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Art. 197 Abs. 1, 382 Abs. 1 und 393 Abs. 1 lit. a StPO

Regeste:

Art. 197 Abs. 1, Art. 382 Abs. 1, Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO – Hausdurchsuchung und Entsiegelungsverfahren.

Das Beschwerdeverfahren steht nicht zur Verfügung für die Anfechtung der Hausdurchsuchung und der damit verbundenen Sicherstellung von Unterlagen, falls vom Beschuldigten geltend gemacht wird, die Voraussetzungen zur Hausdurchsuchung und zur Beschlagnahme der an der Hausdurchsuchung sichergestellten Gegenstände seien nicht erfüllt. Vielmehr sind diese Fragen im Entsiegelungsverfahren zu klären, sofern der Beschuldigte ein Siegelungsgesuch gestellt hat (E. 1–2).

Der juristische Laie ist bei der Hausdurchsuchung darüber in Kenntnis zu setzen, dass nach erfolgter Siegelung (und auf allfälliges Entsiegelungsgesuch der Untersuchungsbehörde hin) der Entsiegelungsrichter über die Zulässigkeit der Durchsuchung entscheidet, und dass der Betroffene mangels sofortigen Siegelungsgesuches den genannten Rechtsschutz verwirkt bzw. mit der Durchsuchung rechnen muss. Falls eine solche rechtzeitige Information seitens der Untersuchungsbehörde versäumt wurde, muss dem betroffenen Laien grundsätzlich das Recht zustehen, die Siegelung auch noch nachträglich zu verlangen (E. 3).

Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 197 Abs. 1 StPO können Zwangsmassnahmen – wozu die Hausdurchsuchung zählt – nur ergriffen werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind (lit. a), ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahmen rechtfertigt (lit. d).

2.1 Nach Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO ist die Beschwerde zulässig gegen die Verfügungen und die Verfahrenshandlungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Übertretungsstrafbehörden. Die Hausdurchsuchung ist eine Verfahrenshandlung im Sinne von Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO der Polizei oder der Staatsanwaltschaft und unterliegt als solche grundsätzlich der Beschwerde nach Art. 393 ff. StPO (Keller, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 244 StGB N 14). Art. 382 StPO, der mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft die Rechtsmittellegitimation für alle anderen Parteien regelt, sieht in Abs. 1 allerdings vor, dass ein rechtlich geschütztes Interesse (sog. Beschwer) an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids vorliegen muss. Die Betroffenheit muss in der Regel eine aktuelle sein. Vorbehalten bleiben Fälle, in denen es nie zu einer Beurteilung käme (Ziegler, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Basel 2011, Art. 382 StGB N 2). Es stellt sich daher die Frage, ob beim Beschuldigten, der die Zulässigkeit der in seinen Räumlichkeiten erfolgten Hausdurchsuchung bestreitet und die Siegelung der sichergestellten Unterlagen verlangt hat, ein aktuelles Rechtschutzinteresse gegeben ist, nachdem gemäss Art. 248 StPO im Entsiegelungsverfahren über die Zulässigkeit der Beschlagnahme der sichergestellten Unterlagen zu befinden ist.

2.2 Nach dem Bundesgericht (Urteil vom 26. März 2012, 1B_117/2012 E. 3.2 f.) ist die Siegelung ein besonderes Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Durchsuchungen, das (in seinem Anwendungsbereich) anderen Rechtsbehelfen vorgeht bzw. diese ausschliesst. Dementsprechend verweist Art. 264 Abs. 3 StPO auf die Vorschriften über die Siegelung, soweit eine berechtigte Person geltend macht, eine Beschlagnahme sei wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht zulässig, d.h. Einwände gemäss Art. 248 Abs. 1 StPO erhebt. Fraglich ist jedoch, was «andere Gründe» im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO und Art. 264 Abs. 3 StPO sind. Unstreitig ist, dass das Zwangsmassnahmengericht im Entsiegelungsverfahren prüfen muss, ob die allgemeinen Voraussetzungen für eine Durchsuchung gegeben sind, namentlich ob ein konkreter Tatverdacht vorliegt. Auch ist es verpflichtet, die Untersuchungsrelevanz der zur Beweissicherung beschlagnahmten und versiegelten Dokumente und Dateien zu prüfen. Dann aber muss es dem Berechtigten auch gestattet werden, entsprechende Einwände im Entsiegelungsverfahren zu erheben, und deshalb eine Siegelung der Dokumente und Dateien zu verlangen. Aus prozessökonomischen Gründen und zur Vermeidung von Doppelspurigkeiten und Abgrenzungsproblemen erscheint es sinnvoll, den Anwendungsbereich des Siegelungsverfahrens weit zu fassen und sämtliche Einwände gegen die Durchsuchung im Entsiegelungsverfahren zu prüfen, sofern es dem Berechtigten im Ergebnis darum geht, die Einsichtnahme der Staatsanwaltschaft in die sichergestellten Unterlagen und deren Verwertung zu verhindern. In allen diesen Fällen gewährleistet das Siegelungsverfahren einen adäquaten Rechtsschutz und eine schnelle Klärung der Rechtslage.

