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Art. 12 lit. a und j BGFA

§ 10b und § 13 BeurkG

Regeste:

§ 10b und § 13 BeurkG – Die Urkundsperson ist verpflichtet, sich über die Handlungsfähigkeit einer Urkundspartei zu vergewissern, wenn sie diesbezüglich Zweifel hat. Beurkundet die Urkundsperson das Geschäft gleichwohl, ohne zumindest in der Urkunde auf diesen Umstand hinzuweisen, handelt sie sorgfaltswidrig (E. 2-8).
Die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht stellt einen gravierenden Verstoss dar (E. 9).

Aus den Erwägungen:

2. Die Kantone bestimmen, in welcher Weise auf ihrem Gebiete die öffentliche Beurkundung hergestellt wird (Art. 55 Abs. 1 SchlT ZGB). Der Kanton Zug hat in Ausführung dieser Bestimmung das Beurkundungsgesetz (BeurkG) erlassen.

2.1 Gemäss § 10b Abs. 1 BeurkG hat die Urkundsperson die Beurkundung mit Sorgfalt vorzubereiten und auszuführen. Sie darf nur beurkunden, was sie mit eigenen Sinnen wahrgenommen hat (§ 10 Abs. 2 BeurkG). Sie hat den wahren Willen der Parteien zu ermitteln und in der Urkunde klar und vollständig zum Ausdruck zu bringen. Zu diesem Zweck hat sie die Parteien über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren, ihnen die für die Willensbildung erforderlichen Auskünfte zu erteilen und auf die Beseitigung von Widersprüchen und Unklarheiten hinzuwirken (§ 10 Abs. 3 BeurkG).

2.2 Gemäss § 13 Abs. 1 Satz 1 BeurkG hat sich die Urkundsperson über die Identität und Handlungsfähigkeit der vor ihr erscheinenden Personen zu vergewissern. Die Beurkundung ist zu verweigern, wenn die Urkundsperson die Überzeugung gewinnt, dass eine Partei nicht urteilsfähig ist (§ 13 Abs. 2 BeurkG). Bestehen hinsichtlich der Urteilsfähigkeit einer Urkundspartei Zweifel, nimmt die Urkundsperson die Beurkundung auf deren Verlangen vor und hält diesen Umstand in der Urkunde fest (§ 13 Abs. 3 BeurkG).

2.3 Primärer Zweck der öffentlichen Beurkundung ist die Schaffung schriftlicher Belege mit rechtlich zuerkannter Wahrheitsgeltung. Diese Wahrheitsgeltung wird auch als öffentlicher Glaube bezeichnet. Die rechtliche Zuerkennung des öffentlichen Glaubens erfolgt für die öffentlichen Urkunden des schweizerischen Bundesprivatrechts in Art. 9 ZGB, und zwar durch die den öffentlichen Urkunden in dieser Gesetzesvorschrift verliehene verstärkte Beweiskraft (Brückner, Schweizerisches Beurkundungsrecht, 1993, N 241 f.). So erbringen nach Art. 9 Abs. 1 ZGB öffentliche Register und öffentliche Urkunden für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen ist. Wo das Gesetz die öffentliche Beurkundung für individuelle rechtsgeschäftliche Erklärungen verlangt, dient das Beurkundungsverfahren neben der Belegschaffung dem Schutz der Erklärenden vor Unbedacht an-lässlich der Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten (Brückner, a.a.O., N 258). Aus diesen Gründen hat der Gesetzgeber für die Errichtung öffentlicher Beurkundungen strenge formelle Vorschriften aufgestellt (§ 13 ff. BeurkG) und die Ermächtigung zur öffentlichen Beurkundung einem besonderen Personenkreis vorbehalten (§ 1 f. BeurkG), der durch seine fachlichen und persönlichen Voraussetzungen Gewähr für eine korrekte Durchführung der Beurkundungen bietet.

3. Der Verzeigte führte in seiner Stellungnahme vom 2. Juni 2021 aus, es hätten «nicht die geringsten Zweifel an der Urteilsfähigkeit von A.» bestanden (act. 10 S. 3). Gemäss seinen Angaben hatte er im Zeitraum zwischen dem 4. Februar 2020 und Ende Februar 2020 A. gleich mehrfach persönlich getroffen und habe es dabei «keinerlei Anhaltspunkte» gegeben, welche an der Urteilsfähigkeit von A. hätten zweifeln lassen müssen. Die persönlichen Kontakte seien dann «unter dem Einfluss von Corona und mutmasslich auch jenem von B.» nicht mehr fortgeführt worden (act. 10 S. 4).

Aufgrund der sehr langjährigen persönlichen Bekanntschaft zwischen dem Verzeigten und A. ist denn auch soweit glaubhaft, dass der Verzeigte bis Anfang Februar 2020 von sich aus keine grundsätzlichen Zweifel an deren Urteilsfähigkeit hatte.

