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Verfahrensrecht

Beschwerdeberechtigung der Gemeinde, Gebührenfreiheit in Unterstützungssachen

Regeste:

§ 62 VRG – Ein Gemeinwesen ist offensichtlich nicht bereits dann wie eine Privatperson berührt, wenn ein Entscheid Auswirkungen auf sein Vermögen hat oder ein abstraktes, allgemeines finanzielles Interesse besteht. Es fehlt somit die Beschwerdeberechtigung gemäss § 62 Abs. 1 VRG. Die Gemeinde ist vorliegend aber auch nicht im Sinne von § 62 Abs. 2 VRG in öffentlichen Interessen, d.h. in spezifischer, schutzwürdiger Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betroffen. Dies setzt eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus. Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung begründet keine Beschwerdebefugnis im Sinne dieser Regelung (Erw. 1.2).
Ziff. 114 Verwaltungsgebührentarif – Die Gebührenfreiheit in Unterstützungssachen gilt für alle Amtshandlungen von kantonalen und gemeindlichen Verwaltungsbehörden in Verwaltungs- und Zivilsachen, auch für Beschwerdeentscheide (Erw. 3–5).

Aus dem Sachverhalt:

Mit Beschluss vom 22. Februar 2018 trat der Gemeinderat Unterägeri auf drei Beschwerden von B. gegen die Abteilung Soziales und Gesundheit bzw. den Sozialvorsteher der Einwohnergemeinde Unterägeri betreffend Sozialhilfe nicht ein (Dispositiv Ziff. 2), wies sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab (Dispositiv Ziff. 3) und auferlegte ihm gestützt auf § 23 Abs. 1 Ziff. 3 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRG) die Verfahrenskosten von Fr. 500.– (Dispositiv Ziff. 4). Den Kostenpunkt begründete der Gemeinderat damit, die Kostenbefreiung in Unterstützungssachen gemäss § 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Kantonsratsbeschlusses über die Gebühren in Verwaltungs- und Zivilsachen vom 11. März 1974 (Verwaltungsgebührentarif) sei nicht anwendbar. Einerseits derogiere das VRG als höherrangige Norm den Kantonsratsbeschluss, andererseits handle es sich beim VRG um die jüngere Norm (lex posterior derogat legi priori). Eine gegen diesen Entscheid von B. erhobene Verwaltungsbeschwerde hiess der Regierungsrat mit Beschluss vom 21. August 2018 teilweise gut, indem er die Ziff. 3 und 4 des angefochtenen Beschlusses aufhob und neu wie folgt formulierte respektive verfügte (Dispositiv Ziff. 1):
«3. Auf das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (Verfahrens-kosten) wird nicht eingetreten. Das Gesuch betreffend Beigabe einer unentgeltlichen Rechtsverbeiständung wird abgewiesen.
4. Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.»
Auch für den eigenen Beschluss verzichtete der Regierungsrat gestützt auf § 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Verwaltungsgebührentarifs auf die Auferlegung von Verfahrenskosten. Gegen den Regierungsratsbeschluss erhob die Einwohnergemeine Unterägeri, vertreten durch RA A. am 24. September 2018 Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, Ziffer 1 des angefochtenen Entscheides sei aufzuheben, und es seien die Ziffern 3 und 4 des Beschlusses der Beschwerdeführerin vom 22. Februar 2018 zu bestätigen; unter Kosten- und Entschädigungsfolge nach Gesetz.

Aus den Erwägungen:

(…)

1.2 Was die Beschwerdelegitimation betrifft, so ist festzustellen, dass der Gemeinderat den Beschluss vom 22. Februar 2018 gefasst hat, in welchem er dem damaligen Beschwerdeführer die umstrittenen Verfahrenskosten auferlegte. Der Gemeinderat war der unterliegende Beschwerdegegner im vorinstanzlichen Verfahren. Es stellt sich vorweg die Frage, ob die Gemeinde im Sinne der weiteren Voraussetzungen von § 62 Abs. 1 VRG vom Entscheid des Regierungsrats überhaupt unmittelbar betroffen ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung bzw. Änderung hat, oder ob dem Gemeinderat hier gestützt auf § 62 Abs. 2 VRG zur Wahrung öffentlicher Interessen das Beschwerderecht zusteht. Nur in diesem Fall ist die Gemeinde legitimiert und die Beschwerde zu prüfen.

