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Art. 30a SchKG, Art. 108 SchKG, Art. 109 SchKG, Art. 16 Nr. 5 aLugÜ bzw. Art. 22 Nr. 5 LugÜ

Regeste:

Art. 30a SchKG, Art. 108 SchKG, Art. 109 SchKG, Art. 16 Nr. 5 aLugÜ bzw. Art. 22 Nr. 5 LugÜ – Örtliche Zuständigkeit für eine Widerspruchsklage. Die Widerspruchsklage eines Gläubigers gegen einen Drittansprecher nach Art. 108 Abs. 1 SchKG ist vollstreckungsrechtlicher Natur. Demgemäss ist eine Widerspruchsklage eines Gläubigers gegen einen in einem Vertragsstaat des Lugano-Übereinkommens wohnhaften Drittansprecher gestützt auf Art. 16 Nr. 5 aLugÜ i.V.m. Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 und Art. 30a SchKG am schweizerischen Betreibungsort zu erheben.

Aus den Erwägungen:

1. Im angefochtenen Entscheid kam die Vorinstanz zum Schluss, die Widerspruchsklage eines Gläubigers gegen einen im Ausland wohnhaften Drittansprecher sei im Anwendungsbereich des bis Ende 2010 gültigen und im vorliegenden Fall anwendbaren Lugano-Übereinkommens (aLugÜ) sowie des am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen, revidierten Lugano-Übereinkom­mens (LugÜ) nicht eine vollstreckungsrechtliche Klage. Demgemäss komme der ausschliessliche Gerichtsstand nach Art. 16 Nr. 5 aLugÜ und Art. 22 Nr. 5 LugÜ, wonach die Gerichte am Ort der Zwangsvollstreckung zur Behandlung von vollstreckungsrechtlichen Klagen zuständig seien, nicht zur Anwendung. Massgebend sei vielmehr der ordentliche Gerichtsstand nach Art. 2 aLugÜ und Art. 2 LugÜ. Dies habe zur Folge, dass der Gläubiger gegen einen in einem Vertragsstaat des Lugano Übereinkommens wohnhaften Drittansprecher an dessen Wohnsitz klagen müsse. Das Kantonsgericht sei daher zur Behandlung der Widerspruchsklage gegen die in Deutschland wohnhaften Beschwerdegegner örtlich nicht zuständig, weshalb darauf nicht eingetreten werden könne.

(...)

3.1 Nach Art. 108 Abs. 1 SchKG können Gläubiger und Schuldner gegen den Dritten auf Aberkennung seines Anspruchs klagen, wenn sich der Anspruch bezieht auf eine bewegliche Sache im Gewahrsam oder Mitgewahrsam des Dritten (Ziffer 1), auf eine Forderung oder ein anderes Recht, sofern die Berechtigung des Dritten wahrscheinlicher ist als diejenige des Schuldners (Ziffer 2) oder ein Grundstück, sofern er sich aus dem Grundbuch ergibt (Ziffer 3). Klagen nach Art. 108 Abs. 1 SchKG sind beim Gericht des Betreibungsortes einzureichen, sofern der Beklagte Wohnsitz im Ausland hat (Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG). Vorbehalten sind nach Art. 30a SchKG jedoch die völkerrechtlichen Verträge und die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das internationale Privatrecht (IPRG).

3.2 Nach Art. 2 Abs. 1 des vorliegend anwendbaren aLugÜ (Art. 69 Abs. 4 und 6 LugÜ; Kurt Siehr, in: Anton K. Schnyder [Hrsg.], Lugano-Übereinkommen zum internationalen Zivilverfahrensrecht, Zürich/St. Gallen 2011, Art. 63 N 2 u. Art. 69 N 5 f.) sind vorbehaltlich der Vorschriften dieses Übereinkommens Personen, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Staates zu verklagen. Der ordentliche Gerichtsstand im Wohnsitzstaat des Beklagten kommt indes nicht zum Tragen bei Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben. Diesfalls sind nach Art. 16 Nr. 5 aLugÜ ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ausschliesslich die Gerichte des Vertragsstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.

3.3 Damit ist zu prüfen, ob es sich bei der Widerspruchsklage des Gläubigers gegen den Drittansprecher nach Art. 108 Abs. 1 SchKG um eine vollstreckungsrechtliche Klage im Sinne von Art. 16 Nr. 5 aLugÜ handelt oder nicht. Nur falls dies zutrifft, ist das Kantonsgericht gestützt auf Art. 16 Nr. 5 aLugÜ i.V.m. Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 und Art. 30a SchKG zur Behandlung der Klage der Beschwerdeführerin zuständig.

