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Zivilrecht

Gesellschaftsrecht

Art. 697i und Art. 697j i.V.m. Art. 697m OR; Art. 706b OR

Art. 802 Abs. 4 OR, Art. 823 OR

Regeste:

Die Auskunft oder Einsicht kann nach Massgabe von Art. 802 Abs. 4 OR angeordnet werden, wenn ein Gesellschafter dies verlangt. Die Gesellschaftereigenschaft muss nicht nur im Zeitpunkt der Einreichung eines Informationsbegehrens, sondern auch noch im Zeitpunkt des Entscheids über das Begehren gegeben sein. Wurde die gesuchstellende Partei zwischenzeitlich als Gesellschafterin aus der Gesellschaft ausgeschlossen (Art. 823 OR), fehlt es ihr an der Aktivlegitimation, und zwar unabhängig davon, ob die rechtliche Zuordnung der Stammanteile der ausgeschlossenen Gesellschafterin bereits geklärt ist oder nicht.

Aus dem Sachverhalt:

Am 7. Juni 2019 reichte die Gesuchstellerin gegen die Gesellschaft (Gesuchsgegnerin) beim Einzelrichter am Kantonsgericht Zug ein Gesuch um Einsicht und Auskunft gemäss Art. 802 Abs. 4 OR (Informationsgesuch) ein. Zu diesem Zeitpunkt hielt die Gesuchstellerin sechs der 20 Stammanteile der Gesellschaft. Am 14. April 2020 bestätigte das Bundesgericht (in einem anderen Verfahren) den Ausschluss der Gesuchstellerin aus der Gesellschaft. Am 30. September 2020 wies der Einzelrichter am Kantonsgericht Zug das Gesuch um Einsicht und Auskunft ab. Dagegen erhob die Gesuchstellerin Berufung beim Obergericht des Kantons Zug.

Aus den Erwägungen:

4. Wie zu zeigen ist, ist das Informationsgesuch der Gesuchstellerin mangels Aktivlegitimation abzuweisen. Ob die Gesuchstellerin ein berechtigtes Interesse an der Auskunft und Einsicht hat, ob eine Schädigungsgefahr bewiesen wurde und ob die Änderung des Rechtsbegehrens zulässig gewesen ist, braucht vorliegend nicht geklärt zu werden.

4.1 Gemäss Art. 802 OR kann jeder Gesellschafter Auskunft und Einsicht verlangen. Vorausgesetzt ist also die Gesellschaftereigenschaft. Folglich kann ein ausgeschiedener Gesellschafter keine Informationsklage nach Art. 802 Abs. 4 OR anheben. Der Ausschluss eines Gesellschafters erfolgt im Innenverhältnis mit Rechtskraft einer gutgeheissenen Ausschlussklage und im Aussenverhältnis mit Eintrag im Handelsregister (Sanwald, in: Nussbaumer/Sanwald/Scheidegger [Hrsg.], Kurzkommentar zum neuen GmbH-Recht, 2007, Art. 823 OR N 16, 18; Stäubli, Basler Kommentar, 5. A. 2016, Art. 823 OR N 6; Jörg/Arter, Das Recht der schweizerischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung [GmbH], 2015, S. 150). Ausschluss bedeutet Erlöschen der Mitgliedschaft und sämtlicher daraus fliessender Rechte (Sanwald, a.a.O., Art. 823 OR N 19). Die materielle wie auch die formelle Mitgliedschaft enden mit dem Ausschluss (und nicht erst mit dem Übergang auf einen Rechtsnachfolger; Sanwald, Austritt und Ausschluss aus AG und GmbH, 2009, S. 58 f.; Wipf/von der Crone, Ausschluss eines GmbH-Gesellschafters, SZW 2018 S. 569 ff., 581 f.; a.M. von Steiger, Zürcher Kommentar, 1950, Art. 800 OR N 9 und 11, Art. 807 N 2).