4. Nichtsdestotrotz gelangte der Verzeigte mit Schreiben vom 7. Februar 2020 an Dr. C. und ersuchte diesen um einen aktuellen «kurzen Bericht betreffend der Urteilsfähigkeit meiner Mandantin», damit in rechtlicher Hinsicht die nötigen Vorkehrungen mit Blick auf das zunehmende Alter seiner Mandantin getroffen werden könnten. Der Verzeigte bat Dr. C. um Beifügung des Berichts «des offenbar beigezogenen Geriaters Dr.med. D.» zu seinem Bericht (act. 10/2).

Dr. C. antwortete dem Verzeigten mit Schreiben vom 18. Februar 2020 und übergab ihm «den Bericht des Geriaters und des für Fragen des Alters spezialisierten Dr. D. (vom 3.11.2019 und den Verlaufsbericht, den ich via e-mail am 15.12.2019 erhielt)» und fügte bei, «wegen dieser erschwerten Fragestellung» habe er den Geriater beigezogen. Die Frage der Urteilsfähigkeit könne er [Dr. C.] ihm [dem Verzeigten] nicht beantworten und bitte ihn, diese an Herrn Dr. D. zu richten (act. 12/1).

5. Der Verzeigte wandte sich mit besagtem Schreiben vom 20. Februar 2020 an Dr. D. und führte aus, seinen Berichten vom 3. November 2019 und 15. Dezember 2019 an Dr. C. habe er entnommen, dass seines [Dr. D.'s] Erachtens bei seiner Mandantin eine paranoid-halluzinatorische Symptomatik vorliegen solle. Er [Dr. D.] rege das Erstellen eines Vorsorgeauftrages und einer Patientenverfügung an. Mithin gehe er [Dr. D.] davon aus, dass seine Mandantin nach wie vor voll urteilsfähig sei. Er selbst [der Verzeigte] habe in Bezug auf die Urteilsfähigkeit seiner Mandantin nicht die geringsten Zweifel, auch wenn ihr Erinnerungsvermögen nicht mehr das beste sei (act. 4/1).

6. Mit E-Mail vom 8. März 2020 antwortete Dr. D. auf das Schreiben des Verzeigten vom 20. Februar 2020 und teilte mit, er habe dieses soeben – nach Ferienabwesenheit – gelesen. Leider könne er die Urteilsfähigkeit von A. für einen Vorsorgeauftrag und ein Testament nicht telquel bestätigen. Mit E-Mail vom 17. März 2020 gelangte Dr. D. erneut an den Verzeigten und teilte diesem mit, er habe die Sachlage in der vergangenen Woche mit A. besprochen und sich erneut ein Bild der gesundheitlichen Situation gemacht. Er weise höflich darauf hin, dass A. nicht in allen Teilen urteilsfähig sei, und er gehe davon aus, dass der Hausarzt seine Auffassung teile. Er denke, man sollte miteinander sprechen, «wie wir die Situation klären» (act. 4/3).

7. Noch vor der Rückmeldung von Dr. D. hatte der Verzeigte zusammen mit der Urkundspartei am 3. März 2020 die Beurkundung des Vorsorgeauftrages vorgenommen (act. 4/2). Die öffentliche Urkunde sandte er am 18. März 2020, mithin nach den E-Mails von Dr. D., an seine Mandantin (act. 4/4).

8. Es mag zutreffen und ist auch vor dem Hintergrund des gesamten Sachverhaltes glaubhaft, dass der Verzeigte selber bis Anfang Februar 2020 keine oder nur sehr geringe Zweifel an der Urteilsfähigkeit seiner Mandantin hatte. Dennoch hat sich der Verzeigte mit Schreiben vom 7. Februar 2020 an den Hausarzt von A., Dr. C., gewendet. Der Hausarzt schickte dem Verzeigten mit Schreiben vom 18. Februar 2020 den Bericht des Geriaters und des für Fragen des Alters spezialisierten Dr. D. vom 3.11.2019 sowie dessen Verlaufsbericht und wies den Verzeigten darauf hin, dass er als Hausarzt wegen dieser erschwerten Fragestellung den Geriater beigezogen habe. Und weiter fügte der Hausarzt an, er könne die Frage der Urteilsfähigkeit dem Verzeigten nicht beantworten und bitte den Verzeigten, diese Frage an Dr. D. zu richten. Demnach erachtete sich der Hausarzt von A. gestützt auf den Bericht des Geriaters nicht mehr in der Lage, zur Frage der Urteilsfähigkeit von A. Stellung zu nehmen. Vielmehr verwies der Hausarzt den Verzeigten an den Spezialisten. Diese Antwort vom Hausarzt war für den Verzeigten Anlass genug, um sich mit Schreiben vom 20. Februar 2020 an Dr. D. zu wenden zur Abklärung der Urteilsfähigkeit von A.. Gewisse Restzweifel muss der Verzeigte demnach gehabt haben bzw. sind nicht zu negieren, denn der Notar, der in dieser Situation keinerlei Zweifel in dieser Hinsicht hat, holt keine entsprechenden Berichte ein.