In Analogie zu Art. 89 Abs. 1 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG, SR 173.110) ist auch für die gleichlautende Regelung von § 62 Abs. 1 VRG festzustellen, dass sie in erster Linie auf Privatpersonen zugeschnitten ist. Das Gemeinwesen kann sich demgemäss darauf stützen, falls es durch einen angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie ein Privater betroffen ist. Dies ist grundsätzlich nur der Fall, wenn es ausserhalb der Erfüllung staatlicher Aufgaben handelt und nicht mehr als deren Träger betrachtet werden kann, sondern private Aufgaben oder Interessen wahrnimmt. Ein Gemeinwesen ist offensichtlich nicht bereits dann wie eine Privatperson berührt, wenn ein Entscheid Auswirkungen auf sein Vermögen hat oder ein abstraktes, allgemeines finanzielles Interesse besteht.

Die Gemeinde ist vorliegend aber auch nicht im Sinne von § 62 Abs. 2 VRG in öffentlichen Interessen, d.h. in spezifischer, schutzwürdiger Weise in der Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe betroffen. Dies setzt eine erhebliche Betroffenheit in wichtigen öffentlichen Interessen voraus. Das allgemeine Interesse an der richtigen Rechtsanwendung begründet keine Beschwerdebefugnis im Sinne dieser Regelung. Demgemäss sind gestützt auf die allgemeine Legitimationsklausel von Art. 89 Abs. 1 BGG Gemeinwesen nur restriktiv zur Beschwerdeführung zuzulassen und ist die im Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht schon bloss aus diesem Grund berechtigt, gegen den sie desavouierenden Entscheid an das Bundesgericht zu gelangen (BGE 141 II 161 E. 2.1 S. 164, mit Hinweisen). Insbesondere ist das Gemeinwesen nicht beschwerdelegitimiert, wenn ihm in Beschwerdeentscheiden gegen seine Verfügungen Verfahrens- oder Parteikosten auferlegt werden (BGE 134 II 45 E. 2.2.2 S. 47 f.; BGE 133 II 400 E. 2.4.2 S. 407; Urteil 1C_79/2011 vom 10. März 2011 E. 1.4, in: JdT 2011 I S. 39). Dasselbe muss aber auch dann gelten, wenn vom Gemeinderat einer Partei in einem vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren auferlegte Verfahrenskosten durch den Regierungsrat in seiner Eigenschaft als Beschwerdeinstanz und – wie hier – zusätzlich als Aufsichtsbehörde (vgl. § 4 Abs. 1 und § 33 Abs. 1 des Gemeindegesetzes, GG, BGS 171.1) aufgehoben werden. Aufsichtsentscheide des Regierungsrates als solche können vor Verwaltungsgericht ohnehin nicht angefochten werden. Im Weiteren sind überhaupt zur Anfechtung eines Kostenentscheids beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nur jene Parteien legitimiert, denen Verfahrenskosten auferlegt wurden (vgl. Kaspar Plüss, Kommentar VRG, 3. Aufl. 2014, § 13 N. 95). Die Beschwerdelegitimation eines Gemeinwesens kann insbesondere nur dann bejaht werden, wenn sich nebst der finanziellen Betroffenheit eine Grundsatzfrage stellt, die eine präjudizielle Bedeutung aufweist und deren Beantwortung über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Hier geht es auch nicht um einen Eingriff, dessen Auswirkungen die Gemeinde in ihrer Gemeindeautonomie betrifft, was voraussetzen würde, dass das kantonale Recht der Gemeinde einen relativ erheblichen Entscheidungsspielraum einräumt, was im Sozialhilferecht gerade nicht der Fall ist (vgl. dazu unter E. 5.7).

Gestützt auf diese einschränkende Rechtsprechung ist die Beschwerdebefugnis des Gemeinderats Unterägeri nach § 62 VRG im vorliegenden Fall zu verneinen, so dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werden kann.

