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§ 93 GOG und § 37 GG

Regeste:

§ 93 GOG ‒ Für einen Verzicht auf eine Strafanzeige gemäss § 93 Abs. 2 GOG braucht es neben der Zustimmung der vorgesetzten Stelle und der Tatsache, dass es sich um einen Übertretungstatbestand handelt, kumulativ auch die Voraussetzung, dass im Falle einer Verurteilung von Strafe Umgang zu nehmen oder abzusehen wäre. Sofern eine Person nach einem abschlägigen Entscheid in vollem Wissen um die Unrechtmässigkeit und somit vorsätzlich gegen Bestimmungen des PBG verstossen hat, kann nicht mehr von einem geringfügigen Verschulden, welches für eine Strafbefreiung notwendig ist, gesprochen werden. (Erw. 6).

§ 37 GG ‒ Nach gefestigter Praxis sind unter «Missstand» bzw. unter «Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben» im Sinne von § 37 GG die Verletzung von klarem materiellem Recht, die Missachtung wesentlicher Verfahrensgrundsätze oder die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen zu verstehen. Der Regierungsrat des Kantons Zug übt bei der Anordnung von aufsichtsrechtlichen Massnahmen gegen eine Gemeinde praxisgemäss eine gewisse Zurückhaltung aus und schreitet erst beim Vorliegen unhaltbarer Zustände ein, die schlicht nicht toleriert werden können (Erw. 7).

Aus dem Sachverhalt:

Im Jahr 1995 orientierte X. die Einwohnergemeinde Y. über die Sanierung und Umnutzung eines nicht für Wohnzwecke zugelassenen Gebäudes. Im darauf folgenden Rechtsmittelverfahren stellte das Verwaltungsgericht im Jahr 2000 fest, dass die Umnutzung rechtswidrig war und der Gemeinderat Y. die Wiederherstellung der Baute für die ursprüngliche Nutzung zu veranlassen habe. Im Jahr 2002 reichte X. ein Gesuch für die Umnutzung des Gebäudes ein. Dies wurde vom Verwaltungsgericht im Jahr 2005 wiederum abgelehnt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die im Jahr 2000 angeordnete Wiederherstellung der Baute für die ursprüngliche Nutzung nicht vorgenommen wurde und weiterhin eine nicht legale Wohnnutzung im Gebäude stattfinde. Der Gemeinderat Y. wurde angehalten, die gesetzmässige Nutzungsordnung durchzusetzen und nötigenfalls geeignete Massnahmen zu ergreifen. Das Bundesgericht bestätigte in der Folge diesen Entscheid. Daraufhin fand ein Rückbau der erfolgten Sanierungen statt. Mit Schreiben vom 7. März 2012 orientierte Z. den Gemeinderat Y. unter anderem darüber, dass nach seinen Abklärungen im vorerwähnten Gebäude von X. eine Wohnnutzung stattfinde. Mit Schreiben vom 20. September 2012 gelangte Z. mit einer Aufsichtsbeschwerde an den Regierungsrat des Kantons Zug. Darin macht er geltend, dass der Gemeinderat Y. seine baupolizeilichen Pflichten nicht wahrnehme. Er beantragte, dass der Gemeinderat Y. anzuweisen sei, die Wohnnutzung im betreffenden Gebäude zu untersagen. Überdies sei von den kantonalen Behörden eine Strafanzeige gegen X. und den Gemeinderat Y. einzureichen.

Aus den Erwägungen:

(…)

