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§ 82 VRG, Art. 73 Abs. 1 BVG

Regeste:

§ 82 VRG, Art. 73 Abs. 1 BVG: Bei Streitigkeiten aus Art. 73 Abs. 1 BVG ist das Verwaltungsgericht sachlich dann nicht zuständig, wenn es sich bei der am Streit beteiligten Personalfürsorgeeinrichtung um einen patronalen Wohlfahrtsfonds handelt. Die Abgrenzung beurteilt sich im Einzelfall nicht nach Verlautbarungen in den Jahresrechnungen, Jahres- und Revisionsberichten oder in der Korrespondenz, sondern nach dem reglementarisch oder statutarisch umschriebenen Stiftungszweck und der stiftungsrechtlich vorgesehenen Finanzierung der Stiftungsaufgaben.

Aus dem Sachverhalt:

Die Personalvorsorgestiftung X. mit Sitz in Zürich, welche die Vorsorge der Arbeitnehmer des Z.-Verbandes bezweckt, reichte am 18. November 2011 beim Verwaltungsgericht des Kantons Zug Klage gegen C.D. ein. Dieser gehörte von 1996 bis 2008 als Arbeitnehmervertreter dem vierköpfigen Stiftungsrat der X. an. Im gleichen Zeitraum amtete er auch als Geschäftsführer des Z.-Verbandes. In ihrer Klage machte die Stiftung eine Geldforderung gegen C.D. geltend. Sie begründete diese im Wesentlichen damit, dass die von der Stiftung im Zeitraum 2002 bis 2007 geleisteten Zahlungen zu Gunsten des Vorsorgeguthabens des Beklagten ohne Rechtsgrund erfolgt seien. Dadurch sei der X. ein Schaden entstanden. Die Schäden würden auf die Geschäftsführungsmängel durch den Stiftungsrat der Klägerin zurückgehen, für welche der Beklagte in allererster Linie verantwortlich gewesen sei. C.D. beantragte Abweisung der Klage, soweit überhaupt darauf einzutreten sei.

Aus den Erwägungen:

1. Der Beklagte hat die Frage aufgeworfen, ob überhaupt das Verwaltungsgericht des Kantons Zug und nicht eher die Zivilgerichte für die vorliegende Klage zuständig seien. Dies mit der Begründung, die Klägerin sei eine rein patronale Fürsorge-Stiftung, welche ausschliesslich durch Zuwendungen der Stiftungsfirma finanziert werde. Die Klägerin habe auch in keinem Fall direkt die Risiken Alter, Tod oder Invalidität der Mitarbeiter versichert; diese erfolge einzig über die Pensionskassenlösung, welche der Z.-Verband bei der B. Versicherung abgeschlossen habe. Die Klägerin habe den Mitarbeitern einzig beim Aufbau von Altersguthaben geholfen.

1.1 Gemäss Art. 73 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hin­ter­las­senen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (BVG, SR 831.40) bezeichnet jeder Kanton ein Ge­richt, das als letzte kantonale Instanz über Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet. Dieses Gericht entscheidet auch über Verantwortlichkeitsansprüche nach Artikel 52 BVG (vgl. Art. 73 Abs. 1 lit. c BVG). Nach § 82 des Verwal­tungs­rechts­pflegegesetzes vom 1. April 1976 (VRG, BGS 162.1) beurteilt das Verwaltungsgericht als einzige kantonale Instanz Klagen aus dem Gebiet der eidgenössischen Sozialversicherung, für de­ren Beurteilung das Bundesrecht eine einzige kantonale Gerichtsbehörde vorschreibt. Die kantonalen Berufsvorsorgegerichte sind hingegen nicht zuständig für Streitigkeiten mit sog. patronalen Wohlfahrtsstiftungen, welche reine Ermessensleistungen, das heisst keine rechtsverbindlichen Leistungen ausrichten und sich ohne Beiträge der Destinatäre finanzieren (vgl. auch Meyer Ulrich, Der Einfluss des BGG auf die Sozialrechtspflege, SZS 2007, S. 231 f.; Riemer Hans Michael, Die patronalen Wohlfahrtsfonds nach der 1. BVG-Revision, SZS 2007, S. 553 f.). Die Frage, ob eine Personalfürsorgestiftung ein patronaler Wohlfahrtsfonds oder eine Vorsorgeeinrichtung im Sinne von Art. 73 Abs. 1 BVG ist, beurteilt sich nicht nach den dazu von den Stiftungsorganen oder den Revisoren in den Jahresrechnungen, Jahres- und Revisionsberichten oder korrespondenzweise abgegebenen Verlautbarungen, sondern nach dem reglementarisch oder statutarisch umschriebenen Stiftungszweck und der stiftungsrechtlich vorgesehenen Finanzierung der Stiftungsaufgaben (BGer 9C_193/2008 vom 2. Juli 2008, Erw. 3.2).

