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Gerichtspraxis

Staats- und Verwaltungsrecht

Verfahrensrecht

§ 14 f. VRG, Art. 183 ff. ZPO, § 63 VRG

Regeste:

§ 14 f. VRG, Art. 183 ff. ZPO, § 63 VRG - Die Bestellung eines  Gutachters ohne vorgängige Information und ohne vorgängige Mitwirkung der am Verfahren beteiligten Parteien verletzt deren rechtliches Gehör. Eine Heilung der Gehörsverletzung ist möglich, wenn der Beschwerdeinstanz die gleiche Überprüfungsbefugnis wie der Vorinstanz zusteht. In casu ist eine Heilung nicht möglich, da dem Verwaltungsgericht bei der Überprüfung von Entscheiden des Regierungsrates nur die Rechts- und keine Ermessenkontrolle zusteht.

Wir sind aktuell in einer Sitzung

Aus dem Sachverhalt:

Am 6. November 2010 reichte die X. AG beim Amt für Feuerschutz des Kantons Zug ein Gesuch um Zusatznutzung der Y. Halle zur Durchführung einer Fernsehproduktion ein. Mit Verfügung vom 19. Januar 2011 genehmigte das Amt für Feuerschutz das Gesuch unter Auflagen. Gegen diese Verfügung reichte die X. AG am 14. Februar 2011 beim Regierungsrat Beschwerde ein. Nach Einholung einer Vernehmlassung beim Amt für Feuerschutz, welche am 15. April 2011 erstattet wurde, lud die zuständige Direktion am 3. Mai 2011 auf den 9. Juni 2011 zu einer Augenscheinverhandlung. Gemäss der Aktennotiz zum Augenschein vom 9. Juni 2011 nahmen eine Vertretung der Direktion, Vertreter der X. AG, Vertreter des Amtes für Feuerschutz sowie ein von der Direktion als Gutachter beigezogener Fachexperte teil. Mit Schreiben vom 14. Juni 2011 stellte die Direktion dem Rechtsvertreter der X. AG die Aktennotiz des Augenscheins zu und informierte ihn darüber, welche Fragen man an den Gutachter gerichtet habe. Gleichzeitig wurde dem Rechtsvertreter Gelegenheit gegeben, Ergänzungsfragen zu stellen. Mit Schreiben vom 30. Juni 2011 liess die X. AG beantragen, der in der Verfügung vom 14. Juni 2011 vorgeschlagene Gutachter Prof. Dr. Johannes Müller sei nicht als Sachverständiger zu benennen. Stattdessen sei Fritz Meier als Sachverständiger zu bestellen. Zudem stellte die X. AG Ergänzungsfragen. Am 4. Juli 2011 stellte die Direktion dem Experten die Ergänzungsfragen zu. Mit Eingabe vom 9. September 2011 liess die X. AG beantragen, das Gutachten vom 9. Juni 2011 und die vorläufige Stellungnahme zu den Zusatzfragen seien aus dem Recht zu weisen. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 lehnte der Regierungsrat das Ausstandsbegehren gegen Prof. Dr. Johannes Müller und das Gesuch um Bestellung von Fritz Meier als Gutachter ab.

Gegen diesen Beschluss liess die X. AG am 18. Januar 2012 beim Verwaltungsgericht Beschwerde einreichen und beantragen, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben, das Gutachten vom 9. Juni 2011 und die vorläufige Stellungnahme zu den Zusatzfragen seien aus dem Recht zu weisen, Prof. Dr. Johannes Müller sei nicht als Sachverständiger zu benennen, als Sachverständiger sei Fritz Meier zu bestellen und der Regierungsrat sei anzuweisen, ihn mit der Erstellung eines neuen Gutachtens zur Zusatznutzung der Y. Halle zu beauftragen. Weiter sei der Regierungsrat anzuweisen, der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Einreichung von Ergänzungsfragen zu geben, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Amtes für Feuerschutz. Mit Vernehmlassung vom 19. März 2012 lässt der Regierungsrat die Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge zu Lasten der Beschwerdeführerin beantragen.

Aus den Erwägungen:

3. c) Gemäss den Bestimmungen von § 14 VRG in Verbindung mit den Art. 183 ff. ZPO sind in einem Rechtsmittelverfahren die am Verfahren beteiligten Parteien vor der Bestellung einer sachverständigen Person als Gutachter über die von der verfahrensleitenden Behörde in Aussicht genommene Person zu informieren. Es ist den Parteien eine Frist anzusetzen, innert der sie sich zu der Person des vorgeschlagenen Gutachters und zu dem vorgesehenen Fragenkatalog äussern und Änderungs- und/oder Ergänzungsanträge stellen können. Eine vorgängige Beauftragung eines Gutachters widerspricht dem Wortlaut und dem Sinn der verfahrensrechtlichen Bestimmungen von VRG und ZPO. Die im VRG in Verbindung mit der ZPO vorgesehene Regelung geht deutlich weiter, als die in Art. 29 Abs. 2 BV vorgesehene Minimalgarantie, gemäss der es genügen würde, den Parteien nach der Erstellung des Gutachtens Gelegenheit zur Stellungnahme und zum Stellen von Ergänzungsfragen zu geben (BGE 119 Ia 262). Ein Gutachtensauftrag darf auch erst erteilt werden, wenn bei entsprechenden Anträgen in einem selbständigen Zwischenentscheid darüber befunden wurde, dass gegen den Gutachter keine Ausstandsgründe vorliegen. Andernfalls erleiden die beteiligten Parteien einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil. Es ist verfahrensrechtlich unsinnig, einen Gutachter zu bestellen, diesen mit der Erstellung des Gutachtens zu beauftragen, das Gutachten erstellen zu lassen und anschliessend erst die Parteien miteinzubeziehen, damit diese Ausstandsgründe geltend machen können.