Im Folgenden ist im Sinne einer auch aus Sicht des Gerichts gebotenen Klärung der aufgeworfenen Fragen auf die Beschwerde doch kurz einzugehen und zu prüfen, wie die Beschwerde im Falle des Eintretens zu beurteilen wäre.

(…)

3. Beim Beschwerdeverfahren vor dem Gemeinderat ging es um die Zusprechung von Sozialhilfe. Umstritten ist, ob der Regierungsrat die Beschwerde des vormaligen Beschwerdeführers gegen den Entscheid des Gemeinderats, soweit dieser ihm darin Verfahrenskosten auferlegte, zu Recht guthiess oder nicht. Im Streit liegt konkret die Frage des Vorrangs der einander im vorliegenden Sachverhalt zumindest vordergründig widersprechenden Regelungen von § 23 VRG und Ziff. 114 des Kantonsratsbeschlusses über die Gebühren in Verwaltungs- und Zivilsachen (Verwaltungsgebührentarif, BGS 641.1).

3.1 Gemäss § 22 Abs. 1 VRG erhebt die Verwaltungsbehörde für ihre Amtshandlungen Gebühren nach Tarif. Das Verwaltungsgericht erlässt eine Verordnung über die Gebühren des Verwaltungsgerichts (Abs. 2). Gemäss § 23 VRG trägt die Kosten: 1. im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren: die Partei, welche die Amtshandlung in ihrem eigenen Interesse beantragt oder durch ihr Verhalten veranlasst hat; 2. im Einspracheverfahren: der Einsprecher, wenn er mutwillig Einsprache erhoben hat; 3. im Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsbehörden und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht: die unterliegende Partei.

3.2 Der Verwaltungsgebührentarif wurde vom Kantonsrat am 11. März 1974 erlassen und trat am 1. April 1974 in Kraft. Er regelt die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen von gemeindlichen und kantonalen Verwaltungsstellen in Verwaltungs- und Zivilsachen. In § 1 («A. Entscheide des Regierungsrats») sieht der Verwaltungsgebührentarif vor, dass der Regierungsrat für Entscheide in Beschwerdesachen Gebühren von Fr. 55.– bis Fr. 4'500.– erhebt (Ziff. 1). Gemäss Ziff. 61 (in § 5 «E. Amtshandlungen der Gemeinde- und Bürgerräte») verlangen Gemeinden für «andere Verwaltungsentscheide, Bewilligungen, Genehmigungen, Kontrollen und Dienstleistungen aller Art» Gebühren von Fr. 55.– bis Fr. 2'500.–. Unter «andere Verwaltungsentscheide» fallen mangels einer anderen Erwähnung und in Berücksichtigung der erwähnten, in § 1 für den Regierungsrat explizit verankerten Regelung ohne weiteres auch Beschwerdeentscheide des Gemeinderats. In Abs. 1 von § 13 («N. Allgemeine Bestimmungen») hält der Verwaltungsgebührentarif u.a. fest, dass in Unterstützungssachen keine Gebühren bezogen werden dürfen (Ziff. 114). Dass sich die in Ziff. 114 enthaltene Regelung betreffend die Unterstützungssachen auch auf die gemeindlichen Behörden bezieht, ergibt sich auch aus der Erwähnung der Gemeinden in der vorangehenden Ziff. 112 («Die von den Gemeindebehörden bezogenen Gebühren fallen in die Gemeindekasse; …»). Der Verwaltungsgebührentarif gilt einzig nicht für das Verwaltungsgericht bzw. die externe Verwaltungsrechtspflege (§ 22 Abs. 2 VRG). Daran ändert nichts, dass das Verwaltungsgericht schon in einzelnen seiner Urteile den hier umstrittenen § 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Verwaltungsgebührentarifs analog angewendet hat und somit wie der Regierungsrat im angefochtenen Entscheid in Unterstützungssachen keine Kosten erhoben hat (vgl. z.B. Entscheid des Verwaltungsgerichts V 2014 9 vom 26. Juni 2014, E. 4).