1.2 Die für die Klärung der hier interessierenden Rechtsfrage massgeblichen Bestimmungen der Stiftungsurkunde der Klägerin vom 10. November 1992, mit Änderung vom 16. März 1993, lauten wie folgt:

«Art. 2 Zweck
Der Zweck der Stiftung besteht in der Vorsorge zugunsten der Arbeitnehmer des Z.-Ver­ban­des sowie deren Hinterbliebenen gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität und Tod, sowie in der Unterstützung des Vorsorgenehmers oder seiner Hinterlassenen in Notlagen wie bei Krankheit, Unfall, Invalidität, Arbeitslosigkeit. (...)

Art. 3 Reglemente
Der Stiftungsrat kann über die Stiftungsorganisation und die Durchführung des Stiftungszweckes, insbesondere über Art und Umfang der Vorsorgeleistungen, ein oder mehrere Reglemente erlassen. Solche Reglemente können vom Stiftungsrat unter Wahrung der erworbenen Rechtsansprüche der Destinatäre geändert werden. (...)

Art. 4 Vermögen
Der Z.-Verband widmet der Stiftung ein Anfangskapital von Fr. 100'000.–.
Das Stiftungsvermögen wird geäufnet durch reglementarische Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge, freiwillige Zuwendungen von Arbeitgeber und Dritten sowie durch allfällige Überschüsse aus Versicherungsverträgen und durch die Erträgnisse des Stiftungsvermögens.

Aus dem Stiftungsvermögen dürfen ausser zu Vorsorgezwecken keine Leistungen entrichtet werden, zu denen der Z.-Verband rechtlich verpflichtet ist oder die sie als Entgelt für geleistete Dienste üblicherweise entrichtet (z.B. Familien- und Kinderzulagen, Gratifikationen usw.).

Das Stiftungsvermögen ist unter Beachtung von Art. 89bis Abs. 4 ZGB und aufsichtsbehördlichen Anlagevorschriften nach anerkannten Grundsätzen zu verwalten.
(...)

Art. 7 Kontrolle
Der Stiftungsrat beauftragt eine Kontrollstelle für die jährliche Prüfung der Geschäftsführung, des Rechnungswesens und der Vermögensanlage (Art. 89bis Abs. 6 ZGB in Verbindung mit Art. 53 Abs. 1 BVG).
(...)

Art. 8 Änderungen
(...)
Die Stiftung darf (...) der Personalvorsorge nicht entfremdet werden.

Art. 9 Liquidation und Fusion
(...)
Ein Rückfall von Stiftungsmitteln an den Z.-Verband oder dessen Rechtsnachfolger sowie eine andere Verwendung als zu Zwecken der Personalvorsorge sind ausgeschlossen.
(...)»

