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Art. 265 Abs. 1 StPO; Art. 434 Abs. 1 StPO

Regeste:

Entschädigung eines zur Edition Verpflichteten

Aus dem Sachverhalt:

1. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug führt eine  Strafuntersuchung gegen X. wegen Diebstahls und betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage (Untersuchung XY). Gemäss Polizeirapport vom 19. Januar 2019 wird X. vorgeworfen, am 6. Oktober 2018 in der Garderobe der Kunsteisbahn Zug ein Portemonnaie gestohlen und im Anschluss daran mit zwei Kreditkarten, welche sich in diesem Portemonnaie befanden, diverse Leistungen an einem SBB-Terminal beim Bahnhof Zug bezogen zu haben.

2. Am 13. Dezember 2018 kontaktierte die Zuger Polizei einen Mitarbeiter der SBB AG, um Informationen über die gekauften Dienstleistungen im Fall eines Missbrauchs von Kreditkarten an Billettautomaten der SBB AG zu erhalten. Dazu übermittelte die Zuger Polizei dem Mitarbeiter der SBB AG Informationen zu sieben Bezügen am Billettautomaten am Bahnhof Zug. Nachdem die Daten einem Billettautomaten hatten zugeordnet werden können, reichte der Mitarbeiter der SBB AG die elektronische Anfrage an das Schaden- und Strafrechtzentrum der SBB AG weiter. Am 18. Dezember 2018 wurden die Transaktionen vom Wartungsteam der IT aus dem entsprechenden Billettautomaten ausgelesen und dem Schaden- und Strafrechtzentrum der SBB AG zur Verfügung gestellt.

3. Mit Verfügung vom 7. Januar 2019 forderte die Staatsanwaltschaft die SBB AG auf, der Zuger Polizei innert zehn Arbeitstagen Details zu den am 6. Oktober 2018 zwischen 14.03 Uhr und 14.11 Uhr mit der Bankkarte von Y. der PostFinance mit der Nr. xxxx8171 im Bahnhof Zug getätigten sieben Bezügen sowie weitere sachdienliche Hinweise zur Verwendung dieser Bankkarte herauszugeben.

4. Die SBB AG informierte den polizeilichen Sachbearbeiter gleichentags vorab per E-Mail über die Details der getätigten Transaktionen und in der Folge die Staatsanwaltschaft auf postalischem Weg. Gleichzeitig stellte sie für ihren Aufwand in Zusammenhang mit der Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft einen Betrag von CHF 100.– in Rechnung.

5. Mit Verfügung vom 27. Februar 2019 wies die Staatsanwaltschaft das Begehren der SBB AG um Bezahlung einer Entschädigung von CHF 100.– ab.

6. Gegen diese Verfügung erhob die SBB AG (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 11. März 2019 Beschwerde bei der I. Beschwerdeabteilung des Obergerichts. Sie beantragte die Aufhebung der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Februar 2019 und die Ausrichtung einer Entschädigung in der Höhe von CHF 100.– für die Bearbeitung der Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 7. Januar 2019, unter Kostenfolge zu Lasten des Kantons Zug.

7. In der Vernehmlassung vom 20. März 2019 beantragte die Staatsanwaltschaft die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

1. Die Staatsanwaltschaft führte zur Begründung der angefochtenen Verfügung aus, nach Massgabe von Art. 265 StPO bestehe für den Adressaten einer Editionsverfügung eine Herausgabepflicht, wobei diesbezüglich der Grundsatz der Unentgeltlichkeit gelte. Der Gesetzgeber habe bewusst darauf verzichtet, den zur Edition aufgeforderten Personen einen Anspruch auf Entschädigung einzuräumen, weshalb auch Art. 434 Abs. 1 StPO keine Rechtsgrundlage dafür biete.

2. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, vorliegend hätten alle ihre Mitarbeiter, welche an der Bearbeitung der Editionsverfügung vom 7. Januar 2019 beteiligt gewesen seien, nicht ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen können. Die Bearbeitung von Herausgabeverfügungen sowie das Herausfiltern der gewünschten Daten im System falle nicht in das Pflichtenheft ihrer Mitarbeiter. Ein Mitarbeiter aus dem Bereich "Cash Management" habe die Transaktionen beim entsprechenden Billettautomaten heraussuchen müssen. Hier gelte es anzumerken, dass es am Bahnhof Zug mehrere Billettautomaten gebe. Ein weiterer Mitarbeiter aus dem Bereich IT habe anschliessend die Transaktionen den gekauften Dienstleistungen zuordnen müssen. Der ganze Prozess werde von ihrem Schaden- und Strafrechtzentrum koordiniert, welches ein Dossier eröffnet habe und wo schlussendlich auch die Rohdaten zusammengelaufen seien, welche vor dem Versand hätten aufbereitet werden müssen. Mit der Herausgabe von Daten und Dokumenten im Zusammenhang mit den sieben getätigten Transaktionen am Billettautomaten in Zug habe sie einen Schaden erlitten. Um den Aufwand zu verringern, habe sie den Strafverfolgungsbehörden einen nicht kostendeckenden Pauschalbetrag in Rechnung gestellt.