5. Es bleibt somit einzig noch die Frage zu prüfen, ob der Gemeinderat Y. gegen X. eine Strafanzeige hätte einreichen müssen. Gemäss der Anzeigepflicht von § 93 Abs. 1 GOG müssen alle kantonalen und gemeindlichen Behördemitglieder und Angestellten strafbare Handlungen, die von Amtes wegen verfolgt werden und die ihnen in Ausübung ihrer behördlichen, amtlichen oder beruflichen Tätigkeit bekannt werden, der Polizei oder Staatsanwaltschaft mit allen sachdienlichen Angaben anzeigen. Nach § 70 Abs. 1 PBG wird mit Busse bis Fr. 100'000.– bestraft, wer gegen das PBG und seinen Ausführungsbestimmungen zuwider handelt, insbesondere wer Bauten und Anlagen ohne Bauanzeige oder ohne Bewilligung, bzw. unter Verletzung einer solchen erstellt. Im vorliegenden Fall sind offensichtlich Bestimmungen des PBG verletzt worden. So fand der Umbau und die Nutzungsänderung zu einer Wohnnutzung in Verletzung von § 44 ff. PBG ohne Bauanzeige und folglich auch ohne Bewilligung statt. Überdies ist unbestritten, dass gemäss den früheren Urteilen des Verwaltungsgerichts und des Bundesgerichts eine Wohnnutzung des (…) gemäss der geltenden Rechtslage gar nicht erst bewilligungsfähig ist. Dieser Sachverhalt fällt klarerweise unter die Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG.

6. Der Gemeinderat Y. hat unter Verweis auf das Verhältnismässigkeits- und Opportunitätsprinzip keine Strafanzeige gegen X. eingereicht. Auf eine Anzeige kann mit Zustimmung der vorgesetzten Stelle nur dann verzichtet werden, wenn es sich einerseits um eine Übertretung handelt und anderseits im Falle einer Verurteilung von Strafe Umgang zu nehmen oder abzusehen wäre (§ 93 Abs. 2 GOG). Bei § 70 PBG wird als Strafe eine Busse angedroht, womit es sich bei Widerhandlungen gegen das PBG um Übertretungen handelt. Somit gilt noch zu prüfen, ob im Falle einer Verurteilung von einer Strafe abgesehen würde. Bei fehlendem Strafbedürfnis können die Organe der Strafrechtspflege nach Art. 52 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (StGB; SR 311.0) von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung absehen. Ein fehlendes Strafbedürfnis liegt unter anderem vor, wenn im Sinne eines Bagatelldelikts kumulativ sowohl die Schuld wie auch die Tatfolgen gering sind. Die Schuld bemisst sich dabei nach Art. 47 StGB und bei der Beurteilung der Geringfügigkeit sind die Gesamtumstände, verglichen mit dem Regelfall des Deliktes, zu berücksichtigen. Da X. offenbar wiederholt, in vollem Wissen um die Unrechtmässigkeit und somit vorsätzlich gegen Bestimmungen des PBG verstossen hat, kann nicht mehr von einem geringfügigen Verschulden, welches für eine Strafbefreiung notwendig ist, gesprochen werden. Die erneuten Umbauten und rechtswidrige Wohnnutzung sind insofern auch stossend, als die Rechtswidrigkeit der Wohnnutzung im (…) bereits in mehreren Gerichtsurteilen festgehalten wurde und gegenüber X. von den Behörden diesbezüglich bereits einmal Rückbaumassnahmen angeordnet werden mussten. Die Handlungen erfolgten somit in bewusster Missachtung der Gerichtsurteile und der früheren Rückbauanordnungen durch die Behörden. Da X. die umgebauten Räume vermietet hat, wird sich folglich auch die Frage stellen, ob ein allenfalls erzielter Gewinn gestützt auf Art. 70 StGB einzuziehen ist. Unter diesen Umständen kann vorliegend entgegen der Auffassung des Gemeinderats Y. nicht wegen voraussichtlicher Strafbefreiung im Sinne von § 93 Abs. 2 GOG auf eine Strafanzeige verzichtet werden. Auch die Überlegung des Gemeinderats Y., wonach eine baldige Legalisierung des rechtswidrigen Zustandes in absehbarer Zeit möglich gewesen wäre, ändert nichts daran, dass die Handlungen von X. als Widerhandlungen gegen das PBG zu qualifizieren sind, bei denen gestützt auf die vorgängigen Erwägungen nicht auf eine Strafanzeige verzichtet werden kann.