4.1.1 In BGE 107 III 118 E. 2 hielt das Bundesgericht Folgendes fest: Im Widerspruchsverfahren zwischen dem betreibenden Gläubiger und dem Dritten, der das Eigentum an einem gepfändeten oder mit Arrest belegten Gegenstand beansprucht, wird einzig darüber entschieden, ob der betreffende Gegenstand in der laufenden Betreibung zugunsten des Gläubigers verwertet werden dürfe oder ob er aus der Pfändung bzw. dem Arrestbeschlag zu entlassen sei. Dementsprechend bildet der Widerspruchsprozess lediglich ein Zwischenverfahren in einer bestimmten Betreibung, auf welche sich seine Rechtskraftwirkung beschränkt. Diese enge Verknüpfung mit dem Zwangsvollstreckungsverfahren hat zur Folge, dass zur Beurteilung einer Widerspruchsklage nur der schweizerische Richter zuständig sein kann. Eine Zwangsvollstreckung in inländisches Vermögen kann nur von den schweizerischen Behörden vollzogen werden. Es ist daher ausgeschlossen, dass der schweizerische Betreibungsbeamte von einem ausländischen Richter Weisungen darüber entgegenzunehmen hätte, ob ein in der Schweiz liegendes Vermögensstück, das von einem Dritten zu Eigentum beansprucht wird, in einer bestimmten Betreibung zugunsten des betreibenden Gläubigers verwertet werden dürfe.

4.1.2 In einem späteren Entscheid vom 13. Mai 2002 (5C.315/2001 E. 3.a) bestätigte das Bundesgericht die Auffassung, dass das Widerspruchsverfahren der ausschliesslichen Kompetenz der schweizerischen Gerichtsbarkeit untersteht.

4.1.3 Während der erste Entscheid vor Inkrafttreten des aLugÜ erfolgte, kann dem zweiten Entscheid nicht entnommen werden, ob im fraglichen Fall das damals geltende aLugÜ anwendbar ist.

4.2.1 In der Lehre ist umstritten, ob die Widerspruchsklage des Gläubigers gegen den Drittansprecher vollstreckungsrechtlicher Natur ist. Für die Anwendbarkeit von Art. 16 Nr. 5 aLugÜ bzw. Art. 22 Nr. 5 LugÜ und damit für die Zuständigkeit des schweizerischen Richters gemäss Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG sind Adrian Staehelin (in: Staehelin/Bauer/Stahelin [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, 2. A., Basel 2010, Art. 109 N 16), Amonn/Walther (Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. A., Bern 2008, § 4 N 55 f.), Spühler/Gehri (Schuldbetreibungs- und Konkursrecht I, 4. A., Zürich 2008, S. 144), Brunner/Reutter (Kollokations- und Widerspruchsklagen nach SchKG, 2. A., Bern 2002, S. 113 f.), Isaak Meier (Internationales Zivilprozessrecht und Zwangsvollstreckungsrecht, 2. A., Zürich 2005, S. 178) und Ivo Schwander (Gerichtszuständigkeiten im Lugano-Übereinkommen, in: Ivo Schwander [Hrsg.], Das Lugano-Übereinkommen, St. Gallen 1990, S. 93). Demgegenüber sprechen sich folgende Autoren für die Zuständigkeit des ausländischen Wohnsitzrichters gemäss Art. 2 aLugÜ bzw. Art. 2 LugÜ aus: Andreas Güngerich (in: Oetiker/Weibel [Hrsg.], Basler Kommentar, Lugano-Übereinkommen, Basel 2011, Art. 22 N 84 f.), Laurent Killias (in: Anton K. Schnyder [Hrsg.], Lugano-Übereinkommen zum internationalen Zivilverfahrensrecht, a.a.O., Art. 22 Nr. 5 N 67 ff.), Matthias Staehelin (in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, a.a.O., Art. 30a N 16), Alexander R. Markus (in: Dasser/Oberhammer [Hrsg.], Kommentar zum Lugano-Überein­kommen, Bern 2008, Art. 16 Nr. 5 N 37), Gerhard Walter (Internationales Zivilprozessrecht der Schweiz, 4. A., Bern/Stuttgart/Wien 2007, S. 248), Daniel Staehelin (Die internationale Zuständigkeit der Schweiz im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, in: AJP 1995, S. 277) und Walter A. Stoffel (Ausschliessliche Gerichtsstände des Lugano-Überein­kommens und SchKG-Verfahren, insbesondere Rechtsöffnung, Widerspruchsklage und Arrest, in: Schwander/Stoffel [Hrsg.], Beiträge zum schweizerischen und internationalen Zivilprozessrecht, Festschrift für Oscar Vogel, Freiburg 1991, S. 388 f.).

4.2.2 Zur Begründung der letztgenannten Ansicht wird geltend gemacht, nach schweizerischer Dogmatik sei die Widerspruchsklage eines Gläubigers gegen einen Drittansprecher lediglich eine betreibungsrechtliche Streitigkeit mit Reflexwirkung auf das materielle Recht. Im Anwendungsbereich könne dieser dogmatische Unterschied aber nicht davon befreien, einen Gerichtsstand nach Art. 2 ff. LugÜ anzugehen. Der Dritte, der einen bei ihm befindlichen Vermögenswert für eine Zwangsvollstreckung zur Verfügung stellen müsse, verliere letztlich seine Berechtigung daran endgültig. Es sei daher sachgerecht, für solche Streitigkeiten einen Gerichtsstand im Sinne von Art. 2 ff. LugÜ zu fordern (Güngerich, a.a.O., Art. 22 N. 85).