d) Im vorliegenden Fall hat der Regierungsrat am 3. Mai 2011 auf den 9. Juni 2011 eine Augenscheinverhandlung angesetzt. Aus der Liste der Eingeladenen konnten die Parteien entnehmen, dass auch Prof. Johannes Müller zu dem Augenschein eingeladen war. Mit keinem Wort wurde aber erwähnt, dass vom Regierungsrat vorgesehen sei, Prof. Müller mit einem Gutachten zu beauftragen. Ebenfalls am 3. Mai 2011 schrieb der Regierungsrat an Prof. Müller, dass man von ihm eine fachlich fundierte Analyse zur Verfügung des Amtes für Feuerschutz und zur Verwaltungsbeschwerde wünsche. Die Parteien erhielten keine Kopie dieses Schreibens. Am 24. Mai 2011 stellte der Regierungsrat Prof. Müller den Auftrag über die Erstellung eines Gutachtens betreffend Zusatznutzung der Y. Halle zu. Auch von dieser Auftragserteilung hatten die Parteien keine Kenntnis. Am 9. Juni 2011 fand der Augenschein statt. Aus der Aktennotiz des Augenscheins ergibt sich, dass die Parteien darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass Prof. Müller als Gutachter amten werde. Hingegen wurden die Parteien nicht darüber informiert, dass Prof. Müller bereits als Gutachter beauftragt worden sei. Ebenfalls hatten die Parteien keine Kenntnis davon, dass das Gutachten schon am gleichen Tag erstattet wurde. Aus der Honorarrechnung von Prof. Müller ergibt sich, dass das Gutachten - dem Auftrag gemäss - eigentlich schon am 6. Juni 2011 fertig erstellt war und am 9. Juni 2011 nur noch minimal bereinigt wurde. Bis zum 5. September 2011 hatte die Beschwerdeführerin keine Kenntnis davon, dass der Regierungsrat den Gutachter bereits im Mai 2011 mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt hatte. Sie hatte keine Möglichkeit, sich vor der Auftragserteilung zu der Person des Gutachters zu äussern und allfällige Einwände und Ausstandsgründe geltend zu machen. Ebenfalls wurde ihr keine Möglichkeit geboten, sich vorgängig zu der Fragestellung zu äussern und Änderungs- oder Ergänzungsanträge zu stellen. Mit diesem Vorgehen hat der Regierungsrat gegen die Verfahrensbestimmungen von § 14 VRG und vor allem gegen die Regeln von Art. 183 ff. ZPO verstossen. Dieses Vorgehen beinhaltet eine schwere Verletzung des rechtlichen Gehörs und es ist zu prüfen, ob diese Verletzung im vorliegenden Verfahren geheilt werden kann.

e) Kommt eine Rechtsmittelbehörde zum Ergebnis, dass die angefochtene Anordnung das rechtliche Gehör verletzt, so ist sie aufgrund der formellen Natur des Anspruchs verpflichtet, die entsprechende Anordnung in jedem Fall aufzuheben. Ungeachtet dessen geht die bundesgerichtliche Praxis davon aus, dass eine Heilung von Gehörsverletzungen möglich ist (Kölz/Bosshart/Röhl, Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, § 8 N 48 mit Verweis auf die Praxis des Bundesgerichts). Eine Heilung ist aber in jedem Fall nur möglich, wenn die unterlassene Gehörsgewährung in einem Rechtsmittelverfahren nachgeholt werden kann, in dem der Rechtsmittelbehörde die gleiche Überprüfungsbefugnis wie der Vorinstanz zukommt. Dies ist im vorliegenden Fall nicht möglich, da das Verwaltungsgericht Entscheide des Regierungsrates nur auf Rechtsfehler überprüfen darf (§ 63 VRG), während beim Regierungsrat im Rechtsmittelverfahren alle Mängel des Verfahrens und des angefochtenen Entscheides gerügt werden können (§ 42 Abs. 1 VRG). Eine Heilung ist deshalb in diesem Verfahren ausgeschlossen. Zu beachten ist in diesem Verfahren noch die folgende Besonderheit: Die Heilung der Gehörsverletzung wird im Allgemeinen mit verfahrensökonomischen Überlegungen gerechtfertigt. In der Rückweisung einer Sache zur Gewährung des rechtlichen Gehörs wird vielfach nur ein formalistischer Leerlauf erblickt, der zu einer unnötigen Verlängerung des Verfahrens führt. Hier haben wir es nicht mit einer solchen Konstellation zu tun, denn die Beschwerdeführerin verlangt ausdrücklich, dass das Verfahren von Anfang an neu aufgerollt wird und dass insbesondere ein anderer Gutachter bestellt wird, weil sie davon ausgeht, dass gegen den vom Regierungsrat beauftragten Gutachter Ausstandsgründe bestehen. Wir haben es somit nicht mit einem formalistischen Leerlauf zu tun, wenn der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an den Regierungsrat zurückgewiesen wird.

(...)

5. Zusammenfassend wird festgestellt, dass der Regierungsrat mit der Auftragserteilung an den Gutachter ohne vorgängige Information und ohne vorgängige Mitwirkung der am Verfahren beteiligten Parteien das rechtliche Gehör in einer Weise verletzt hat, dass dies nicht ohne Aufhebung des angefochtenen Entscheides geheilt werden kann.

Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Mai 2012 V 2012 / 10

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