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Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO, Art. 260 Abs. 1 StPO

Art. 9 Abs. 1 StPO, Art. 325 StPO

Regeste:

Art. 9 Abs. 1 StPO, Art. 325 StPO – Anklagegrundsatz. Eine Einziehung oder die Festsetzung einer Ersatzforderung hängt nicht davon ab, ob sie von der Staatsanwaltschaft beantragt oder begründet worden ist. Vielmehr sind diese Massnahmen als Teil des schweizerischen Sanktionensystems zwingend anzuordnen, wenn die Voraussetzungen nach Art. 69 ff. StGB erfüllt sind und kein Ausnahmefall vorliegt. Zu beachten ist allerdings, dass den Betroffenen vorgängig das rechtliche Gehör einzuräumen ist.

Aus den Erwägungen:

(...)

II. (...)

1. Das Strafgericht sah in seinem Urteil vom 13. Juli 2011 davon ab, die Beschuldigten
- wie von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift beantragt - zur Bezahlung einer Ersatzforderung zu verpflichten (Urteilsspruch lit. A Ziff. 4 und lit. B Ziff. 4). Die Staatsanwaltschaft weist in der Berufungserklärung zutreffend darauf hin, dass demgegenüber der Antrag auf Festsetzung einer Ersatzforderung gegen die X. Inc. im Urteilsspruch nicht formell abgewiesen wurde. Das spielt indes keine Rolle, weil es sich hierbei um ein offenkundiges Versehen handelt. Denn aus den Erwägungen des angefochtenen Urteils geht ohne weiteres hervor, was die Vorinstanz hat aussprechen und anordnen wollen (vgl. SG GD 6/24 S. 33 f. E. IV). Für eine Rückweisung der Sache zur Ergänzung des Dispositivs besteht unter diesen Umständen kein Anlass.

2. Die Vorinstanz wies alle Anträge auf Festsetzung von Ersatzforderungen ab, weil die Staatsanwaltschaft diese einzig aus dem vorgeworfenen doppelten Bezug von Honoraren (Anklagesachverhalt Ziff. II C) begründet habe; von diesem Vorwurf seien die Beschuldigten freigesprochen worden, so dass insoweit eine Ersatzforderung ausser Betracht falle. Mit Bezug auf die Anklagesachverhalte Ziff. II B und D sei die Festsetzung einer Ersatzforderung weder beantragt, noch seien die entsprechenden Voraussetzungen dargelegt worden. Auf Grund des Anklageprinzips könne daher keine Ersatzforderung festgesetzt werden.

Die Staatsanwaltschaft wendet dagegen in ihrer Berufung ein, das Einziehungsverfahren unterliege nicht dem Anklageprinzip; deshalb hätte die Vorinstanz von Amtes wegen über die Festsetzung von Ersatzforderungen befinden müssen. Demgemäss beantragt die Staatsanwaltschaft im Hauptpunkt, es sei die X. Inc. zu verpflichten, dem Staat eine Ersatzforderung von CHF 80'000.00 zu bezahlen; eventualiter seien die Beschuldigten A. und B. zu einer Ersatzforderung von je CHF 40'000.00 zu verpflichten. Als strafrechtliche Anlasstat bezeichnet die Anklagebehörde nunmehr die im Anklagesachverhalt Ziff. II B geschilderte Kredit- bzw. Darlehensgewährung der Y. AG an die Z. AG vom 15. August 2003.

Die X. Inc. und die Beschuldigten beantragen, die Berufung der Staatsanwaltschaft sei unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Kantons Zug abzuweisen. Sie begründen ihren Standpunkt im Wesentlichen gleich wie die Vorinstanz.

3. Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind (Art. 9 Abs. 1 StPO). Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der angeschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (BGE 133 IV 235 E. 6.3 S. 245 mit Hinweisen).