4.
4.1 Jede Rechtsanwendungsbehörde ist zur Beachtung der Prinzipien der Bindung an das Gesetz und der Normenhierarchie verpflichtet (vgl. Urteil BGer 1P.602/1999 vom 11. Juli 2000 E. 3 d/bb). Das Gesetz im materiellen Sinne ist der Erlass der gesetzgebenden Behörde, welcher generell-abstrakte Normen enthält. Unter Gesetz im formellen Sinn dagegen sind alle Erlasse zu verstehen, die in die Zuständigkeit der gesetzgebenden Behörde fallen und im Gesetzgebungsverfahren ergehen (vgl. BGE 98 Ia 642 E. 3b).

4.2 Zunächst ist davon auszugehen, dass es sich beim Verwaltungsrechtspflegegesetz wie dem Verwaltungsgebührentarif um Gesetze im materiellen Sinne bzw. um generell-abstrakte Rechtssetzungserlasse handelt. Sowohl das VRG als auch die Gebührenverordnung sind zudem vom Kantonsrat erlassen worden. Soweit der Erlass des Verwaltungsgebührentarifs im Jahr 1974 nicht dem fakultativen Referendum unterstanden ist, gilt dieser Einwand jedenfalls für die hier anwendbare Ziffer 114 insofern nicht mehr, als diese mit dem per 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Gesetz betreffend die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches für den Kanton Zug, Änderung vom 26. Januar 2012 (Kantonsratsvorlage Nr. 2036.7) dem fakultativen Referendum gemäss § 34 KV unterstanden hat, wie die Vorinstanz zu Recht feststellt. Dass dabei in diesem bisherigen Teilgehalt der Ziffer 114 (Unterstützungssachen) im Gegensatz zu den aus dieser Tarifbestimmung entfernten Amtshandlungen zum Schutze von Kindern und den vormundschaftlichen Amtshandlungen an sich gerade keine materielle Änderung erfolgte, ändert an der Qualität als Ergebnis formeller Gesetzgebung nichts. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Ziff. 114 in ihrer neuen Fassung und damit die Bestätigung der Gebührenfreiheit in Unterstützungssachen im Rahmen der Rechtsänderung ebenfalls dem fakultativen Referendum unterlag. Nach dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Prinzip konnte auch diese Rechtsnorm nur im gleichen Verfahren abgeändert werden, in welchem sie ursprünglich erlassen worden ist (vgl. BGE 105 Ib 72 E. 6a S. 80 f. mit Hinweisen), was hier unabhängig davon gelten muss, dass im Jahr 1974 der Verwaltungsgebührentarif noch nicht dem fakultativen Referendum unterstanden hat, die Referendumspflicht aber seit dem Jahr 1991 (vgl. Gesetzessammlung des Kantons Zug, GS 24, 155) in der Verfassung verankert ist. Demzufolge kann das Gericht in der Argumentation des Regierungsrats, dass es sich bei der seit 1. Januar 2013 geltenden Version von § 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Verwaltungsgebührentarifs gegenüber § 23 Abs. 1 Ziff. 3 VRG um die jüngere Norm handelt und sich der Gesetzgeber mit der neuen Version von § 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Verwaltungsgebührentarifs bewusst dafür ausgesprochen hat, dass in Unterstützungssachen – auch in Verwaltungsbeschwerdeverfahren – keine Gebühren bezogen werden, keine Rechtsverletzung erkennen.

4.3 Keine ausschlaggebende Bedeutung kann auch dem Umstand zukommen, dass sich der Verwaltungsgebührentarif – nebst den §§ 19 (aufgehoben) und 79 des Einführungsgesetzes zum ZGB vom 17. August 1922 – ausdrücklich auf die speziellere Regelung von § 41 Abs. 1 Bst. e KV abstützt, wonach dem Kantonsrat die Festsetzung der Besoldungen und amtlichen Gebühren obliegt, während das VRG gestützt auf die allgemeine Bevollmächtigung zur Gesetzgebung in § 41 Abs. 1 Bst. b KV erging. Während die in der gleichen Kompetenznorm erwähnten Besoldungen ebenfalls in einem Gesetz (Gesetz über das Arbeitsverhältnis des Staatspersonals, PG, BGS 154.21) festgelegt sind, ist aus hier nicht ausschlaggebenden Gründen für die Gebührenregelung bislang kein formelles Gesetz zustande gekommen, sondern lediglich ein Kantonsratsbeschluss erlassen worden (vgl. dazu den Bericht und Antrag des Regierungsrates zu dem vom Volk verworfenen Gebührengesetz vom 9. März 2010, Vorlage Nr. 1918.1, passim). Auch ohne namentliche Erwähnung in dessen Ingress kann sich der Gebührentarif zudem seit dem 1. Januar 1977 zusätzlich auf § 22 Abs. 1 VRG abstützen.