7. In § 37 des Gesetzes über die Organisation und die Verwaltung der Gemeinden (Gemeindegesetz, GG; BGS 171.1) vom 4. September 1980 werden die Voraussetzungen für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten durch die Aufsichtsbehörde genannt: «Stellt die Aufsichtsbehörde einen Missstand in der Gemeindeverwaltung oder eine Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben fest, mahnt der Regierungsrat den Gemeinderat, Abhilfe zu schaffen.» Nach gefestigter Praxis und herrschender Auffassung ist unter «Missstand» bzw. unter «Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben» im Sinne von § 37 GG die Verletzung von klarem materiellem Recht, die Missachtung wesentlicher Verfahrensgrundsätze oder die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen zu verstehen (vgl. RRB vom 20. Oktober 1998, in: GVP 97/98, S. 265 f.; RRB vom 8. September 1992, in: GVP 91/92, S. 260; RRB vom 5. November 1991, in: GVP 91/92, S. 275; Marco Weiss, Verfahren der Verwaltungsrechtspflege im Kanton Zug, Diss. Zürich 1983, S. 76). Klares Recht wird erst dann verletzt, wenn eine Rechtsanwendung schlechterdings unhaltbar bzw. direkt unvertretbar ist. Umgekehrt wird klares Recht nicht verletzt, wenn eine Rechtsauffassung diskutabel ist, also dann, wenn eine Rechtsnorm eine Interessenabwägung verlangt oder ein weitgehendes Ermessen einräumt. Bezüglich der Voraussetzungen, die für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten gegen eine Gemeinde erfüllt sein müssen, gilt es zudem weiter zu beachten, dass gemäss Praxis des Regierungsrats des Kantons Zug ein «Missstand» oder «eine Vernachlässigung öffentlicher Aufgaben» erst bei unhaltbaren Zuständen vorliegt, die schlicht nicht toleriert werden können. Das Gesetz sieht für die Anordnung aufsichtsrechtlicher Massnahmen strenge Voraussetzungen vor. Es will derartige Massnahmen bei jedwelchem Fehlverhalten ausschliessen und sieht diese nur bei qualifiziert fehlerhaftem Verhalten vor. Der Regierungsrat übt daher bei der Ergreifung eines aufsichtsrechtlichen Mittels praxisgemäss eine gewisse Zurückhaltung an den Tag.

8. Wie unter Ziffer 6 der Erwägungen dargelegt, ist der Gemeinderat im konkreten Fall seiner Anzeigepflicht gemäss § 93 Abs. 1 GOG nicht nachgekommen. Es wird allerdings auch festgehalten, dass § 93 Abs. 2 GOG der Behörde ein gewisses Ermessen einräumt. Es ist deshalb zumindest fraglich, ob der Gemeinderat im konkreten Fall klares Recht verletzt hat. Von einem Missstand im Sinne von § 37 GG und somit von unhaltbaren Zuständen, die aus rechtsstaatlichen Überlegungen schlicht nicht toleriert werden können, kann bei dieser Rechtslage jedenfalls nicht die Rede sein. Kommt hinzu, dass das Unterlassen der Anzeigeerstattung durch den Gemeinderat die Anzeige selbst nicht vereitelt hat. Vielmehr wird durch die Anzeige durch den Regierungsrat § 93 Abs. 1 GOG nachträglich genüge getan.

9. Mithin fehlt es an den Voraussetzungen, den Gemeinderat im Sinne von § 37 GG förmlich zu ermahnen. Er wird jedoch im Rahmen dieses Aufsichtsverfahrens darauf hingewiesen, sich zukünftig an die korrekte Anwendung der Anzeigepflicht nach § 93 Abs. 1 GOG zu halten. Aufgrund der ihm wegen der Anzeigepflicht zukommenden Garantenpflicht läuft er ansonsten auch Gefahr, sich durch die Unterlassung einer Strafanzeige der Begünstigung nach Art. 305 StGB schuldig zu machen.

10. Die Anzeigepflicht nach § 93 Abs. 1 GOG trifft auch den Regierungsrat. Er hat im Rahmen der vorliegenden Aufsichtsbeschwerde und somit in Ausübung seiner behördlichen Tätigkeit von den Widerhandlungen gegen das PBG, welche nach § 70 PBG strafbar sind, erfahren. Der Regierungsrat stellt deshalb diesen Entscheid direkt der Staatsanwaltschaft im Sinne einer Strafanzeige gegen X. gemäss den vorstehenden Erwägungen zu.

Regierungsrat, Beschluss vom 19. Februar 2013

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