3. Gemäss Art. 265 Abs. 1 StPO ist die Inhaberin oder der Inhaber verpflichtet, Gegenstände und Vermögenswerte, die beschlagnahmt werden sollen, herauszugeben. Nach Art. 434 Abs. 1 Satz 1 StPO haben Dritte Anspruch auf angemessenen Ersatz ihres nicht auf andere Weise gedeckten Schadens sowie auf Genugtuung, wenn sie durch Verfahrenshandlungen oder bei der Unterstützung von Strafbehörden Schaden erlitten haben.

3.1 Die Staatsanwaltschaft beruft sich zur Begründung auf Bommer/Goldschmid, Basler Kommentar, 2. A. 2014, Art. 265 StPO N 25 f. Diese Autoren vertreten die Auffassung, dass den zur Herausgabe verpflichteten Personen keine über die blosse Herausgabe hinausgehenden Pflichten (wie das Erstellen von Zusammenfassungen oder Übersichten über die herausgegebenen Unterlagen) zukämen. Würden die zur Herausgabe aufgeforderten Personen dennoch weitergehende Leistungen (wie das Erstellen von Kopien) erbringen, so hätten sie mangels gesetzlicher Grundlage keinen Anspruch auf Entschädigung. Eine Grundlage biete auch nicht Art. 434 Abs. 1 StPO, weil die Aufwendungen nicht durch eine Verfahrenshandlung entstanden seien und die Variante des Unterstützens der Strafbehörden eine entsprechende Pflicht voraussetze (Bommer/Goldschmid, a.a.O., Art. 265 StPO N 25 f.).

3.2 Nach dem Wortlaut von Art. 434 Abs. 1 StPO setzt der Entschädigungsanspruch des Dritten u.a. voraus, dass der Schaden durch eine Verfahrenshandlung der Strafbehörden verursacht wurde. Dabei ist ein enger Konnex zwischen Strafverfahren und Schaden erforderlich und der Schaden muss adäquat kausal verursacht worden sein (Wehrenberg/Frank, Basler Kom¬mentar, 2. A. 2014, Art. 434 StPO N 2 und 5 f.). Beizupflichten ist der Staatsanwaltschaft sodann insoweit, als für die blosse Herausgabe von zu edierenden Unterlagen keine Entschädigung geschuldet ist (vgl. Bommer/Goldschmid, a.a.O., Art. 265 StPO N 25 f.). Hingegen hat, entgegen der zitierten Auffassung, der Dritte gestützt auf Art. 434 Abs. 1 StPO grundsätzlich Anspruch auf Entschädigung für diejenigen Bemühungen, die aufgrund der betreffenden Editionsverfügung zwingend erforderlich waren und die über die blosse Herausgabe der betreffenden Unterlagen hinausgehen.

Bei der in Frage stehenden Editionsverfügung vom 7. Januar 2019 handelt es sich zweifellos um eine Verfahrenshandlung der Staatsanwaltschaft. Die der Beschwerdeführerin entstandenen Aufwendungen waren zudem unmittelbare Folge dieser Verfahrenshandlung. Zudem erschöpften sich die Vorkehrungen der Beschwerdeführerin nicht in der blossen – nicht zu entschädigenden – Herausgabe bereits vorhandener Daten bzw. Dokumente. Aufgrund der Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft und der im Vorfeld erfolgten telefonischen Anfrage der Zuger Polizei hatte die Beschwerdeführerin vielmehr die verlangten Belege zunächst zu eruieren. Konkret mussten die von der Staatsanwaltschaft in der Folge benötigten Daten herausgesucht und die Transaktionen den gekauften Dienstleistungen zugeordnet werden. Diese Aufwendungen waren erforderlich, damit die Beschwerdeführerin letztlich der Editionsverfügung der Staatsanwaltschaft überhaupt nachkommen konnte. Sie gingen mit anderen Worten über das blosse Kopieren oder Zusammenstellen von bereits vorhandenen Unterlagen hinaus. Im Umfang dieser zusätzlichen Bemühungen ist somit ein Entschädigungsanspruch der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 434 Abs. 1 StPO zu bejahen, zumal sich die Höhe der geltend gemachten Entschädigung ohne Weiteres als angemessen erweist und diese Kosten dem Beschuldigten auferlegt werden können, sofern die Voraussetzungen gemäss Art. 426 Abs. 1 oder 2 StPO erfüllt sind.

3.3 An diesem Ergebnis nichts zu ändern vermag der Hinweis der Staatsanwaltschaft auf die Ansicht der Innerschweizer Staatsanwälte-Konferenz, wonach zur Herausgabe verpflichtete Personen bei Editionen generell keinen Anspruch auf Entschädigung hätten. Dabei handelt es sich um Empfehlungen der Konferenz an die Staatsanwaltschaften der Mitgliederkantone, denen keine rechtsverbindliche Wirkung zukommt. Wie sich den Beilagen 9 und 10 zur Eingabe der Beschwerdeführerin vom 1. April 2019 entnehmen lässt, werden diese Empfehlungen offenbar auch (noch) nicht konsequent umgesetzt.

4. Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als begründet und ist gutzuheissen.

5. Bei diesem Ausgang sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf die Staatskasse zu nehmen (Art. 428 Abs. 4 StPO). Der Beschwerdeführerin ist mangels eines entsprechenden Antrags keine Entschädigung auszurichten.

Obergericht, I. Beschwerdeabteilung, Urteil vom 14. Mai 2019 (BS 2019 8)

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