5.
5.1 Das von der Beschwerdeführerin hauptsächlich vorgebrachte Argument, dass die eine Bestimmung in einem formellen Gesetz, die andere jedoch nur in einer Parlamentsverordnung steht, ist jedoch ohnehin insoweit unbeachtlich, als die Regeln der Normenhierarchie nur zum Tragen kommen, wenn überhaupt eine Kollision zwischen zwei Normen vorliegt. Dies setzt voraus, dass beide Normen die gleiche Rechtsfrage unterschiedlich beantworten (Hansjörg Seiler, Einführung in das Recht, 2. Aufl. 2004, S. 135). Die vom Gemeinderat angerufenen, ungeschriebenen Vorrang- bzw. Kollisionsregeln nach der Hierarchie (lex superior derogat legi inferiori) bzw. nach dem zeitlichen Verhältnis (lex posterior derogat legi priori) sind somit nur anzuwenden, wenn es sachlich notwendig ist bzw. eine Norm den Geltungsanspruch der anderen verdrängt. So ist zuerst zu prüfen, ob und allenfalls wie die beiden Normen im konkreten Fall, allenfalls koordiniert miteinander, anzuwenden sind.

5.2 Zunächst ist festzustellen, dass mit dem Erlass des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 1. April 1976 im Kanton Zug erstmals allgemeine Vorschriften über das Verfahren und damit – mit weitgehender Ausnahme insbesondere der Steuergesetzgebung – eine einheitliche Verfahrensordnung geschaffen wurde, welche eine Vielzahl von in einzelnen Sachgesetzen und Verordnungen verstreuten verfahrensrechtlichen Bestimmungen ablöste. Auch wenn das kantonale Verwaltungsverfahrensrecht nicht umfassend kodifiziert wurde, so steht aus Sicht des Verwaltungsgerichts ausser Frage, dass im VRG grundsätzlich die allgemeinen verfahrensrechtlichen Aspekte geregelt sind und vom Gesetzgeber gewollte Abweichungen in die Spezialerlasse gehören. Abweichende verfahrensrechtliche Aspekte sollen vom Kodifikationsgedanken her also nur noch dort spezialgesetzlich geregelt werden, wo sie sich nicht sinnvoll ins VRG integrieren lassen. Umgekehrt ist es von daher aber naheliegend, dass insbesondere grundsätzliche Ausnahmen von der Kostenpflicht verwaltungsrechtlicher Verfahren in bestimmten Rechtsgebieten entweder in einem bezüglichen Spezialerlass, erst recht aber in einer vom Verwaltungsrechtspflegegesetz in § 22 ausdrücklich vorgesehenen allgemeinen Kostenordnung, die sich grundsätzlich auf mehrere Rechtsgebiete zu erstrecken hat, vorzusehen sind. Tatsächlich stand der Gebührentarif beim Inkrafttreten des VRG bereits in Kraft, so dass sich der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 VRG offensichtlich bewusst auf diesen bezog, was bei der Auslegung zu berücksichtigen ist. Grundsätzliche Kostenbefreiungen in einzelnen Rechtsgebieten gehören schon aus allgemeinen gesetzgeberischen Motiven nicht in das – sozusagen vor die «Klammer» gezogene – allgemeine Verfahrensgesetz.