Indem der Verzeigte die Antwort von Dr. D. nicht abwartete und den Vorsorgeauftrag beurkundete, indem er seine Restzweifel auch nicht im Sinne von § 13 Abs. 3 BeurkG in der Urkunde festhielt und indem er seiner Mandantin mit Schreiben vom 18. März 2020 die Urkunde übergab, obwohl Dr. D. in seinen beiden E-Mails vom 8. und 17. März 2020 entsprechende Bedenken geäussert hatte, verstiess der Verzeigte gleich mehrfach gegen die Sorgfaltspflichten der Urkundsperson gemäss § 10b und § 13 BeurkG. Dabei vermag ihn nicht zu entlasten, dass die Ausführungen von Dr. D. teilweise widersprüchlich waren. Der Verzeigte hätte sich aber, wenn nicht bei Dr. D., dann zumindest anderweitig absichern müssen, zumal er selber, mit Blick auf seine «anwaltliche Sorgfaltspflicht» den Kontakt mit den Ärzten gesucht hatte.

9. Die Aufsichtsbehörde übt bei Amtspflichtverletzungen die Disziplinargewalt aus (§ 33 Abs. 1bis lit. d BeurkG). Als Disziplinarmassnahmen kommen die Verwarnung, der Verweis, die Busse bis CHF 20'000.–, der befristete Entzug der Beurkundungsbefugnis für längstens zwei Jahre sowie der dauernde Entzug der Beurkundungsbefugnis in Betracht (§ 33c Abs. 1 BeurkG). Eine Busse kann zusätzlich zum befristeten oder dauernden Entzug der Beurkundungsbefugnis ausgesprochen werden (§ 33 Abs. 2 BeurkG).

Die Aufsichtsbehörde hat diejenige Massnahme zu wählen, die dem Zweck des Disziplinarrechts am besten entspricht. Es ist zu fragen, welche Massnahme am ehesten geeignet ist, die durch das Disziplinarrecht geschützten Interessen vor weiterer Verletzung zu bewahren. Dabei ist auch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen, und der Disziplinarbe-hörde steht bei der Festlegung der Sanktion ein gewisser Ermessensspielraum zu, wobei sie gehalten ist, das unterschiedliche Gewicht der verschiedenen Sanktionen und die darin zum Ausdruck kommende Rangordnung zu beachten. Die Behörde kann von einer Disziplinierung absehen, wenn eine Pflichtverletzung geringfügig ist, weit zurückliegt oder wenn eine Wiederholungsgefahr nicht besteht. Verweis und Busse sind für leichtere und solche Fälle bestimmt, die an sich die Vertrauenswürdigkeit der Urkundsperson nicht ohne weiteres beeinträchtigen können. Sie haben primär Strafcharakter; mit ihnen soll der Disziplinarverstoss gesühnt und der Fehlbare spezialpräventiv von der Wiederholung ähnlicher Handlungen abgehalten werden. Für schwere Fälle ist der vorübergehende oder dauernde Entzug der Beurkundungsbefugnis vorgesehen.

Der Verzeigte beurkundete am 3. März 2020 für seine Mandantin einen Vorsorgeauftrag, dies vor dem Hintergrund, dass er sich im Vorfeld bei zwei Ärzten nach deren Urteilsfähigkeit erkundigt, nicht aber die Antwort des dafür spezialisierten Facharztes, an den er verwiesen wurde, abgewartet hatte. Von der Möglichkeit des Urkundenvermerks gemäss § 13 Abs. 3 BeurkG machte er dabei keinen Gebrauch und sicherte sich auch nicht anderswie zur Frage der Urteilsfähigkeit der Urkundspartei ab. Damit verstiess der Verzeigte gegen elementare Pflichten im Beurkundungswesen, was die gravierende Folge hatte, dass die Urkunde seitens der KESB für ungültig errichtet erklärt wurde. Dem Verzeigten kann immerhin zugutegehalten werden, dass er selber wohl tatsächlich nur sehr geringe Zweifel an der Urteilsfähigkeit der Urkundspar-tei gehabt hatte. Dies vermag ihn aber nicht von den formellen Pflichten der Urkundsperson, welche strikten Charakter haben, zu entlasten. Dieses Verhalten stellt einen gravierenden Verstoss gegen die Pflichten der Urkundsperson dar, welcher nicht mehr mit einer Verwarnung oder einem Verweis zu sanktionieren ist. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Verzeigte bereits mit Beschluss der Aufsichtskommission vom 19. Mai 2020 wegen Verletzung der Berufsregel von Art. 12 lit. c BGFA mit einem Verweis belegt werden musste, erscheint im vorliegenden Fall eine Busse von CHF 1'000.0 angemessen.

Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte, 24. November 2021 (AK 2021 4)

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