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§ 72 PBG, § 9 Abs. 1 + 2 BO Walchwil

Art. 22 Abs. 1 PRG, § 44 Abs. 1 PBG, § 19 PBG

Regeste:

Art. 22 Abs. 1 RPG, § 44 Abs. 1 PBG, § 19 PBG – Liegt eine baubewilligungspflichtige Nutzungsänderung vor, wenn ein Gebäude mit Wohnnutzung in eine Kindertagesstätte/Kindergarten mit Primarschulbetrieb umgenutzt wird? Gilt die neue Nutzung als Wohnnutzung?

Aus den Erwägungen:

3. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid die Baubewilligungspflicht für die Nutzungsänderung im Stöckli und im Bauernhaus (…) bejaht und die Eigentümerinnen/Eigentümer und Betreiberinnen/Betreiber des Lernortes (…) aufgefordert, für die bereits vorgenommenen Umnutzungen ein Baugesuch einzureichen. Konkret heisst dies, dass nach der Auffassung der Vorinstanz der Primarschulbetrieb im Bauernhaus und im Stöckli einer baurechtlichen Bewilligung bedarf. Letzteres gilt auch für die Umnutzung des Stöcklis in eine Kindertagesstätte/Kindergarten. Die Beschwerdeführenden vertreten den Standpunkt, dass die Umnutzungen nicht baubewilligungspflichtig sind, da für sie das Unterrichten von Primarschülerinnen / Primarschülern sowie der Betrieb einer Kindertagesstätte als Wohnnutzung gilt und diese Nutzung keine raumrelevanten Auswirkungen hat. Da die Frage der Baubewilligungspflicht umstritten ist, ist zunächst diese Frage zu klären.

a) Gemäss Art. 22 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG, SR 700) dürfen Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden. Ergänzend zur bundesrechtlichen Regelung wird die Baubewilligungspflicht auch im kantonalen Recht umschrieben. Nach § 44 Abs. 1 PBG bedarf einer Baubewilligung der zuständigen Gemeindebehörde, wer Bauten und Anlagen erstellen, ändern oder anders nutzen will. Geringfügige Bauvorhaben, welche die nachbarlichen und die öffentlichen Interessen nicht erheblich berühren, sind der zuständigen Gemeindebehörde mit einer Bauanzeige zu melden (§ 44 Abs. 2 PBG). Aus dem Gesagten folgt, dass auch eine blosse Nutzungsänderung, welche raumrelevante Folgen hat, insbesondere erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt oder die Umgebung, baubewilligungspflichtig ist. Bei Nutzungsänderungen erstreckt sich die Bewilligungspflicht auf alle gesundheits- oder baupolizeilich bedeutsamen Zweckänderungen von Bauten und Anlagen, selbst wenn baulich nichts geändert wird. Die Bewilligungspflicht ist zu bejahen, wo ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit bzw. der Nachbarn an einer vorgängigen Kontrolle besteht. An das Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarn dürfen keine hohen Anforderungen gestellt werden. So genügen etwa bereits grössere Lärmimmissionen oder eine stärkere Belastung der Erschliessungsanlagen, dass eine vorgängige Kontrolle gerechtfertigt und damit die Bewilligungspflicht zu bejahen ist. Im Zweifelsfall hat sich die Behörde für die Baubewilligungspflicht zu entscheiden (vgl. Fritzsche/Bösch/Wipf, Zürcher Planungs- und Baurecht, 5. Auflage, Zürich 2011, S. 267 f. und die dort zitierten Entscheide).