5.3 Konkret ist diesbezüglich festzustellen, dass in § 23 VRG die Grundsätze der Verlegung der amtlichen Kosten im Verhältnis der Parteien und in Berücksichtigung des Ausgangs der Verfahren im Falle der Kostenpflichtigkeit eines Verfahrens geregelt werden. Dabei erscheint die Kostenauferlegung nach Massgabe des Unterliegens (§ 23 Abs. 1 Ziff. 3) als Regel und jene nach dem Verursacherprinzip (§ 23 Abs. 1 Ziff. 1 und 2, Abs. 3) als Ausnahme. Es fehlen im Verwaltungsrechtspflegegesetz jegliche Angaben zur Bemessungsgrundlage der Spruchgebühren und zur Gebührenhöhe, was aber schon von daher mit dem oben erwähnten Legalitätsprinzip nicht in Widerspruch steht, als der Gebührentarif vom Kantonsrat, wenn auch in einem erst seit 1991 referendumspflichtigen Erlass, festgelegt worden ist. Die Bezeichnung einzelner kostenpflichtiger oder kostenbefreiter Verwaltungsakte je nach Rechtsgebiet und ein Katalog der jeweiligen Ansätze würde den Rahmen des VRG als allgemeinem Verfahrensgesetz offensichtlich sprengen. Dass in der Bestimmung von § 22 Abs. 1 VRG die Erhebung von Gebühren nach «Tarif» vorbehalten wird, ist zumindest im Verhältnis zu einem (referendumspflichtien) Kantonsratsbeschluss eine genügende Gesetzesdelegation, wobei die Angemessenheit der im Einzelfall auferlegten Gebühren anhand des Kostendeckungs- und des Äquivalenzprinzips zusätzlich bei jedem Anwendungsakt überprüfbar ist. Ein Tarif kann und soll, nur schon aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips, verschieden hohe Kostensätze und auch Kostenlosigkeit vorsehen. Hinzu kommt im konkreten Fall, dass es um die Rechtmässigkeit der Befreiung von Gebühren im Verhältnis zu den Behörden, auch dem Gemeinderat, geht, d.h. gerade nicht um eine Belastung von Verfahrensbeteiligten bzw. Rechtsuchenden mit Kosten.

5.4 Während also § 23 VRG generell die Aufteilung der Kosten unter den Parteien in Fällen regelt, in denen den Verfahrensbeteiligten Verfahrenskosten aufzuerlegen sind, existieren in Sach- oder Spezialerlassen eigenständige Regeln für die Kostenpflicht und -verlegung, und zwar sowohl im Bundesrecht (vgl. etwa Art. 61 lit. a ATSG) als auch im kantonalen Recht. Was letzteres betrifft, so sieht z.B. § 70 Abs. 4 PG vor, dass Beschwerden bis zu einem Streitwert von 30'000 Franken kostenlos sind. Der Verwaltungsgebührentarif seinerseits stellt eine eigentliche «Lex Generalis» dar (vgl. den Bericht und Antrag des Regierungsrates vom 9. März 2010 betreffend Gebührengesetz, Vorlage Nr. 1918.1, S. 18). Das Sozialhilfegesetz äussert sich nicht zu den Verfahrenskosten, ebenso wenig die in der Sozialhilfeverordnung vom 20. Dezember 1983 (BGS 861.41, § 9) als anwendbar erklärten SKOS-Richtlinien. Der kantonale Gebührentarif nimmt diese Frage aber auf und verzichtet offensichtlich aus sozialpolitischen Gründen von Anfang an darauf, im Zusammenhang mit Sozialhilfeverfahren Verfahrensbeteiligten Kosten aufzuerlegen.

5.5 Nicht gefolgt werden kann der beschwerdeführerischen Argumentation, es handle sich bei § 23 Abs. 1 Ziff. 3 VRG insofern um die speziellere Norm innerhalb des VRG gegenüber dem Grundsatz von § 22 Abs. 1 VRG, als in Unterstützungssachen zwar im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren als Konkretisierung von § 22 Abs. 1 VRG die Kostenfreiheit gemäss § 13 Abs. 1 Ziff. 114 Verwaltungsgebührentarif zur Anwendung kommen solle, nicht aber im Beschwerdeverfahren. Dem ist an sich nur schon entgegenzuhalten, dass § 23 Abs. 1 Ziff. 1 VRG (nämlich Kostenpflicht der eine Amtshandlung durch ihr Verhalten veranlassenden Partei) als ebenfalls «speziellere Norm» dann ebenfalls vorzugehen hätte, womit die Regelung von § 22 Abs. 1 VRG keinen Spielraum für Kostenbefreiungen im Gebührentarif mehr zuliesse, was aber zu Recht nicht geltend gemacht wird.

