 28. Juni 2018 ebenfalls eine ausserordentliche Generalversammlung stattgefunden, an der eine Statutenrevision beschlossen wurde. Über jene Generalversammlung hatte RA A. aber bereits mit (zutreffendem) Datum vom 28. Juni eine Urkunde Nr. 66/2018 errichtet. Im Übrigen bestanden zwischen der ersten und der zweiten, auf erneutes Verlangen der Aufsichtskommission vom 8. August 2018 hin vorgenommenen Statutenänderung klare materielle Unterschiede; es ging also nicht nur um rein redaktionelle Anpassungen. Mit der Falsch- bzw. Rückdatierung hat RA A. eine unwahre Urkunde hergestellt und damit ihre Pflichten als Urkundsperson in grober Weise verletzt.

2.2 Was RA A. in diesem Zusammenhang zu ihrer Entlastung vorbringt, hält einer Überprüfung nicht stand. Es mag zutreffen, dass die Aktionäre der B. AG sowohl im Juni als auch im August 2018 den Willen hatten, die Statuten dahingehend zu ändern, dass diese der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Anwaltskörperschaft entsprechen. RA A. beurkundete aber mit ein und demselben Datum nicht bloss allgemein gehaltene Willenserklärungen der Aktionäre, sondern die Beschlüsse zweier Generalversammlungen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfanden und voneinander abweichende Statutenrevisionen zum Gegenstand hatten. Unerheblich ist sodann, ob mit dem Vorgehen der Urkundsperson im vorliegenden Fall Parteien oder Dritte getäuscht wurden. Denn die strengen formellen Vorschriften des Beurkundungsrechts dienen nicht nur der Schaffung eines Belegs öffentlichen Glaubens für den Rechtsverkehr, sondern bilden auch Grundlage für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Echtheit der Urkunden und in die Amtshandlungen des Staates und damit der Urkundspersonen (vgl. Brückner, a.a.O., Rz. 240; vgl. Boog, Basler Kommentar, 4. A. 2019, Art. 317 StGB N 1 mit Hinweisen). Im Übrigen wurde das Handelsregisteramt Zug mit der Einreichung der – zweiten – Urkunde Nr. 66/2018 sehr wohl darüber getäuscht, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwei Generalversammlungen durchgeführt worden sind, die Beschlüsse unterschiedlichen Inhalts gefällt haben. Ebenfalls nicht von Relevanz ist der Umstand, dass das Handelsregisteramt aufgrund der zweiten Beurkundung die Beschlüsse im Handelsregister eingetragen hat.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, 18. Februar 2019 (AK 2018 11)
(Eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde hat die II. Beschwerdeabteilung des Obergerichts mit Urteil vom 15. Mai 2019 abgewiesen.)

 

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