Die Schweizerische Strafprozessordnung legt in Art. 325 StPO den Inhalt der Anklageschrift fest. Die sich aus dem Anklageprinzip ergebenden Anforderungen sind in den Buchstaben f und g dieser Bestimmung ausformuliert: Die Anklageschrift bezeichnet möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung sowie die nach Auffassung der Staatsanwaltschaft erfüllten Straftatbestände unter Angabe der anwendbaren Gesetzesbestimmungen. Die in Art. 326 StPO aufgeführten «Weitere(n) Angaben und Anträge» gehören nicht mehr zur eigentlichen Anklage und unterliegen demgemäss auch nicht dem Anklageprinzip und dessen Bindungswirkung (Nathan Landshut, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2010, N. 2 zu Art. 326 StPO; Niklaus Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 6 zu Art. 9 StPO und N. 2 zu Art. 326 StPO). Daraus folgt unter anderem, dass eine Einziehung oder die Festsetzung einer Ersatzforderung entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht davon abhängt, ob sie von der Staatsanwaltschaft beantragt und begründet worden ist. Vielmehr sind diese Massnahmen als Teil des schweizerischen Sanktionensystems (Dritter Titel des Strafgesetzbuches) zwingend anzuordnen, wenn die Voraussetzungen nach Art. 69 ff. StGB erfüllt sind und kein Ausnahmefall vorliegt (Niklaus Schmid, in: Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, 2. Auflage, Band I, Zürich 2007, N. 79 zu Art. 69, N. 11 und 98 zu Art. 70 - 72; Schwarzenegger/Hug/Jositsch, Zürcher Grundrisse des Strafrechts, Strafrecht II,
8. Aufl., 2007, S. 201). Zu beachten ist allerdings, dass den Betroffenen vorgängig das rechtliche Gehör einzuräumen ist (vgl. hierzu E. 4).

4. Der in Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie Art. 3 Abs. 2 StPO verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst u.a. das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern (BGE 132 II 485 E. 3.2; 127 I 54 E. 2b mit Hinweis; Urteil 6B_1076/2010 vom 21. Juni 2011 E. 5.2).

4.1 Wie bereits erwähnt, bezeichnet die Staatsanwaltschaft in ihrer Berufung als strafrechtliche Anlasstat nunmehr die im Anklagesachverhalt Ziff. II B geschilderte Kredit- bzw. Darlehensgewährung der Y. AG an die Z. AG vom 15. August 2003. Hinsichtlich dieses Tatvorwurfs teilte die Vorinstanz den Parteien einen Monat vor der Hauptverhandlung mit, sie behalte sich vor, den Sachverhalt auch unter dem Aspekt der qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung gemäss Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB zu würdigen (SG GD 1/11), nachdem die Staatsanwaltschaft nur eine Tatbegehung nach Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 StGB angeklagt hatte. Vor diesem Hintergrund musste der X. Inc. und den Beschuldigten eigentlich klar sein, dass neu eine unrechtmässige Bereicherung der X. Inc. und damit verbunden eine Vermögenseinziehung bzw. Ersatzforderung in Frage stand, auch wenn letzteres von der Vorinstanz nicht ausdrücklich gesagt wurde. In Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft hätte deshalb die Vorinstanz ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs eine solche Massnahme von Amtes wegen anordnen können.

4.2 Aber selbst wenn man dieser Argumentation nicht folgen wollte, müsste die Sache nicht zur Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Vorinstanz zurückgewiesen werden, wie die Staatsanwaltschaft subeventualiter beantragt. Zu berücksichtigen ist, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Verfahrensmängel im Rechtsmittelverfahren geheilt werden können, wenn die Rechtsmittelinstanz über dieselbe Kognition verfügt wie die erste Instanz und den Betroffenen daraus kein Nachteil erwächst. Ausgeschlossen ist die Heilung nur bei besonders schwerwiegenden Verletzungen der Parteirechte (BGE 133 I 201 E. 2.2 S. 204 f. mit Hinweis).

Gemäss Art. 398 Abs. 2 StPO kann das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil in allen angefochtenen Punkten umfassend überprüfen, so dass es insoweit über dieselbe Kognition wie die erste Instanz verfügt; eine Heilung von Verfahrensmängeln im Berufungsverfahren ist deshalb möglich. Im vorliegenden Fall wurde der X. Inc. und den Beschuldigten im Rahmen der Berufungsverhandlung Gelegenheit eingeräumt, zu den beantragten Ersatzforderungen Stellung zu nehmen, wovon sie auch Gebrauch machten. Damit wäre im Berufungsverfahren eine allfällige Gehörsverletzung geheilt worden. Festzuhalten bleibt denn auch, dass weder die X. Inc. noch die Beschuldigten eine Rückweisung verlangen, sollte die Berufung der Staatsanwaltschaft gutgeheissen werden. (...)

Obergericht, Strafabteilung, 20. Dezember 2012

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