Nicht entscheidend ist weiter, dass die Vorinstanz auf Seite 28 ihres Berichts und Antrags vom 5. April 2011 zur Änderung des EG ZGB (Umsetzung der ZGB-Revision vom 19. Dezember 2008 [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht] Vorlage Nr. 2036.1) feststellte, dass – nur – im «erstinstanzlichen» Kindesschutzverfahren gestützt auf Ziffer 114 des Verwaltungsgebührentarifs «bereits bisher» explizit auf die Kostenauflage verzichtet wurde. Es sind keine Fälle bekannt und es werden keine solchen namhaft gemacht, wo der Regierungsrat als Beschwerdeinstanz in Kindesschutz-, aber auch in Unterstützungssachen, in der Vergangenheit Kosten erhoben hätte. Hingegen hat auch schon das Verwaltungsgericht eine Gebührenbefreiung in «analoger» Anwendung des Gebührentarifs vorgenommen (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts V 2007 64 und 65 vom 30. Oktober 2007, E. 11). Nun ist mit dem neuen § 57 EG ZGB klar festgelegt, dass in Kindesschutzfällen auch vor Verwaltungsgericht keine Kosten zu erheben sind. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde (S. 9) unterschied der Regierungsrat nicht «also selber» zwischen der Anwendbarkeit von Ziffer 114 des Verwaltungsgebührentarifs für das erstinstanzliche Verfahren und der Anwendbarkeit des VRG, d.h. von § 23 Abs. 1 Ziff. 3 VRG, für das Beschwerdeverfahren, sondern zwischen der Anwendbarkeit von Ziffer 114 des Tarifs in der verwaltungsinternen Rechtspflege und der Anwendbarkeit von alt § 79e VRG einzig für das Beschwerdeverfahren vor Verwaltungsgericht. Erst recht übersteuert nicht die Ziffer 61 des Verwaltungsgebührentarifs («Amtshandlungen der Gemeinde-, Bürger- und Korporationsräte. Andere Verwaltungsentscheide, Bewilligungen, Genehmigungen, Kontrollen und Dienstleistungen aller Art: Fr. 55.– bis 2'500.–») die Ziffer 114 (Kostenlosigkeit in Unterstützungssachen), wie in der Beschwerde angeführt wird.

5.6 Es kann von der Auslegung her keinem Zweifel unterliegen, dass die im Verwaltungsgebührentarif vorgesehene Kostenbefreiung der allgemeinen, generellen Regelung der Kostenverteilung in § 23 VRG vorzugehen hat. Wo keine Gebühren zu erheben sind, ist der Entscheid über deren Aufteilung unter den Verfahrensbeteiligten im Sinne von § 23 VRG hinfällig. Dies gilt nicht zuletzt auch für das Verwaltungsgericht, das z.B. früher gestützt auf alt § 79g VRG und neu gestützt auf die nicht mehr im VRG enthaltene Regelung von § 57 EG ZGB im Bereich der fürsorgerischen Unterbringung keine Kosten erheben kann. Im vorliegenden Streitfall entfällt die Anwendung der in der Beschwerde angerufenen, ungeschriebenen Vorrangregeln nach der Hierarchie bzw. nach dem zeitlichen Verhältnis der Rechtsquellen. Die beiden Erlasse können im konkreten Fall koordiniert miteinander angewendet werden, was offensichtlich von Anfang an den Intentionen des Gesetzgebers entsprach.