b) Im vorliegenden Fall haben die im Bauernhaus und im Stöckli vorgenommenen Nutzungsänderungen Auswirkungen auf die Umgebung. Der Betrieb einer Kindertagesstätte und einer Primarschule mit bis zu 14 Schülerinnen/Schülern erzeugt mehr Lärm als eine gewöhnliche Wohnnutzung. Zu erwähnen ist dabei zunächst einmal der Lärm von spielenden Kindern, wenn sich diese im Aussenbereich aufhalten oder wenn Lärm durch die geöffneten Fenster nach aussen dringt. Lärm kann auch durch das Bringen und Holen der Kinder mit Autos usw. entstehen. Eine andere Frage ist, ob der Betrieb einer Kindertagesstätte und einer Primarschule mit wenigen Schülerinnen/Schülern noch als Wohnnutzung gilt oder ob es sich bereits um eine gewerbliche Nutzung handelt, ob die geänderte Nutzung gegen die Wohnanteilsvorschriften oder gar gegen die bewilligte Arealbebauung verstösst, sind Fragen, die in einem Baubewilligungsverfahren zu klären sind, und zwar unabhängig davon, ob die vorgenommenen Nutzungsänderungen bewilligt werden können. Ein weiterer Aspekt, der für eine Baubewilligungspflicht spricht, ist, dass bei der Einrichtung von Kindertagesstätten neben den baurechtlichen Aspekten auch die Wohn- und Arbeitshygiene, der baulichen Sicherheit und dem Brandschutz besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist. Auch zur Klärung dieser Fragen ist es angebracht, wenn ein Baubewilligungsverfahren durchgeführt wird. Eine Kindertagesstätte kommt dem Wohnen zwar sehr nahe, es gibt aber auch Unterschiede. In einer Kindertagesstätte wird in der Regel intensiver gewohnt, das heisst, es halten sich dort mehr Personen auf, dafür zu beschränkten Zeiten (abends, nachts und an den Wochenenden werden die Räume in der Regel nicht genutzt).

c) Als Zwischenergebnis steht damit fest, dass die vorgenommenen Nutzungsänderungen bewilligungspflichtig sind und damit ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen ist.

4. Aus der Stellungnahme des städtischen Baudepartementes vom 12. November 2012 geht hervor, dass die Beschwerdeführenden am 25. September 2012 ein Baugesuch für die Umnutzung des Stöcklis zum Primarschulbetrieb eingereicht haben. Dieses Gesuch wurde bisher nicht behandelt, weil einerseits das vorliegende Beschwerdeverfahren hängig war und andererseits die Vorinstanz verlangte, dass eine Dreiviertelmehrheit der Eigentümerinnen und Eigentümer der Arealbebauung der Nutzungsänderung zustimmen muss. Wie aus den Beschwerdeakten hervorgeht, liegt diese Zustimmung nicht vor. Von den Beschwerdeführenden wird geltend gemacht, dass diese Zustimmung gar nicht erforderlich ist. Nach der Auffassung der Beschwerdeführenden gilt der Betrieb einer Kindertagesstätte und einer Primarschule mit wenigen Schülerinnen/Schülern als Wohnnutzung und nicht als gewerbliche Nutzung. Falls die Auffassung der Beschwerdeführenden richtig wäre, so stellt sich die Frage nach der Einhaltung der Wohnanteils-Vorschriften nicht, auch eine Zustimmung der übrigen Eigentümerinnen/Eigentümer der Arealbebauung wäre dann nicht erforderlich. Nachfolgend ist somit die Frage zu klären, ob es sich beim Betrieb einer Kindertagesstätte mit Primarschule für wenige Schülerinnen/Schüler um eine Wohnnutzung handelt.