Ein ausgeschiedener Gesellschafter kann mithin kein Begehren um Auskunft oder Einsicht stellen, was jedoch erforderlich wäre, um überhaupt eine Informationsklage anzuheben (vgl. Art. 802 Abs. 4 OR). Hat der Gesellschafter Auskunft und Einsicht noch vor Rechtskraft des Urteils über seinen Ausschluss verlangt und wird er erst nachher ausgeschlossen, nützt ihm dies auch nichts. Denn die Gesellschaftereigenschaft ist eine Komponente der Aktivlegitimation. Diese stellt eine materiellrechtliche Voraussetzung eines bundesrechtlichen Anspruchs dar. Sie muss im Zeitpunkt des richterlichen Entscheids gegeben sein (vgl. BGE 133 III 180 E. 3.2–3.4; Urteil des Bundesgerichts 4A_648/2011 vom 4. April 2012 E. 3.1; anders, ohne Begründung und insbesondere nicht auf das Erfordernis der Aktivlegitimation eingehend: ZR 1971 S. 334).

4.2 Die Gesuchsgegnerin macht geltend, der Gesuchstellerin stünden mit ihrem rechtskräftigen Ausschluss aus der Gesuchsgegnerin keine Mitgliedschaftsrechte mehr zu, wie dies die Vorinstanz in E. 4.3.2 fälschlicherweise erwogen habe, sondern es könnten ausschliesslich Abfindungsansprüche zur Diskussion stehen. Der Ausschluss sei inzwischen überdies im Handelsregister nachvollzogen worden. Die registerrechtlichen Verhältnisse seien offenkundig bzw. gerichtsnotorisch im Sinne von Art. 151 ZPO (…).

Die Gesuchstellerin entgegnet, die Gesuchsgegnerin verschweige, dass die Rechtsfolgen des Ausschlusses nicht geklärt seien. Die rechtliche Zuordnung der sechs Stammanteile sei noch offen. Eine Grundkapitalgesellschaft könne keine herrenlosen Aktien oder Stammanteile haben. Aus diesem Grund bleibe die Gesuchstellerin als ausgeschiedene Gesellschafterin formell Mitglied der Gesellschaft, bis die Mitgliedschaft an einen Rechtsnachfolger übergehe. Ohnehin sei die Gesuchstellerin aber für die vorliegend zu beurteilenden Auskunfts- und Einsichtsrechte legitimiert. Die Gesuchsgegnerin habe keinen Antrag auf rückwirkenden Ausschluss gestellt, weshalb der Ausschluss erst im Zeitpunkt der formellen Rechtskraft des Urteils Wirkung entfalte. Die Gesuchstellerin sei somit bis zur Rechtskraft des Ausschlussurteils, das am 14. April 2020 eröffnet worden sei, Gesellschafterin der Gesuchsgegnerin mit sämtlichen damit verbundenen Gesellschafterrechten (…).

4.3 Am Tag der Ausfällung des Bundesgerichtsurteils (Urteil 4A_447/2019) über den Ausschluss der Gesuchstellerin aus der Gesuchsgegnerin, mithin am 14. April 2020, war der Ausschluss rechtskräftig (Art. 61 BGG). Am 17. Juli 2020 (Tagesregister) wurde der Ausschluss im Handelsregister eingetragen. Der Einzelrichter am Kantonsgericht Zug fällte seinen Entscheid über die Einsicht und Auskunft jedoch erst am 30. September 2020. Zu diesem Zeitpunkt war die Gesuchstellerin weder intern noch extern, weder materiell noch formell Gesellschafterin der Gesuchsgegnerin. Dies gilt unabhängig davon, ob die sechs Stammanteile der Gesuchstellerin als ausgeschiedene Gesellschafterin rechtlich einer neuen Gesellschafterin bereits zugeordnet waren (E. 4.1). Mithin fehlte es der Gesuchstellerin an der Aktivlegitimation und das Gesuch wäre aus diesem Grund abzuweisen gewesen. (…)

5. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz das auf Art. 802 Abs. 4 OR gestützte Begehren um Auskunft und Einsicht (Informationsklage) im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Urteil des Obergerichts des Kantons Zug, II. Zivilabteilung, vom 19. Oktober 2021 (Z2 2020 47)

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