5.7 Schliesslich kommt hinzu, dass der Regierungsrat gemäss dem Sozialhilfegesetz die Voraussetzungen und den Umfang der Unterstützung regelt (§ 29 i.V.m. § 20 SHG). Weiter kann er als Aufsichtsbehörde (vgl. § 4 Abs. 1 und § 33 Abs. 1 des Gemeindegesetzes, GG, BGS 171.1) von den Gemeinden verlangen, dass sie sich im Rahmen ihrer eigenen (gemeindlichen) verwaltungsinternen Rechtspflege ebenfalls an die Grundsätze des kantonalen Verwaltungsgebührentarifs bzw. an die regierungsrätliche Praxis zu diesem zu halten haben. Denn er ist Beschwerdeinstanz mit voller Kognition und kann vorinstanzliche Entscheide gestützt auf § 30 VRG sogar ausserhalb eines Rechtsmittelverfahrens aufheben. Er kann in einem konkreten Fall auf Beschwerde hin schon gestützt auf § 25 VRG (Kostenbefreiung) die Kostenlosigkeit des vorinstanzlichen Verfahrens anordnen. Erhebt der Regierungsrat bei Beschwerdeentscheiden in ständiger Praxis unter Berufung auf § 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Verwaltungsgebührentarifs in Unterstützungssachen keine Verfahrenskosten, muss dies aber erst recht für die Vorinstanzen des Regierungsrats gelten. Das Gericht kann in der Gesetzesauslegung des Regierungsrats keine Willkür erkennen, d.h. der Regierungsrat hat mit seinem Entscheid vom 21. August 2018 keine Rechtsverletzung begangen, was gemäss § 63 Abs. 1 VRG für eine allfällige Gutheissung der Beschwerde erforderlich gewesen wäre. Paragraph 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Verwaltungsgebührentarifs gilt somit für alle Amtshandlungen von kantonalen und gemeindlichen Verwaltungsbehörden in Verwaltungs- und Zivilsachen, auch für Beschwerdeentscheide.

5.8 In der Sache ist im Weiteren festzuhalten, dass der Gemeinderat gemäss § 11 Abs. 1 des Gesetzes über die Sozialhilfe im Kanton Zug (BGS 861.4) die Sozialbehörde der Gemeinde ist und allenfalls gemäss Abs. 2 Aufgaben und Kompetenzen der Sozialbehörde einer Kommission übertragen kann. Es führte aber schon von daher zu Rechtsungleichheiten, wenn in einer bestimmten Gemeinde wie in Unterägeri zunächst offenbar eine untergeordnete Amtsstelle, vorliegend die Abteilung Soziales und Gesundheit bzw. der Sozialvorsteher und die Leiterin Sozialdienst (vgl. Erwägung B im Gemeinderatsentscheid vom 22. Februar 2018), verfügt, gegen deren Entscheid der Rechtsuchende gestützt auf § 40 Abs. 1 Satz 1 VRG – nach der Rechtsauffassung der Gemeinde Unterägeri – kostenpflichtig an den Gemeinderat zu rekurrieren hätte, während in einer anderen Gemeinde eventuell der Gemeinderat direkt über die Sozialhilfe verfügen mag und der Rechtsuchende deshalb direkt (§ 40 Abs. 1 Satz 2 VRG) und ohne Kostenfolgen einen Beschwerdeentscheid vor dem Regierungsrat erwirken kann. Auch solche möglichen Rechtsungleichheiten unter den Sozialhilfebezügern verschiedener Gemeinden werden durch die vorliegend angefochtene, sich aber als rechtmässig erweisende Rechtsauffassung des Regierungsrats als Aufsichtsbehörde vermieden.

(…)

6. Demzufolge erweist sich im Rahmen der dem Verwaltungsgericht zustehenden Überprüfungsbefugnis die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie abzuweisen wäre, wenn auf sie eingetreten werden könnte. Daran ändert auch nichts, dass der Gemeinderat geltend macht, der Beschwerdegegner 1 verdiene den Rechtsschutz der Kostenlosigkeit des Beschwerdeverfahrens nicht, weil er sich «gelinde gesagt» als «äusserst eingaben-, prozess- und beschwerdefreudig» erweise; der Beschwerdeführer führe wiederholt aussichtslose Prozesse, behellige die Behörden mit einer Flut von Eingaben und komme selber nicht einmal seinen geringsten Mitwirkungspflichten nach. Der Gemeinderat hat die Kostenauferlegung in seinem Entscheid vom 22. Februar 2018 nicht mit diesen Umständen begründet, so dass nicht zu prüfen ist, ob eine Kostenpflicht gestützt auf § 23 Abs. 3 («unnötigerweise verursachte Kosten») angebracht und rechtmässig wäre. Im vorliegenden Verfahren ist lediglich die korrekte Anwendung von § 13 Abs. 1 Ziff. 114 des Verwaltungsgebührentarifs zu prüfen.

(…)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2019, V 2018 96
Das Urteil ist rechtskräftig.

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