a) Im Sachverhalt wurde bereits ausgeführt, dass sich der Lernort (…) in der Wohnzone 3 befindet, welche der Empfindlichkeitsstufe II zugewiesen ist (§ 36 Bauordnung der Stadt Zug vom 7. April 2009, BO Zug). In der Wohnzone 3 gilt ein Mindestwohnanteil von 90 % (§ 36 BO Zug), der in den in § 18 BO Zug genannten Fällen vom Stadtrat reduziert oder aufgehoben werden kann. Eine Definition der Wohnzone befindet sich im kantonalen Recht. Nach § 19 PBG sind die Wohnzonen für Wohnzwecke bestimmt. Nicht störende Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe sind zulässig. Die Frage, ob eine Kindertagesstätte mit Primarschulunterricht für wenige Schülerinnen/Schüler noch als Wohnnutzung gilt, musste von den Rechtsmittelinstanzen im Kanton Zug bisher noch nicht entschieden werden. Aus anderen Kantonen liegen solche Entscheide vor. Im Kanton Zürich beispielsweise gibt es eine Rechtspraxis, wonach Kindertagesstätten in einer Wohnzone nicht als Wohnnutzung angesehen werden, aber je nach den jeweiligen Zonenvorschriften können diese trotzdem zonenkonform sein, sofern in einer Wohnzone auch andere Nutzungen wie nicht störende gewerbliche Nutzungen zulässig sind (vgl. Entscheid des Baurekursgerichtes des Kantons Zürich vom 26. März 2013, Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. November 2009). In einem neuen Urteil vom 15. März 2013 hat das Bundesgericht (1C_07/2012) ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich bestätigt, das eine Befreiung von der Mindestwohnanteilspflicht von 90 % in einer Wohnzone 3 in der Stadt Zürich für den Ersatzneubau einer Kindertagesstätte für 140 Plätze zugelassen hatte. In einem Urteil vom 18. November 2009 stellte das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich fest, dass die Umnutzung einer bisher zu Wohnzwecken dienenden Wohnung in eine Kindertagesstätte in einer Wohnzone 2 mit 90 % Wohnanteil zonenkonform sei und für die Unterschreitung des Wohnanteils wurde eine Ausnahme gewährt. In einem weiteren Urteil vom 6. September 2010 bestätigte das Bundesgericht (1C_148/2010) ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 26. Januar 2010, dass der Betrieb einer Kindertagesstätte mit 23 Plätzen in einer Wohnzone 3bis als zonenkonforme, zulässige Wohnnutzung zu betrachten sei. Das Verwaltungsgericht begründete die Wohnnutzung damit, dass die Kinder in der Kindertagesstätte einen halben oder ganzen Tag verbringen und dort essen, schlafen, spielen und teilweise den Kindergarten oder die Schule besuchen würden. Diese Tätigkeiten entsprächen vollumfänglich dem Charakter einer Wohnzone, weshalb der Betrieb der Kindertagesstätte als zonenkonforme zulässige Wohnnutzung zu betrachten sei.

b) Die zuvor erwähnten Gerichtsentscheide zeigen, dass in der Rechtsprechung Einigkeit herrscht, dass die Nutzung einer Liegenschaft als Kindertagesstätte mit der Wohnnutzung eng verwandt ist. Anstelle der Eltern erfolgt die Betreuung der Kinder durch Personal einer Kindertagesstätte. Die Nutzng einer Liegenschaft als Kindertagesstätte wird mit dem Zweck einer Wohnzone als vereinbar angesehen, sofern dies nicht aufgrund von speziellen Regelungen anders zu beurteilen ist. Die Differenz zwischen der Zürcher und Aargauer Rechtsprechung besteht darin, dass im Kanton Zürich eine Kindertagesstätte nicht als Wohnnutzung qualifiziert, aber mit dem Zweck einer Wohnzone vereinbare Nutzung angesehen wird. Im Kanton Aargau geht man noch einen Schritt weiter, dort gilt eine Kindertagesstätte als Wohnnutzung. Da das Bundesgericht im erwähnten Urteil die Aargauer Praxis bestätigt hat, kann der in § 19 PBG verwendete Begriff «Wohnzwecke» ohne Zwang ebenfalls dahingehend ausgelegt werden, dass darunter auch kleinere Kindertagesstätten mit oder ohne Primarschulbetrieb für 20 bis 30 Kinder fallen. Mit dieser Auslegung wird der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung getragen, dass Elternteile oft einer Erwerbsarbeit nachgehen und deshalb die Kinder teilweise oder ganz ausser Haus betreut werden. Entscheidend ist zudem, dass die Kinder in einer Kindertagesstätte die gleichen Aktivitäten ausüben wie im Elternhaus. Sie essen und spielen dort, je nach Alter besuchen sie den Kindergarten oder die Schule.

c) Der Lernort (…) entspricht vollumfänglich den in Bst. b genannten Voraussetzungen und die Nutzung des Bauernhauses und des Stöcklis als Kindertagesstätte mit Primarschulunterricht ist damit als Wohnnutzung anzusehen. Damit ist auch die Einhaltung des vorgeschriebenen Wohnanteils von 100 % gemäss Bewilligung der Arealbebauung (…) und von 90 % gemäss § 36 BO Zug kein Problem. Gilt die Kindertagesstätte mit Primarschulbetrieb des Lernortes als Wohnnutzung, so wird auch das Konzept der Arealbebauung nicht geändert und es muss somit keine Zustimmung der übrigen Eigentümerinnen/Eigentümer der Arealbebauung im Sinne von § 29 Abs. 4 PBG eingeholt werden.

Regierungsrat, 18. Juni 2013

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