4.3 Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Wegen des Territorialitätsprinzips ist bei körperlichen Gegenständen, die im Ausland liegen, der Pfändungsvollzug nicht möglich und wäre nichtig (André E. Lebrecht, in: Staehelin/Bauer/Staehelin, Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs I, a.a.O., Art. 89 N 24). Pfändbar sind damit nur Gegenstände, die sich trotz des ausländischen Wohnsitzes des Drittansprechers in der Schweiz befinden. Der vollstreckungsrechtliche Bezug ist damit gewahrt, unabhängig davon, ob man dem Umstand, dass es sich bei der Widerspruchsklage um eine betreibungsrechtliche Klage mit Reflexwirkung auf das materielle Recht handelt, Bedeutung zumessen will. Es ist dem Drittansprecher, der an einer in der Schweiz gelegenen Sache Gewahrsam oder Mitgewahrsam hat, daher auch durchaus zuzumuten, sich am schweizerischen Betreibungsort des Schuldners auf die gegen ihn vom Gläubiger angehobene Widerspruchsklage einzulassen. Hinzu kommt, dass keineswegs sichergestellt ist, dass der Widerspruchsprozess am ausländischen Wohnsitz des Drittansprechers durchgeführt werden kann, nachdem es sich bei der Widerspruchsklage um eine schweizerische Eigenart handelt, die den übrigen Vertragsstaaten des Lugano-Übereinkommens nicht bekannt sein dürfte. Damit bestünde die Gefahr, dass im Betreibungsverfahren nicht geklärt werden kann, ob der gepfändete Gegenstand der Verwertung zugeführt werden kann oder nicht. Der Ablauf des schweizerischen Vollstreckungsverfahren würde damit in Frage gestellt, was ebenfalls dafür spricht, die Klage des in einem Vertragsstaat des Lugano-Übereinkommens wohnhaften Drittansprechers gegen den Gläubiger als vollstreckungsrechtliche Klage im Sinne von Art. 16 Nr. 5 aLugÜ bzw. Art. 22 Nr. 5 LugÜ zu betrachten. Demgemäss muss auch die Klage des Gläubigers gegen den Drittansprecher mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat des Lugano-Übereinkommens, dessen Forderung oder ein anderes Recht bestritten wird (Art. 108 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG), vollstreckungsrechtlicher Natur sein. Diese Rechtsauffassung deckt sich im Übrigen mit derjenigen des Bundesgerichts in BGE 107 III 118 E. 2, welches den engen Konnex zwischen der Widerspruchsklage nach Art. 108 Abs. 1 SchKG und dem Zwangsvollstreckungsrecht betont hat.

5.1 Nach dem Gesagten steht fest, dass die Widerspruchsklagen des Gläubigers gegen den Drittansprecher nach Art. 108 Abs. 1 SchKG vollstreckungsrechtlicher Natur sind. Demgemäss ist das Kantonsgericht gestützt auf Art. 16 Nr. 5 aLugÜ i.V.m. Art. 109 Abs. 1 Ziff. 2 und Art. 30a SchKG zur Behandlung der Widerspruchsklage der Beschwerdeführerin gegen die Beschwerdegegner zuständig. Der Einzelrichter hat damit zu Unrecht seine örtliche Zuständigkeit verneint. In Gutheissung von Beschwerdeantrag Ziffer 1 Abs. 2 ist die vorinstanzliche Verfügung vom 18. August 2011 aufzuheben und der Einzelrichter anzuweisen, auf die Widerspruchsklage der Beschwerdeführerin gegen die Beschwerdegegner einzutreten. Soweit die Beschwerdeführerin in Beschwerdeantrag Ziffer 1 Abs. 1 darüber hinaus beantragt, es seien die Drittansprachen der Beschwerdegegner an den Pfandgegenständen Nrn. 3, 4. sowie 6 - 11 abzuerkennen, ist darauf nicht einzutreten. Abgesehen davon, dass der Pfandgegenstand Nr. 9 seitens der Beschwerdegegner gar nicht zu Eigentum beansprucht wird, war dieses Thema nicht Gegenstand der angefochtenen Verfügung. Vielmehr wird der Einzelrichter darüber zu entscheiden haben, nachdem seine örtliche Zuständigkeit bejaht wurde.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 29. März 2012

Auf eine dagegen erhobene Beschwerde in Zivilsachen der Beschwerdegegner 1 - 3 vom 15. Mai 2012 trat das Bundesgericht mit Urteil Nr. 5A_360/2012 vom 28. Januar 2013 nicht ein und wies deren Verfassungsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.

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