Das Bundesgericht gelangte daher im fraglichen Entscheid zum Schluss, dass im Beschwerdeverfahren gegen die Anordnung der Durchsuchung der sichergestellten Datenträger der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Einwand an sich nicht hätte beurteilt werden sollen, sondern es Aufgabe des Zwangsmassnahmengerichts gewesen wäre, darüber im Entsiegelungsverfahren zu entscheiden.

2.3 Daraus folgt, dass das Beschwerdeverfahren auch nicht zur Verfügung steht für die Anfechtung der Hausdurchsuchung und der damit verbundenen Sicherstellung von Unterlagen, falls vom Beschuldigten geltend gemacht wird, die Voraussetzungen zur Hausdurchsuchung und zur Beschlagnahme der an der Hausdurchsuchung sichergestellten Gegenstände seien nicht erfüllt. Vielmehr sind diese Fragen im Entsiegelungsverfahren zu klären, sofern der Beschuldigte ein Siegelungsgesuch gestellt hat.

2.4.1 Diese Schlussfolgerung steht auch im Einklang mit einem weiteren Entscheid des Bundesgerichts (Urteil vom 22. August 2012, 1B_310/2012 E. 2). Gemäss diesem Entscheid liegt es in der Natur der Sache, dass Zwangsmassnahmen – hier zwei Hausdurchsuchungsbefehle – stets nur im Nachhinein gerichtlich überprüft werden können, weil die Betroffenen erst mit dem Vollzug von ihrer Existenz Kenntnis erlangen und die Eingriffe zunächst zu erdulden haben. Demgegenüber steht den Betroffenen im weiteren Verfahren voller gerichtlicher Rechtsschutz zu. Belegen die Strafbehörden wie hier im Sinn einer provisorischen Zwangsmassnahme zur Beweissicherung Gegenstände und Unterlagen mit Beschlag, können sie deren Siegelung verlangen (Art. 248 Abs. 1 StPO). Findet sich die Strafbehörde damit nicht ab, kann sie beim Zwangsmassnahmengericht deren Entsiegelung verlangen (Art. 248 Abs. 2 und 3 lit. a StPO). In diesem Entsiegelungsverfahren können die Betroffenen auch die Rechtmässigkeit der Hausdurchsuchungsbefehle bestreiten, da es jedenfalls in der Regel unzulässig wäre, rechtswidrig erlangte Beweismittel ins Strafverfahren einzuführen (vgl. Art. 139–141 StPO). Sind die Beschwerdeführer somit befugt, die Rechtmässigkeit der Hausdurchsuchungen in den (zurzeit sistierten) Entsiegelungsverfahren zu bestreiten, droht ihnen offensichtlich kein nicht wieder gutzumachender Nachtteil rechtlicher Natur, wenn sich das Bundesgericht nicht bereits vor deren Durchführung mit dieser Frage befasst. Die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG für ein Eintreten auf die Beschwerde sind nicht erfüllt.

2.4.2 Angesichts dessen, dass einem Beschuldigten, der die Rechtsmässigkeit einer Hausdurchsuchung und die dabei erfolgte Sicherstellung von Unterlagen bestreitet, gemäss den Ausführungen des Bundesgerichts im Siegelungsverfahren voller gerichtlicher Rechtsschutz zusteht, fehlt es für eine Beschwerde nicht nur an einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG. Vielmehr ist der Beschuldigte in diesem Fall mangels eines aktuellen Rechtschutzinteresses gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO auch nicht befugt, die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Hausdurchsuchung und Sicherstellung der Unterlagen bei der Beschwerdeabteilung des Obergerichts anzufechten. Auf eine solche Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden.

3.1 Im vorliegenden Fall bestreitet der Beschwerdeführer die Zulässigkeit der Hausdurchsuchung und der Beschlagnahme der sichergestellten Gegenstände. Dafür steht nach dem Ausgeführten das Entsiegelungsverfahren zur Verfügung. Indes hat der Beschwerdeführer an der Hausdurchsuchung vom 29. August 2012 gemäss dem Durchsuchungs- und Untersuchungsprotokoll auf eine Siegelung der sichergestellten Gegenstände verzichtet, nachdem er von der Staatsanwältin auf dieses Recht aufmerksam gemacht worden war. Es stellt sich daher die Frage, ob die am folgenden Tag von seinem Rechtsvertreter verlangte Siegelung als verspätet zurückzuweisen ist und die vom Beschwerdeführer in der Beschwerde geltend gemachten Rügen gleichwohl in diesem Verfahren zu behandeln sind.