1.3 Zunächst ist festzuhalten, dass die Klägerin nicht bezweckt, Vorsorgeleistungen im Rahmen der obligatorischen Versicherung gemäss BVG zu erbringen (vgl. Art. 48 Abs. 1 BVG). Es handelt sich somit um eine so genannte nicht registrierte Stiftung (vgl. mit Riemer Hans Michael / Riemer-Kafka Gabriela: Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, 2. A., Bern 2006, § 2, N. 30 f.). Die Klägerin und die Kontrollstelle der Klägerin bezeichnen diese Stiftung in verschiedenen Unterlagen zwar als patronale Vorsorgestiftung. Doch aus den hier auszugsweise wiedergegebenen Art. 2, 3, 4, 7, 8 und 9 der Stiftungsurkunde der Klägerin geht unmissverständlich hervor, dass der Stiftungszweck in der Vorsorge liegt, das Stiftungsvermögen durch reglementarische Arbeitnehmerbeiträge zumindest geäufnet werden könnte und das Stiftungsvermögen ausschliesslich zum Zwecke der Berufsvorsorge verwendet werden darf. Nach der Rechtsprechung ist das entscheidende Abgrenzungskriterium einer Versicherungseinrichtung von einem patronalen Wohlfahrtsfonds bei dieser Ausgangslage der Umstand, ob die Einrichtung den Destinatären Rechtsansprüche auf (Versicherungs-) Leistungen bei Eintritt versicherter Risiken gewährt oder ob sie bloss Leistungen ohne festen Plan nach Ermessen der Stiftungsverwaltung erbringt (vgl. BGE 117 V 214, Erw. 1b). Aus Art. 3 der Stiftungsurkunde der Klägerin geht hervor, dass für die Durchführung des Stiftungszweckes vorgesehen ist, Reglemente zu erlassen, in denen den Destinatären rechtsverbindliche Vorsorgeansprüche eingeräumt werden sollen. Ein derartiges Reglement hat die Klägerin indessen im hier interessierenden Zeitraum nicht erlassen. Das Bundesgericht hat in einem Fall aus dem Jahr 2008, in welchem, wie hier, das entsprechende Reglement noch nicht existiert, festgehalten, dass auch in dieser Situation Personalfürsorgestiftungen bereits das entscheidende Kriterium erfüllen würden, um sie als nicht registrierte Personalfürsorgestiftungen im Sinne von Art. 89bis Abs. 6 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB, SR 210) einzustufen (BGer 9C_193/2008 vom 2. Juli 2008, Erw. 3.2). Im gleichen Entscheid hielt das höchste Gericht fest, dass auch der Umstand, dass Finanzierungsbeiträge der Arbeitnehmer statutarisch vorgesehen seien, typisch für eine Personalfürsorgestiftung mit Versicherungscharakter sei. Der Stiftungsurkunde der Klägerin kann in Artikel 4 entnommen werden, dass sie ebenfalls Finanzierungsbeiträge der Arbeitnehmer vorgesehen hat, was vorliegend somit auch gegen die Einstufung als patronale Wohlfahrtsstiftung spricht. Dazu kommen schliesslich die statutarischen Verweise auf die aufsichtsbehördlichen Anlagevorschriften sowie auf den im Gründungsjahr geltenden Art. 89bis Abs. 4 ZGB. Die Bestimmung lautete damals wie folgt: «Das Stiftungsvermögen darf in der Regel in dem den Beiträgen der Arbeitnehmer entsprechenden Verhältnis nicht in einer Forderung gegen den Arbeitgeber bestehen, es sei denn, sie werde sichergestellt» (vgl. BBl 1967 II 241, 465). Auch die beiden Verweise sprechen dafür, die Klägerin den zwingenden ZGB-Bestimmungen in Art. 89bis Abs. 6 Ziff. 1 – 23 ZGB für nicht registrierte Personalvorsorgeeinrichtungen zu unterstellen, deren Sinn und Zweck es unter anderem ist, das Vorsorgevermögen und die Rechte der Versicherten auch im Verhältnis zur Stifterfirma zu schützen (vgl. BGer 9C_193/2008 vom 2. Juli 2008, Erw. 3.2). Dass die Klägerin und die Kontrollstelle der Klägerin die Stiftung in verschiedenen Unterlagen als patronale Vorsorgestiftung bezeichnen, ist bei diesem Ergebnis somit irrelevant.

1.4 Die Klägerin ist damit keine rein patronale, sondern eine nicht registrierte Personalvorsorgestiftung im Sinne von Art. 89bis Abs. 6 ZGB, deren Organe verantwortlichkeitsrechtlich nach Art. 52 BVG für Bestand und Erhalt des Stiftungsvermögens haften (Art. 89bis Abs. 6 Ziff. 6 ZGB). Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug ist daher für die vorliegende Klage sachlich zuständig (Art. 73 Abs. 1 lit. c BVG in Verbindung mit Art. 89bis Abs. 6 Ziff. 6 und Ziff. 19 ZGB). Das Verwaltungsgericht ist zudem örtlich zur Beurteilung der vorliegenden Klage zuständig, da der Beklagte, ehemaliger Stiftungsrat der Klägerin, im Kanton Zug wohnt (Art. 73 Abs. 3 BVG). Des Weiteren entspricht die am 18. November 2011 eingereichte Klage den formellen Anforderungen, weshalb sie zu prüfen ist.

(...)

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. April 2012 S 2011 147

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