3.2 Im Bundesgerichtsentscheid vom 6. November 2012 (1B_309/2012 E. 5.3 f.) befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, inwiefern nach erfolgter Hausdurchsuchung und Sicherstellung von Unterlagen noch eine Siegelung derselben verlangt werden kann. Gemäss dem Bundesgericht sieht das Gesetz nicht vor, dass der betroffene Inhaber von Gegenständen und Aufzeichnungen, der bei einer Hausdurchsuchung und Sicherstellung Geheimnisschutzrechte geltend machen will, ein förmliches Siegelungsgesuch stellen müsste. Die Siegelung hat zu erfolgen, wenn der Betroffene Geheimnisrechte geltend macht, die seiner Ansicht nach einer Durchsuchung entgegenstehen. Damit ein betroffener juristischer Laie aber den gesetzlichen Rechtsschutz überhaupt wahrnehmen kann, muss er darüber ausreichend und rechtzeitig informiert worden sein. Das bedeutet, dass die Untersuchungsbehörde, wenn sie Gegenstände und Aufzeichnungen vorläufig sicherstellt, den betroffenen Laien anlässlich der Hausdurchsuchung darüber zu informieren hat, dass er, falls er Geheimnisrechte geltend machen möchte, die einer Durchsuchung bzw. Beschlagnahme von vorläufig sichergestellten Gegenständen und Aufzeichnungen entgegenstehen könnten, deren Siegelung verlangen kann. Diese Information kann mit der Befragung des Betroffenen über den Inhalt der sichergestellten Dokumente und Datenträger (welche gemäss Art. 247 Abs. 1 StPO vor deren Durchsuchung zu erfolgen hat) verbunden werden. Ebenso ist der Laie darüber in Kenntnis zu setzen, dass nach erfolgter Siegelung (und auf allfälliges Entsiegelungsgesuch der Untersuchungsbehörde hin) der Entsiegelungsrichter über die Zulässigkeit der Durchsuchung entscheidet, und dass der Betroffene mangels sofortigen Siegelungsgesuches den genannten Rechtsschutz verwirkt bzw. mit der Durchsuchung rechnen muss. Falls eine solche rechtzeitige Information seitens der Untersuchungsbehörde versäumt wurde, muss dem betroffenen Laien grundsätzlich das Recht zustehen, die Siegelung auch noch nachträglich zu verlangen.

3.3.1 Gemäss dem an der Hausdurchsuchung erstellten Durchsuchungs- und Untersuchungsprotokoll erklärte die Staatsanwältin dem Beschwerdeführer die Siegelung, worauf er auf eine solche verzichtet habe. Auch wenn daraus zu schliessen ist, dass der Beschwerdeführer über die Möglichkeit einer Siegelung der sichergestellten Unterlagen informiert worden war, ist mangels eines entsprechenden Protokollvermerks unklar, ob der Beschwerdeführer auch darauf hingewiesen wurde, dass er mangels eines sofortigen Siegelungsgesuchs diesen Rechtsschutz verliert. Ohne entsprechenden Nachweis darf dies nicht zulasten des Beschwerdeführers angenommen werden. Es schadet ihm daher nicht, dass er das Siegelungsgesuch nicht sofort an der Hausdurchsuchung gestellt hat, sondern einen Tag später durch seinen Rechtsvertreter stellen liess.

3.3.2 Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer nach Eingang des Siegelungsgesuchs vom 30. August 2012 am 31. August 2012 die Siegelung der sichergestellten Unterlagen bestätigt hat. Im Widerspruch dazu stellte sie in ihrem Entsiegelungsgesuch vom 12. September 2012 an das Zwangsmassnahmengericht im Hauptstandpunkt den Antrag, es sei festzustellen, dass das Siegelungsgesuch des Beschwerdeführers zu spät eingegangen sei. Falls das Siegelungsgesuch vom 30. August 2012 nach der Auffassung der Staatsan-waltschaft verspätet war, hätte sie dem Beschwerdeführer nicht am 31. August 2012 vorbehaltlos die Siegelung der sichergestellten Unterlagen bestätigen dürfen. Vielmehr hätte die Staatsanwaltschaft bereits damals das Siegelungsgesuch als verspätet zurückweisen müssen.

3.4 Demgemäss bleibt es dabei, dass über die Zulässigkeit der Hausdurchsuchung und der Beschlagnahme der sichergestellten Unterlagen im Entsiegelungsverfahren zu entscheiden ist und das Beschwerdeverfahren hierfür nicht zur Verfügung steht.

Obergericht, II. Beschwerdeabteilung, 28. März 2013

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